KONTEXT:Wochenzeitung
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Der feine Herr Marguerre

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In Heidelberg gab's am Wochenende eine ganz besondere Sause: Wolfgang Marguerre, Milliardär und Mäzen der Stadt, feierte seinen 75. Geburtstag. Drei Tage lang. Dass er dazu den Schlossgarten des Heidelberger Wahrzeichens blockiert hat, hat nicht allen gefallen.

Um kurz vor sieben Uhr abends schiebt sich einer von vielen schwarzen S-500-Mercedessen an diesem Tag den Berg zum Heidelberger Schloss hinauf. Schnurgerade auf den kleinen Haufen bunter Demonstrant*innen zu. "Leute, zur Seite!", ruft einer mit Fahrradhelm. "Macht Platz für die Elefanten des Sultans!" Die Limousine schwebt zwischen Trillerpfeifen-Sound und Protestplakaten hindurch – "Alles ist käuflich", steht da drauf, oder "Hände weg vom Schlosspark" oder "Bescheidenheit ist eine Zier". Im Wagenfonds sitzt hinter dunklen Scheiben eine Frau mit enormer Frisur.

Es ist Samstag, die Sonne knallt vom Himmel. Links erhebt sich die Ruine des Heidelberger Schlosses, rechts steht eine portable zweistöckige Festhalle, unter Bäumen und genau dort, wo normalerweise der frei zugängliche Teil des Schlossgartens liegt. Drumherum ziehen sich Absperrgitter, davor hat sich eine schwarze Phalanx Security aufgebaut, Ringelkabel im Ohr, breitbeinig, die Hände fein vor dem Gemächt gefaltet.

Wolfgang Marguerre, Geschäftsführer und Gründer der Firma Octapharma, Chef über 6000 Mitarbeiter*innen, einer von Heidelbergs Reichsten, feiert seinen 75. Geburtstag. Drei Tage lang. Und für den Höhepunkt am Samstagabend hat er sich den Schlossgarten gemietet. Ausgerechnet. Seit Wochen ist der Ort für den Aufbau des Fests gesperrt. Normalerweise lümmeln hier Student*innen, Familien picknicken, Japaner*innen fotografieren, es ist DER Ort in Heidelberg. Sozialer Treffpunkt. Touristenmagnet. Historisch. Ein Ort für die Bürger*innen.

"Eine echte Frechheit", sagt Gerd Guntermann, Bezirksbeirat für die Grün-Alternative Liste Heidelberg. "Als ich gehört habe, dass der im Schlossgarten feiert, dachte ich, jetzt driften die tektonischen Platten zwischen Arm und Reich vollends auseinander", sagt Nera Vukovic, 60, Diplom-Psychologin der Caritas und seit anno dazumal Mitglied der Initiative "Lebenswerte Altstadt". "Das ist unser Park", sagt sie und guckt grimmig.

Für die Feier wird der historische Ort für die Öffentlichkeit gesperrt

Tatsächlich geht es hier nicht um ein paar hundert Quadratmeter Rasen. Denn die Schlösser im Land finanzieren sich durch Vermietungen. Es geht um Gerechtigkeit. Und um Transparenz. Vom Fest gewusst hat nämlich kaum einer. Das Naturschutzreferat habe gerade noch Amphibienzäune ziehen können. Wegen der Feuersalamander und Kröten, die ausgerechnet jetzt in den drei Teichen heranreifen, sagt Guntermann. Unverschämt nicht zuletzt deshalb, weil da mit zweierlei Maß gemessen werde, schreibt er in einem Mailverteiler empört: "Fukushima, danach hänge ich ein großes Transparent mit Anti-Atom-Sonne an die Mauer meines Gartens am Philosophenweg. Nach wenigen Tagen Schreiben des Heidelberger Baubürgermeisters: sofort abhängen, weil Gründe des Baurechts, Landschaftsschutzes und der Gesamtanlagenschutzordnung dagegen sprächen!" Der Rasen am Schlosspark läge auch im Naturschutzgebiet. Und der, das ist nicht zu übersehen, ist hinüber.

Die Stadt, sagt der Pressesprecher des Heidelberger Rathauses, habe damit nichts zu tun, das sei eine Landesliegenschaft. Arnulf Weiler-Lorentz, Stadtrat der Bunten Linken, fragte dennoch kürzlich: "Weshalb wurde der Gemeinderat über diese Großveranstaltung nicht informiert?" Immerhin sei die Stadt zuständig für die Erteilung von Genehmigungen: Denkmalschutz, Verkehrsführung, Brandschutz.

Aber Wolfgang Marguerre ist nicht irgendwer. Sondern "ein sehr verdienter Bürger unserer Stadt, der mit seiner großzügigen Unterstützung viel für seine Heimatstadt Heidelberg getan hat", lässt Oberbürgermeister Eckart Würzner auf Kontext-Anfrage ausrichten. Er ist Mäzen und einer von vier superreichen Heidelbergern: Manfred Lautenschläger, Gründer des Finanzdienstleisters MLP, früher Marschollek, Lautenschläger und Partner, der jüngst verstorbene Viktor Dulger von Dosierpumpen "Prominent", dazu SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp. "Der Hopp würde sich so etwas nicht trauen", schreibt eine Frau im Internet.

