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Albträume in Hohenstadt

Albträume in Hohenstadt
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 Fotos: Martin Storz 

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Dem einen ist seine Wiese abgesackt. Der andere hat es amtlich, dass seine Existenz gefährdet ist. Und der Dritte fürchtet die Zeit, wenn sich die Bohrmaschine bis unter sein Gestüt durchgefressen hat. Hohenstadt liegt auf der Schwäbischen Alb und seit Anfang des Jahres am Steinbühltunnel. Das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm hat das Dorf gespalten.

Seine Wut hat Landwirt Daniel Buck auf ein Plakat gepinselt. "Existenzgrundlage zerstört, gerechte Entschädigung nicht vorgesehen", steht darauf. Und als im Juli der Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) nach Hohenstadt reiste, um den Steinbühltunnel einzuweihen, hat der Landwirt den plakativen Protest gegen die Neubautrasse auf seinen Frontlader gepackt und ihn der Festgemeinde demonstrativ vor die Nase geparkt. Heute ist Raumsauer nicht mehr Verkehrsminister, und das Plakat steht im Schuppen neben dem Trecker mit den großen Rädern, jederzeit griffbereit, wer weiß, ob er es noch mal brauchen kann.

Daniel Buck ist Vollerwerbslandwirt, er betreibt eine Biogasanlage, mit der er bald Wärme ins Dorf bringen will, und hat 900 Schweine und knapp 20 Rinder zu füttern. Die Bahnbaustelle frisst Fläche, der Tunnel, die Mannschaftsgebäude, das Betonwerk und vor allem die riesige Deponie – Fläche, die dem Schweinebauern fehlt. Ein Gutachten bestätigt, dass seine Existenz gefährdet ist. "Mir fehlen 18 Hektar für den Futteranbau", sagt der 38-Jährige. Beim Acker hört der Spaß auf.

Hohenstadt ist ein beschauliches Dorf auf der Schwäbischen Alb. Kirche, Rathaus, vier Vereine, ein Gasthof, 732 Einwohner. Dazu ein Funkturm, den die Amis hinterlassen haben und den jetzt Vodafone nutzt. Eine Wetterstation, die Deutschlands einst bekanntester Wetterfrosch Jörg Kachelmann eingerichtet hat. 1150 Jahre alt ist der Ort, darauf sind sie stolz hier. Auch auf ihr Wappentier, den Elefanten, den man auf der Albhochfläche nicht unbedingt erwarten würde. Und darauf, dass hier der höchste Punkt des Regierungsbezirks Stuttgart liegt, die europäische Wasserscheide nicht zu vergessen. In Hohenstadt leben keine Rebellen. Bei der Volksabstimmung 2011 haben sich 68 Prozent für Stuttgart 21 ausgesprochen, hier wählt man traditionellerweise christdemokratisch, und Fortschritt ist positiv besetzt, solange er weiter weg ist.

Wenn's um Geld und den Acker geht, ist Schluss mit lustig

Günter Riebort ist ein lustiger Mann. Der gebürtige Hamburger ist seit fünf Jahren Bürgermeister der kleinen Albgemeinde, auf seinem Schreibtisch stehen geschnitzte Elefanten, so leicht ist ihm der Humor nicht auszutreiben. Doch nun liegt der Gemeindechef im Clinch mit der Bahn. "Die Entschädigungsverhandlungen kommen nicht voran", sagt er und blinzelt zwischen den Bahnordnern hervor, die inzwischen Regale füllen. Die Gemeinde hat sich einen Anwalt genommen ebenso wie sieben Privatpersonen in dem 732-Seelen-Dorf an der A 8. Den Dreck und die Sprengungen, die die Scheiben zum Klirren brachten, haben sie noch hingenommen. Doch nun geht's um Ausgleichsflächen, um Pacht für Feldwege und Äcker, kurz: ums Geld. Und da ist auf der Alb Schluss mit lustig.

Seit diesem Frühjahr gräbt sich die Bahn bei Hohenstadt in die Schwäbische Alb. Der Steinbühltunnel vor der Haustür ist das Ende des Albaufstiegs. Die Bahn baut die neue Trasse, auf der die Züge mit bis zu 230 Stundenkilometer von Paris bis Bratislava brausen sollen. Das bautechnisch schwierigste Stück ist der Albaufstieg, denn im Karstgestein lauern nicht kalkulierbare Gefahren. Höhlen können den Bau verzögern, Wasserläufe sind nicht berechen- und vorhersehbar. Und nicht nur den Hohenstadter Bauern wird mulmig, wenn sie an die Röhren unter ihren Grundstücken denken. Im Frühjahr wird sich der Bohrer voraussichtlich bis an den Ortsrand durchgefressen haben. Und wenn unten gebohrt wird, muss man im Karst damit rechnen, dass die Oberfläche absackt.

