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Wald und Klimakrise

Windräder als Waldschützer

Wald und Klimakrise: Windräder als Waldschützer
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Die Klimakrise setzt Wälder unter Stress, was ihr Überleben gefährdet. Windenergie kann fossile Energieträger ersetzen – und das Ökosystem Wald insgesamt schützen, trotz punktueller Eingriffe. Ein Zusammenhang, den Windkraftgegner nicht verstehen. Auch nicht die vom Verein "Freie Horizonte".

Das Jahr fing nicht gut an für den deutschen Wald. Nach einem außergewöhnlich niederschlagsarmen Winter fielen im März, April und in der ersten Maihälfte im bundesweiten Mittel nur 60 Liter Regen auf den Quadratmeter. Das ist nur ein Drittel der sonst eigentlich üblichen Niederschlagsmenge in dieser Jahreszeit – ein neuer Negativrekord in den Wetteraufzeichnungen, die bis ins Jahr 1881 zurückreichen. Auch wenn es derzeit etwas regnet, im Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) leuchten weite Teile Deutschlands weiter dunkelrot – was für extreme und außergewöhnlich trockene Verhältnisse im Boden steht. Ein Phänomen, das durch die menschengemachte Klimaerwärmung immer häufiger und langanhaltender auftritt. Nach den Dürrejahren 2018 bis 2020 und dem Hitzerekordjahr 2022 kämpft die Vegetation erneut mit Trockenstress.

Mittlerweile sind viele Wälder durch die Klimaerwärmung stark beeinträchtigt. Laut dem Waldzustandsbericht weisen etwa 40 Prozent der Bäume eine deutliche Kronenverlichtung auf, ein Zeichen für ihre Schädigung. Besonders betroffen sind Regionen wie der Harz, das Sauerland und der Thüringer Wald, wo teils mehr als die Hälfte der Bäume bereits abgestorben sind. Auch im Südwesten sind die Alarmzeichen unübersehbar. Etwa im Landkreis Ludwigsburg, der einer der wärmsten Landkreise in Baden-Württemberg ist.

Borkenkäfer überwintern bei Wärme gleich im Baum

"Der Waldgesundheitszustand ist nach wie vor erschreckend. Alle Baumarten sind mehr oder weniger betroffen. Dürreschäden, Käfer- und Pilzbefall sind nach wie vor auf sehr hohem Niveau", sagte Simon Boden bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts 2025 vor kurzem im Ausschuss für Umwelt und Technik (AUT) des Kreistages. Die vergangenen Jahre seien auch in der Region Stuttgart durch überdurchschnittlich hohe Temperaturen, zu wenig Niederschlag und in der Folge von Dürreperioden geprägt gewesen, berichtete der Fachbereichsleiter Wald. Insgesamt seien fast die Hälfte des eingeschlagenen Holzes im Jahr 2024 durch Dürre, Pilze und Insekten geschädigt gewesen.

Es ist ein Teufelskreis: Die Klimakrise führt zu mehr und heftigeren Wetterextremen, die die Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der Bäume schwächen und zugleich ihre Feinde begünstigen. Schädlinge, die in der Vergangenheit nur ein begrenztes Problem darstellten, werden durch höhere Temperaturen zur ernsthaften Bedrohung für Biodiversität und Stabilität der Wälder. In der Vergangenheit halfen kalte Winter dabei, Schädlingspopulationen in Schach zu halten. Einige Insekten wie der Eichenprozessionsspinner überleben extreme Kälte nicht.

Doch in milderen Wintern überleben Schädlinge besser, so dass sie im Frühjahr in großer Zahl aktiv werden können. Der Borkenkäfer überwintert dann statt im Boden unter der Rinde von Bäumen und setzt bei Temperaturen über 8 Grad Celsius einfach seinen Fraß fort. Fehlt den Wirten das Wasser, versiegt die Harzproduktion zur Abwehr der Käfer. Vor allem Fichten leiden unter den zwei heimischen Borkenkäferarten Buchdrucker und Kupferstecher, die sich seit dem Dürrejahr 2018 massiv ausgebreitet haben und großflächige Schäden in Fichtenmonokulturen verursachen.

Längere wärmere Perioden geben Schädlingen zudem mehr Zeit, sich in mehreren Generationen innerhalb einer Saison zu vermehren. Beispielsweise können Blattläuse oder andere saugende Insekten ihre Population so exponentiell steigern, was die Wälder zusätzlich belastet. Mittlerweile gefährdet dies auch Baumarten, die als widerstandsfähig gelten. Selbst etwa stattliche Stiel- und Traubeneichen, die der wärmeliebende Zweipunktige Eichenprachtkäfer befällt, dessen Larven unter der Rinde leben und fressen.

