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"Psychopath und Hochstapler"

"Psychopath und Hochstapler"
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Für Verschwörungstheoretiker war das ein schlechter Tag. Speziell für jene, die hartnäckig die Gerüchte nähren, Michèle Kiesewetters Kollege Martin A. sei in den Wochen nach dem Anschlag in Heilbronn vor acht Jahren von der rechten Szene ausspioniert worden – um ihn zu liquidieren.

Er hält die Behörden ganz schön auf Trab. Und das seit über 20 Jahren, wie einer jener Polizeibeamten zu Protokoll gab, die am Montag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zum Nationalsozialistischen Untergrund als Zeuge auftraten. Dabei gelte Alexander Gronbach eigentlich als "Spinner". Seine E-Mail vom 14. April 2012 ans baden-württembergische Innenministerium sorgte dennoch für einige Aufregung angesichts der brisanten Mitteilung, er habe Informationen einer Vertrauensperson des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) zu Verbindungen des rechtsextremistischen Spektrums zu der Heilbronner Bluttat vom April 2007.

Die Geschichte ist verzwickt und auch deshalb nur umständlich auf den wahren Kern zu reduzieren. Gronbachs Vertrauensperson, seine Lebensgefährtin Petra S., soll kurz nach der Tat von ihrer Freundin und Friseurin in Wolpertshausen erfahren haben, dass eine Krankenschwester an einem von den Behörden geheim gehaltenen Ort, nämlich dem Krankenhaus Ludwigsburg, für rechtsgerichtete Kreise gewisse Informationen gesammelt habe. Darunter die, dass der in Heilbronn so schwer verletzte Polizist Martin A. im Koma liegt und den Mordanschlag nicht überleben wird. Diese Infos habe Petra S., genannt "Krokus", im Mai 2007 dem Landesamt für Verfassungsschutz gemeldet, sie seien aber vom LfV nicht an die Ermittler der Soko Parkplatz weitergeleitet worden. Vielmehr habe ihr V-Mann-Führer erklärt, sie solle sich aus der Sache raushalten.

"Absoluter Bullshit"

Die Behörden sind der Spur 5036, auch Krankenschwester-Spur genannt, nachgegangen. In einer "vereidigten Aussage beim zuständigen Ermittlungsrichter Bundesgerichtshof Karlsruhe" breitet Gronbach sein angebliches Wissen abermals facettenreich aus, und im Mai 2012 wird dann "Krokus" dazu vernommen. "Das ist absoluter Bullshit", sagt die Frau damals, wie heute aus den Akten bekannt ist. In seinem Abschlussbericht analysiert das LKA Gronbachs Ausführungen in seiner E-Mail an das Innenministerium als "zum Teil zutreffend, zum Teil vollkommen aus der Luft gegriffen". Die Mail sei "das Werk eines der Polizei bekannten Hochstaplers und Psychopathen und sollte daher ignoriert werden".

Wird sie aber nicht. Und Gronbach selbst ist im Netz überaus aktiv unterwegs. In Irland, wo er und Petra S. inzwischen leben, um sich einem deutschen Haftbefehl zu entziehen, bekommen er und Freundin S. gelegentlich Besuch von Journalisten, und dabei wärmt das Pärchen Gerüchte immer neu auf. "Die Friseurin habe ihr dabei berichtet, ihre Leute würden über eine Krankenschwester den schwer verletzten Polizisten ausspähen, versuchten herauszubekommen, wann er aufwache und ob er sich an etwas erinnere", <link http: www.spiegel.de politik deutschland nsu-untersuchungsausschuss-laedt-v-mann-fuehrer-vor-a-904018.html _blank>schreibt "Spiegel online" nach einem Gespräch "bei Kaffee und Keksen" im Juni 2013 in der irischen Provinz. Hätte S. diese Informationen tatsächlich an ihren Kontaktmann beim LfV weitergegeben, dann, schließt der "Spiegel" messerscharf, "hätten Baden-Württembergs Behörden fast vier Jahre vor Aufdeckung der NSU-Morde konkrete Hinweise auf rechtsextremistische Hintergründe erhalten – und diese verheimlicht".