Ein Anwalt vertritt acht Hohenstadter gegen die Bahn

Davon kann Bauer August Stähle wortreich und laut erzählen. Sein Aussiedlerhof liegt am Ortsende von Hohenstadt, der Steinbühltunnel fast vor seiner Haustür, und wenn dort gesprengt wurde, sind nicht nur Stähle und sein Sohn, sondern auch ihre 40 Milchkühe unruhig geworden. Und jetzt noch der abgesackte Acker. "Das müssen die zuschütten, damit ich im Frühjahr wieder mit dem Traktor arbeiten kann", sagt Stähle mit dieser lauten Stimme, die Schwerhörigkeit oft mit sich bringt. Anfangs ist der zähe 87-Jährige jeden Tag auf die Tunnel-Baustelle gepilgert und hat dort nach dem Rechten gesehen, "ist ja gleich bei mir um die Ecke". Und wenn es ihm zu laut war oder der Dreck zu viel, hat er sich auf der Baustelle beschwert. Oder er hat die Mineure am Mittagstisch in der Dorfgaststätte gestellt.

Der alte Bauer ist es gewohnt, seine Angelegenheiten selbst und direkt zu regeln, das hat er sein Leben lang so gehalten. Doch nun ist das plötzlich anders. Nun steht er in seinem blauen Overall vor seiner Scheuer, macht Holz für den Winter und schreit sich die Seele aus dem Leib, um die Säge zu übertönen. Und auch, weil er geladen ist. Dass er einen Anwalt braucht, wo er doch immer alles mit "Schwätzen" geregelt hat. Sechs Hektar hat er an die Bahn verpachtet und bis heute noch kein Geld gesehen. "Die müssen jetzt mal zahlen", schimpft er. In Hohenstadt hängt der Dorfsegen schief.

An Lärm sind sie ja gewöhnt. Die Autobahn nach München, deren Rauschen an sonnigen Tagen einen irritierenden Geräuschhintergrund liefert, sehen die Dorfbewohner als Lebensader, nicht als Belästigung. Sie bringt dem Campingplatzbesitzer Holländer und Engländer als Übernachtungsgäste, die in dem Albdorf auf halbem Weg nach Süden einen Tag Halt machen. Und den Älblern mehr Anbindung an die große Welt "unten im Tal", wie man hier sagt.

Hohenstadt ist ein gespaltenes Dorf

Doch nun geht die Angst um in Hohenstadt, die Angst vor der Bahn, die unter dem Ort durchbrausen soll. Die Angst, dass nicht nur Äcker, sondern auch Gebäude einen Knacks bekommen. Dass die Existenz gefährdet ist, wie bei Bauer Buck und dem Campingplatzbetreiber Axel Röhm, dessen Gäste nach nächtlichen Sprengungen fast aus dem Bett gefallen und früher abgereist sind. Sie alle wehren sich. Andere sind leiser, weil der Ort auch profitiert.

Denn seit sich die österreichischen Mineure in die Alb wühlen, hat sich die Anzahl der Bewohner von 732 auf 830 erhöht. Das bedeutet mehr Geld für die Gemeinde über höhere Landeszuschüsse, von der Gewerbesteuer ganz zu schweigen. Auch im Gasthof Sonne ist man eher zurückhaltend. Mittags füllen die Mineure mindestens zwei Tische, zum gemischten Braten (4 Euro 50) gibt es auf Wunsch Knödel statt Spätzle, man ist geschäftstüchtig auf der Schwäbischen Alb. Abends machen die Wirtsleute früher auf, damit die Arbeiter noch vor Schichtbeginn Zeit für ein Abendessen haben. Die Fremdenzimmer sind für die nächsten Jahre ausgebucht, und für die Ingenieure haben die österreichischen Subunternehmen ein ganzes Haus gemietet. Hohenstadt ist ein gespaltenes Dorf.

