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Sitzen verboten

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Die Stuttgarter Staatsgalerie gilt als heiliger Hort hehrer Meisterwerke. Sehr profan ist der Streit hinter den Kulissen. Direktorin Christiane Lange übe eine "Schreckensherrschaft" aus, heißt es in der Belegschaft, die sich einer Flut von Abmahnungen gegenübersieht.

Ein Fettfleck. Das kann Kunst sein wie bei Joseph Beuys. Das kann aber auch stören wie an der Wand der Staatsgalerie. Dort sind sie hingekommen durch die Hinterköpfe der AufseherInnen, die im Stuhl gesessen sind, und in zurückgelehnter Haltung ihre Häupter an dem Mauerwerk geschuppert haben. Die Direktorin der Einrichtung, Christiane Lange (52), hat sich das nicht lange angeschaut und schon beim Amtsantritt 2013 beschlossen, dass die Stühle weg müssen. "Ich will kein klinisch reines Museum", sagt sie bei unserem Besuch, "aber ein aufgeräumtes." Irgendwann komme es so weit, dass die Bediensteten ein Kissen, ein Kreuzworträtsel und einen Blumentopf mitbringen würden. Und seitdem müssen sie stehen und gehen.

Manchmal sind es eben die kleinen Dinge, die große Gefühle auslösen können. Auch negative. Die ihrer Sitzgelegenheiten Beraubten jedenfalls sind sauer. Wieder so eine Aktion ihrer Direktorin, schimpfen sie, mit der sie zeige, wie gering sie ihre Belegschaft schätze. Einfaches "Wachpersonal" sollen sie sein, was sie in ihrem Selbstverständnis trifft, schließlich sind sie zu einem Gutteil kunstaffine AkademikerInnen. ArchitektInnen, LehrerInnen, JuristInnen, die sich etwas dazu verdienen und bisweilen eingreifen, wenn sie finden, dass die Erläuterungen der Bilder durch die BesucherInnen nicht fachkundig genug sind.

Das wiederum regt Dirk Rieker (49), den kaufmännischen Geschäftsführer der Staatsgalerie, auf. Er hat Wirtschaft studiert und als Handballer bei der SG Bietigheim den Kampf gelernt. Der stramme Manager will kein besserwisserisches Sitzpersonal in den Sälen, sondern eine umhergehende Observation, mittels derer die wertvollen Exponate vor Vandalismus aller Art geschützt werden. "Wer redet", erklärt Rieker, "passt nicht auf." Um diesem Problem Herr zu werden, hat er bereits früh begonnen, das "Wachpersonal" in professionelle Hände zu legen, vulgo outzusourcen.

Phil Collins darf seine Einsätze auch nicht verpassen

39 AufseherInnen haben noch feste Verträge mit der Staatsgalerie, eine ähnlich hohe Anzahl wird von privaten Sicherheitsdiensten bei Bedarf bestellt. Für zwei Euro weniger die Stunde, aber mit der gemeinsamen Pflicht, sich einen Arbeitsethos anzueignen, der verhindern soll, dass einer erst um elf kommt, obwohl er schon um neun da sein sollte. Das sei immer wieder passiert, berichtet Rieker, und das könne er nicht dulden. Phil Collins, sein Lieblingssänger, könne es sich auch nicht leisten, seine Trommeleinsätze auf der Bühne zu verpassen.

Auch deshalb ist der Geschäftsführer dazu übergegangen, das Abmahnwesen zu verstärken. Waren es im Jahr 2015 noch 15 offizielle Ermahnungen, verdoppelte sich die Zahl 2016 auf 30, unter anderem wegen verspäteter Krankmeldungen oder privater Internetnutzung. Allerdings, schränkt er ein, seien die Abmahnungen mehrheitlich letztlich nicht ausgesprochen worden. Trotzdem, das sei schon viel bei 200 MitarbeiterInnen. Vor seiner Zeit bei der Staatsgalerie, also vor 2012, habe er in 15 Jahren ganze vier Abmahnungen gehabt.

Das deutet auf eine besondere Lage in dem Stuttgarter Kunsttempel hin. Was Rieker als "führungsresistente" Belegschaft bezeichnet, hat Tradition. Hier sind KuratorInnen, KunsthistorikerInnen und kunstbeflissene Menschen versammelt, die sich nicht in ein betriebswirtschaftliches Korsett zwängen lassen wollen, das sie als Kostenfaktor begreift. Wenn sie unter Langes Vorgänger Sean Rainbird gestreikt haben, war das genau so egal wie eine verlängerte Kaffeepause. Heute müssen sie dafür an die Stechuhr.

Sie sei fassungslos gewesen, erzählt Direktorin Lange, was sie bei ihrem Amtsantritt vorgefunden habe. Es erschien ihr, als könne an jenem Ort, dessen Werte sie zu "bewachen" und dessen "große Kunst" sie zu verantworten habe, jeder machen, was er wolle. Und für ihren Geschäftsführer muss es ein Alarmsignal gewesen sein, in der Bildzeitung zu lesen, vor seiner Zeit sei die Staatsgalerie ein "Saustall" gewesen.

Umfassende Überwachung gefordert

Konsequenterweise wird in der Ausschreibung für die Leitung des Besucherservices auch viel verlangt: fortlaufende unangekündigte Kontrollgänge (Einhaltung der Verhaltensregeln, Kleiderordnung, Position etc.), Wahrnehmung der disziplinarischen Personalverantwortung, Überwachung des Arbeitsbeginns, der Pausenzeiten und der Krankmeldungen, Unterstützung des Outsourcing-Prozesses. Außerdem muss die Person, die am 1. April das Kommando übernehmen soll, ein "ausgeprägtes Kostenbewusstsein" haben und "durchsetzungsstark" sein.

