KONTEXT:Wochenzeitung
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Öde Landschaften

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Was im Stuttgarter Pressehaus passiert, ist übel, aber nicht originell. Mit der Fusion zur StZN ahmt Verleger Richard Rebmann nur nach, was andernorts schon Praxis ist. Ein Überblick über eine Zeitungslandschaft, die mehr und mehr verödet.

Das jüngste Stück des Kahlschlags spielt im Osten der Republik – in Thüringen. Marktbeherrschend agiert dort die Funke-Gruppe aus Essen mit ihren drei Zeitungen "Thüringer Allgemeine", "Ostthüringer Zeitung" und "Thüringische Landeszeitung". Bisher hatte jedes Blatt eine eigene Hauptredaktion für den überregionalen Teil. Sie werden nun in die neue Gesellschaft Thüringer Contents & Services GmbH überführt und personell ausgedünnt. Insgesamt sollen 65 Redakteursstellen entfallen, ein Drittel weniger als bisher. Ihren Job übernimmt eine Zentralredaktion, die der Konzern in Berlin aufgebaut hat und die sukzessive alle Titel des Konzerns mit überregionalen Nachrichten versorgen soll. Die Inhalte werden vereinheitlicht, die Unterschiede beschränken sich im Wesentlichen aufs Layout. Damit nicht genug. In den wenigen Städten, in denen der Konzern noch zwei Lokalredaktionen unterhält, werden auch diese zusammengelegt. Absehbare Folge: noch mehr Einheitsbrei.

Diese noch relativ junge Entwicklung, immer stärker auf eigene Redaktionen zu verzichten, führt zu kuriosen Verhältnissen. Ein Beispiel: Wenn ein Ortsfremder nach Dortmund kommt und sich über die örtlichen Gazetten ein Bild über die aktuellen Themen der Stadt machen will, findet er am Kiosk gleich drei lokale Zeitungen: den Marktführer, die "Ruhr Nachrichten" (RN), die WAZ und die "Westfälische Rundschau" (WR). Beim Blättern wird dann aber schnell deutlich, dass es mit der Vielfalt nicht weit her ist. Die lokale Berichterstattung ist identisch, denn allen drei Titeln liegt der Lokalteil der RN bei. Bei der WAZ und der WR sind auch die übrigen Angebote – abgesehen von Titel und Impressum – identisch. Nicht nur der Ortsfremde versteht das durchaus als Mogelpackung.

Wer will, kann in Dortmund eine Zombie-Zeitung lesen

Was ist los in Deutschlands Zeitungen, die immer mehr aus gleichen Inhalten und immer weniger aus journalistischen Eigenleistungen bestehen? Die seit der Jahrtausendwende sinkenden Werbeeinnahmen und die schon zuvor bröckelnden Verkaufsauflagen haben zu Löchern in den Verlagskassen geführt. Die bis dahin mit Spitzenrenditen verwöhnte Branche musste sich an geringere Profite gewöhnen. Die Verlagsmanager haben dabei längst die Redaktionen entdeckt. Wurden zunächst nur ausscheidende Redakteure nicht ersetzt und die redaktionellen Umfänge gekürzt, gehen die Manager inzwischen rigider vor und streichen ganze Redaktionen. Die "Westfälische Rundschau" hat es am härtesten erwischt: Sie hat keine einzige Redaktion mehr. Nicht nur in Dortmund erscheint sie als sogenannte Zombie-Zeitung. Der Mantel kommt von der WAZ, die diversen Lokalteile stammen allesamt von anderen Zeitungen.

Ähnlich wie in Dortmund sieht es auch im Norden der Republik aus. In Bremen sind die Hauptteile von "Weser-Kurier" und "Bremer Nachrichten" identisch. In der Region Aachen unterscheiden sich die "Aachener Zeitung" und die "Aachener Nachrichten" nur auf den ersten Seiten. Beide Blätter erscheinen wie in Bremen im selben Verlag und werden von einer Redaktion erstellt. Nur in Aachen und in Düren werden noch getrennte Lokalredaktionen unterhalten. In allen anderen Ausgaben ist auch die örtliche Berichterstattung gleich. In der Region Köln hat die DuMont-Gruppe die Lokalredaktionen von "Kölner Stadt-Anzeiger" und "Kölnischer Rundschau" überall dort zusammengelegt, wo bis dahin zwei Redaktionen getrennt und im Wettbewerb miteinander gearbeitet hatten. Die Lokalberichte sind nun vielfach identisch. Nur in der Stadt Köln existieren noch zwei Lokalredaktionen.

Mehrarbeit von weniger Personal ist normal geworden

Kreuz und quer über das Land regiert in den Lokalredaktionen inzwischen der Rotstift. Mit weniger Personal müssen fast alle Redaktionen auskommen, obwohl sie neben der Zeitung auch noch die digitalen Angebote des Verlags bestücken müssen. Mehrarbeit mit weniger Man-Power ist zum Normalzustand geworden.