Die Klimaerwärmung ermöglicht außerdem die Migration von Schädlingsarten in nördlichere Breiten, wo sie auf Bäume treffen, die keine natürlichen Abwehrmechanismen gegen die neuen Angreifer entwickelt haben. Wegen der milden Winter etablieren sich hierzulande nicht nur Schädlinge aus der Mittelmeerregion. Auch Insekten aus Ostasien werden immer öfter in Europa heimisch. Da die klimatischen Bedingungen inzwischen oft ähnlich sind, wie in ihren Herkunftsländern, können die Tiere schnell und ausgehend von meist kleinen Populationen den Weg in die heimischen Ökosysteme schaffen, warnt die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass heimische Gegenspieler oft schlecht gegen diese Arten angepasst sind und deren Populationen meist nur unzureichend auf natürliche Weise regulieren können. Hat sich eine Art erst in einem Ökosystem etabliert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, sie wieder zurückzudrängen.

Auch die Gefahr für Waldbrände steigt enorm

Ein bekanntes Beispiel für einen zugewanderten Baumschädling in Deutschland ist der Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis). Ursprünglich in China und Korea heimisch, wurde er durch den Handel mit Holzverpackungen eingeschleppt. Der Käfer befällt verschiedene Laubbäume, darunter Ahorn, Birke und Pappel. Er bohrt sich tief in das Holz und gefährdet so die Stabilität. Ein weiteres Beispiel ist die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys), die aus Ostasien stammt und seit 2011 auch in Deutschland vorkommt. Sie befällt zahlreiche Pflanzenarten und richtet in Landwirtschaft und Wäldern Schäden an. Neben Insekten spielen bei höheren Temperaturen auch Pilze eine Rolle: Das Eschentriebsterben, verursacht durch den Pilz Hymenoscyphus pseudoalbidus, hat die heimischen Eschenbestände stark dezimiert. Beim Ahorn sorgt der Pilz Cryptostroma corticale für Schäden, indem er die Rinde abblättern lässt.

Zwar ist Deutschland mit etwa 11,4 Millionen Hektar Waldfläche, was rund ein Drittel der Landesfläche ausmacht, noch eines der waldreichsten Länder Europas. Aufgrund der klimabedingten Waldschäden müssen mehr als 500.000 Hektar nach Schätzung von Fachleuten in den nächsten Jahren aufgeforstet werden. Ob dies gelingt, ist in Zeiten der Klimakrise fraglich. So haben Setzlinge und Jungbäume mit ihrem zarten Wurzelwerk keine Überlebenschance, wenn Oberböden monatelang knochentrocken bleiben. Zugleich steigt in Dürrezeiten die Gefahr von Waldbränden, die Aufforstungen auf einen Schlag vernichten können.

Die Situation bleibt angespannt und Fachleute warnen, dass sich die Waldzusammensetzung in Deutschland in den kommenden Jahren drastisch verändern könnte. "Pflegemaßnahmen für klimastabile Baumarten und Verjüngung von Waldbeständen mit natürlich nachwachsenden Baumarten sind entscheidende Maßnahmen zur weiteren Klimaanpassung der Wälder im Landkreis Ludwigsburg", so Fachbereichsleiter Simon Boden. Doch das allein reicht nicht. Boden stellte auch klar, dass die ganze Gesellschaft dazu aufgerufen sei, Klimaschutz zu betreiben, um dem Wald zu helfen.

Fakten zu Windenergieanlagen (WEA) im Wald

Ende 2023 wurden bundesweit 2.450 WEAs auf Waldstandorten betrieben. Die Gesamtleistung ist 6.610 Megawatt (MW), was elf Prozent der installierten Windenergiekapazität in Deutschland entspricht. Im Schnitt beansprucht eine WEA im Wald dauerhaft 0,95 Hektar Fläche, was weniger als die Größe eines Fußballplatzes ist. Alle im Wald betriebsbereiten WEAs beanspruchen zusammen rund 2.325 Hektar, davon 1.176 Hektar durch dauerhafte Waldumwandlung. Dies entspricht bei 11,5 Millionen Hektar Gesamtwaldfläche Deutschlands einem Anteil von weniger als 0,01 Prozent.  (jl)

Dabei kann der Wald selbst eine Rolle spielen, die jedoch oft kontrovers und oft auch faktenfrei debattiert wird: als Standort für Windenergieanlagen, die klimaschonend Strom erzeugen und fossile Kraftwerke ersetzen. Gerade in Bundesländern mit hohem Waldanteil wie Baden-Württemberg steigt die Zahl der Projekte auf Waldflächen, was prompt verbissenen Widerstand hervorruft.

Auch in der Kreisstadt Herrenberg, rund 35 Kilometer südöstlich von Stuttgart. Dort sollen nach den derzeitigen Plänen bis zu sieben Rotoren im kommunalen Spitalwald errichtet werden. "Die Stadt Herrenberg hat mit dem Klimafahrplan 'Klimaneutrales Herrenberg' auch die Reduktion von Treibhausgasen im Energiesektor beschlossen. Ein Grundpfeiler für die Erreichung dieses Ziels ist der Ausbau von Windenergie", heißt es dazu im städtischen Internetportal. Dagegen kämpft ein Verein namens "Freie Horizonte". Man setze sich für den "Schutz der Natur und Heimat im Gäu und in der Umgebung ein", heißt es auf dessen Homepage. Den Mitgliedern sei die "Gesundheit der Menschen, unsere Wälder, unsere Naherholungsgebiete und unsere Wildtiere wichtig".

