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NS-Profiteure

Das Schweigen im Hause Breitling

NS-Profiteure: Das Schweigen im Hause Breitling
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Der traditionsreiche Herrenausstatter Breitling am Stuttgarter Marktplatz schließt. Das Haus wird zum Tourismus-Tempel umgebaut. In der Euphorie darüber scheint aus dem Blick zu geraten, dass Otto Breitling, Stammvater der Firma, Profiteur des NS-Regimes war.

Veronika Kienzle gehört zu den wenigen, die die Erinnerung an die dunklen Seiten der Geschichte des Marktplatzes wachhalten wollen. Die Bezirksvorsteherin hat sich dafür stark gemacht, dass neben Glanz und Glitter im künftigen Haus des Tourismus auch andere Themen vorkommen. Sie hat die Idee eines "kleinen Bürgerrathauses neben dem großen" gehabt, Räume für die Bürgerstiftung und für MigrantInnen vorgeschlagen. Vergeblich. "Dabei gehören Internationalität und Gastfreundschaft auch zum Markenzeichen Stuttgarts", betont Kienzle.

Die Politikerin, die für die Grünen in den OB-Wahlkampf zog, ist von ihrer eigenen Partei enttäuscht. Denn auch diese hat für das Konzept des Stuttgarter Cheftouristikers Armin Dellnitz gestimmt. Nicht nur i-Punkt und Büros sollen am Marktplatz 2 unterkommen, sondern auch Gastronomie und Markenbotschafter von Daimler bis Ritter.

Der Mietvertrag ist auf 30 Jahre angelegt, die Stadt hat sich dazu ein Vorkaufsrecht gesichert. Den Besitzern hätte nichts Besseres passieren können. Die Stadt investiert immerhin 9,5 Millionen Euro in die Sanierung des Baus, eine Million gibt die Familie Breitling für die Asbest-Sanierung dazu.

Zumindest im Bezirksbeirat Mitte gab es kritische Nachfragen. Kienzle versteht, dass die Stadt sich das Mietrecht in der zentralen Lage gesichert hat. Die Bezirksvorsteherin ist jedoch enttäuscht, dass der Vorschlag des Bezirksbeirats, 30 Prozent der Fläche für gesellschaftlich-kulturelle Zwecke zu reservieren, weder von der Stadtverwaltung noch vom Gemeinderat ernsthaft erwogen wurde. "Armin Dellnitz hat das nicht gewollt", sagt Kienzle. Dieser argumentiert, dass sich sein Konzept dann nicht mehr rechnen würde.

Otto Breitling hat von der Judenverfolgung profitiert

Kienzle hält es für wichtig, dass auch die dunklen Seiten der Geschichte des Orts nicht in Vergessenheit geraten. Sie hat daran erinnert, "dass ungefähr an der Stelle des heutigen Gebäudes der Familie Breitling einst das Herrenhaus am Marktplatz stand". Darin habe es eine Zelle gegeben, in der Joseph Süß Oppenheimer am 31. Januar 1738 das Todesurteil eröffnet wurde, das Kienzle als "schändliches Verdikt" verurteilt.

Denn nachdem der württembergische Herzog Karl Alexander plötzlich verstorben war, rächten sich dessen Feinde an seinem jüdischen Günstling. Diesem wurden alle möglichen Schandtaten vom Hochverrat bis zur "Schändung der protestantischen Religion" vorgeworfen. Nachdem ihm der Prozess gemacht worden war, wurde Oppenheimer am 4. Februar 1738 vor Tausenden von Schaulustigen gehängt.

Die Geschichte wirkt bis in die Nazi-Zeit. Für die Nationalsozialisten war diese eine willkommene Vorlage für ihre antisemitische Hetze. Im Propagandafilm "Jud Süß" wird Oppenheimer als Hauptfigur zum Zerrbild verfälscht. Von der Judenverfolgung der Nazis hat der 1898 in Magstadt geborene Herrenschneider Otto Breitling erheblich profitiert. Seine Geschichte hat der Historiker Martin Ulmer im Buch "Stuttgarter NS-Täter" dargestellt. Breitling profitierte von den "Arisierungen", bei denen die Juden gezwungen wurden, ihre Geschäfte unter Wert zu verkaufen. Breitling musste zwar nach dem Krieg eine Entschädigung bezahlen, kam aber 1949 als Mitläufer davon. Sein Vermögen unterlag noch bis 1950 der Kontrolle der Behörden. Otto Breitling starb 1974.

