KONTEXT:Wochenzeitung
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Kritik im Stehen

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Von Kontext in die Welt: Wenn's um die Staatsgalerie geht, dringen Stimmen aus Stuttgart durch bis nach Dublin. Dort wurde Ex-Direktor Sean Rainbird auf unsere Berichte aufmerksam und möchte ein paar Punkte klarstellen. Hier seine Replik.

Der Artikel "<link http: www.kontextwochenzeitung.de kultur sitzen-verboten-4195.html external-link-new-window>Sitzen verboten" von Josef-Otto Freudenreich in der Kontext hat mir, dem Namen des Autors zum Trotz, nur wenig Freude bereitet. Dazu ein paar Reflexionen mit der Bitte um Richtigstellung.

Erwähnt wurde meine Amtszeit in der Staatsgalerie von 2006 bis 2012. Bei mir, so hieß es, konnten die Aufsichten noch machen, was sie wollten. Das ist nicht ganz richtig. Auch schon zu meiner Zeit mussten sie an die Stechuhr. Sie haben zwar einmal gestreikt, aber das war ein eintägiger Warnstreik im Rahmen der allgemeinen Tarifverhandlungen. Nicht nur die Aufsichten waren daran beteiligt, sondern auch Einige aus dem Hängeteam.

Dessen ungeachtet bin ich nicht überzeugt, dass Outsourcing und unangekündigte Kontrollgänge die gewünschte Wirkung haben, wenn nicht gleichzeitig Vertrauen aufgebaut wird. Leistungsanforderungen und Erwartungen zu definieren, kann zwar Klarheit bringen. Aber gute Zusammenarbeit bleibt doch eine unumgängliche Komponente. Zu Besuch in einer europäischen Hauptstadt, habe ich letzte Woche bei den Aufsichten eines Museums genau jene Verhaltensweisen erlebt, über die sich die Leitung der Staatsgalerie heute ärgert.

Denken wir einmal darüber nach:

Lange Stunden in großen Sälen zu stehen (oder auch zu sitzen), ist grundsätzlich keine Aufgabe, die viel Begeisterung hervorrufen kann. Eine solche Tätigkeit führt unausweichlich zu Langeweile, schmerzenden Füßen und nachlassender Konzentration. Insofern hat es durchaus seinen Reiz, mit Besuchern oder KollegInnen zu sprechen. Eine Alternative wäre, kurzfristig Springer durchs Haus zu schicken, auf Anweisung einer Zentralstelle mit Videoüberwachung, um ad hoc auf besondere Umstände oder angeheiterte Gruppen zu reagieren. Diese Methode wirkt sich auch auf die Zahl der Angestellten aus, da weniger Aufsichtspersonal sichtbar in den Räumen anwesend sein muss.

Strikte Disziplin, engagierte Leistungsbereitschaft und stramme Haltung, die dem Artikel zufolge von der Leitung der Staatsgalerie verlangt werden, sind bei gut ausgebildeten und motivierten Aufsichten ohnehin vorhanden. Jede Museumsdirektion sucht nach einer effektiven Lösung, ebenso die MitarbeiterInnen. Wenn zu wenig Vertrauen herrscht zwischen den Aufsichten und dem Management, dann werden Vorfälle, ob verhältnismäßig harmlos oder gravierend, leicht über den eigentlichen Anlass hinaus zum Problem. Um mehr Transparenz zu erzeugen, haben wir zu meiner Stuttgarter Zeit eine verpflichtende Berichterstattung über jeden beobachteten Vorfall in den Sammlungsräumen eingeleitet. In den meisten Fällen handelte es sich um eine einfache Berührung der Werke. Daraufhin haben die Restauratoren den Fall geprüft, und zugleich wurden alle Zuständigen im Haus zeitnah per Mail benachrichtigt.

Der Artikel bedarf noch einer weiteren Korrektur. Die Schlagzeile 'Saustall Staatsgalerie' erschien nicht im Vorfeld von Dirk Riekers Amtsantritt Ende 2011, sondern im Sommer 2006, vor meiner Ankunft in Stuttgart. Damals wollte die "Bild"-Zeitung, die im übrigen immer fair über die Staatsgalerie berichtet hat, auf die Zustände im Haus nach der ersten von drei Untersuchungen des Landesrechnungshofs aufmerksam machen, die vor meiner Zeit stattgefunden hat und deren Konsequenzen meine gesamte Amtszeit begleitet haben. Damals ging es vor allem um eine Anzahl nicht genehmigter Stellen, die ich gezwungen war, abzubauen. Kein sehr glückliches Erbe: Die Aufgabe war mühsam und dauerte fünf Jahre. Parallel dazu musste ich einige dringend notwendige feste Stellen mit dem Ministerium verhandeln. Als Endpunkt dieses langwierigen Prozesses konnte ich am letzten Tag meiner Amtszeit sechs Verträge unterzeichnen, darunter eine wichtige Stelle für die digitale Erfassung der Sammlungen.

