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Demos gegen rechts

"1.000 Jahre Durchfall für Nazis"

Demos gegen rechts: "1.000 Jahre Durchfall für Nazis"
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Überall in Deutschland demonstrierten Hunderttausende Demokrat:innen gegen die AfD und deren Deportationspläne, gegen Rassismus, Ausgrenzung und für Zusammenhalt im Land. Eindrücke aus Baden-Württemberg.

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Es ist das beglückende Gefühl, nicht alleine zu sein in der Ablehnung der AfD, das in diesen Tagen so viele Menschen auf die Straße bringt. Auch an diesem Wochenende in Stuttgart. "Hallo Regierung: Mehr Gerechtigkeit!" stand auf einem der vielen selbstgemalten Schilder auf der Kundgebung gegen rechts am Samstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Aufgerufen hatte das Stuttgarter "Aktionsbündnis gegen Rechts". Nach den vielen Demos in anderen Städten war auch in der Landeshauptstadt das Bedürfnis groß, gegen die AfD, gegen Rassismus und Deportationspläne auf die Straße zu gehen.

Wie groß dieses Bedürfnis war, zeigte die Teilnehmer:innenzahl: 20.000 schätzten die Veranstalter selbst, das dürfte allerdings zu bescheiden gewesen sein. Zur Erinnerung: Zum Public Viewing zur Fußball-WM 2006 kamen regelmäßig 50.000 Zuschauer:innen auf den Schlossplatz. Genauso voll war der Platz nun auch am Samstag. Familien, ältere Menschen, "Mittelalte Frauen gegen rechts", wie ein Schild besagte, Schüler:innen ("Die AfD ist wie Hausaufgaben – sinnlos"), Azubis, Studierende ("Nachhilfe Geschichte: 10 Euro"), Verdi- und IG-Metall-Fahnen waren zu sehen, Antifa-Flaggen, ein paar wenige von der SPD und von der Linken. Ob auch Funktionär:innen der Regierungsparteien anwesend waren, ließ sich bei der Dichte der Menge nicht ausmachen.

Gute Arbeit und sichere Renten wären ein Anfang

Die hätten sich vielleicht auch nicht so wohl gefühlt. Nach den Moderator:innen vom antifaschistischen Bündnis, die unter anderem eine Telefonnummer durchgaben – "falls es Ärger mit der Polizei gibt", was bei antifaschistischen Demos ja oft der Fall sei –, sprachen Maike Schollenberger und Sidar Carman von Verdi. Sie führten aus, dass es Ursachen gebe für den AfD-Zuspruch: eine unsoziale Politik, die dann von den Rechten instrumentalisiert werde. "Gute Arbeit, existenzsichernde Löhne, sichere Renten stärken den Zusammenhalt", betonten sie. Wenn aber das Einkommen nicht mehr für die Miete reiche und Altersarmut drohe, dann brauche es nicht weniger soziale Rechte, sondern mehr. Damit aber hätten die Akteure der Regierungsparteien der vergangenen Jahre nicht geglänzt. "Das muss sich ändern!"

Auch die Rednerinnen von der Seebrücke, die sich für Geflüchtete einsetzt, und von Didf (Föderation demokratischer Arbeitervereine) setzten einerseits auf den Zusammenhalt der Mehrheit, wiesen andererseits aber darauf hin, dass das erst in der vergangenen Woche im Bundestag beschlossene "Rückführungsverbesserungsgesetz" ebenfalls rechte Politik und flüchtlingsfeindliche Politik sei. Das Gesetz soll Abschiebungen erleichtern, CDU und AfD stimmten dagegen, weil es ihnen nicht weit genug geht. Wenn führende Politiker:innen aktuell die Hunderttausenden Anti-AfD-Demonstrant:innen lobten, weil diese die Demokratie schützten, dann müssten sie auch die herrschenden Verhältnisse ändern, befand Joe Bauer vom Stuttgarter "Netzwerk gegen Rechts".

Die Menge gibt Kraft für eigenes Engagement

Bauer forderte mehr Gerechtigkeit und "endlich eine Umverteilung von oben nach unten und nicht umgekehrt". All das erntete viel Applaus – zumindest dort, wo die Reden verstanden werden konnten. Wer weiter hinten stand, konnte so gut wie nichts hören, aber das störte nicht. Wichtig war den meisten Demonstrant:innen: da sein, Gesicht zeigen und sich stärken in der Menge. Die ein oder andere nutzte die Großkundgebung auch, um zu netzwerken. "Kann ich meine E-Mail-Adresse hierlassen?", fragt Dorle Lottermann, 64, aus Wendlingen bei den "Omas gegen Rechts Stuttgart". Vielleicht ließe sich ja auch in ihrem Ort mehr Aktivität aufbauen. "Damit meine Enkel mich später nicht fragen: Oma, warum hast du nichts getan?"

