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Brotlose Kunst

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Ein Künstlerleben. Das klingt romantisch. Nach Farben, nach Handwerk, nach Baskenmützen, Rotweinschwaden, Leidenschaft und irgendwie malerischer Selbstaufgabe. Vor kurzem versammelten sich ausgewählte Mitglieder des Landesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler zur Künstlermesse im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Ein Querschnitt einer niveauvoller Künstlerschaft, sie alle sind erfolgreich. Aber kaum einer lebt von seinen Werken allein. Eine Bildergeschichte über Kunst als Broterwerb.

Tim David Trillsams Figuren schimmern wie mit einem feinen Film Öl überzogen: rötlich, gelb manchmal blau oder lila. Überdimensionierte Hirschkäfer stehen da auf Sockeln, abstrakte, dürre Menschenfiguren mit Insekten unterm Arm, Kriegerhelmen auf dem Kopf und riesigen Händen und Füßen. Das seien die wichtigsten Körperteile, sagt Trillsam, 31 Jahre alt, mit Dreadlocks, die unter der Wollmütze herauslugen. "Sie sind unsere Werkzeuge. Mit einem Fingertippen kann man unglaublich Großes auslösen." Er lächelt, ein ruhiger Typ und angenehm bescheiden, einer von rund 80 Ausstellern auf der Messe.

Im Berchtesgadener Land hat er Holzbildhauer gelernt, danach an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert, heute lebt er in Geislingen an der Steige. Anfangs hatte er noch Nebenjobs, Promotion für Unternehmen beispielsweise, dann verkaufte er die ersten Holzfiguren und finanzierte von deren Erlös Material und Guss seiner ersten drei kleinen Bronzen. Das war 2013. Mittlerweile produziert er exklusive Serien, fertigt Einzelstücke von andertalb Metern Höhe oder solche, die in die hohle Hand passen. Vor einiger Zeit hat er im Auftrag eines Yachtunternehmens eine Galionsfigur gemacht.

Zehn internationale Galerien vertreten den Bildhauer, das ist sein Glück. Denn wer einen Galeristen oder eine Galeristin im Rücken hat, verdient oft das vierfache von dem, was die Eigenvermarkter für ihre Kunstwerke bekommen. Momentan stellt er in Bregenz, Berlin und Prag aus. Trillsam schafft das, was kaum einer der an diesem Wochenende ausstellenden Künstlerinnen und Künstler schafft: Er lebt von seiner Kunst, ernährt damit seine Familie mit Frau und zwei Kindern, verdient sogar gut. "Momentan zumindest", sagt Trillsam. "Aber es kann jeden Tag anders kommen. Vielleicht läuft es dieses Jahr noch gut und im nächsten überhaupt nicht mehr, keiner weiß es. Als Künstler bewegt man sich immer am Rand." An der Kante zum Absturz, oft an der Kante des Existenzminimums.

BBK-Studie zeigt: Künstler leben oft prekär

130 000 hauptberuflich Kunstschaffende leben laut Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) in Deutschland. Rund 2000 von ihnen hat der Verband im vergangenen Jahr zu ihrer Arbeits- und Lebenssituation befragt. Das Ergebnis ist ein prekäres.

Der Verkauf von Werken, Aufträge oder Honorare aus künstlerischer Arbeit decken den Lebensunterhalt der BerufskünstlerInnen fast nie. Zwei von drei Befragten können im Jahr nicht mehr als 5000 Euro Einkünfte aus ihrer Kunst vorweisen. Viele können sich nicht einmal über die Künstlersozialkasse versichern, weil die ein originär künstlerisches Mindesteinkommen von 3900 Euro im Jahr verlangt. Den Rest der Lebensfinanzierung decken schmale Renten – jeder Vierte erhält nicht mehr als 400 Euro monatlich –, Lebenspartner, Familie, Freunde, Mäzene und Nebenbeschäftigungen. Rund die Hälfte aller KünstlerInnen arbeitet vor allem in der kulturellen Bildung in Schulen oder Kindergärten. Viele geben Kurse, an Volkshochschulen beispielsweise. Oft bleiben vor lauter Kursen, Projekten, Konzept-Arbeit für Wettbewerbe und dem Stellen von Anträgen, um den eigentlichen Beruf zu finanzieren, nur noch wenige Wochen im Jahr für die Kunst.