Festgäste in Robe mogeln sich an Demonstranten vorbei

"Ja was! Haben Sie denn keinen Wagen gestellt bekommen? Die anderen wurden alle gefahren!", ruft einer, während eine hochgewachsene Frau mit azurblauer Abendgarderobe vorbeigeht, verkniffen an den Arm ihres Mannes geklammert. "Aaaachtung! Da kommen die Kategorie-B-Gäste!", ruft ein anderer, reckt sein Schild hoch und verbeugt sich: "Schönen Abend noch." Von irgendwoher weht ein leises "Party für alle" über den Park.

Wolfgang Marguerre ist kürzlich von Winfried Kretschmann der Verdienstorden des Landes verliehen worden. "Das langjährige Wirken von Wolfgang Marguerre als Förderer unserer Stadt ist beispielhaft und ein wichtiger Grundpfeiler für die Bewältigung anstehender gesellschaftlicher Herausforderungen", sagte Heidelbergs Oberbürgermeister bei der Gelegenheit. Den Orden gab's, weil der Mäzen die ungerechte Steuerpolitik Deutschlands ein klein wenig ausgleicht und Kultur und Gesellschaft etwas abgibt von seiner Kohle. Zumindest dort, wo er meint, dass es sich lohnt.

"Ich unterstütze Dinge, die für Heidelberg sinnvoll sind", sagt Wolfgang Marguerre am Telefon. Die Uni-Klinik Heidelberg zum  Beispiel hat 250 000 Euro bekommen, kürzlich hat er eine Million für Flüchtlinge gespendet und vor einigen Jahren gab es von ihm 15 Millionen für die Sanierung des Theaters. Es ist ein Saal nach ihm benannt, obwohl er nicht darauf bestanden habe, das ist ihm wichtig, dem Musikliebhaber und passionierten Hobbygeiger. Viele Jahre lang hat er seine Geschäftspartner zu Weihnachten statt mit einer Kiste Wein mit einer Geigenquartett-CD beschenkt, selbst eingespielt mit Kammerorchester.

Seit 35 Jahren lebt er in Deutschland, sagt er, davor habe er in Paris, Kopenhagen, Brüssel gewohnt, mehr als sechs Milliarden Vermögen besitzt er aktuell, Forbes listet ihn auf Platz 17 der reichsten Deutschen. Der Otto-Normalreiche schaffe seine Kohle ja ins Ausland, Marguerre lacht durchs Telefon, er habe sie mitgebracht. Der Hauptsitz seiner Firma Octapharma, Blutplasma rund um den Globus, ist in der Schweiz. Da lacht er nochmal.

Als Christian Wulff noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, wollte Marguerres Pharmaunternehmen erweitern und dafür ein Eichenwäldchen in einem niedersächsischen Naturschutzgebiet fällen lassen. Wurde gerade noch verhindert. Es gab 1993 <link http: www.spiegel.de spiegel print d-13681598.html _blank external-link>einen Artikel im "Spiegel", es ging um verseuchtes Blut und Briefkastenfirmen und Wolfgang Marguerre, den "schrägen Tausendsassa der Branche", schrieb das Blatt. "Seine Karriere ist ein Lehrstück über das Metier, in dem große Schiebereien alltäglich sind. Der Aufstieg des Wolfgang Marguerre begann im beschaulichen Glarus, er ist Teil des bislang größten Kriminalfalles im deutschen Blutbusiness." Der "Spiegel" musste letztlich <link http: magazin.spiegel.de epubdelivery spiegel pdf _blank external-link>eine Gegendarstellung drucken. Die "<link http: www.faz.net aktuell politik fluechtlingskrise wolfgang-marguerre-spendet-1-mio-euro-fuer-fluechtlinge-13802575.html _blank external-link>FAZ" schrieb Ende 2015, dass Marguerres Firma dem ehemaligen portugiesischen Regierungschef José Sócrates im Jahr 2013 Beraterhonorar gezahlt haben soll. 2014 saß der Portugiese wegen Korruptionsvorwürfen im Knast. Die Geschichte sei glatt gelogen gewesen, sagt Marguerre, darüber regt er sich heute noch auf. Am Telefon jedenfalls kriecht die Säuernis deutlich durch die Leitung. 

Durch die kleine Demo am Heidelberger Schloss laufen zwei weißhaarige Damen, untergehakt, mit Schirmen überm Arm. "Der Mann hat fürs Theater gespendet!", ruft eine und schwingt ihre Faust. "Lassen Sie den in Ruhe seinen Ehrentag feiern!" "Wenn der 'ne Million spendet, dann ist das, wie wenn Sie zehn Cent spenden!", ruft einer der Demonstranten hinterher. Der Rasen im Schlossgarten jedenfalls, sagt Marguerre, würde nach seiner Feier neu gemacht und viel schöner aussehen als davor.

