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Voll auf Energiewende

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Im Ostwürttemberg ist die Energiewende-Welt schon ziemlich in Ordnung. Während die Große Koalition Solar, Windkraft und Biogas ausbremsen will, stehen die Region und das benachbarte bayerische Donau-Ries wie kaum eine andere Gegend in Deutschland unter erneuerbarem Strom.

Die Energiewende lebt. Und wie. Sie fällt jedem Besucher der Gegend dies- und jenseits der Autobahn 7 fast unübersehbar ins Auge. Sei es als bläulich schimmernde Solarpaneele auf vielen Dächern von schmucken Einfamilienhäusern, nüchternen Industrie- und Bürokomplexen, Lagerhallen, Kasernen oder landwirtschaftlichen Scheunen und Ställen. Weiter abseits der Städte und Ortschaften sind es auf den rauhen Ostalbhöhen immer mehr Windräder, die dafür stehen, dass sich in dieser Region etwas in Richtung Zukunft bewegt. In die Zukunft einer klimaverträglichen und sauberen Stromversorgung, die auf erneuerbaren Energien fußt. "Rund 25 000 Anlagen, die aus Sonne, Biomasse und Wind Strom machen, gibt es hier bereits", vermeldet stolz die EnBW ODR, die ihren Sitz in Ellwangen hat. Der örtliche Versorger, der dem landeseigenen Energieriesen EnBW gehört, erwartet, dass bis zum Jahresende weitere 1500, wenn es gut läuft, sogar 2500 erneuerbare Energieanlagen im Vertriebsgebiet ans Netz gegangen sein werden.

Auch die Statistik spricht dafür, dass die im Jahr 2010 von der deutschen Bundesregierung ausgerufene Energiewende, weg von Kohle und Atom hin zu Erneuerbaren, im Osten von Württemberg in vollem Gange ist. Bereits an 125 Tagen im Jahr wird im Dreieck zwischen Stuttgart, Ulm und Nürnberg durch Solar-, Wind- und Bioenergieanlagen mehr Strom produziert als verbraucht. Tendenz weiter steigend. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 990 Millionen Kilowattstunden Ökostrom in die Nieder- und Mittelspannungsleitungen der Netzgesellschaft Ostwürttemberg (NGO) eingespeist. Diese Menge entspricht in etwa dem Jahresbedarf aller 220 000 Haushalte, die der örtliche Stromversorger EnBW ODR als Kunden zählt. Längst ist Ökostrom "made in Ostwürttemberg" ein Exportschlager. An wind- und sonnenreichen Tagen wird sauberer Überschussstrom, für den es vor Ort keine Abnahme gibt, in die Großräume Stuttgart und Nürnberg weitergeleitet. Für die Besitzer der dezentralen Kraftwerke lohnt sich die Energiewende. Die NGO zahlte Ökostromproduzenten im vergangenen Jahr rund 275 Millionen Euro Einspeisevergütung.

Seit genau 100 Jahren erst gibt es im Osten Baden-Württembergs Strom. 1912 läutete die Berliner Bergmann Elektrizitätsunternehmungen AG mit einem Kohlekraftwerk in Ellwangen den Siegeszug der Elektrizität ein. Zu Beginn des Stromzeitalters existierten in der damals noch sehr ländlichen Gegend viele kleine Netzinseln, die mit elektrischer Energie aus örtlichen Kraftwerken versorgt wurden. Wie in ganz Deutschland änderte sich im Laufe der Zeit die Versorgungsstruktur hin zu einem flächendeckenden Netz mit größeren, zentralen Kraftwerkseinheiten. Heute dreht sich das Rad der Stromversorgung in Ostwürttemberf wieder zurück, wenn auch in eine moderne Energiewelt.

"Die von der Politik beschlossene Energiewende ist vernünftig"

"Strom wird durch die Energiewende erneut dezentral erzeugt, aber diesmal mit vielen Tausenden Erzeugungsanlagen", erläutert Frank Hose, Vorstand der EnBW ODR. Mit diesem Wandel verändern sich auch die Besitzverhältnisse im Kraftwerksbereich grundlegend. Nicht mehr nur der Energieriese EnBW produziert im Osten des Landes Strom. Viele Privatpersonen, Firmen und Kommunen wie auch Bürger-Energiegenossenschaften betreiben zwischen Aalen, Ellwangen und Nördlingen Photovoltaik-, Windkraft- und Biomasseanlagen.

ODR-Vorstand Frank Hose begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich. "Die von der Politik beschlossene Energiewende ist vernünftig, sie schont fossile Ressourcen, trägt zum Klimaschutz bei und schafft den zukünftigen Generationen eine Basis für eine sichere, umweltschonende und bezahlbare Energieversorgung aus heimischen Quellen", sagt der Manager. "Damit die Energiewende gelingt, muss jeder seinen Beitrag leisten. Von daher ist es nur logisch, die Bürger möglichst direkt an der Energieversorgung zu beteiligen." Die ODR plane deshalb auch Beteiligungsmodelle für Bürger, Kommunen und Stadtwerke. Ziel der Zusammenarbeit sei, neue Windparks in der Region zu errichten. "Und damit unsere eigene Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auszubauen", bekräftigt der Vorstand.