Herrenausstatter Levy musste unter Wert verkaufen

1925 hatte er eine Zuschneiderei in der Stuttgarter Traubenstraße gegründet, aus der bis 1930 ein Herrenkonfektionsunternehmen wurde. Er unterstützte die aufstrebenden Nationalsozialisten. 1931 trat er in deren Partei, die NSDAP, ein. Nachdem Breitling gegen Ende der Weimarer Republik den NS-Kurier mit seinem Privatvermögen gerettet hatte, erhielt er das Recht, bis 1933 darin kostenlose Anzeigen zu schalten.

Breitling war nun auf stetigem Expansionskurs. 1932 hatte die Firma noch 50 Mitarbeiter, 1938 schon 70. Er war nicht nur ins Geschäft mit Uniformen eingestiegen, sondern konnte seine Firma durch Übernahme jüdischer Geschäfte deutlich vergrößern. Ihm gelang damit der Sprung auf den Marktplatz. 1938 hatte er weit unter Wert das Konfektionshaus am Markt vom jüdischen Herrenausstatter Josef Levy übernommen. Wegen des Boykotts jüdischer Geschäfte hatte Levy keine Einnahmen mehr. Er konnte noch mit Frau und Tochter in die USA fliehen.

Aus alten Steuerakten geht die Beteiligung Breitlings an zwei weiteren ehemaligen jüdischen Geschäften hervor. Das Stuttgarter Bekleidungsgeschäft Glass und Wels hätte er auch noch gern gehabt, musste es jedoch trotz seiner guten Kontakte zu den NS-Größen zähneknirschend den finanzkräftigeren Partnern Knagge und Peitz überlassen. Otto Breitling wurde als Nutznießer der Arisierungen zu einer hohen Geldstrafe, zur politischen Bewährung und zu 30 Tagen Sonderarbeit verurteilt, schreibt Martin Ulmer, der nicht unerwähnt lässt, dass im Spruchkammerverfahren auch Entlastendes zugunsten von Breitling genannt wurde.

Plötzlich fehlt der Name Otto auf der Firmenhomepage

Kurz nach der Veröffentlichung von Ulmers Artikel vor mehr als zehn Jahren verschwindet der Name Otto Breitling von der Homepage des Herrenausstatters. Bis dahin war über die Firmengeschichte zu lesen, dass "1925 Anna und Otto Breitling den Grundstein für das heutige Unternehmen legten: Sie gründeten in der Traubenstraße eine kleine Herrenschneiderei". Später sei die Herrenkonfektion hinzugekommen, um sich dann 1937 ausschließlich darauf zu spezialisieren, heißt es.

Stattdessen ist nun dort zu lesen, dass am 1. Oktober 1949 Anna und Hans Breitling die Breitling & Co OHG in der Marktstraße 2 gemeinsam mit Willy Merz neu gründeten. Letzterer schied 1953 zugunsten von Erich Breitling aus, dem Sohn von Anna und Otto Breitling. Diesem waren 1949 noch alle unternehmerischen Aktivitäten untersagt. Sein Name taucht deshalb in der Firmengeschichte an dieser Stelle nicht auf. Was er mit seinem verbliebenen Vermögen gemacht hat, das er mit seiner Firma erworben hat, darüber ist nichts zu erfahren.

Geschäftsführerin Mirella Breitling legt Wert auf die Feststellung, dass der Firmensitz in der Marktstraße 2 nicht von jüdischen Besitzern gekauft wurde. "Vor 71 Jahren haben meine Großmutter Anna und zwei Teilhaber das Textilgeschäft neu gegründet", erklärt sie auf Anfrage. Die Firma war zunächst im Haus Marktstraße 2 in Miete.

Erst in den 1980er-Jahren hat Mirellas Vater Erich das Haus von der Caritas gekauft, nachdem sich das Modehaus Breitling erheblich vergrößern konnte. Darauf, dass Otto Breitling viel enger verbandelt war mit der Neugründung als in den Firmenannalen dargestellt, deuten Einträge in Stuttgarter Adressbüchern aus den 1950er-Jahren hin. Dort findet man den Herrenschneider Otto Breitling mit dem Haus der guten Konfektion in der Marktstraße 2 als Eintrag.

Veronika Kienzle bedauert, dass von der leidvollen jüdischen Geschichte am Marktplatz, die Otto Breitling ausgenutzt und durch die er gute Gewinne erwirtschaftet hat, in der Euphorie über den neuen Tourismustempel nicht mehr die Rede ist.


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