KONTEXT:Wochenzeitung
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Der Sponti-Kurator von Heidelberg

Der Sponti-Kurator von Heidelberg
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Urplötzlich häufen sich in Heidelberg im Sommer 2014 Veranstaltungen zur Jugend- und Studentenbewegung in den 60er- und 70er-Jahren. Offensichtlich will eine älter gewordene Generation noch einmal ihre "wilde" Jugendzeit nachfühlen. Zentraler Protagonist: der Verleger und Rechtsanwalt Manfred Metzner.

"Mein Gott, was für eine Selbstbeweihräucherung", stöhnt der aus dem dampfig-heißen Saal des Heidelberger Karlstorbahnhofs herausdrängelnde ehemalige 68er und jetzige Professor A., "was für ein Krampf." Anlass dieser Klage ist die Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung "Eine Stadt bricht auf. Heidelbergs wilde 70er" (bis zum 21. September). Auf dem Podium haben sich gerade in einem netten Smalltalk der Direktor des Kurpfälzischen Museums, Frieder Hepp, und Manfred Metzner, Kurator dieser Ausstellung, gegenseitig die Worte in den Mund gelegt.

Ein freundlicher Herrenabend, garniert mit Musik und Sketchen. Draußen vor dem Karlstorbahnhof lungert ziemlich unschlüssig ein immer noch – obwohl 73 Jahre alt – drahtiger Mani Neumeier herum. Aus dem Rucksack des Guru-Guru-Chefs ragen ein paar Trommelstöcke, und dann fragt die Kultfigur des psychodelischen Rock mit großen Augen: "Wo ist denn hier das Wilde, ich höre die nur reden. Das ist ja richtige Provinz."

Manfred Metzner, der Inspirator dieser Veranstaltung, hat immer wieder betont, er habe sich bewusst für Heidelberg als Lebens- und Arbeitsort entschieden, für die Provinz. Sein gar nicht so unbescheidenes Motto: "Ich bleibe so lange in der Stadt, bis man es ihr anmerkt." Ein Satz wie in Stein gemeißelt. In der Tat gibt es einige Dinge in Heidelberg, die auch heute noch Metzners Handschrift tragen: der Verlag Das Wunderhorn, die Heidelberger Literaturtage, die Initiative für ein Literaturhaus, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus ist Metzner unter anderem Herausgeber des Werkes von Philippe und Ré Soupault, Träger des französischen Verdienstordens "Officier de l'Ordre National du Mérite", ehemaliger Vorsitzender und Preisträger der Kurt-Wolff-Stiftung, führendes Mitglied im Arbeitskreis Heidelberger Literaturtage, Sprecher der Festivalregion Rhein-Neckar, Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg und, und, und ... "Männe" Metzner, der Kulturfunktionär mit großem Radius.

"Männe" Metzner begegnet dem Besucher, wo er nur hinschaut

Aber gerade die "Träger großer Radien" zeichnen sich manchmal dadurch aus, dass sie in einer Art permanenter Selbstreferenz kreisen. Bei Metzner tritt dieser Drang in der Ausstellung zu den "wilden 70ern" überdeutlich zutage. Der Kurator, sozusagen als exemplarisches kulturpolitisches Gesamtwerk, begegnet dem Besucher, wo er nur hinschaut: <link https: www.youtube.com _blank>Metzner als Verleger, Metzner als "Carlo Sponti"-Verkäufer, Metzner als Stadtrat, Metzner als OB-Kandidat, Metzner als Fotograf, Metzner als Postkartenproduzent, Metzner als Inhaber der "Sammlung Metzner", Metzner als Moderator, Metzner und der Internationalismus, Metzner als Führer durch die Ausstellung, Metzner in der Ausstellungszeitung.