Am Tag nach der Großkundgebung demonstrierten noch einmal etwa 8.000 Menschen gegen rechts vor dem Stuttgarter Rathaus. Die Jüdische Studierendenunion Württemberg hatte dazu aufgerufen.

Beeindruckend sind auch die Luftaufnahmen aus Karlsruhe, die im Netz die Runde machen: 25.000 Menschen füllten am Samstag die Innenstadt. In Ulm waren es 10.000, in Heidelberg wurden aus den erwarteten 3.000 doch 18.000 Demonstrant:innen, in Freiburg demonstrierten 25.000 Menschen am Platz der Alten Synagoge unter dem Titel "Demokratie vereint stärken und schützen". Darunter Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, der in einer Pressekonferenz zuvor klare Worte gefunden hatte: "Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden."

6.000 Menschen im kleinen Herrenberg

In Herrenberg strömten am vergangenen Sonntag die Demonstrant:innen um kurz vor halb eins aus allen Himmelsrichtungen zum Treffpunkt an der Stadthalle. Sogar "Hunde gegen rechts" waren unterwegs. Ein Demonstrant wünschte sich "1.000 Jahre Durchfall für Nazis", hinter ihm schoben sich Dutzende Menschen die Treppe zur Brücke über die B 14 hinauf.

Wenig später setzte sich ein langer Demozug in Bewegung, durch die hübschen Fachwerk-Gassen der Altstadt bis zur Kundgebung auf dem Marktplatz, der förmlich überlief. Selten war der Platz mit so vielen Menschen gefüllt. 200 Demonstrierende hatten die "absolut überwältigten" Organisator:innen vom Bündnis "Herrenberg gegen Rechts" erwartet, 6.000 sind gekommen. Unter ihnen und am Mikro Anna Ohnweiler, die Gründerin der deutschen "Omas gegen Rechts", die Seebrücke und die Fridays. Auch Isaac González, dem ersten Vorsitzenden des Landesverbands der postmigrantischen Organisationen im Land (rund 80 Vereine), gehörte die Bühne.

Die Demos gegen rechts gehen in den kommenden Tagen weiter. Wann und wo findet sich hier.

Digitale Menschenkette gegen rechts in Ravensburg

In Ravensburg organisieren der Zusammenschluss "Oberschwaben ist bunt" und der Verein Nätwörk Süd am Donnerstag, 1. Februar, einen Aktionstag zum zehnten Jubiläum der digitalen Menschenkette für Toleranz und gegen rechts. Auf dem dortigen Gespinstmarkt wird zwischen 12 und 14 Uhr ein Fotostand aufgebaut, dort kann, wer will, ein Bild von sich machen lassen, das in die Jubiläums-Kette eingereiht und auf der Homepage Oberschwabenistbunt.de präsentiert wird. Geht natürlich auch mit eigenem Foto an: menschenkette--nospam@oberschwabenistbunt.de.

Made Höld, einer der Organisator:innen und antifaschistischer Aktivist seit Jahrzehnten, findet Menschenketten sehr gut, "aber irgendwie auch scheiße, weil da Leute von weiß der Geier woher angekarrt werden, um sich an den Händen zu halten. Ökologisch totaler Mist", sagte er Kontext 2013. Damals war er gerade dabei, seine erste digitale Menschenkette für Toleranz zu organisieren (nachzulesen hier). Präsentiert wurde sie 2014 in Endlosschleife auf einem großen Kulturfestival in der Ravensburger Oberschwabenhalle, zur Feier der Kette machte sogar die Band Jennifer Rostock aus Berlin einen Abstecher nach Ravensburg.

Auch am Aktions-Donnerstag mit Musik und Programm wird die erste Menschenkette mit ihren 4.500 Teilnehmer:innen auf Großbildleinwand zu sehen sein. Zudem gibt es einen Stand der Deutschen Post, die das Logo der digitalen Menschenkette in einen gültigen Poststempel verwandelt hat. An diesem Tag kann Antifaschismus also auch verschickt werden. Für entsprechende Postkarten sorgt der Verein Tavir – das ist Türkisch und bedeutet "Haltung" und "Zeichen setzen".

Die digitale Menschenkette wird bis zur Europawahl und zu den Kommunalwahlen im Sommer 2024 immer weiter mit eingesendeten Fotos bestückt werden.

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