Private Gegenparty mit Techno und Heavy Metal

"Dieser Schlossgarten", sagt Marie-Luise Memmer, "wird behandelt wie der Nürburgring. Das ist doch ein schützenswerter Ort und kein Event-Gelände!" Andauernd sei da was – Schlossfestspiele, Filmfestival, und jetzt auch noch Privatpartys. Sie steht mit ihrem Mann auf der Terrasse ihres hübschen Häuschens und beschallt den Schlossgarten von oben mit Heavy-Metal und Techno, so laut, dass die Polizei schon gebeten hat, das doch mal leiser zu drehen. "Aber wir sind auch 'ne Privatparty", sagte ihr Mann Florian Michel zufrieden, zwei Leute, eine Flasche Wein. Beide 40 Jahre alt, beide an der Uni-Klinik beschäftigt, beide sehen eher nach WG aus als nach Anwohnern in bester Hanglage.

Michel holt eine Kippe aus einer American-Spirit-Box aus Metall und trillert ein paar Mal kräftig von der Terrasse in Richtung Festzelt hinunter. "Party für alle!", brüllt seine Frau hinterher. Dann erzählt sie, dass es alleine vier Wochen gedauert habe, bis sie herausgefunden hat, wer Ansprechpartner für diese zeltmäßige Grausamkeit im Heidelberger Kleinod ist.

Denn Schlossverwalter Michael Bös darf sich zur Sache öffentlich nicht äußern. Wer sich dazu äußert, ist letztlich Michael Hörrmann von den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg, zuständig für Verwaltung und Vermarktung feudaler Landesliegenschaften. Und der sagt auf Kontext-Nachfrage, man hätte ohnehin die Rasenfläche sanieren müssen. Nicht nur zahle Herr Marguerre einen anständigen Batzen Miete – der Mietzins sei so hoch, dass er beim Erhalt des Schlosses spürbar helfen werde –, sondern auch noch die Runderneuerung des demolierten Rasens hintennach. So als "Zückerchen", sagt Hörrmann. Also ein "doppelter Glücksfall"!

Auch Martina Schäfer vom 
Ministerium für Finanzen und Wirtschaft, dem die Staatlichen Schlösser und Gärten unterstellt sind, bemüht sich, dem Ganzen einen offiziellen Anstrich zu verpassen. Im Schloss Salem gebe es ja auch Open Airs. Aber ein Privatmann? Ministerien würden ebenfalls gerne mal große Landesflächen mieten. Und die Bischofskonferenz! Ein Unternehmer darf für seinen Geburtstag einen öffentlichen Park sperren? Wochenlang? Das sei halt die "Spannung zwischen Teilhabe der Bevölkerung und Erhalt des kulturellen Erbes", sagt Hörrmann. Außerdem täte der Mann ja Gutes für die Stadt.

Es wird geflüstert, dass das Orchester bei Premieren erst dann loslegen darf, wenn der feine Herr Marguerre auf seinem Ehrenplatz im Marguerre-Saal sitzt. Das stimmt natürlich nicht, sagt man im Theater. Der Herr Marguerre sei ein zurückhaltender und ganz bescheidener Mann. Dafür hat er sich für den Start seiner großen Sause am Abend davor das ganze Theater gemietet – geschlossene Gesellschaft mit Rollrasen vor der Tür für den "Sommerempfang" und Marguerres Lieblingsoper Figaros Hochzeit im eigenen Saal. Freitag Theater, Samstag Schloss, Sonntag Abschlussfeier auf der neuen "Königin Silvia", dem Neuzugang der Weissen Flotte Heidelberg: 59 Meter lang, 10,60 Meter breit, drei Meter hoch, Panoramafenster, frisch getauft am 7. Mai. Das ganze untermalt von einem mehrtägigen Kongress in der Kongresshalle der Stadt. "Wenn man genau guckt hat er das Ganze auch noch als Firmenfeier abgesetzt", sagt Gerd Guntermann.

Zwei Japanerinnen in Rosé und Rosa fahren einen pinkfarbenen Selfiestick aus und machen ein Bild vor einem der Schlosspark-Teiche, in denen die kleinen Feuersalamander heranreifen. "Feudalherrschaft", giftet ein Spaziergänger im blauen Feincord-Sakko im Vorbeigehen. Von Ferne hört man die Trillerpfeife von Florian Michel. Und ein leises "Party für alle!"


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22 Kommentare verfügbar

  • Demokrator
    am 16.07.2016
    Antworten
    Die Neidkeule hast Du noch vergessen, "blablabla", wenn wir schon die Augen zudrücken und gefälligst über die Allüren reicher "Mäzene" und ihrer willfährigen Handlanger in den Ämtern und Parlamenten hinwegsehen sollen. Erst recht wenn dieses Gehabe Steuergelder kostet und (nachweisbar) dem…
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