Und dazu die Metzner'sche Geschichtsschreibung. Die geht ungefähr so: Die linke politische Bewegung sei spätestens 1978 am Ende gewesen, und dann stellte sich die Frage, wie man die Kultur zur kreativen Erneuerung der Gesellschaft einsetzen könne – sozusagen eine Umwidmung von Politik in kulturelle Aktivität. Die Spontis, zu deren Chefrepräsentanten sich Metzner im Laufe der letzten Zeit – in stiller Konkurrenz zu seinem Autor <link http: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen der-pseudo-joschka-von-heidelberg-2295.html _blank>Michael Buselmeier - berufen fühlt, sollen jetzt, knappe vierzig Jahre danach, als die wahren "Träger der Kreativität" in den "wilden" 70er-Jahren beschrieben und dingfest gemacht werden. Schließlich sei über dieses Kapitel der Studentenbewegung, so Metzner, noch überhaupt nicht wissenschaftlich und historisch gearbeitet worden. Was übrigens nicht stimmt, denn gerade vor Kurzem ist Sven Reichardts umfangreiche Studie "Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den Siebziger- und frühen Achtzigerjahren" bei Suhrkamp erschienen, und schon 1978 beschäftigte sich unter anderem das Buch "Autonomie oder Getto? Kontroversen über die Alternativbewegung" mit den Lebensvisionen und Verwerfungen in der Spontiszene.

Das medial lancierte Festival zur Erinnerung an die Spontis in Heidelberg geht natürlich einher mit den üblichen kleinen Geschichtsklitterungen und Legenden. Beispiel: "Carlo Sponti". Diese Studentenzeitung der 70er-Jahre, war nicht etwa, wie man nach den vielen Auftritten von Metzner meinen könnte, seine Kreation. Es war ein Uniblättchen, gemacht von einer permanent wechselnden Gruppe von Anarchisten, Spontaneisten, undogmatischen Linken an der Universität – anfangs ohne Metzner. Namensgeber war ein heute noch in Heidelberg lebender Rechtsanwalt.

Diese oft zielgerichtet provokante, selbst geklebte "Illustrierte" war, und das muss betont werden, im Geiste ihrer Zeit ein Gruppenprodukt. Nur der presserechtlich Verantwortliche erschien – und das erst in den späteren Ausgaben – mit Namen und erfüllte somit die Bedingungen für den Vertrieb eines Printprodukts. Einen Herausgeber Metzner, wie in manchen Veröffentlichungen unwidersprochen behauptet wird, gab es nicht. Auch bei den Gründungsdiskussionen und ersten Aktivitäten des Verlags Das Wunderhorn waren weit mehr Personen beteiligt, als das in der Öffentlichkeit kommuniziert wird. Das schmälert nicht das interessante und von vielen Fachleuten so belobigte Verlagsprogramm, aber auch hier waren Gruppenprozesse leitend und die solventen und im Hintergrund bleibenden Sponsoren, die dieses Programm auf Dauer erst möglich machten.

Küßchen gibt's auch von der Chefin der Lokalzeitung

Der Übergang vom "Sponti-Wir" über das "Nach-Sponti-Ich" zum Sponti-Kurator ist Metzner im Laufe der letzten Jahrzehnte gut gelungen. Dieser Prozess entspricht auf anderer Ebene in etwa dem stufenweisen Umzug aus der selbst definierten, "kreativen" Spontiszene in die moderne "Kreativwirtschaft", dieses ominöse neue Feld der Ökonomie, aus dem natürlich prompt Referenten für Kreativwirtschaft gewonnen werden – die neuen Verwalter und Administratoren, die die Verteilung der gesellschaftlichen und privaten Gelder kontrollieren. Eine neue Bürokratie der Kreativen, mit starkem Selbstbehauptungsdrang. So zu beobachten etwa bei den diversen "Denkfesten" in der Region, auch als "Kreativschmiede" angepriesen, bei denen Metzner als Vertreter einer die Gesellschaft inspirierenden "kreativen Klasse" (ein Begriff des US-Ökonomen Richard Florida) ebenso vertreten ist.

Und diese "kreative Klasse" wird natürlich auch vom bürgerlichen Mainstream hofiert. So ist etwa der frühere Zeitungssponti Metzner in der Lokalpresse immer wieder und gut vertreten, wird von der Lokalchefin der "Rhein-Neckar-Zeitung" mit Küsschen begrüßt. Und moderiert mit ihr zusammen eine auf Harmonie und historische Versöhnung ausgelegte Podiumsdiskussion über die "wilden 70er" und die Ausstellung dazu. Doch die Ausstellung demonstriert in aller Deutlichkeit, was eigentlich, im Rückblick, die Sponti-Kreativität gewesen sein soll: Frauengruppen, Männergruppen, Schwulengruppen, Filmfestivals, Verlage, Zeitungen, Straßentheater und so weiter. Kultur eben und nur sehr vermittelt Politik. So gerät das Thema Stadtsanierung in dieser Ausstellung schon fast zum stadtpolitischen Feigenblatt. Denn mit der Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Heidelberger Altstadt beschäftigten die Spontis sich nur am Rande. Man dümpelte da eher in der Wohngemeinschafts- und Selbstfindungskultur.