Fraglich ist allerdings, ob die Abonnenten diesen Etikettenschwindel auf Dauer mitmachen werden. Der WAZ-Konzern, die heutige Funke-Gruppe, hat in Nordrhein-Westfalen bereits erfahren müssen, dass solche Mogelpackungen nicht akzeptiert werden. Die WR hatte im Märkischen Kreis Lokalteile von der Konkurrenz übernommen. Schon nach nicht mal einem Jahr wurde das Experiment beendet. Die Ausgaben wurden eingestellt, nachdem die Leser scharenweise abgesprungen waren. Ähnlich erging es der WR in Lünen und in Schwerte im Kreis Unna, wo der Lokalteil von den "Ruhr Nachrichten" übernommen worden war. Im November letzten Jahres war auch hier Schluss.

Diese Fälle müssten eigentlich ein deutliches Signal für die Verlagsleitungen sein, dass sich Leser nicht jeden Etikettenschwindel unterjubeln lassen. Aber ob das die Hoffnung auf ein wenig Vielfalt in der lokalen Publizistik nährt? Wahrscheinlicher ist eine weitere Zunahme von Zeitungsmonopolen, die dauerhaft bestehen bleiben. Die Erfahrungen mit der Pressekonzentration lehren, dass in Deutschland keine neuen Zeitungen entstehen. Und die etablierten Titel wagen nicht mal zusätzliche Ausgaben zur Vergrößerung des Verbreitungsgebiets. Verleger scheuen den Wettbewerb und lieben das Monopol.

Das "Stuttgarter Modell" – das war einmal

Der Kritik am Aufkauf von Zeitungen ist früher von den Verlagen gern entgegengehalten worden, dass sich bei den Inhalten nichts ändern werde. So auch in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, wo die "Stuttgarter Zeitung" die "Stuttgarter Nachrichten" 1974 übernommen hat. Das damals so genannte Stuttgarter Modell sah Rationalisierungen zwar in allen Bereichen vor, die Redaktionen beider Titel sollten aber unabhängig voneinander bleiben – bis zur "flexiblen Gemeinschaftsredaktion" 2016. Beim Essener WAZ-Konzern wurden die gleichen Setzungen ebenfalls zum "Modell" erklärt. Inzwischen sind davon nur noch Rudimente zu erkennen: Die WR hat keine Redaktion mehr, die "Neue Ruhr/Rhein Zeitung" verfügt selbst in Großstädten nur noch über Mini-Redaktionen und übernimmt ansonsten Inhalte von der WAZ oder auch von der Konkurrenz. Selbst die Hauptredaktion der WAZ, immerhin die Regionalzeitung mit der höchsten Auflage in Deutschland, ist inzwischen personell halbiert worden. Auch die WAZ bezieht die überregionalen Stoffe weitgehend von der Zentralredaktion des Konzerns in Berlin. Dasselbe gilt für den "Schwarzwälder Boten", der sich der "Stuttgarter Nachrichten" bedient.

Auch vom Madsack-Konzern in Hannover oder von DuMont in Köln sind solche Zentralredaktionen eingerichtet worden. Das betriebswirtschaftliche Kalkül ist simpel: Die Stückkosten werden gesenkt, wenn redaktionelle Leistungen für eine immer höhere Gesamtauflage genutzt werden. Auf der Strecke bleibt die journalistische Vielfalt. Die Folgen sind noch nicht vollständig abzusehen. Ändert sich für den Berliner Politikapparat das Verhältnis zur Presse, wenn nur noch wenige Journalisten die Berichterstattung einer Fülle von Zeitungen dominieren? Werden die Abgeordneten aus dem Verbreitungsgebiet einer Regionalzeitung von solchen Zentralen überhaupt noch wahrgenommen? Können die regional unterschiedlichen Interessen der Leser bedient werden?

Die Verlage gehen ein hohes Risiko ein. Und die Politik schweigt. Als in den 1970er-Jahren im deutschen Zeitungsmarkt noch viel mehr Vielfalt herrschte, hat sich der Bundestag ausführlich mit dem grundgesetzlichen Auftrag der Vielfaltsicherung befasst. Heute herrscht teilnahmslose Zurückhaltung.

 

Horst Röper, 63, ist der führende Zeitungswissenschaftler in Deutschland und leitet das Formatt-Institut. Der Dortmunder Experte für Medienkonzentration hat den Beitrag aus aktuellem Anlass für Kontext verfasst.


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20 Kommentare verfügbar

  • Demokrator
    am 22.04.2016
    Antworten
    Jedem Ewiggestrigen seine Scheuklappen...
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