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Generation Wichs

Generation Wichs
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Studien über Jugendliche haben Konjunktur. Als vermeintliche Seismographen der Gesellschaft werden sie mehrmals im Jahr herangezogen, um einen Zeitgeist zu ermitteln. Dabei sind "Generation Golf" und "Generation Y" vor allem attraktiv für Personalabteilungen und die Werbeindustrie. Die aktuelle, europaweite Jugendstudie "Generation What?" ist da nicht anders.

Die Erwachsenen haben es mal wieder getan. Sie haben die Jugendlichen vermessen. Dieses Mal haben sie dabei sogar Grenzen überschritten. "Generation What?" heißt die "umfangreichste Jugendstudie Europas", die Aufschluss darüber geben soll, wie junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren so ticken. Um das herauszufinden, hat die Europäische Rundfunkunion in Kooperation mit verschiedenen europäischen Rundfunkanstalten die multimediale Seite <link http: www.generation-what.de _blank external-link>www.generation-what.de ins Netz gestellt, auf der 149 Fragen zu Politik, Sexualität, Religion, Geld, Beruf, Freizeit und Liebe beantwortet werden konnten. In Deutschland wurde das Mammutprojekt von ZDF, dem Bayerischen Rundfunk und dem SWR begleitet. Seit vergangener Woche liegen die Ergebnisse vor und deutsche JugendversteherInnen haben bereits einen neuen Stempel aus der Klischeekiste gekramt.

Nach der "Generation Golf", der "Generation Y", der "Generation Porno", der "Generation Beziehungsunfähig" oder der "Generation X" wurden 940 000 junge StudienteilnehmerInnen europaweit vom Bayerischen Rundfunk kurzerhand zur "Generation Adaption" gemacht. Seit das Sinus-Institut die Umfrage für Deutschland ausgewertet hat, wird durch alle Kanäle posaunt: Menschen bis 34 Jahre zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie besonders anpassungsfähig sind. Sie seien "pragmatische Realisten", die "trotz Bedrohungen durch Terroranschläge optimistisch in die Zukunft" schauten. Weiter sind sie so und so und so und so. Schaut man sich die Fragen genauer an, wird klar, weshalb es Blödsinn ist, Pauschalaussagen über "die Jugendlichen" machen zu wollen.

"Völliges Vertrauen oder Misstrauen in die Justiz ist untypisch für die junge Generation", heißt es im Abschlussbericht der Jugendstudie. Konkret heißt das, dass 43 Prozent der Befragten bei der Frage "Vertraust du der Justiz" "eher ja" geklickt haben; 34 Prozent "eher nicht". Extreme Positionen, also "überhaupt nicht" und "völlig" dümpeln bei etwa 10 Prozent. Ach nee, schießt es einem durch den Kopf. Das ist bei Erwachsenen doch nicht anders.

Jugendliche sind Aliens. Alarmierend!

Der gleiche Gedanke drängt sich bei der Frage auf, ob die Befragten der Politik uneingeschränkt vertrauen. Nur ein Prozent tut das völlig, 27 Prozent immerhin mehr oder weniger. 71 Prozent haben kein Vertrauen, 27 Prozent haben "überhaupt keines" und 44 Prozent haben "eher kein" Vertrauen in die Politik. Außerdem sei es eher die jüngere Gruppe zwischen 18 und 19 Jahren, die der Politik stärker vertraue, als die ältere. Das Sinus-Institut erklärt sich diese Erkenntnis damit, dass die Älteren wohl stärker vom medialen Diskurs beeinflusst seien und schon mehr negative Eindrücke gesammelt hätten. Ach nee! Danke für diese clevere Analyse.

Apropos Vertrauen: Den Medien vertrauen auch nur drei Prozent der Befragten "völlig". 25 Prozent haben überhaupt kein Vertrauen in die Medien, 40 Prozent stehen ihnen zumindest skeptisch gegenüber. Die Profi-Ansage im Abschlussbericht: "Vor dem Hintergrund, dass die Glaubwürdigkeit der Medien essentiell für einen demokratischen Staat ist, sind diese niedrigen Vertrauenswerte alarmierend." Das gilt doch aber nicht nur für Menschen bis 34 Jahre, sondern generell für einen beachtlichen Teil der BürgerInnen der Bundesrepublik Deutschland. Alarmierend!

