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Franz Untersteller, Umweltminister

"Wir waren brutal fleißig"

Franz Untersteller, Umweltminister: "Wir waren brutal fleißig"
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Seine Diplomarbeit hat er zum Atomkraft-Protest in Wyhl geschrieben und in seiner Amtszeit als Minister wurden drei Kernkraftwerke stillgelegt: Franz Untersteller (Grüne) ist als alter Umweltaktivist an die Spitze einer Institution marschiert. Im Gespräch blickt er zurück auf bewegte Jahre.

Herr Untersteller, wissen Sie noch, wie Sie das erste Mal als Mitarbeiter der Grünen in den Landtag gegangen sind?

In etwa ja, das war 1983, in dem Eingangsbereich unten links hatten wir drei kleine Büroräume. Ich wollte als Vertretung ein paar Monate bleiben. Ich kann mich natürlich an die sechs Abgeordneten erinnern, darunter Winfried Kretschmann, und an die Handvoll Mitarbeiter. Damals gab es auch schon Besuchergruppen, und ich weiß noch, wie Leute immer ums Eck geguckt haben, mit fragenden Blicken: Sind das da Grüne, diese Vögel, die jetzt neu im Landtag sind?

In einem dieser drei Büros hing der berühmte Spruch "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt". Können Sie sich noch an das Lebensgefühl erinnern, daran, wie Sie alles möglichst schnell möglichst viel besser machen wollten?

Klar, die Anti-AKW-Bewegung war auf dem Höhepunkt. Wyhl war gerade verhindert worden, Wackersdorf und der Schnelle Brüter waren noch in der Diskussion, Gorleben ebenfalls. Wir haben gedacht, wir bekommen das alles abgewendet, weil Umweltschutz jetzt endlich Thema wird. Wir waren, das muss man einfach mal sagen, brutal fleißig und kreativ und überhaupt nicht verbiestert, wie es immer wieder geheißen hat. Sondern diese Zeit hat mir ungeheuer viel Spaß gemacht. Und wir waren nicht auf Krawall gebürstet. Der Protest gegen Gorleben oder die Startbahn West, das hat schon dazugehört, aber wir haben von Anfang an eine konstruktive Rolle eingenommen mit dem Anspruch, selber Vorschläge zu machen, wie die Welt ein Stückchen besser werden könnte in diesem Baden-Württemberg. 

Was hat der Franz Untersteller von damals mit dem Franz Untersteller von heute zu tun?

Ziemlich viel. Sagen wir mal so, ich bin meinen Themen treu geblieben.

Mit Erfolg?

Natürlich. Mein Glaube war zwar, dass alles viel schneller geht, aber da haben wir uns geirrt, schon zu Oppositionszeiten und dann auch in der Regierung. Auf der Ebene eines Landes können nur wenige Weichen grundsätzlich gestellt werden, vieles regeln der Bund und Europa. Aber vom Grundsatz her, von dem her, was wir uns vorgenommen haben, stimmt die Richtung – damals wie heute. Nehmen wir mal das Thema Atomausstieg. Ich kam 2011 ins Amt, wenige Monate vorher war Fukushima und wenige Monate danach die große Entscheidung in Bundestag und Bundesrat, endgültig aus der Atomkraft auszusteigen. Das ist ein Glücksfall für jemanden mit meiner Herkunft. Ich habe meine Diplomarbeit zu Wyhl geschrieben, bin ins Ökoinstitut, damals der wissenschaftliche Thinktank der Anti-AKW Bewegung, dann als Mitarbeiter in die Fraktion, 2006 als Abgeordneter in den Landtag, dann Minister. In meiner Amtszeit wurden drei Kernkraftwerke stillgelegt im Land. Wenn das keine Bestätigung für das ist, was wir jetzt seit mehr als 40 Jahren machen, dann weiß ich auch nicht.

War es Ihr Ziel, Umweltminister zu werden?

Das war doch zuerst einmal überhaupt nicht realistisch, und wir haben ja auch bewiesen, dass aus der Opposition heraus einiges zu erreichen ist. 2011 war der Reiz dann groß und Umweltminister ist perfekt.

Kultusminister?

Um Gottes Willen. Da wäre ich völlig falsch am Platz.

Finanzminister?

Nicht jetzt alle Ressorts durchfragen. Ich sage freiwillig klar und deutlich, was ich mir auch gut hätte vorstellen können: an der Spitze eines Wirtschaftsministeriums zu stehen. Da kann man sehr viel machen. Ich habe in den vergangenen neun Jahren hier im Haus sehr viel mit Wirtschaft, nicht nur mit Energiewirtschaft zu tun gehabt. Da gibt es so viele Themen hochzufahren. Wie kriegt man den Klimaschutz vorangebracht, konkret alle Fragen der Ressourceneffizienz, der Materialeffizienz, die vielen Möglichkeiten umzusteuern in Richtung nachhaltiges Wachsum – das wäre wirklich auch mein Ding. Davon verstehe ich etwas. Und es hat mir immer Spaß gemacht, auch als Minister, fachlich im Detail zu diskutieren, gerade mit den eigenen Fachabteilungen. Die überzeugen mich, oder manchmal überzeuge ich auch sie. So stelle ich mir die Arbeit vor, und das würde auch in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft gut funktionieren.

Und doch ist so viel grünes Stückwerk geblieben.