Dies erscheint alles harmlos genug, wenn man davon absieht, dass gegen Ende 2007 die Staatsanwaltschaft und die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl ins Haus kamen, um wegen Haushaltsuntreue gegen Unbekannt zu fahnden. Da aber keine unlauteren Absichten vorhanden waren, zog dies in den nächsten drei Jahren keine weiteren Folgen nach sich. Dennoch hat schon die Anschuldigung einen langen Schatten geworfen und viele KollegInnen beunruhigt.

Wenn man wie bei den Pfadfindern davon ausgeht, dass es eine gute Zielsetzung ist, etwas in besserem Zustand zu hinterlassen, als man es vorgefunden hat, dann bin ich mit meiner Leistung in Stuttgart zufrieden. Wegen der Führung des Hauses brauche ich mich nicht zu rechtfertigen und habe an dieser Stelle auch nichts weiter über die Neuerwerbungen, Sammlungspräsentationen, Renovierungen oder Ausstellungsprogramme in der Zeit von 2006 bis 2012 zu berichten.

Einige der Umstände im Artikel von Herrn Freudenreich wie eingefahrene Strukturen, unkollegiales Verhalten oder führungsresistente MitarbeiterInnen kommen mir bekannt vor, wenn auch deutlich mehr vom Beginn als vom Ende meiner Amtszeit. Solche internalisierten Verhaltensweisen brauchen manchmal Jahre, bis sie abgebaut werden können. Bei den vielen Baustellen, die es an der Staatsgalerie gab, unter anderem auch im ganz wörtlichen Sinne, konnten wir nicht alles auf einmal erledigen. Deshalb habe ich bei der Ankunft des kaufmännischen Geschäftsführers Dirk Rieker dessen Wunsch, ein Qualitätsmanagementprogramm einzuführen, unterstützt. Im Museumsbetrieb müssen wir nicht nur an die künstlerische Seite und die Publikumswirkung denken, sondern auch an die Kosten.

Der heutigen Leitung der Staatsgalerie wünsche ich nach wie vor eine glückliche Hand. Diese großartige Sammlung bleibt meines Erachtens etwas unterbelichtet und verdient nicht nur Respekt, dass es so etwas Feines gibt, sondern bei vielen StuttgarterInnen auch mehr Herzensnähe.

Im Herbst dieses Jahres streckt die Staatsgalerie mit einer Auswahl der Grafiken von Käthe Kollwitz die Hand nach Dublin aus. Diese von Tod und Kriegszeiten gezeichnete Künstlerin wird dann zum ersten Mal in Dublin ausgestellt, ein Zeichen der guten Zusammenarbeit zwischen den beiden Museen.

Info:

Sean Rainbird, geboren 1959 in Hongkong, hat in London, Freiburg und Berlin Kunstgeschichte und Germanistik studiert und war vor seiner Stuttgarter Zeit fast zwanzig Jahre lang Kurator an der Tate Gallery in London.

In Stuttgart gelang es ihm mit Hilfe des Vereins der Freunde der Staatsgalerie, die überfällige Renovierung des Altbaus in Gang zu bringen, die das Land lange verzögert hatte. Mit der notwenigen Schließung war ein spürbarer Besucherrückgang verbunden, die dem Direktor des Hauses ebenso angekreidet wurde wie sein weitgehender Verzicht auf spektakuläre Großausstellungen. Diese allerdings hielt Rainbird wegen der enorm gestiegenen Versicherungssummen ohne deutlich höheres Budget ohnehin für nicht mehr finanzierbar.

An der Tate Gallery war die Zahl der Mitarbeiter zu Rainbirds Zeit von 300 auf über 1000 gestiegen. In Stuttgart musste er Stellen einsparen. Die fünfzehn nicht genehmigten Stellen, von denen Rainbird schreibt, waren erst wenige Jahre zuvor neu geschaffen worden, weil ein Gutachten des Beratungsbüros McKinsey empfohlen hatte, mehr für Öffentlichkeitsarbeit und Museumspädagogik zu tun. Auf die Untersuchung des Rechnungshofs folgte zudem eine Haushaltssperre, und aufgrund der Schließung kamen dem Museum die Sponsoren und der Pächter des Museumscafés abhanden.

Freien Eintritt in die Sammlung wie in London konnte Rainbird nur ein halbes Jahr lang mit Hilfe eines Sponsors realisieren – und prompt stiegen die Besucherzahlen. Gegenüber der Politik hat er seine Ansichten immer deutlich vertreten, ohne strittige Punkte in die Öffentlichkeit zu tragen. 2012 verließ er Stuttgart und wurde Direktor der National Gallery in Dublin.


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2 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 10.03.2017
    Antworten
    Schützenhilfe aus Irland!

    "Wegen der Führung des Hauses brauche ich mich nicht zu rechtfertigen (hat m.E. auch niemand verlangt - Anm. des Kommentators) und habe an dieser Stelle auch nichts weiter über die Neuerwerbungen, Sammlungspräsentationen, Renovierungen oder Ausstellungsprogramme in der…
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