"Freie Horizonte" kämpft bundesweit gegen Windkraft

Dazu bietet der Verein im Netz und vor Ort Informationen durch "Experten" fragwürdiger Organisationen auf. So ist bei einer kommenden Veranstaltung Wolfgang Epple zu Gast. Der pensionierte Biologe wird angekündigt als "wissenschaftlicher Beirat" der "Naturschutzinitiative", einem Verein, der Windkraftprojekte bundesweit durch Klagen zu verhindern versucht.

Wo Windräder sich nicht drehen dürfen

Waldgebiete mit besonders wertvollen Laub- und Mischwäldern oder mit besonders hoher ökologischer Wertigkeit kommen für WEAs nicht infrage. Dazu zählen auch Wälder mit altem Baumbestand, mit Bodenschutzfunktion oder Flächen mit kulturhistorisch wertvollen oder landschaftsprägenden Beständen. In Gebieten mit Vorkommen gefährdeter oder störungsempfindlicher Arten sowie Wanderkorridore von Vögeln und Fledermäusen dürfen WEAs nur mit Auflagen oder gar nicht entstehen.

Wo Platz für Windräder infrage kommt

Potenzielle Standorte für WEAs sind vor allem junge und monokulturell genutzte Wirtschaftswälder sowie sogenannte Kalamitätsflächen, bei denen Baumbestand durch Stürme oder Schädlinge geschädigt wurde. Maßnahmen zur ökologisch gleich- oder hochwertigeren Wiederaufforstung werden in einigen Fällen erst dadurch finanzierbar, dass Waldbesitzer die Flächen teilweise für die Aufstellung von WEAs verpachten und so Einnahmen erzielen. Dem tragen zahlreiche Bundesländer in ihren Waldgesetzen Rechnung.  (jl)

Epple führt ein selbst produziertes Video vor, das die Apokalypse des Spitalwalds durch die "Windkraftindustrie" prophezeit. Der Film sei eine "brillante Analyse der brachialen Windkraftpläne", die, falls umgesetzt, das "Leben für Mensch und Tier weniger oder nicht mehr lebenswert" machten, loben die Veranstalter. Tatsächlich ist das anderthalbstündige Werk eine ermüdende Mixtur aus nicht mehr existenter heiler (Wald)Welt, irreführenden Grafiken und Anti-Habeck-Parolen. "Die Wälder des Kreises Böblingen, alle Wälder Deutschlands und der Erde verdienen Erhaltung in voller Unverletzlichkeit und Intaktheit", heißt es pathetisch im mit Gitarrenklängen unterlegten Abspann.

Ein komplett anderes Urteil fällt dagegen ein "richtiger" Experte: "Ich bin überzeugt davon, dass der Wald mit Windrädern besser zurechtkommt als mit dem Klimawandel", zitiert die Kreiszeitung "Böblinger Bote" Winfried Seitz. Der Mann weiß, wovon er spricht: Er ist Revierförster des Herrenberger Spitalwalds. Das Statement machte er während eines Rundgangs für am Windpark interessierte Bürger im vergangenen November. Und es blieb nicht die einzige Aussage, die den Narrativen der Windradgegner widerspricht. "Wenn wir den Wald im Gesamten schützen wollen, müssen wir etwas gegen den Klimawandel tun", so Förster Seitz.

Dessen ungeachtet sollen die Herrenberger auf Betreiben des Vereins "Freie Horizonte" am 13. Juli in einem Bürgerentscheid über den geplanten Windpark entscheiden. Schon die verquere Fragestellung der Abstimmung, von den Vertrauensleuten der Gegner formuliert, will offenbar das Ergebnis beeinflussen: "Soll die Verpachtung kommunaler Waldflächen, die sich im Eigentum der Stadt Herrenberg befinden, an Windanlagenbetreiber/-investoren unterbleiben?" Bürgerinnen und Bürger, die eine klimafreundliche Stromerzeugung vor Ort befürworten, müssen mit "Nein" stimmen.


Vor dem Bürgerentscheid am 13. Juli zur Verpachtung kommunaler Waldflächen für Windenergie organisiert die Stadt Herrenberg eine kostenfreie Besichtigung des Windparks "Junge Donau" in Immendingen im Kreis Tuttlingen. Hier gehtꞌs zur Anmeldung – sie ist noch möglich bis heute, Mittwoch, 28. Mai 2025. Im Rahmen einer Bürgerversammlung am 3. Juli 2025 in der Stadthalle Herrenberg können sich Bürgerinnen und Bürger zum Thema informieren und Fragen stellen. Infos im Netz hier.

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1 Kommentar verfügbar

  • Dr. Jürgen Enseleit
    vor 1 Tag
    Antworten
    Wieder werden nur Symptome beschrieben! Wieder wird nur punktuell ein Aspekt bei der Energiewende betrachtet!
    Die Themen Klimaschutz, Artenvielfalt usw. sind allerdings viel komplexer! Der Kapitalismus als Ursache kommt in der Betrachtung gar nicht erst vor!

    Die Energiewende beginnt ganz…
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