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Minister Galls Gesinnungsschnüffelei

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Oliver Hildenbrand, der Chef der Südwest-Grünen, hat gegen die Gesinnungsschnüffelei bei Polizisten protestiert, berichtete Kontext am 18. Dezember. Und dass der Innenminister erwägt, den Fragebogen auf alle Bewerber für den Staatsdienst auszudehnen. Wenige Stunden später ruderte Reinhard Gall zurück.

Kaum jemand weiß es, doch schon seit einem halben Jahr müssen sich Bewerber für den Polizeidienst in Baden-Württemberg mit Zustimmung der Regierungsfraktionen einer Gesinnungsprüfung unterziehen und beispielsweise erklären, ob sie einer antifaschistischen Gruppe angehören beziehungsweise einmal angehört haben. Oder der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, dem Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband (SDS) oder der Linksjugend, den beiden Jugendorganisationen der Partei Die Linke. Oder diversen anderen Gruppen bis hin zur NPD.

Interessenten werden nur noch dann zum Auswahlverfahren zugelassen, wenn sie schriftlich versichern, dass sie die rund 40 genannten Organisationen – die Liste stammt vom Verfassungsschutz – weder als Mitglied noch in anderer Weise unterstützen. Außerdem müssen die Bewerber ihrer eigenen Überprüfung durch den Verfassungsschutz zustimmen. Eine ähnliche Regelung gibt es nur in Thüringen und Bayern.

Und damit hat Oliver Hildenbrand bereits als Student der Psychologie in Bamberg seine Erfahrung gemacht, als er einen Job als wissenschaftliche Hilfskraft antrat. "Man kommt sich schon komisch vor, wenn der Staat einem mit solchem Misstrauen begegnet", erinnert sich der Landeschef der Grünen. Es könne nicht sein, dass der Staat seinen Bürgern mit einem Generalverdacht gegenübertritt. "Ich habe den Bogen in Bayern dann ausgefüllt", sagt der Grüne, doch er lehne diese Art von Befragung prinzipiell ab, auch für die Polizei in Baden-Württemberg. "Natürlich muss man genau hinschauen, wer bei der Polizei tätig sein kann, aber der Fragebogen ist ein untaugliches Mittel." Denn schwarze Schafe würden sich ohnehin nicht selbst bezichtigen.

Oliver Hildenbrand warnt deshalb auch vor einer Ausweitung der Fragerei auf alle Landesbediensteten. Auch die Grüne Jugend fordert statt fragwürdiger Fragebögen "langfristige Programme gegen Rassismus und rechtsextremes Gedankengut bei der Polizei und in der gesamten Gesellschaft". Im Übrigen, so Sprecher Moritz Heuberger, könne die Linksjugend nicht mit Neonazis gleichgesetzt werden: "Die Rechtsextremisten bekämpfen Menschen, beispielsweise Ausländer, Linke dagegen ein wirtschaftliches System, das sie als ungerecht empfinden."

Bald auch Lehrer betroffen?

Hauptziel des Fragebogens, so Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD), sei es, extremistische Beamte künftig leichter aus dem Dienst entfernen zu können. Nämlich dann, wenn sie falsche Angaben gemacht haben. Dies sei eine Lehre aus dem Fall von zwei Polizeibeamten, die im Jahr 2000 der deutschen Sektion des Geheimbundes Ku-Klux-Klan beigetreten sind, die damals in Schwäbisch Hall unter der Federführung von zwei Verfassungsschützern gegründet worden war. Innenminister war zu dieser Zeit der inzwischen verstorbene Thomas Schäuble, Staatssekretär Schäubles späterer Nachfolger Heribert Rech, beide CDU.

Möglicherweise wird der Fragebogen von Innenminister Gall schon bald allen Bewerbern im Landesdienst in Baden-Württemberg vorgelegt werden. Dies sei aber, so Galls Sprecher vor wenigen Tagen gegenüber Kontext, "noch nicht entschieden". Der SPD-Mann wolle erst die Erfahrungen mit der Polizei auswerten. Sollte er den Fragebogen einführen wollen, dürfte er auf geballte Kritik stoßen.

Juristisch stehe der Fragebogen auf wackeligem Boden, sagt Wolfgang Däubler. "Sie dürfen bei der Einstellung auch nicht nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder – von wenigen Ausnahmen abgesehen – einer Religionsgemeinschaft fragen. Oder danach, ob jemand schwerbehindert oder schwanger ist." Niemand dürfe wegen seiner politischen oder religiösen Einstellung benachteiligt werden, erklärt der emeritierte Rechtsprofessor. Im Übrigen sei der Einsatz des Fragebogens mitbestimmungspflichtig. Däubler rät Personalräten, ihn abzulehnen. Gegen Ku-Klux-Klan-Aktivisten gebe es genug Sanktionsmöglichkeiten, wenn entsprechende Handlungen nachgewiesen werden könnten. Ein Fall, der zehn Jahre zurückliege, tauge dafür aber nicht.

