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Abschied ohne Dank

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Karstadt Stuttgart gibt es nicht mehr. Für den österreichischen Unternehmer René Benko war es nicht mehr als eine lukrative Immobilie. Für viele VerkäuferInnen, die Ende Juni auf der Straße standen, ein ganzes Arbeitsleben. Was ist aus ihnen geworden?

Jammern ist nicht ihr Ding. Dafür hat Gabriele Pilz auch gar keine Zeit. "Karstadt?", sagt die 55-Jährige, "das ist für mich erledigt." Fast vier Jahrzehnte hat sie dort gearbeitet, als Betriebsrätin gerungen um Abfindungen, hat KollegInnen getröstet und aufgemuntert. Als sie ging, stand ihr Karstadt "bis hier oben". Mitgenommen hat sie den Frust, dass ein guter Standort aufgegeben wurde, obwohl schwarze Zahlen geschrieben wurden, und ihre langjährige Erfahrung im Einzelhandel. Letzteres hat ihr geholfen, eine neue Stelle zu finden. Heute berät und verkauft sie im Zwischenhandel.

Gabriele Pilz kennt viele Ex-Kolleginnen, vor allem ältere wie sie, die nicht so viel Glück hatten. "Teilzeitangebote, befristete Stellen, Stundensätze, von denen man nicht leben kann – es ist schwierig im Einzelhandel", sagt sie. Ab und an trifft sie sich mit ihren ehemaligen Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsrat, um über früher zu reden und über das Leben nach Karstadt. Ein bisschen Wehmut schwingt mit, wenn sie davon erzählt. Feste Verträge, qualitativ gute Arbeit – das ist für die meisten mit Karstadt Vergangenheit geworden.

135 Jahre alt wird Karstadt im kommenden Jahr, in 81 Filialen in Deutschland startet die Aktion "Mama ist die Beste". Das haben sich die Marketing-Strategen so ausgedacht. "Mit unserer Aktion sagen wir und all unsere Kunden "Danke", so Karstadt-Vertriebs-Chef Thomas Wanke. Karstadt Stuttgart ist bei dieser Aktion nicht mehr dabei. Ein Danke haben die VerkäuferInnen nie gehört.

Für Bernhard Franke war es ein "richtig hartes Ding". Immer noch empört ist er, dass ein Finanzinvestor mit einem Federstrich ein gutes Haus platt gemacht und die Belegschaft auf die Straße gesetzt hat. "Und alles nur, weil es größeren Profit versprach", sagt der Stuttgarter Fachbereichsleiter bei Verdi. Bis heute ist nicht klar, welche Pläne Benko verfolgt. In den noch bestehenden Karstadt-Filialen werde jedenfalls an einer "tayloristischen Aufteilung" gearbeitet, so der Gewerkschafter: Schlechter bezahlte Auffüller auf der einen, Nur-Kunden-Betreuer auf der anderen Seite. Franke fürchtet eine Spaltung der Belegschaft.

Daniela Venezia interessiert das nicht mehr. Der Karstadt-Kehraus war schmerzhaft, die Frauen in der Abteilung Damenwäsche eine verschworene Gemeinschaft. Doch anders als viele ihrer älteren KollegInnen hat Venezia mit ihren 32 Jahren eine neue Stelle als Verkäuferin gefunden. Noch ist sie auf Probe, nächstes Jahr im Mai soll es einen Festvertrag geben. Karstadt ist für sie Vergangenheit. Die KollegInnen von einst – vom Winde verweht.


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1 Kommentar verfügbar

  • Zaininger
    am 01.01.2016
    Antworten
    "Für den österreichischen Unternehmer René Benko war es nicht mehr als eine lukrative Immobilie."
    Ja, wofür sollen sich Immobilienhaie bedanken? Die haben eine andere "Werte"-Skala für gute Arbeit!
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