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Viel zu viel Geld

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Die Württembergische Lebensversicherung hat 250 Millionen Euro in ein Einkaufszentrum investiert. Und das läuft noch nicht mal besonders gut. Der Fall Gerber illustriert beispielhaft Fehlentwicklungen des Kapitalismus.

Als in Stuttgart im Herbst 2014 kurz nacheinander zwei große Shoppingmalls eröffneten, vergrößerte sich die Verkaufsfläche in der Innenstadt auf einen Schlag um 12 Prozent. Nun hatte ja aber die Zahl der Käufer nicht zugenommen – oder allenfalls auf Kosten der Läden im Umland. Und um 12 Prozent reicher geworden waren sicher auch nur die Wenigsten. So stellte sich die Preisfrage: Wer würde bei diesem Spiel der Verlierer sein? Würden die eigentümergeführten Geschäfte im Zentrum reihenweise dichtmachen?

So einfach ist diese Frage nicht zu beantworten. In der Tat haben seither viele Läden in der Innenstadt ihre Pforten geschlossen, aber vielleicht auch aus anderen Gründen. Andere zogen nach, die Mieten stiegen sogar noch weiter. Im Milaneo, der größten Mall, betrieben vom Marktführer ECE, ziehen Billigheimer wie Primark weiterhin ein großes Publikum an. Lediglich die kleineren Geschäfte lassen gelegentlich ein Murren vernehmen.

Im Gerber dagegen, der zweitgrößten Mall, gab der erste Mieter schon nach drei Monaten auf. Nach einem Jahr wandte sich der Betreiber an Hannes Steim, der es mit seiner Agentur Farbeweiss geschafft hatte, die vom Abriss bedrohte, denkmalgeschützte Calwer Passage aus den 1970er Jahren als Temporary Concept Mall namens Fluxus neu zu beleben. Steim wollte mit einem Designsupermarket und Pop-Up-Boxen – kleinen, temporär nutzbaren Läden – neues Volk in die problematische zweite Etage, das Gerber Upstairs locken.

Weitere zehn Monate später wechselte der Eigentümer das Centermanagement aus. Der Designsupermarket ist inzwischen schon wieder Geschichte. "Goodbyeourloves!", lautet der letzte Eintrag auf der Facebook-Seite vom September 2016. Dafür gibt es im Gerber Upstairs nun nachhaltigen Edelkaffee, Barfußschuhe, Wohnaccessoirs aus Kopenhagen, Naturkosmetik, einen veganen Laden mit Nischenprodukten und Krimskrams für Liebhaber.

Wohin mit dem Versicherungsgeld? Investiert in Shoppingmalls

Und nach wie vor Pop-Up-Boxen, für alle, die ausprobieren möchten, wie ihre Ware an diesem Ort ankommt. Bereits seit acht Monaten ist das Traditionsgeschäft Korbmayer da. Für eine Woche im Januar hat ein Startup aus Rotterdam und Esslingen den Store genutzt, um auf seinen Online-Handel mit Schreinermöbeln aufmerksam zu machen. Jetzt hat eine Modeschule ein Pop-Up-Atelier eröffnet.

Einige Schaufenster sind dicht. Demnächst eröffne ein neuer Laden, steht dort zu lesen. Dass es nicht mehr sind, hat nicht viel zu sagen. Denn bevor der Manager die halbe Mall leer stehen lässt, wird er die Läden lieber billig vermieten, etwa an junge Designer, die zwar kein Geld haben, aber Kundschaft ins Haus locken. Ohnehin bringen Aldi und Edeka unten oder H&M auf gleich zwei Etagen viel mehr Geld in die Kasse. Aber lohnt sich das Geschäft für den Betreiber der Mall? 250 Millionen Euro hat die Württembergische Lebensversicherung in das Einkaufszentrum investiert. Das muss wieder reinkommen.

Warum reißt Deutschlands älteste Lebensversicherung, 1833 gegründet als Allgemeine Rentenanstalt Stuttgart (ARA), ihren Hauptsitz ab, um für 250 Millionen eine Shoppingmall zu errichten? Lange Zeit schienen Lebensversicherungen ein bombensicheres Geschäft zu sein. "Gesichertes Einkommen bis ins hohe Alter", warb die ARA früher. Ganz so sicher waren sich die Einleger freilich nicht immer gewesen. Bereits fünf Jahre nach der Gründung, seinerzeit in Form eines Vereins, kam es zum Streit.