Ähnlich kritisch äußern sich die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Doro Moritz, die Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, die sich gut an die unselige Zeit der Berufsverbote erinnert, lehnt die neue Schnüffelliste ab. Moritz: "Lehrerinnen und Lehrer sind unabhängig von der Mitgliedschaft in einer Partei oder politischen Organisation gehalten, im Unterricht nicht einseitig die Position einer Partei zu beziehen."

Auch der Realschullehrer Michael Csaszkóczy ist empört über den Fragebogen. Er war der letzte Lehrer, den das Land Baden-Württemberg nicht beschäftigen wollte, weil er einer angeblich verfassungswidrigen Organisation angehört hatte, der Antifa-Gruppe "Antifaschistischen Initiative Heidelberg". Annette Schavan, Ex-Kultusministerin und spätere Wissenschaftsministerin unter Angela Merkel, hatte damals verkündet, dass Csaszkóczy nicht Gewähr dafür biete, jederzeit voll für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Zwar gab es zu dieser Zeit noch keinen Gall-Fragebogen, doch der Verfassungsschutz hatte das Ministerium von sich aus informiert. Inzwischen hat Csaszkóczy alle Prozesse gewonnen; er arbeitet wieder als Lehrer und hat 2009 sogar Schadenersatzzahlungen zugesprochen bekommen.

In Zeiten der NSA-Überwachung

Wie die GEW lehnt die Vereinigte Dienstleitungsgewerkschaft die rot-grüne Schnüffelei ab. Dagmar Schorsch-Brand erinnert daran, "dass unser Ministerpräsident einmal dem Kommunistischen Bund Westdeutschland angehört hat und als Lehrer zeitweise an keiner staatlichen Schule unterrichten durfte". Und Winfried Kretschmann sei nicht der einzige Politiker bei den Grünen oder der SPD, der in seiner Jugend eine radikalere politische Meinung vertreten hätte als heute, sagt die stellvertretende Verdi-Landeschefin. Schorsch-Brand lobt zwar den Einsatz von Innenminister Gall für ein NPD-Verbot, "doch Gesinnungsschnüffelei bei Staatsdienern und dies auch noch in Zeiten der NSA-Überwachung" gehe schon aus Gründen des Datenschutzes nicht. Die Polizeigewerkschaft lehnt eine Ausweitung der Befragung auf weitere Berufsgruppen ab, sagt GdP-Landeschef Rüdiger Seidenspinner. Für Vollzugsbeamte bei der Polizei und ausschließlich für diese hält er den Fragebogen dagegen für angemessen.

Schon 2005 gab es in Baden-Württemberg eine heftige Diskussion über einen ähnlichen Fragebogen. Damals wollte Schwarz-Gelb trotz heftiger Proteste von Roten und Grünen ausländischen Gewalttätern mit religiösen Motiven beim Einbürgerungsverfahren auf die Schliche kommen. Nach dem Regierungswechsel 2011 hat Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) den Fragebogen abgeschafft. Auch Innenminister Gall und SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sahen in dieser Befragung "keine sicherheitspolitische Relevanz" (Gall). "Der Test hat den Nachteil, dass die schlauen Islamisten nicht sagen, dass sie Islamisten sind", erkannte Schmiedel.

Doch diese Argumente zählen zwei Jahre später nicht mehr. Die SPD- und die Grünenfraktion akzeptieren die Schnüffel-Praxis bei der Polizei. Sie sei "eine notwendige Maßnahme", sagt Nikolaos Sakellariou. Der Abgeordnete aus Schwäbisch Hall ist innenpolitischer und Polizeisprecher der SPD-Landtagsfraktion. "Unsere Haltung hat sich nicht geändert", bestätigt auch die Polizeisprecherin der grünen Landtagsfraktion, Petra Häffner aus Schorndorf. Und steht damit konträr zum Landeschef ihrer Partei, Oliver Hildenbrand. Eine Ausdehnung auf alle Bewerber des öffentlichen Dienstes sei für die Grünen kein Thema, sagte Fraktionsvize Uli Sckerl. Und jetzt will plötzlich auch der Innenminister nichts mehr davon wissen. Dies jedenfalls erklärte er am 18. Dezember gegenüber dpa.

 


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1 Kommentar verfügbar

  • Ernst-FriedrichHarmsen
    am 18.12.2013
    Antworten
    Die Hoffnung, Gesinnungsfreunde oder Gesinnungsfeinde erschnüffeln zu können, hat uns in Deutschland unter der Regierung Willy Brandts 1972 das Berufsverbot gebracht, in den Bundesländern durchaus unterschiedlich angewandt. Da wurden Stasi-Methoden angewandt, die Gewerkschaften unterwandert mit…
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