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NSU-Ausschuss blamiert die Polizei

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Verkehrte Welt: Am kommenden Montag vernimmt der NSU- Untersuchungsausschuss einen ehemaligen Verfassungsschützer, der möglicherweise Hinweise zum Heilbronner Polizistenmord geben kann. Das Landeskriminalamt in Stuttgart hätte dies bereits 2007 tun müssen.

Petra S., eine Vertrauensfrau (V-Frau) des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg, hat die öffentliche Vernehmung ihres Verbindungsführers erzwungen. Und zwar gegen den Willen des Amtes, des Landeskriminalamts (LKA) und des Innenministeriums in Stuttgart. Eigentlich hatte der Ausschuss die Beweisaufnahme vor fünf Wochen abgeschlossen.

Als Zeuge gehört wird in Berlin nun der pensionierte Verfassungsschützer Rainer Öttinger. "Öttinger" ist ein Arbeits- bzw. Tarnname. Den bürgerlichen Namen kennt Kontext. Der Mann führte die V-Frau "Krokus", die mit Klarnamen Petra S. heißt. Eingesetzt war sie im Bereich Rechtsextremismus und NPD in der Region zwischen Schwäbisch Hall und Heilbronn. Diese Eckdaten wurden über ein Jahr lang offiziell bestritten – und sind heute bestätigt. Unklar ist noch, in welchem Zeitraum Krokus tätig war, gegen wen genau sie eingesetzt wurde und welche Informationen sie lieferte.

Die Frau hält sich zurzeit in Irland auf. Sie sagt, sie habe von 2006 bis 2012 Kontakt zum LfV gehabt. Aus dem Amt wird kolportiert, sie sei von Sommer 2007 bis 2010 als Informantin tätig gewesen. Das hieße: erst nach dem Anschlag auf die beiden Polizeibeamten in Heilbronn am 25. April 2007. Krokus jedoch gibt Dinge zu Protokoll, die genau damit zu tun haben. So sagt sie, der schwer verletzte Beamte Martin Arnold, der mit einem Kopfschuss ins Klinikum Ludwigsburg eingeliefert worden war, sollte dort von einer Krankenschwester ausgespäht werden, die sich in rechtsextremen Kreisen bewegte. Diese Information habe sie, Petra S., alias Krokus, eine Woche nach dem Anschlag an Rainer Öttinger weitergegeben, den ihr zugeteilten Verfassungsschutz-Mitarbeiter.

Neue Spur beim Heilbronner Polizistenmord

Die Spur Arnold ist von Brisanz. Sie kann nicht nur bedeuten, dass sich die möglichen Täter für ihn als potenziellen Tatzeugen interessierten, sondern auch, dass Arnold ein gezielt ausgewähltes Opfer war. Der Anschlag hätte dann nicht allgemein "zwei Repräsentanten des Staates" gegolten, wie es die Bundesanwaltschaft oder der Generalstaatsanwalt von Stuttgart interpretieren, sondern den Personen Kiesewetter und Arnold. Damit läge ein anderes Motiv vor. Dazu würde der Fakt passen, dass die Mieter des Wohnmobils, das infolge der Ringfahndung nach dem Mord bei Oberstenfeld registriert worden war, mutmaßlich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die Mietdauer telefonisch verlängert hatten. Hätten sie ganz allgemein Polizeibeamte töten wollen, hätten sie das längst tun können. Jeden Tag machten Streifenpolizisten auf der Theresienwiese in Heilbronn, dem Tatort, Pause. Haben die Mörder also auf Kiesewetter und Arnold gewartet? Nach anderen Informationen von Krokus sollen sich im Sommer 2006 Beate Zschäpe in Ilshofen bei Schwäbisch Hall und Uwe Böhnhardt in Erlenbach bei Heilbronn aufgehalten haben. Jeweils bei baden-württembergischen NPD-Leuten. Das ist bisher weder bestätigt noch widerlegt.

Nach der Aufdeckung der NSU-Gruppe im November 2011 begannen Krokus/Petra S. und ihr Lebensgefährte Alexander G. in E-Mails diese Informationen zu verbreiten. Erst an Behörden, dann vermehrt an Abgeordnete in Berlin und in Stuttgart sowie an Medien. Auch Kontext liegen solche Mails vor. Weil die Behörden darauf nicht oder abwiegelnd reagierten, wurden diese Schreiben immer umfangreicher und detaillierter. Kennern wurde klar, dass die Schreiber über ein tatsächliches Wissen aus dem baden-württembergischen Staats- und Verfassungsschutz verfügen. Der Sindelfinger CDU-Abgeordnete Clemens Binninger, Obmann seiner Fraktion im Ausschuss und ausgebildeter Polizeibeamter, taxiert dieses Faktenwissen auf "über 60 Prozent".