Das ist auch bei der zweiten Infoveranstaltung Ende November zu spüren. Ins Bürgerhaus über der Feuerwehr sind 80 Dorfbewohner gekommen, um sich anzuhören, was der zuständige Bahn-Projektleiter Matthias Breidenstein und seine Mitarbeiter zu erzählen haben, und um ihren Unmut loszuwerden. August Stähle hat in der ersten Reihe Platz genommen, der alte Bauer will alles genau hören. Doch er bleibt erstaunlich ruhig, wie fast alle Hohenstadter. Der Lärm bei den Sprengungen wird angesprochen, das Piepsen der Laster, wenn sie nachts rückwärts fahren, der Dreck, den sie im Dorf verloren haben, weil die Autobahnzufahrt nicht rechtzeitig fertig wurde.

Doch das ist Schnee von gestern. Heute treibt die Dörfler etwas anderes um, und das erzählen sie lieber draußen vor der Tür. "Seit Frühjahr hab ich denen Land verpachtet und noch keinen Cent gesehen", sagt der ältere Herr, der sich für die Veranstaltung herausgeputzt hat, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. In der "Sonne" ist man bei der Nachbesprechung nach einem Glas Bier weniger reserviert.

Zu Fasching in den Urlaub, falls das Haus nach unten sackt

Seine Zurückhaltung hat auch Bernd Weissinger aufgegeben. Vor wenigen Jahren hat er sich mit seiner Frau und seinen zwei Kindern einen Traum erfüllt, hat den Hof am Rand von Hohenstadt gekauft und ein Gestüt mit Araberpferden aufgebaut. Wenig später hat er von den Tunnelplänen erfahren. "Heute ist mein Hof, in den ich noch viel Geld reingesteckt habe, nichts mehr wert", sagt der 48-Jährige. Und was passiert wohl, wenn die Bahn im Frühjahr 2014 unter seinem Haus angekommen ist? Weissinger will deshalb eine Schadensabsicherung, falls sich seine Gebäude senken. Doch die Bahn antwortet nicht einmal mehr auf die Briefe seines Anwalts. Die Bohrungen kommen immer näher, und eine Einigung ist nicht in Sicht. "Am liebsten würde ich an Fasching mit der Familie nach Marokko fahren, dann kann von mir aus alles einbrechen", sagt der Neu-Hohenstadter genervt. So hat er sich seinen Traum nicht vorgestellt.

Geologen geben zu bedenken, dass die Wasserläufe im Karstgestein und an der Wasserscheide nicht berechenbar sind. Das Wasser läuft oberirdisch entweder in den Rhein oder die Donau. Doch unterirdisch sind die Wege nicht erforscht. "Die Bahn hat auf Erkundungsstollen verzichtet, obwohl das genauere Vorhersagen über den Wasserverlauf ergeben hätte", kritisiert der Geologe Ralf Laternser. Was im Zuge der Bauarbeiten aus der gemeindeeigenen Quelle wird, ist unklar. Im schlimmsten Fall kann sie versiegen. Die Bahn erklärt zu den Hohenstadter Verhältnissen nur, dass sie nichts erklären kann. "Bitte sehen Sie uns nach, dass wir uns zu Vertragsinhalten beim Erwerb von Grund und Boden in den Medien grundsätzlich nicht äußern", sagt der Sprecher des Kommunikationsbüros.

Bauer Buck ist nicht nur S-21-Gegner, sondern auch ein Pfingstlümmel. So heißen in der katholischen Gemeinde die Faschingsbesessenen, die jährlich in der fünften Jahreszeit mit ihren Umzugswagen durch den Ort ziehen. In diesem Jahr hat Pfingstlümmel Buck auf einem Wagen die Deponie F 8 auf die Schippe genommen, auf der sich bald 900 000 Kubikmeter Abraum zu einem neuen Berg entlang der A 8 türmen werden. Die Faschingslümmel haben einen Skilift drauf gebaut. Doch so heiter sind die Albbewohner nicht mehr gestimmt. Vielleicht würden sie heute anders abstimmen, wenn sie noch einmal zu S 21 gefragt würden. Auf jeden Fall lassen sie sich nicht mehr so leicht abspeisen. Sie haben schließllich den Elefanten der Grafen von Helfenstein im Wappen. Und Elefanten haben ein langes Gedächtnis.

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11 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 27.12.2013
    Antworten
    Bis jetzt weiß jeder, dass die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm für keinen einzigen Güterzug gebaut wird. Die Warentransporte werden in wenigen Jahren mehr und mehr auf die Schiene verlagert werden müssen, dafür sorgen schon die weiter steigenden Treibstoffpreise. Auch wenn Daimler den…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 6 Stunden
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