In einer Industriegesellschaft sind die Dinge eben hochkomplex. Es wird an allen Ecken und Enden gezerrt, Interessen spielen dann eine große Rolle. Jetzt in der Pandemie sehen wir, wie manches fürchterlich schnell und brutal schnell geht, wenn es drauf ankommt. Wir sind in einer Krise und lernen in der Krise. Und diese Dringlichkeit, die bei Covid 19 greift, das würde ich mir wünschen, die müssten wir auch auf die Klimaproblematik übertragen oder auf den dramatischen Artenrückgang. Wir haben Fridays for Future schließlich daheim am Küchentisch sitzen: Unsere Enkel sind 16 Monate alt, die werden vermutlich 2100 erleben. Das spornt auch an, alles daran zu setzen, dass sie in einer mindestens so guten Welt leben wie wir heute. Alle Eltern, alle Großeltern müssten doch schon allein aus Eigeninteresse auch die Interessen der nächsten und übernächsten Generation mitdenken.

Warum tun sie’s nicht?

Immer mehr tun es ja, nicht alle, immer noch nicht genug, aber immer mehr. Ich würde mir auch wünschen, dass Fridays for Future einen etwas dífferenzierteren Blick auf die Dinge entwickelt. Es gibt viele, die versuchen, die Zukunft der Jugend gerade nicht zu verraten.

Auch aus einem Land heraus mit den knappen Kompetenzen?

Nehmen wir das neue baden-württembergische Klimaschutzgesetz. Ich hätte mir nie träumen lassen – und das steht auch gar nicht im Koalitionsvertrag mit der CDU –, dass es uns gelingt, eine Photovoltaik-Pflicht auf Nicht-Wohngebäuden einzuführen. Und wir verpflichten die hundert größten Städte im Land, erstmals eine Wärmeplanung vorzunehmen. Da wohnen immerhin 5,5 Millionen Menschen. Und das tun wir zeitgleich mit der Einführung des CO2-Preises für den Wärme- und Verkehrssektor, der ab dem 1. Januar 2021 in Deutschland greift. Dieser Preis steigt in den nächsten Jahren an, was dazu führt, dass es sich wirtschaftlich immer mehr lohnt, kommunale Wärmepläne zu erstellen und umzusetzen. Das Beispiel zeigt, wir können auf Landesebene Vorlagen aus Europa oder vom Bund nutzen, um Effekte zu verstärken. Das bekämen wir sonst auch mit zig Millionen Förderung nicht gestemmt. Es gibt immer wieder Hebel für uns – die müssen wir klug nutzen.

Sind Sie Optimist?

Wenn du kein Optimist bist, brauchst du nicht in die Politik zu gehen. Da kommt man mit Pessimismus schon allein deshalb nicht weit, weil man ohne Optimismus nicht durchhalten kann. Da komme ich noch mal auf Gorleben und den radioaktiven Müll, den wir in Jahrzehnten angesammelt haben. Wer hätte so viele Jahre lang gedacht, dass der Konflikt zu befrieden ist. Das ist verrückt, dass eine grüngeführte baden-württembergische Landesregierung kommen musste. Und jetzt haben wir elf grüne Umweltminister, die alle gegen die Atomenergienutzung gekämpft haben und den Dreck der anderen wegräumen. Das ist doch sehr beachtlich. Was einen manchmal mutlos machen kann, ist, dass solche so wichtigen Themen nicht mehr richtig durchdringen. Ich will jetzt nicht zur Medienschelte ansetzen. Aber Pipifax bringt zu viel Aufmerksamkeit.

Zum Beispiel?

Der Wolf und das Verbot von toten Schottergärten. Natürlich ist die Welt komplex, aber dem kann ich doch nicht begegnen, indem ich nur noch auf Symbolthemen setze. Ich nenne mal als drittes Beispiel das Geld für den Hochwasserschutz. Das ist der größte Einzelposten im Umweltministerium, und ich musste in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder darum kämpfen. Dann haben wir die ganze Finanzierung umgestellt. Jetzt gehen die Einnahmen aus dem Wasserentnahmegeld ans Umweltministerium. Und wir machen landesweite Gewässerrenaturierung an zig Orten im Land an der Brenz, an der Murr, an der Brigach, an der Breg, in Tübingen an der Ammer und ich weiß nicht, wo noch überall. Denn jetzt ist stabil und unabhängig von der Haushaltslage Geld da, der Hochwasserschutz und die ökologische Gewässerrenaturierung sind über Jahre finanziert. Das ist nicht unwichtig im Klimawandel. In der Öffentlichkeit ist das aber praktisch nicht wahrgenommen worden. Das Verbot der Schottergärten dagegen schon. Wir leben in einer Mediengesellschaft, in der ein ganz kleiner Mosaikstein wie dieses als Verbot herausgenommen und zum großen Aufreger wird. Dabei gehen aber entscheidende Weichenstellungen unter. Ich komme damit schon zurecht, aber den Herausforderungen, in deren Bewältigung wir schon mittendrin sind, wird das nicht gerecht.


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3 Kommentare verfügbar

  • A. Tropaios
    am 26.11.2020
    Antworten
    „Dann haben wir die ganze Finanzierung umgestellt. Jetzt gehen die Einnahmen aus dem Wasserentnahmegeld ans Umweltministerium. Und wir machen landesweite Gewässerrenaturierung an zig Orten im Land an der Brenz, an der Murr, an der Brigach, an der Breg, in Tübingen an der Ammer und ich weiß nicht, wo…
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