Inzwischen waren sogar die Schwester des auf dem Cannstatter Wasen verbrannten Rechtsaussteigers Florian Heilig auf der Insel und die Zeugin "Bandini", die erst kürzlich zur Verbrennung auf dem Cannstatter Wasen aussagte, in der Hoffnung auf neue belastbare Hinweise. Gronbach findet immer neue Adressaten für seine Mails, inzwischen die Mitglieder des baden-württembergischen Untersuchungsausschusses.

Einmal, im April 2014, schickt er sogar an Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine "chronologische Zusammenfassung", die acht Punkte umfasst und jede Menge Angriffe auf Landes- und Bundesbehörden enthält – sowie die bekannte Mischung aus Dichtung und Wahrheit, aus Andeutungen, Unterstellungen und Tatsachen. "Weil Petra Senghaas alias Krokus aus der Reihe tanzt und unangreifbar in Irland Tatsachen in die BRD trägt", fantasiert er unter Punkt vier, "tauchen plötzlich die 'Spiegel'-Journalisten hier auf, nicht um nun diese rechtsradikale Truppe aufzurollen, sondern mal abzuklopfen, was man noch unterdrücken muss."

Oder, Punkt sechs, es sei versucht worden, "mich, Alexander Gronbach, mundtot zu machen" durch die Lancierung der "unglaublichsten Lügen über willfährige Journalisten". Er könne durchaus überzeugend wirken, meint einer der Zeugen, selbst "bei lebensnahen Menschen ist es ihm gelungen, sich Gehör zu verschaffen". 2010 etwa startet Gronbach eine Aktion zur Freilassung von im Iran festgehaltenen Reportern der "Bild am Sonntag", die auch der Grüne Rezzo Schlauch unterstützt.

Der NSU-Bundestagsausschuss ist den beiden Hinweisgebern gefolgt, was immerhin zu einer offiziellen Rüge des baden-württembergischen Innenministeriums führte – seiner "Informationssalami-Taktik" wegen. Insgesamt allerdings wurden "Krokus'" Erzählungen als nicht glaubwürdig eingestuft. Der Ausschuss in Stuttgart hörte dazu vier Beamte, ebenjene Friseurmeisterin Nelly R. und die Krankenschwester. Letztere arbeitete in der Reha in Neresheim, in der Michèle Kiesewetters Kollege Martin A. tatsächlich lag – nicht in Ludwigsburg –, und hat bei einem Termin zur Vorbereitung ihrer Hochzeits-Hochsteck-Frisur ebendies erwähnt: dass der lebensgefährlich verletzte Polizist von Heilbronn dort behandelt wird. Mehr aber auch nicht. 

Nelly R. bestreitet, von einer Ausspähaktion gewusst oder darüber berichtet zu haben. Ausführlich schildert sie ihre Treffen mit S. und mit Gronbach, von dem sie sich mittlerweile "gestalkt" fühlt. Manchmal reagiert die Zeugin aggressiv während ihrer fast zweistündigen Vernehmung, manchmal wird sie laut. Als Nik Sakellariou, der SPD-Obmann, Details zu ihrer rechtsradikalen Gesinnung erfahren will, schießt sie sofort aus der Hüfte: "Ich behaupte ja auch nicht, dass Sie Kinderpornos anschauen." Wenn ein Bayern-München-Fan einen Mord begehe, werde nicht gleich der ganze Verein verboten. Und weiter: "Verbietet die NPD doch endlich, dann ist Schluss."