Es ist kein einfacher Weg. Fast 100 Jahre hätten die örtlichen Stromnetzbetreiber ihre Netze ausschließlich auf den Strombezug aus zentralen Kraftwerken ausrichten müssen. Das Netz sei mit neuen Abnehmern in neuen Wohn- und Gewerbegebieten quasi evolutionär gewachsen. "Was derzeit passiert, ist schon so etwas wie eine Revolution", sagt Hose, "wir haben immer mehr Gegenverkehr im Netz, weil Strom gleichzeitig eingespeist und abgenommen wird." Zudem zeichne sich die örtliche Einspeisung von Solarstrom durch einen hohen Gleichzeitigkeitsfaktor aus: "Wenn die Sonne scheint, dann scheint sie in unserem Gebiet fast überall", schildert er das Phänomen. Extreme Stromerzeugungsspitzen sind die Folge.

"Die große Herausforderung ist nicht die Veränderung an sich, sondern deren hohe Geschwindigkeit", sagt der Manager. Jede neue Solaranlage, jedes neue Windrad muss im Netz untergebracht werden, salopp gesagt. "Es erfordert einen extremen Netzaus- und Netzzubau auf allen Spannungsebenen, intelligente Kommunikations- und Steuertechniken sowie dezentrale Stromspeicher. Und das zu entwickeln und umzusetzen braucht eben eine gewisse Zeit", erklärt Hose. Bis 2020 will die ODR allein für die Integration der erneuerbaren Energien rund 100 Millionen Euro in ihr Stromnetz investieren.

Flexibles Netzmanagement heißt dabei das Zauberwort. Ein wichtiger Baustein dafür sind Speichertechnologien, um Stromspitzen und Erzeugungsflauten zu puffern. In einem kleiner Weiler bei Ellwangen hat die EnBW ODR gemeinsam mit den Batteriehersteller Varta Storage, einem Unternehmen der Varta Micro Gruppe, den "Spitzenspeicher Nr. 1" realisiert. Der Ortsnetzspeicher ist kleiner als eine Garage und hat eine Kapazität von 63 Kilowattstunden, um Überschussstrom der Region zwischen zu speichern und später wieder abzugeben. Der Speicher ist groß genug, um den Strombedarf von etwa 20 Einfamilienhäusern über Nacht zu decken.

Strom vom Versorger kostet doppelt so viel wie Strom vom eigenen Dach

Was im Großen funktioniert, geht auch im Kleinen. "Ohne technische Hilfsmittel können Solaranlagenbetreiber bereits etwa ein Drittel ihres Sonnenstroms selbst verbrauchen. Mit einem eigenen Stromspeicher im Keller oder Hauswirtschaftraum ist mehr als eine Verdoppelung des Eigenverbrauchs möglich", erklärt Herbert Schrein, Vorstandsvorsitzender der Varta-Micro-Gruppe. Vor allem für Besitzer neuerer PV-Anlagen mit niedrigeren Vergütungssätzen lohnt sich diese Strategie. Denn Strom vom Energieversorger kostet sie mitunter doppelt so viel wie Solarstrom vom eigenen Dach.

Mit einem Stromspeicher werden Solarstromer unabhängiger von steigenden Strompreisen. Zudem sorgen sie für eine höhere Netzstabilität. Deshalb fördert der Staat auch Solarstromspeicher. Die staatliche KfW-Förderbank gewährt einen zinsgünstigen Kredit für die Anschaffung eines Kombisystems aus Photovoltaik-Anlage und Solarstromspeicher oder für die Nachrüstung einer vorhandenen PV-Anlage mit einem Speichersystem. Der Staat übernimmt dabei einen Teil des Kredits: Bis zu 30 Prozent der Kosten eines Speichers werden bezuschusst. Wichtige Voraussetzung: Die Förderung muss vor der Beauftragung der Speicherinstallation bewilligt werden.

Gegen den Umbau der Energieversorgung gibt es spätestens seit der Bundestagswahl massiven Widerstand. Die großen Energiekonzerne wehren sich gegen die "Umverteilung" der Stromerzeugung hin zu dezentralen Kraftwerken in der Hand von Bürgern und Stadtwerken. Als Gehilfin vor allem der beiden größten deutschen Energiekonzerne, der Düsseldorfer EON und der Essener RWE, haben sich ausgerechnet Hannelore Kraft, Nordrhein-Westfalens SPD-Ministerpräsidentin, sowie Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) geoutet. In den Koalitionsvertrag haben sie energiepolitische Vorstellungen aufgenommen, die, sollten sie tatsächlich vom Bundestag beschlossen werden, die Energiewende zum Erliegen bringen würden. Eine Große Koalition in Berlin favorisiert offenbar alte Stromerzeugungstechnologien wie die Braun- und Steinkohleverstromung, was selbst die erfolgreichen Energiewender in Ostwürttemberg und im angrenzenden Donau-Ries pessimistisch stimmt.

 

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1 Kommentar verfügbar

  • Jogi
    am 27.11.2013
    Antworten
    Es scheint ja die wenigsten in der deutschen Bevölkerung zu interessieren wie es zu Stande kommt das wir die Bevölkerung u.a. von den großen Energiekonzernen ausgebeutet werden (Monopolstellung/Preise diktieren/Subventionen). In anderen Bereichen wie der Medizin (Pharmakonzerne), dem Öffentlichen…
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