Versicherer werden steinreich und die Renten mager

"Unsicherer Gewinn der Theilnehmer bei großem Vortheile der Direktoren", schreibt 1838 der Tübinger Staatswissenschaftler Robert von Mohl in einer Untersuchung zu dem Fall. "Tausende also verlassen sich darauf, hier eine sichere Unterkunft für ihre Kapitalien und eine reichliche Auskunft für ihr eigenes höheres Alter oder eine Versorgung für Kinder und Witwen gefunden zu haben", so beschreibt Mohl treffend die Erwartungen der Einleger, die offenbar enttäuscht wurden. Der Fall der ARA kam vor Gericht. Die Kläger erhielten Recht.

In jüngerer Zeit profitierten die Lebensversicherungen lange Zeit von einem unschätzbaren Vorteil. Während die gesetzliche Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren organisiert ist, also alles, was die Versicherten einzahlen, direkt an die Rentner weitergereicht und damit niemals Kapitalien angesammelt werden kann, arbeiten die privaten Versicherungen immer mit ihrem Kapital. Ein Konstruktionsfehler, der dazu führt, dass die Renten immer magerer werden und die Versicherungen immer reicher.

Noch nie ist in Deutschland eine Versicherung pleite gegangen. Steigt das Risiko, erhöhen die Versicherer die Prämien. Zusätzlich sind sie noch bei der Munich Re, wie sich die Münchner Rück heute lieber nennt, rückversichert. Da kann nichts schiefgehen. Und natürlich verbietet ihnen niemand, Gewinn zu machen. Und so entsteht ein drängendes Problem: Wohin mit dem Geld?

Da die Wirtschaft kaum wächst, jedenfalls bei weitem nicht in dem Maß wie die angesammelten Kapitalien, stürzen sich alle auf Grundeigentum. "Viele meiner Kollegen stecken ihr Geld in Immobilien", sagt der Direktor eines Stuttgarter Privathotels. "Sie wissen zwar, dass sie damit keinen Gewinn machen, aber ihnen bleibt ja immer noch die Immobilie als Sicherheit." Der überwiegende Teil der großen Neubauprojekte der letzten zwanzig Jahre im Stuttgarter Stadtzentrum wurde durch Immobilienfonds realisiert.

Dabei gibt es zwei Modelle. Die offenen Immobilienfonds wie die Deutsche Gesellschaft für Immobilienfonds (Degi), aufgelegt von der Allianz und der Commerzbank, waren auch Kleinanlegern zugänglich. Die Degi hat beispielsweise das Zeppelin Carré am Bahnhof "revitalisiert" und ist damit infolge der Finanzkrise 2008 gehörig baden gegangen. Die Anleger bekamen nur noch einen Bruchteil ihres Geldes zurück.

Geschlossene Fonds sind dagegen ein Modell für reiche Privatpersonen und vor allem institutionelle Anleger, zu denen wiederum häufig Versicherungen gehören, aber auch Kommunen und Unternehmen aller Art. Das Milaneo zum Beispiel gehört seit 2013 zu 78 Prozent einem solchen Fonds, dem Hamburg Trust, der seinen Anlegern 2015 eine satte Dividende von 6,75 Prozent bieten konnte. Geschlossene Fonds sind weniger krisenanfällig, da die Anleger sich vertraglich verpflichten, gemeinsam das Risiko zu tragen, und sie im Fall einer Krise nicht panikartig ihr Geld zurückziehen können.

Niedrigzins vermiest Versicherern das Geldscheffeln

Ausgerechnet die Lebensversicherer sind jedoch neuerdings ebenfalls in eine Krise geraten. "Die klassische Lebensversicherung steht kurz vor dem Aus", verkündete "Die Welt" im Juni 2016 auf ihrer Internetseite. Denn die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank macht den Versicherern das Leben schwer. Wenn sie ihr Geld nur mit minimalem Zinsgewinn anlegen können, können sie auch keine Vorteile an die Kunden weitergeben, die sich dann vielleicht nach anderen Anlagemöglichkeiten umsehen.

