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Kein Bock auf Opposition

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Der mögliche Wechsel von Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla zur Deutschen Bahn sorgt für Wirbel. Kaum beachtet hat sich in Stuttgart ein CDU-Politiker bereits in die Wirtschaft verabschiedet: Ex-Staatssekretär Dietrich Birk führt seit Jahresbeginn den Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) im Südwesten. Den Steuerzahler kostet Birks Seitenwechsel auf den Lobbyisten-Posten knapp 140.000 Euro.

"Ziel meines politischen Handelns ist es, unsere Zukunft zu gestalten und dabei die Menschen einzubeziehen", beteuerte Dietrich Birk bis vor Kurzem noch auf seiner Homepage. Doch seit wenigen Tagen ist www.dietrich-birk.de eine Baustelle. Nachdem Kontext Anfang des Jahres den ehemaligen politischen Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst von Baden-Württemberg kontaktierte und um ein Interview über seinen Wechsel in die Wirtschaft bat, wird die virtuelle Präsenz von allen parteipolitischen Spuren gesäubert.

Das hehre Versprechen des Göppinger Unternehmensberaters und langjährigen CDU-Mitglieds war ohnehin nur noch leere Worthülse. Denn zum 31. Dezember 2013 hat der 47-Jährige sein Mandat als direkt gewählter Landtagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Göppingen niedergelegt. Seither drückt Birk nicht mehr die harte Oppositionsbank im grün-rot dominierten Landtag von Baden-Württemberg, sondern residiert in der komfortablen Chefetage eines Lobbyverbands, als Geschäftsführer des Verbands der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer im Südwesten. Auf Birks Website war zuvor ein entsprechender Hinweis zum überstürzten Abschied aus der Landespolitik nur schwer zu finden.

Interview erst in einem Monat möglich

Gern hätte Kontext Dietrich Birk dazu befragt, warum er sein Mandat nur etwas mehr als bis zur Hälfte der fünfjährige Legislaturperiode ausgeübt hat, das ihm die Wähler bei der Landtagswahl im März 2011 mit für CDU-Maßstäbe zwar relativ bescheidenen 38 Prozent, aber dennoch zum Erstmandat reichendem Stimmenanteil bescherten. Doch der sonst auf Publicity bedachte Birk ließ mitteilen, dass er erst im Februar für ein Interview bereitstünde. Bis dahin hat sich zumindest die Aufregung um den geplanten Pofalla-Wechsel auf einen Versorgungsposten bei der Deutschen Bahn vermutlich etwas gelegt. Die Entscheidung, aus der Politik auszusteigen, sei ihm nicht leicht gefallen, hatte Birk, der dem Stuttgarter Landtag seit 1996 angehörte, zuvor noch in einem Interview mit der in Göppingen erscheinenden "Neuen Württembergischen Zeitung" gesagt. Doch die neue Aufgabe eröffne ihm "eine inhaltlich sehr interessante neue berufliche Perspektive", nannte er als Wechselmotiv. Kenner der politischen Szene vermuteten von Anfang an eher fehlende Karriereaussichten im christdemokratischen Politikbetrieb als Triebfeder. "Ich wäre gerne Minister geworden", gestand Birk schließlich auch offen im Zeitungsinterview. Doch bis dieser Wunsch Wirklichkeit hätte werden können, hätte sich Birk mindestens noch zweieinhalb weitere Jahre bis zur Landtagswahl 2016 gedulden müssen.

Immerhin entschied sich Birk, mit Antritt seines neuen Jobs sein Abgeordnetenmandat niederzulegen. "Zeitlich wie auch inhaltlich ist diese neue berufliche Herausforderung mit der Ausübung eines Landtagsmandats nicht zu vereinbaren", teilte er mit. Diese strikte Trennung hatte der selbstständige Unternehmensberater, was er gemäß der Offenlegungsregeln des Landtags als Berufsbezeichnung angab, zuvor nicht immer beherzigt. Als einfacher Mandatsträger war Birk zeitweilig Diener zweier Herren. Ein Jahrzehnt saß er im Parlament, und war auch als "Produktmanager in der Telekommunikationswirtschaft" und "Konzernbevollmächtigter in der Energiewirtschaft" tätig, wie in älteren Abgeordnetenhandbüchern nachzulesen ist. Dass Birk dabei unter anderem für den Energieriesen EnBW, bei dem damals noch der staatliche französische EDF-Konzern das Sagen hatte, als Lobbyist auf dem Brüssler EU-Parkett unterwegs war, wissen nur die wenigsten.

Transparancy International: Missachtung des Wählerauftrags

Doch die vorzeitige Mandatsaufgabe wirft eine ganz andere Frage auf. Was ist mit den Wählern von Birk? Stehen doch beim Urnengang auf Landesebene, anders als bei der Bundestagswahl, nur persönliche Kandidaten und nicht etwa Parteien auf dem Stimmzettel. "Ein Stück weit ist das dann schon eine Missachtung des Wählerauftrags", kommentiert Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparancy International (TI), den vorzeitigen Abgang aus Amt und Würden. Im Fall Ronald Pofalla hatte TI eine Karenzzeit beim Wechseln gefordert. Minister und Staatssekretäre sollten nach ihrem Ausscheiden mindestens drei Jahre warten, bevor sie in meist gut dotierte Jobs in der Wirtschaft wechseln, so eine Kernforderung der unabhängigen Organisation, die sich dem Kampf gegen Korruption verschrieben hat. Auch dürften die führenden Politiker nach dieser Karenzzeit nicht auf Lobbypositionen wechseln, so Transparancy. Anders sei dies bei einfachen Abgeordneten. "Die sind schließlich nur auf Zeit gewählt", so TI-Geschäftsführer Christian Humborg. Der Fall Birk sei wiederum ein spezieller, da das Mandat während der laufenden Legislaturperiode niedergelegt werde.