Durchschnittlich vier Ausstellungen macht ein Künstler im Jahr. Verdient ist daran so gut wie nichts, wirtschaftlich gerechnet ist die Ausstellung sogar ein Zuschussgeschäft. Weil es keine gesetzliche Regelung dafür gibt, wie sie vergütet werden, und wo kein Gesetz ist, da gibt es oft auch kein Geld. Transport und Reisekosten übernimmt der Künstler selbst, manchmal mehrere Tage dauernde Auf- und Abbauarbeiten werden nicht bezahlt, auch das Drucken von Flyern, Plakaten und Einladungskarten geht meistens auf eigene Rechnung. Auch dass die Werke in einer Ausstellung gezeigt werden dürfen, bringt kein Geld. Im Gegenteil, so beschreibt es der Maler Frank Michael Zeidler, Ehrenvorsitzender des Deutschen Künstlerbundes, werde Kunst oft genug "als Luxushäppchen, als freundliche Zugabe" betrachtet, die "zu gesellschaftlichen Events konsumiert" werde. Aber künstlerische Leistung verdiene eben auch finanziellen Respekt, sagt er.

Ursula Thiele-Zoll ist die Vorsitzende des Landesverbands. Sie organisiert die Baden-Württembergische Künstlermesse, dieses Jahr zum siebten Mal. Sie steht an ihrem Stand vor dem "Irrsinn der Welt", einem Gemälde von anderthalb auf dreieinhalb Metern, abstrakt, geometrisch. Ein halbes Jahr hat sie daran gearbeitet. Zuerst eine exakte Zeichnung auf Papier angefertigt, dann die feinen Linien und deren Kreuzungen und Überschneidungen in ziselierter Kleinarbeit auf Leinwand übertragen. 15 000 Euro würde es kosten, wenn es einer kaufen würde. "Um solche Bilder malen zu können, braucht man ein zweites Standbein", sagt sie. 1972 haben Ursula Thiele-Zoll und ihr Mann Dietmar die Jugendkunstschule Stuttgart gegründet, die erste ihrer Art in Deutschland. Damit verdient das Paar das Geld für die Kunst.

"Man muss mit einer gut verdienenden Lehrerin verheiratet sein, damit man sich das leisten kann", sagt Christoph von Haussen. Er ist Fotograf, ein Kunst-Fotograf, der Gräser, Räume, Architektur, Früchte und Blüten handwerklich perfekt und in speziellem Licht fotografiert, großformatig abzieht oder als Kunstpostkarte verkauft. Seine Bilder hängen in der Kunstsammlung der Landesbank LBBW Stuttgart, im Kunstkontor des Deutschen Sparkassenverlags oder in der Kunstsammlung Doris Nöth – der Städtischen Galerie Ehingen. Leben kann er nicht von seinen Fotografien. Viele Jahre hat er für die Werbung gearbeitet, bis der Markt für freie Fotografen einbrach. Heute fotografiert er vor allem für Geschäftsberichte, um Geld zu verdienen. "Wenn ich ein Bild für 10 000 Euro verkaufe, dann klingt das viel. Dieses Geld muss dann aber auch für ein halbes Jahr reichen." Von Haussen lebt in Weilheim an der Teck, einem Ort vor allem beliebt bei Wander-Touristen. Wenn der Fotograf wieder einmal einen Tross von ihnen kommen sieht, macht er seine Galerie auf. "Wenn 50 Touristen jeweils eine Postkarte für 3 Euro kaufen, dann hab ich die Stromrechnung und das Telefon drin", sagt er.