Ende letzten Jahres forderte der Berliner Ausschuss beim Oberlandesgericht München Material aus den Prozessunterlagen an, das sich auf Alexander G. und Petra S. bezieht. Ende April 2013, eine Woche nachdem der frühere Verfassungsschutzpräsident von Baden-Württemberg, Helmut Rannacher, sowie die langjährige Chefin der Abteilung Rechtsextremismus im LfV, Bettina Neumann, in Berlin befragt worden waren, forderte der Ausschuss dann vom Land Baden-Württemberg die Akten zur Quelle Krokus/Petra S. an.

Minister Gall provoziert im NSU-Ausschuss

Noch drei Wochen später bestritt die amtierende Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, Beate Bube, bei einer Pressekonferenz zusammen mit Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD), Hinweise, in der rechten Szene sei 2007 nach dem schwer verletzten Polizeibeamten Arnold geforscht worden. Dies sei "frei erfunden". Einen Tag zuvor hatte der Ausschuss seine Beweisaufnahme für abgeschlossen erklärt. Der Auftritt von Bube und Gall konnte in Berlin nur als Provokation und Manipulationsversuch verstanden werden. Auszumalen, was sich danach hinter den Kulissen abspielte, ersparen wir uns. Jedenfalls trafen eine Woche später die Krokus-Akten schließlich doch in Berlin ein.

Am 13. Juni hörte der Ausschuss in nicht öffentlicher Sitzung Vertreter des Landeskriminalamts in Stuttgart sowie des Bundeskriminalamts an. Doch deren Antworten warfen eher Fragen auf, wie die Obleute anschließend vor der Presse erklärten. Laut Wolfgang Wieland von den Grünen hat das vom Landesamt für Verfassungsschutz die Krokus-Information, dass der verletzte Beamte Arnold im Krankenhaus in Ludwigsburg von einer rechtsorientierten Krankenschwester ausgespäht werden sollte, nicht entgegengenommen, also auch nicht verarbeitet. 

Noch schillernder ist, was Clemens Binninger mitteilte: Nach Angaben des LKA habe man versucht, die Krankenhaus-Arnold-Spur zu ermitteln. Man habe den Führer der Informantin Krokus aber nicht vernehmen können, weil man seinen Namen nicht gekannt habe. Ob "Schwarzes-Peter-Spiel" zwischen LKA und LfV oder konzertierte Aktion beider Ämter – jedenfalls ist der Verfassungsschützer Rainer Öttinger bis heute nicht vernommen worden. Das geschieht nun am 24. Juni vor dem Ausschuss das erste Mal.

Kiesewetter-Kollege Arnold hatte Glück

Martin Arnold saß rechts auf dem Beifahrersitz im Streifenwagen, als die Schüsse auf ihn und Michèle Kiesewetter abgegeben wurden. Während bei seiner Kollegin die Kugel das Gehirn durchdrang und sie noch am Tatort starb, hatte er Glück. Die Kugel drang oberhalb des rechten Ohrs ein und hinter dem Ohr wieder aus. Vermutlich rettete ihm eine Kopfbewegung nach rechts – weil er den Täter im Rückspiegel kommen sah – das Leben. Arnold wurde ins Klinikum Ludwigsburg geflogen, wo es die landesweit beste neurochirurgische Abteilung gibt.

Vor kurzem erhielt Kontext über einen Arzt in Ludwigsburg die Information, dass der Schwerverletzte nach zwei Tagen aus der Intensivstation abgeholt und weggebracht worden sein soll. Wer hat das veranlasst, warum, und wohin wurde der Patient gebracht? Das Klinikum Ludwigsburg verweist auf die Behörden. Das Innenministerium weiß zunächst nicht, ob es Stellung nehmen will. Pressesprecher Günter Loos bietet an, etwas aus dem "Back" zu erzählen, das aber nicht zitiert werden dürfte. Darauf verzichtet Kontext. Nach kurzer Rücksprache erklärt Loos, das Ministerium werde zu dem Fall keinerlei Auskunft geben. Das sei Sache des Generalbundesanwaltes (GBA), der das Verfahren führe. Dass das Innenministerium beim Thema Polizistenmord Heilbronn an den GBA weitergibt, ist neu. Die Karlsruher Behörde erklärt, aus Gründen des "Persönlichkeitsrechtsschutzes" gebe sie keine Auskünfte zur "medizinischen Behandlung" des Beamten. Zudem könnten die Verletzungen im Prozess "von Beweisbedeutung sein".