Verfolgt man die Ergebnisse des Abschlussberichts weiter, stellt man auf über dreißig Seiten fest, dass es überhaupt keinen Sinn macht, von einer Generation zu sprechen, die grundlegend anders denkt, als die Älteren. Studien wie "Generation What?" suggerieren, dass Menschen zwischen 18 und 34 Jahren eine komplett andere Wahrnehmung der gemeinsamen Welt haben. Dabei ist es nicht schockierend, dass Europa "keine Herzensangelegenheit" von Jugendlichen ist, sondern für 36 Prozent ein "notwendiges Konstrukt". Wieso sollten Jugendliche auch ein identitäreres Verhältnis zu einem Kontinent haben als der Rest? Was haben sich "die Erwachsenen" – also Menschen ab 35 Jahre – wiederum beim Verfassen dieser Fragen gedacht? Dass Jugendliche Aliens sind?

Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man außerdem liest, wie das Sinus-Institut überrascht darüber ist, dass trotzdem 78 Prozent gegen einen EU-Austritt im Fall der Fälle wären – obwohl junge Deutsche ja kein Vertrauen in Institutionen hätten. Und kommt es wirklich so überraschend, dass nur 20 Prozent angeben, ohne den Glauben an einen Gott glücklich sein zu können?

Auch die Ergebnisse zu Bildung überraschen nicht. Wer hätte gedacht, dass die meisten Jugendlichen das Bildungssystem nicht gut finden? 44 Prozent sind der Meinung, dass dieses "eher nicht" gut auf die spätere Arbeitswelt vorbereite. 23 Prozent gaben sogar "gar nicht" gut an. Ach nee! Die ganze Umfrage scheint eine einzige Projektion von offenliegenden Gesellschaftsproblemen zu sein, die durch jugendliche Aussprache erst zutage tritt. Wer ist bitteschön jemals aus der Schule gekommen und hat sich gedacht: "Geil, jetzt bin ich aber sowas von auf den Arbeitsmarkt vorbereitet"?

Jugendliche gucken positiv in die Zukunft. Prima.

Ist es wirklich überraschend, dass "bildungsferne 18- bis 34-Jährige" "weniger optimistisch in die Zukunft blicken" und sich "von der Politik im Stich gelassen fühlen" als die Abi-Streber-Vergleichsgruppe? Wobei, in Zeiten, in denen sich auch gut situierte BildungsbürgerInnen abgehängt und "von denen da oben" verarscht fühlen, wirkt es vielleicht auf eine bizarre Weise menschlich, dass Ängste kein Unterschichtenphänomen sind. Besonders erstaunt sind die Jugendexperten darüber, dass 64 Prozent der 18- bis 34-Jährigen trotz Terroranschlägen, Klimaproblematiken, Flüchtlingssituation und Finanzkatastrophen positiv in die Zukunft blicken.

Wie inhaltsleer und auslegungsfähig die Fragen und Antworten sind, sieht man gut an der Frage, ob man sich an einem "Aufstand gegen die Mächtigen" beteiligen würde. Von denjenigen Personen, die eine wachsende Ungleichheit im Land feststellten (90 Prozent), würden 42 Prozent diese Frage mit Ja beantworten. Weder werden "die Mächtigen" näher konkretisiert noch genau differenziert, durch was sich dieses Ungerechtigkeitsgefühl genau definiert. "Die da oben" lassen grüßen.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Fall klar, weiß Marcel Schütz von der Uni Oldenburg. Denn mit Wissenschaft haben die meisten Jugendstudien für ihn nur begrenzt zu tun. "Mit den Fragestellungen werden ja immer schon mögliche Antworten mitgedacht", erklärt der Soziologe. Keine Frage stehe in einem luftleeren Raum. Stelle man Fragen zu Europa oder der "Flüchtlingskrise" gebe es bereits einen vorangegangenen Diskurs. Man gehe bei der Auswertung der Ergebnisse deshalb auch immer von Werten aus, die der Anschauungsgruppe, die man zu erörtern versucht, vorgelagert seien. Gespickt mit dem Mythos "absoluter" Wissenschaftlichkeit erzeuge man zusätzliche Aufmerksamkeit und generiere einen Markt.