"Der Abgeordnete ist allein seinem Gewissen verpflichtet", heißt es auf Kontext-Anfrage aus der Landtagsverwaltung zum Abgang von Birk. Für die Mandatsniederlegung, das Gesetz spricht von "Mandatsverzicht", gibt es keine Bedingungen oder Fristen. "Sie muss lediglich schriftlich gegenüber dem Landtagspräsidenten erklärt werden", erläutert Pressesprecherin Bettina Schreitmüller. Dieser fertigt hierüber eine Niederschrift an und teilt den Mandatsverzicht der Landeswahlleiterin mit. Nachfolger des ausscheidenden Abgeordneten wird der Ersatzbewerber, der zum Zeitpunkt der Mandatsannahme bestimmte Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllen muss.

Übergangsgeld macht Mandatsverzicht finanziell attraktiv

Nicht nur für den Wähler, auch für den Steuerzahler hat Birks Karriereschritt Folgen. So erhält ein Abgeordneter nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag ein Übergangsgeld in Höhe von monatlich derzeit 7199 Euro, gestaffelt nach der Dauer der Zugehörigkeit. Ab einem Jahr Abgeordnetentätigkeit überbrückt das Land drei Monate finanziell. Für jedes weitere Jahr der Zugehörigkeit zum Landtag gibt es einen weiteren Monat Übergangsgeld. Insgesamt ist die "Stütze" auf zwei Jahre begrenzt. Nur wenn der Abgänger weiter im öffentlichen Dienst oder bei einem öffentlichen Unternehmen beschäftigt wird, sind die Übergangsgelder anzurechnen. Für den ehemaligen Abgeordneten Birk, der knapp 18 Jahre im Landtag saß, ist der Mandatsverzicht auch finanziell lukrativ: Er kassiert neben seiner Geschäftsführervergütung in den nächsten beiden Jahren ein Übergangsgeld von insgesamt 136.781 Euro.

In Baden-Württemberg haben in den letzten Wahlperioden jeweils etwa sechs Prozent der Abgeordneten ihr Mandat vorzeitig niedergelegt, heißt es aus dem Landtag. "Die Gründe müssen nicht offengelegt werden und sind der Landtagsverwaltung auch nicht bekannt", so Pressesprecherin Bettina Schreitmüller. Seit 2011 haben sechs Abgeordnete ihr Mandat niedergelegt. Prominente Ausscheider wie der ehemalige CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus und die frühere Verkehrs- und Umweltministerin Tanja Gönner (ebenfalls CDU) gehören dazu. Sie gingen aus "politischen" Gründen. Während Mappus bis Mai 2013 Übergangsgeld kassierte, wurden bei Gönner die Bezüge ihres neuen Arbeitgebers, der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, angerechnet. Für die Steuerzahler verkraftbar war auch das vorzeitige Ausscheiden von Werner Wölfle (Grüne) und Frank Mentrup (SPD). Wölfle wurde zum Bürgermeister in Stuttgart, Mentrup zum Oberbürgermeister in Karlsruhe gewählt. Der SPD-Abgeordnete Alfred Winkler aus Rheinfelden, der am 6. Januar sein Mandat niederlegte, zog sich nach Kontext-Informationen aus gesundheitlichen Gründen aus dem Parlament zurück.

Lobbycontrol führt Seitenwechslerliste

Mit seinem Abgang reiht sich Dietrich Birk in die aktuelle Seitenwechsler-Liste von Lobbycontrol ein, neben zahlreiche prominente Expolitiker. Vertreten in der Tabelle derjenigen, die durch die Drehtür vom Politikamt postwendend in gut dotierte Posten in der Privatwirschaft wechselten, sind vor allem konservative Politiker. Der Ex-Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, Eckart von Klaeden (CDU), etwa, der seit November 2013 Cheflobbyist bei der Daimler AG ist. Aber auch prominente SPD-Genossen sind zahlreich vertreten. Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck wechselte im Juni 2013 als Berater zum Pharmakonzern Boehringer Ingelheim. Seit dem Jahrtausendwechsel hat Lobbycontrol 86 Wechselpolitiker aufgelistet. Davon gehören 23 der CDU und 21 der SPD an. Relativ häufig benutzt wurde die Drehtür auch von Amtsträgern ohne Parteibuch: 16 parteilose Minister und Staatssekretäre kamen auf der gegenüberliegenden Seite des Politikbetriebs unter.

Zum <link https: www.lobbypedia.de wiki portal_seitenwechsel _blank>Seitenwechsler-Portal von Lobbycontrol.


Update 9.1.2014 Übergangsgeld:
in der vorherigen Artikel-Fassung war das Übergangsgeld an Dietrich Birk zu hoch berechnet.   


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2 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 11.01.2014
    Antworten
    Nicht nur dieser Fall zeigt, dass bestimmte Abzocker in den demokratischen Parteien durch ihr Verhalten vorsätzlich die Akzeptanz der Demokratie zerstören. Kein Wunder, wenn die Rechtsradikalen darauf hinweisen, dass das ganze "System" schlecht und verwahrlost sei. Für die braunen Rattenfänger sind…
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