Die Frage ist, ob Arnold im Rahmen der "medizinischen Behandlung" aus dem neurochirurgisch besten Krankenhaus des Landes abgeholt wurde oder aus Sicherheitsgründen. Wurde seine Behandlung dadurch vielleicht sogar gefährdet? 

Die Ludwigsburg-Connection

Eine Krankenschwester, die sich in der rechten Szene betätigte, habe versucht, Martin Arnold im Ludwigsburger Krankenhaus auszuspähen, berichtete Petra S. ihrem Führungsbeamten Öttinger eine Woche nach dem Attentat in Heilbronn. Auf der bekannten Adressliste des NSU-Mitglieds und mutmaßlichen Mörders Uwe Mundlos, die 1998 in der Garage in Jena gefunden, aber nie ausgewertet wurde, sind mehrere Namen aus Ludwigsburg aufgelistet. Darunter eine Frau, die tatsächlich als Krankenschwester im Klinikum Ludwigsburg gearbeitet hat.

Doch auch der Berliner Untersuchungsausschuss wirft Fragen auf. Unverständlich ist, warum er nicht auch die Akten einer weiteren Quelle des Dienstes anfordert: die des V-Mannes "Erbse", Klarname: Torsten Ogertschnik. Der soll 2003 einem Mitarbeiter des Amtes geschildert haben, dass er Kontakt zu einer rechtsterroristischen Gruppierung in Ostdeutschland habe, die sich "NSU" nenne. Und er soll die Namen Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, André Kapke, Ralf Wohlleben und Daniel Peschek genannt haben. Der LfV-Mitarbeiter musste, wie er sagt, seinen Bericht damals im Amt auf Anweisung seiner Vorgesetzten vernichten. Der Mann war nicht der reguläre V-Mann-Führer von Erbse und will, als er ihn traf, nicht einmal gewusst haben, dass der eine Quelle ist oder war. Er kannte ihn nur unter dem Namen Torsten Ogertschnik. Wie lange war er Spitzel des Verfassungsschutzes? Wo wurde er eingesetzt? Was steht in den Akten? Und wer war sein V-Mann-Führer?

Der Untersuchungsausschuss ließ vom baden-württembergischen Justizministerium lediglich die Haftakten von Torsten Ogertschnik kommen. Wozu? Um zu überprüfen, ob dessen Erzählung stimmt, in der Haft Kontakt zu Leuten aus der rechtsextremen Szene in Thüringen bekommen zu haben? Und was, wenn sich das als wahr herausstellt? Das Vorgehen der Abgeordneten erscheint beliebig und vor allem inkonsequent. Warum wird nicht systematisch weiter untersucht? 

Hartfrid Wolff will Untersuchung fortsetzen

Die Abgeordneten sitzen inzwischen an ihrem Abschlussbericht. Einzig die FPD hat sich bisher deutlich für eine Fortsetzung des Gremiums nach der Bundestagswahl im September ausgesprochen. Der Fall Krokus bestätige, dass die Aufklärungsarbeit des Bundestags nicht beendet werden kann, so Hartfrid Wolff, Abgeordneter aus dem Wahlkreis Waiblingen und Obmann der FDP. Vor allem sei die ganze Dimension des NSU-Komplexes nach wie vor nicht bekannt. Einen Eiertanz vollführen die Vertreter von SPD und Grünen, Sebastian Edathy und Wolfgang Wieland, die Entscheidung sei Sache des neuen Bundestags. Auch die Linksfraktion positioniert sich so. Die CDU wiederum ist entschieden gegen die Fortsetzung des Ausschusses. Die Aufklärung sei nun Sache des Prozesses in München, sagt ihr Obmann Clemens Binninger. Er vollzieht nun, was seine Partei und seine Regierung seit Langem betrieben: die Entmachtung dieses außergewöhnlichen Geheimdienstausschusses.


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1 Kommentar verfügbar

  • im Universum nebenan ist noch Platz
    am 22.06.2013
    Antworten
    "...dass der Schwerverletzte nach zwei Tagen aus der Intensivstation abgeholt und weggebracht worden sein soll.
    Wer hat das veranlasst, warum, und wohin wurde der Patient gebracht?"
    Ein nachvollziehbarer Grund wäre, wenn man Hinweise auf neugierige Neonazis ernst genommen hat und kein Risiko…
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