Als gefragter Organisationswissenschaftler und Dozent für Betriebswirtschaft und Soziologie hat Schütz die Personalabteilungen großer Unternehmen von innen kennengelernt. Der Nutzen der zahlreichen Studien zur Jugend beschränkt sich seiner Meinung nach auf die Wirtschaft. "Jugendstudien sind sehr attraktiv für Personalabteilungen und Berater", sagt Schütz. Sie produzierten mit schmissigen Bezeichnungen wie "Generation Y" einen Markt, auf dem sich plötzlich selbsternannte Experten zu Jugendverstehern aufschwingen würden. "Bis ein anderer einen neuen Begriff nachschießt, der den bisherigen Generationenbegriff konterkariert. Das sind klassische Marketing-Methoden." Außerdem fühlten sich Unternehmen und ältere Menschen wahnsinnig gut, erklärt Schütz, wenn sie glauben, die Jugendlichen jetzt endlich verstanden zu haben. Dabei sei die Konstruktion einer Generation völlig willkürlich. "Es kommt ja selten jemand auf die Idee, eine Generationsstudie über Pensionäre zu machen - die sind marketingtechnisch einfach nicht so attraktiv wie Jugendliche".

Jugendstudie als Marketingstragie

Klaus Farin vom Archiv der Jugendkulturen in Berlin sieht das ähnlich. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und erklärt: "Die Zahlen in dieser Studie kann man komplett vergessen, denn sie ist überhaupt nicht repräsentativ". Die Auswertung des Riesenprojekts beruht auf einem Online-Fragebogen, den man völlig anonym und bei freier Angabe von Alter, Geschlecht und Bildungsniveau ausfüllen kann – sogar mehrmals vom selben Computer aus.

Offenbar ist die "Generation What?" auch für das Sinus-Institut kein Werk, mit dem man sich schmücken mag. An keiner Stelle auf der hauseigenen Homepage wird sie erwähnt. "Das Online-Spielchen mit den vielen bunten Bildern ist bloß Entertainment, das ORF spricht ja interessanterweise auch nicht von einer Studie, sondern von einem 'Experiment'", erklärt Farin. "Das Projekt ist vor allem eine geniale Marktstrategie, damit junge Leute einschalten. Wer unter Fünfundsechzig interessiert sich sonst für den Bayerischen Rundfunk?"

Farin hält die Rede von einer homogenen "Generation Y" oder ähnlichen, gepushten Bezeichnungen für Quatsch. Erstens machten bei derartigen Umfragen eh tendenziell nur Leute mit, die sich gerne narzisstisch präsentierten. Zweitens seien AkademikerInnen überrepräsentiert, die dazu neigen würden, sozial erwünschte Antworten zu geben. Drittens wären die Haltungen zu Fragen über Europa, Medien und Politik oft schon wieder ganz andere, wenn die Ergebnisse von Umfragen wie "Generation What?" öffentlich gemacht würden. "Das geht heute alles ganz schnell, je nach aktueller Informations- und Medienlage."

In Anbetracht der Relevanz von Jugendstudien für Markt, Medien, Unternehmen und zahlreiche selbsternannte "Jugendexperten", stellt sich abschließend die Frage, weshalb den Marketing-Menschen bislang nichts fresheres als "Generation Adaption" eingefallen ist. Dass das nicht "trendet", sieht ein Blinder mit Selfiestick.

Als gemeinnütziger Verein hat Kontext deshalb tief in den Erste-Hilfe-Koffer gegriffen, um ein Generationen-Etikett zu pitchen, das garantiert eine heiße Performance aufs mediale Parkett legen wird. Schaut man auf die Zahlen, die sich aus der "Generation What?"-Frage zum Masturbationsverhalten ergeben haben, gibt es für Menschen zwischen 18 und 34 Jahren nur eine sinnvolle und zeitlose Bezeichnung: "Generation Wichs". Auf die Frage "Hast du dich schon mal selbst befriedigt?" antworteten 81 Prozent der Befragten mit "Ja, und das ist genau mein Ding!"


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4 Kommentare verfügbar

  • Gela
    am 24.11.2016
    Antworten
    @Barolo: ich habe auch erst gestutzt, dann aber gerechnet: 27 (überhaupt kein Vertrauen ) + 44 (eher kein Vertrauen) = 71% kein Vertrauen.
    Was nichts sagt zur (fehlenden) Aussagekraft der zitierten "Studie"!
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