Nun ist die Staatsgalerie, die, wie viele Museen, mit kriselnden BesucherInnenzahlen zu kämpfen hat, kein Knast, aber auch kein Anarchohotel. Mit einem Jahresetat von elf Millionen Euro, der zu drei Vierteln aus Steuergeldern gespeist wird, ist sie gehalten, verantwortlich mit Geld und Kunst umzugehen. Nur: Die Peitsche wird auch nicht helfen. Dazu gibt es in dem Stirling-Bau zu viele eigenständige und widerborstige Köpfe, die sich dem Diktat der Betriebswirtschaftslehre und dem "Change-Management-Prozess" nicht beugen werden. Da ist viel Sachverstand versammelt, auch viel Ego, das in den Jahren gewachsen ist, als manche dachten, Götter regierten in ihrem Reich.

Das weiß auch Christiane Lange, deren Vertrag Ende 2017 ausläuft. Sie hat bis heute keinen Draht zu dieser Belegschaft gefunden. Die Härte, die sie nach innen zeigt, weicht im Gespräch eher einer Rat- und Hilflosigkeit. Sie erwarte ein "Mindestmaß an Respekt", sagt sie, gibt ihn aber offenbar nicht zurück. Langjährige MitarbeiterInnen werfen ihr die Missachtung von Ressortkompetenzen vor, vom Personalrat wird sie als autokratisch und selbstherrlich gescholten, von Verdi-Sekretär Markus Kling wird ihr eine "unsägliche Personalführung" bescheinigt. In Fachkreisen, die sie von außen argwöhnisch betrachten, gilt sie als konservative Ausstellungsfrau mit einem elitären Kunstverständnis, mit einem verengten Blick auf Gängiges, auf Design und Quote. Das ist selbst der "Stuttgarter Zeitung" zu langweilig. "Mehr Lust auf aktuelle Debatten" wünscht sich das Blatt.

Dementi: Keine Medusa mit den Schlangenhaaren

Das Wissen um den endlosen Streit heißt freilich nicht, dass Lange ihn auch versteht. Zu klein und eine zu sichere Bank dürfte ihre letzte Wirkungsstätte, die Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, gewesen sein, um das Große wuppen zu können. Sie müsse noch üben, bekennt die promovierte Kunsthistorikerin, aber sie sei doch nicht die "Medusa mit den Schlangenhaaren". Das klingt durchaus sympathisch, aber dem steht eben das Wort von der "Schreckensherrschaft" entgegen, das der Personalrat verwendet, wenn er über sie redet. Vielleicht ist es einfach so, dass die Direktorin, die durchaus kluge Sachen sagen kann ("Das kapitalistische Modell vom Wachstum gefährdet die Zukunft der Museen"), die Menschen nicht mitnehmen kann, bei dem, was sie denkt. Wie wär's eigentlich mit einem Coach?

Der Kontrollfreak, der sie ist, macht Kooperation schwer. Und wenn sie in der Ausstellung Papierfetzen vom Boden klaubt, sich selbst als "schwäbische Hausfrau" bezeichnet, dann mag das die Erinnerung an die Kehrwoche beleben. Aber das "Wachpersonal" steht daneben und staunt. Und wenn sie sagt, "Frauen räumen eher auf, wenn's unangenehm wird", dann sieht der Personalrat weniger Let's putz auf sich zukommen als eine neue Kampfansage.

Im Politsprech würde man wohl sagen, die Fronten sind verhärtet, die Lager unversöhnlich. Umgangssprachlich wäre von einer beschissenen Stimmungslage zu reden, die beim zweistündigen Kontext-Besuch in Langes Büro so auch benannt wird. Zu befürchten ist, dass sie auch nicht besser wird.

Und dann noch eine Schlafmatratze im Keller

Am Ende des Gesprächs legt Geschäftsführer Rieker noch Fotos auf den Tisch, die erstaunliche Gegenstände aus dem Keller des Hauses zeigen: einen Männerbarren, einen Stepper, Pfannen, Kochtöpfe, Teller und eine Schlafmatratze. Hier habe sich ein geheimer Fitnessraum, eine Küche und eine Schlafstätte befunden, mutmaßt Rieker, genutzt von MitarbeiterInnen. Das erinnert stark an das klandestine "Jägerstüble" im alten Süddeutschen Rundfunk, das tief unter dem Fernsehstudio Villa Berg verborgen war. In den 80er-Jahren sei dort, ohne Wissen der Intendanz und bei hochfliegenden Tassen, so manche treffliche Idee geboren worden, heißt es. In der Staatsgalerie ist der Technikleiter dafür fristlos gefeuert worden.

Die kleinen Fluchten gehören der Vergangenheit an. Der Fitnessraum ist geschlossen, ein neuer Fünfjahresvertrag liegt unterschriftsreif auf Christiane Langes Tisch. Sie wolle weiter machen, betont sie und äußert die Hoffnung, dass jeder seine "Verantwortung im Sinne des Ganzen" übernimmt. Die Oberverantwortung liegt beim Wissenschaftsministerium, das auch für die Kunst zuständig ist. Dienstherrin Theresia Bauer (Grüne) lässt auf Anfrage wissen, man habe sich für Frau Lange entschieden, man setze auf Kontinuität.


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19 Kommentare verfügbar

  • ThomasR
    am 22.02.2017
    Antworten
    Ich wundere mich doch arg, was für ein Kunstwärter_innenverständnis im Beitrag und in den Kommentaren herrscht. Alle Kunstvermittlungsdiskurse der letzten 30 Jahren scheinen an Euch vorbeigegangen zu sein. Braucht Kunst denn wirklich Aufseher, die sich dann auch noch erdreisten den nichts-wissenden…
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