Schneller Wechsel von rechts nach links

Mit den "Geisteskranken" vom NSU will die Mutter von vier Kindern und Chefin von mehreren Angestellten, Auszubildende inklusive, nichts zu tun haben, ebenso wenig wie "mit Mördern, Vergewaltigern und Kinderschändern". Aus der NPD, für die sie unter anderem 2011 Landtagskandidatin war ("Die 8500 Euro hätte ich gerne genommen"), ist sie im vergangenen Dezember ausgetreten – angeblich auf Wunsch der Privatschule ihrer Kinder. Die sind allerdings inzwischen trotzdem rausgeflogen, was die Mutter nicht ihrer und der Gesinnung ihres Mannes zuschreibt, sondern der Berichterstattung der Medien.

Einen zeitgeschichtlichen Schlenker zur Ära des Ministerpräsidenten Günther Oettinger lieferte der Verfassungsschützer gleichen (Tarn-)Namens. Rainer Oettinger wird in einem mit einer Stellwand abgetrennten Nebenraum verhört, die Öffentlichkeit per Lautsprecher hergestellt. Wie schon im Bundestagsuntersuchungsausschuss beschreibt er "Krokus" als kooperativ und dann deren dramatische Wandlung durch die Bekanntschaft mit Gronbach. Er wurde schon in Berlin vernommen, hatte diesmal wenig Neues zu berichten, außer, wie aus der Rechtsaußen- eine Linksaußeninformantin wurde. Wohl aus finanziellen Gründen habe Petra S. häufiger eingesetzt werden wollen, und das Innenministerium, seinerzeit geführt von Heribert Rech (CDU), war interessiert an Gregor Gysis Linkspartei. Speziell an solchen Gruppierungen und Ortsverbänden, wie der Verfassungsschützer sagt, in denen es "weit über Kapitalismuskritik hinausgegangen" sei. Tatsächlich Verwertbares förderte "Krokus" allerdings auch aus der linken Szene nicht zutage.

Der Staatsschützer, der die Frau dem LfV empfohlen hatte, bestätigt alle Aussagen zur Persönlichkeitsveränderung bei Petra S., nachdem sie und Gronbach ein Paar wurden. Der "Dorfsheriff", wie sie genannt worden sei, habe ebenfalls eine lange Karriere als Hinweisgeberin gehabt und über die Jahre "viel Mist" erzählt, "vor allem aus dem kleinkriminellen Bereich". Und immer nach demselben Muster: Um einen wahren Kern rankte sich jede Menge Erfundendes. "Diesen Komplex können wir auf null stellen", fasst Uli Goll, der ehemalige FDP-Justizminister, am Ende der 17. Sitzung zusammen.

Was Gronbach angeht, hatte sich das LKA nach den Akten, die nun auch dem Ausschuss vorliegen, schon im Februar 2013 ein abschließendes Bild gemacht. Er sei "bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten und mit 86 Fällen, unter anderem Eigentums-, Gewalt- und Betäubungsmitteldelikten, im Fahndungssystem erfasst". Aus den Unterlagen des Generalbundesanwalts gehe zudem hervor, "dass Herr Gronbach als notorischer Hinweisgeber bei verschiedenen Ermittlungsbehörden in Baden-Württemberg bekannt ist".

Sein angebliches Wissen sei aber "größtenteils im Internet recherchierbar oder durch ihn nicht belegbar". Der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler schließt aus, dass er oder "Krokus" als Zeugen geladen werden. Es sei nun wirklich an der Zeit, sich dem Fall Kiesewetter direkt zuzuwenden. Der Zeitplan für den Ausschuss sei angesichts der Landtagswahl im kommenden März ohnehin "eng, eng, eng".


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4 Kommentare verfügbar

  • Bob Roberts
    am 30.04.2015
    Antworten
    Die Geschichte ist verzwickt und auch deshalb nur umständlich auf den wahren Kern zu reduzieren.

    Im Mai 2013 begann im Kommentarbereich eines Artikels über einen abgesetzten WDR-Beitag zum NSU
    eine kontroverse Diskussion, die nachfolgend dokumentiert ist. Verfasser der Kommentare sind unter…
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