Allerdings heißt es auch hier, genauer hinsehen: Die Ergo-Lebensversicherung, die, wie "Die Welt" schreibt, ihre "Lebensversicherung auf die Müllkippe" gekippt hat – will sagen keine Neukunden mehr annimmt –, ist eine Tochter der Munich Re. Die Rückversicherung selbst wird schon nicht pleite gehen.

Aus der früheren ARA wiederum, deren Stammsitz sich an der Stelle der heutigen Shoppingmall Gerber befand, wurde 1991 die Württembergische Lebensversicherung (WürttLeben), die im Jahr 2000 mit der Bausparkasse Wüstenrot zur Wüstenrot & Württembergische (W&W) fusionierte.

"Die WürttLeben sieht sich in der Verantwortung, als Grundstückseigentümer einerseits eine wirtschaftlich tragfähige Lösung für die Nachnutzung zu finden und andererseits einen Beitrag zur städtebaulichen Aufwertung dieses sensiblen Quartiers zu leisten" – so blumig umschrieb die Versicherung 2010 ihre Intentionen. Das Gerber wurde damals noch Quartier S genannt. "Die Planüberlegungen zum 'Quartier S' zielen darauf ab, das Grundstück in Stuttgart Süd einer höherwertigen Nutzung zuzuführen, indem dort überwiegend Handel anstelle der bisher vorherrschenden Büro-Monostruktur angesiedelt wird."

Gated Community: Stadtvillen auf dem Dach des Gerbers

Auch wenn das Gerber unnötig ist wie ein Kropf, auch wenn einzelne Geschäfte leer stehen oder billig vermietet werden: Die WürttLeben wird daran nicht zugrunde gehen. W&W verzeichnete 2015 das höchste Ergebnis ihrer Geschichte. Mehr als eine Milliarde zusätzliches Kapital hat der Konzern in den letzten zehn Jahren angesammelt. "Werte schaffen – Werte sichern", heißt die Devise der W&W.

Auch für Privatmenschen, die zu viel Geld haben, hat das Gerber etwas zu bieten: Auf dem Dach stehen fünf geklonte "Stadtvillen": Wohnungen mit bis zu 200 Quadratmetern, jeder einzelne davon zu 17 Euro. Wer sich das leisten kann, muss gut verdienen. Und fürchtet sich womöglich vor Einbrechern. Oben auf dem Dach der Mall kann nichts passieren. Hier steht eine perfekte Gated Community, von der die Stadt noch nicht einmal Notiz nimmt, weil sie sich außerhalb ihres Blickfelds befindet.

Wer viel Geld hat, ob Privatmensch oder Unternehmen, wird von allen bewundert. Doch wenn sich bei den einen zu viel Geld ansammelt, leiden darunter diejenigen, die nicht mithalten können. Wenn die privaten und institutionellen Anleger nicht wissen, wohin mit dem Geld, und sich gegenseitig überbieten, schießen die Grundstückspreise durch die Decke. Und selbst Bezieher mittlerer Einkommen können sich plötzlich keine Wohnung mehr leisten. Das ist Gift für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Denn eigentlich sind Versicherungen entstanden, um Einleger gegen Risiken abzusichern, nicht damit Konzerne Geld scheffeln können. Um zu diesem Ursprungsgedanken zurückzukehren, haben die Niederländer Jip und Florian de Ridder CommonEasy, <link http: berlinergazette.de versicherung-als-gemeingut external-link-new-window>eine nicht profitorientierte Sozialversicherung gegründet. Das Modell hat durchaus Ähnlichkeiten mit den Anfängen der ARA, die ja als Verein gegründet wurde. Nur hatten sich da die Direktoren schon sehr bald besondere "Vortheile" verschafft. 


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5 Kommentare verfügbar

  • Fred Heine
    am 13.02.2017
    Antworten
    Hustenpastillen. Ich habe total vergessen: Hustenpastillen. Der Sozialismus hat Hustenpastillen hervorgebracht! Sorry, mein Versehen.

    Die Menschheit ist gerettet!
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