Die "wilden 70er" sind eine Sponti-Puppenstube mit Lederjacke

So sorgt der Haupttenor dieser Ausstellung über die Heidelberger "wilden 70er-Jahre" für einigen Widerspruch: Entgegen dem präsentierten Sponti-Puppenstuben-Bild (inklusive Manfred Metzners 70er-Lederjacke über der Stuhllehne) werden – nicht nur in der FAZ – die wirklich "wilden" Elemente der 70er-Jahre angemahnt, weil sie fehlen: die RAF und das Sozialistische Patientenkollektiv (nur in der Ausstellungszeitung erwähnt); die wild gewordene Heidelberger Justiz mit ihren in Deutschland einzigartigen Massenverfahren und -verurteilungen; die Relegationen vieler Studenten von der Universität; die Hetzkampagnen der "Rhein-Neckar-Zeitung" und vieles mehr. Man kann zu Recht einwenden, dass in solch einer Bilderschau nicht alles gezeigt werden kann, aber man muss schon darauf hinweisen, dass etwas weniger Sponti-Kurator mehr und besser gewesen wäre – allein der historischen Richtigkeit wegen. Dass beispielsweise der von den Spontis zu Recht bekämpfte und teilweise übermächtige KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands) mit Helga Rosenbaum in den 70er-Jahren die erste "linke" Stadträtin stellte, wird einfach unterschlagen, stattdessen darf Metzner sich als "kreativer" Stadtpolitiker exponieren.

So entpuppt sich diese Ausstellung am Ende, ob gewollt oder nicht, als eine Art Manfred-Metzner-Gedächtnisveranstaltung. Erstaunlich viele Stimmen bedauerten, dass Museumsdirektor und Kurator nicht auf das in Heidelberg umfangreich vorhandene Bild- und Tonmaterial zurückgegriffen haben und dass diese gute Idee, die Chance eines historischen Rückblicks – als kollektive Erinnerung – nicht ergriffen wurde. Man wollte wohl unter sich sein, und da ist die Selbstbeweihräucherung nicht weit. Karl Markus Michel 1978 in seinem Essay "Provinz aus dem Kopf. Neue Nachrichten über die Metropolen-Spontis" über die von ihm sogenannten Hellroten: "Die Hellroten beziehen sich nur projektiv, nur symbolisch auf Äußeres, in Wahrheit auf sich selbst (...) Sie sind wirklich betroffen nur von dem, was sie selbst betrifft (...) Das erklärt ihren Lokozentrismus, der in der Provinz u. a. als Kirchturmpolitik in Erscheinung tritt."

"Ich bleibe so lange in der Stadt, bis man es ihr anmerkt", betont Manfred Metzner immer wieder. Hoffnung oder Drohung? Jedenfalls ein klassisches Provinz-Mantra – und zugleich der sehnsuchtsvolle Ruf nach Unvergänglichkeit. Man stelle sich nur vor: In Stuttgart, München, Frankfurt, Köln, Berlin oder Hamburg würde jemand aus der Kulturszene versuchen, mit diesem Spruch öffentlich zu reüssieren. Schallendes Gelächter oder zumindest sarkastische oder gar hämische Kommentare wären ihm gewiss. Aber so ist sie halt, die Provinz, sie braucht eben den Provinzler, selbst wenn der Name "Metropolregion" (hier: Kurpfalz) als Verpackung doch ganz Anderes suggerieren will. Das ist Kreativwirtschaft.

 

<link http: www.museum-heidelberg.de pb startseite sonderausstellungen _blank>Hier geht es direkt zur Ausstellung.


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8 Kommentare verfügbar

  • Dierk Helmken
    am 09.09.2014
    Antworten
    War gerade am 7.9.14 mit meiner Frau in der Ausstellung.
    Kann die Kritik von Damolin nur bestätigen.
    Als pensionierter Richter, der damals Referendar und junger Richter und Staatsanwalt war, ist mir das fast gänzliche Fehlen der Darstellung des unheilvollen Wirkens von auch und gerade der Justiz…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
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