Josef Nadj, 64, ist ausgezeichnet mit diversen Bildhauerei-Preisen. Seine Werke stehen vor allem im öffentlichen Raum: Die "Rahmenbedingungen" sind Teil des Skulpturen-Rundgang in Schorndorf, der "Wächter" steht in Horb, die "Passage" am Kirchheimer Kunstweg in Kirchheim unter Teck. Früher hatte er sein Atelier in Schweikheim, dann ist er nach Dettingen bei Horb gezogen und dort geblieben. Er zeigt auf seine Werke, schwere, dunkle Steinskulpturen, und lacht herzhaft. "Mit sowas umzuziehen ist eine echte Katastrophe." Josef Nadj hat an der Freien Kunstschule in Stuttgart studiert, dann an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Seit 1980 ist er freiberuflich tätig, hat an der freien Kunstschule unterrichtet, hat Grabsteine gemacht und "alles mitgenommen, was nebenher so geht", sagt er. Später hat er an Wettbewerben, beispielsweise für Kunst im öffentlichen Raum, teilgenommen und hatte Erfolg. Dennoch: Um einen Nebenjob kommt auch er nicht herum: Seit drei Amtsperioden ist er Ortsvorsteher von Dettingen. "Ich manage ein Dorf", sagt er. Und lacht schon wieder herzhaft.

Aslimay Altay Göney ist 39 und hat Bildhauerei studiert. Früher hat sie mit Holz gearbeitet, mit Stoffen, die sie mit Nähten zu Reliefs bearbeitet hat, wie man einen Quilt bearbeitet. Heute macht sie Papierreliefs. Zarte, empfindliche Bilder, hauchdünn, mit eingeschnittenen Vertiefungen und Erhebungen, Köpfe, Körper und Gegenstände, die aus dem flachen Papier aufragen wie aufgeklappt. Es sind feine, ziselierte Handarbeiten, manche stecken in Rahmen, andere hängen meterlang von der Decke. Aslimay Altay Göney ist in Istanbul geboren, wird dort von einer Galerie vertreten und zeigt ihre Bilder auf Ausstellungen und Messen in ganz Europa, teils darüber hinaus. In Istanbul hat sie nebenher mit Kindern und Jugendlichen Projektarbeiten gemacht, in Frauenateliers unterrichtet oder Teambuilding-Workshops für Firmen angeboten. Bis zu Beginn der politischen Auseinandersetzungen in der Türkei habe sie ihre Kunst gut verkauft, sagt sie. "Aber die Menschen dort haben die Lebensfreude verloren. Und ohne Freude kaufen sie keine Kunst." Seit ein paar Jahren lebt sie in Deutschland mit ihrem Mann und einem sieben Monate alten Sohn. Alle zwei Jahre macht sie eine Ausstellungen, ein Jahr lang bereitet sie sich darauf vor. Um sich das leisten zu können, braucht sie ihren Mann, einen Ingenieur, und zwei Nebenjobs: einen als Innenausstatterin und einen als künstlerische Beraterin – für Restaurants, Firmen oder auch mal einen Eine-Welt-Laden. "Ohne das Einkommen von meinem Partner müsste ich noch einen dritten Job annehmen."

"Als Künstlerin musst du immer aktiv sein, immer kucken, dass die Maschine läuft", sagt Dorothee Pfeifer aus Trossingen. Sie hat ihr Studium am Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Koblenz mit Auszeichnung abgeschlossen, ihre Arbeiten sind in privaten und öffentlichen Kunstsammlungen in ganz Deutschland vertreten, selbst in Taiwan hat sie kürzlich ausgestellt. Vor zwölf Jahren haben Dorothee Pfeifer und ihr Lebensgefährte für sehr wenig Geld ein Backsteinhaus auf einem alten Fabrikgelände gekauft. Die Büros und Atelierräume vermietet das Paar an Kreative aller Art. Die Mieteinnahmen ermöglichen Dorothee Pfeifer ihre Kunst. Seit Jahren, sagt sie, werde es immer schwieriger, Kunst zu verkaufen. "Der Kunstverkauf hängt auch viel mit Stimmungen in der Gesellschaft zusammen", sagt sie. Auch manchmal mit dem Wetter. "Ich hatte einmal eine Atelierausstellung und es war Bombenwetter. Ich habe so gut verkauft wie noch nie." Gute Laune steckt an, sagt sie. "Leider ist es andersrum auch so."


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