Mittwoch, 25. August 2010, etwa 15 Uhr 30. Auf der Kreuzung Heilbronner-/Kriegsbergstraße steht ein nicht allzu rebellisch aussehender Mittfünziger, schaut sich um. "Ich bin noch nie in meinem Leben auf dieser Kreuzung gestanden, aber es fühlt sich gut an." Er ist nicht allein. Neben ihm stehen und sitzen noch einige hundert andere, Teenager, Eltern mit Kindern, Rentner, auch ein älterer Herr mit Rollator. In ganz Stuttgart sind es Tausende, vielleicht Zehntausende.
Dieser 25. August ist ein Tag, wie ihn Stuttgart noch nicht erlebt hat, es ist der "Tag X". So nennt die Initiative der Parkschützer schon seit Monaten den Tag, an dem Abriss- oder Baumfällarbeiten für Stuttgart 21 beginnen, auf die mit zivilem Ungehorsam reagiert werden soll. Und die Mobilisierung gelingt beeindruckend: Wenige Minuten, nachdem ein Abrissbagger um 14 Uhr 25 angefangen hat, sich in den Nordflügel des denkmalgeschützten Bonatzbaus zu fressen, geht per SMS ein Alarm an all jene raus, die sich auf der Parkschützer-Homepager registriert haben.
Kurz danach schon ist die Kreuzung Heilbronner-/Kriegsbergstraße am Hauptbahnhof blockiert, ebenso alle anderen wichtigen in der Innenstadt. Der Verkehr ist komplett zum Erliegen gekommen, die Stuttgarter Innenstadt autofrei. Die Blockierenden sind wütend und traurig, aber auch entschlossen, so schnell nicht zu weichen. Und so unternimmt die Polizei auch bis spät in die Nacht keinerlei Räumungsversuche.
So groß der Zorn ist, es bleibt friedlich. Wer will, kann entspannt über die Klett’schen Stadtautobahnen schlendern und dabei unter anderem feststellen, wie anders viele Teile der Stadt doch plötzlich ohne Autos aus der Straßenperspektive aussehen.
"Democracy is a little bit difficult"
Eher nicht die der Straße ist die Perspektive von OB Schuster, der an diesem Tag im von Polizei gesicherten Innenhof des Alten Schlosses das Weindorf eröffnet. Er spricht zu den "lieben Freunden des Weins und der schwäbischen Gemütlichkeit", während die Freunde der schwäbischen Renitenz von draußen lautstark "Lügenpack" und "Schuster raus" hereinrufen. Dann Schuster so emotional, wie man ihn noch nie gesehen hat, er schwingt die rechte Faust, ruft trotzig, mit sich fast überschlagender Stimme: "Wir lassen uns unser Weindorf nicht vermiesen! Das Stuttgarter Weindorf bleibt das schönste in Deutschland!"
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