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Kopfkrieg

Kopfkrieg
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Vor fast 40 Jahren hat unser Autor einen Text über seine Besuche bei der extremen Rechten der Achtzigerjahre geschrieben. Die Parallelen zu heute sind so erstaunlich wie besorgniserregend.

Dieser Artikel ist im April 1982 in der Zeitschrift "Ästhetik und Kommunikation" erschienen.
 

"Und einer der Gründe für diese (... deutsche ...) Unerbittlichkeit ist, daß die wirklichen Energien der Arbeitskraft in Deutschland nie den eigenen ihnen adäquaten Gegenstand haben, sondern immer einen Gegenstand, der sich ihnen wie eine Art Gummiwand entzieht und dadurch die Maßlosigkeit dieser Energien auch herausfordert, die sich dann feste Wände, den Kampfgegner, notfalls fingieren. Da es aber kein Gegner ist, mit dem sich ein gemeinsames Problemlösungsverhalten herstellen läßt, ist die Energie praktisch auf die Vernichtung des Gegners und des Gegenstandes gerichtet, trifft dann aber immer auch etwas von mir selbst und auf etwas, das der Gegner gar nicht war." (Alexander Kluge, Die Patriotin)

In Weinheim an der Bergstraße demonstrieren wenig mehr als hundert Jugendliche gegen die Durchführung eines rechtsradikalen Kongresses, der das Motto hat: "Die Deutschen und die nationale Identität". Tagungsredner Bernhard Barkholdt an die Adresse der Demonstranten: "Wo das Borstenvieh am fettesten, ist der Metzger am nächsten. " In Goslar, einer Stadt, so der Fremdenverkehrsprospekt, "nahe der Zonengrenze" und erfüllt "von der Sehnsucht nach der Romantik früherer Zeiten", fordert ein Diskussionsredner bei der Jahrestagung der "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" die "Umsetzung des finalen Wissens in finales Handeln".

Der erste Angriff zielt auf die Gedanken

Bevor der Gegner meinen Körper angreift, zielt er auf meine Gedanken – das heißt, ich fühle mich angepeilt. Denken als Probehandeln, strategische Kopfspiele für den Ernstfall. Was also mache ich, wenn die Rechten, die Rassisten oder auch Neonazis sich anschicken, hier die Macht zu übernehmen. Nein, nicht unbedingt über einen Putsch, sondern durchaus demokratisch, wie heißt es so schön: über die Veränderung der normativen Orientierungen im Alltagsleben.

Gespeicherte Fakten, Ausschnitte, Beispiele: Gerhard Mayer-Vorfelder, Kultusminister in Baden-Württemberg, will, daß die Jugend wieder "zur Liebe zum Volk, Vaterland und Heimat" erzogen wird. Norbert Blüm spricht von den "gottgewollten Unterschieden zwischen Mann und Frau", die Mutterschaft soll gesellschaftlich höher bewertet werden. In München hat eine Ärztin ein Neugeborenes getötet, wegen "erwiesener Nichtlebensfähigkeit". Franz-Josef Strauß bekam bei der letzten Bundestagswahl doch immerhin 47 Prozent. Mein Kopf arbeitet.

Die Sozialdemokratie bedient sich der Polizei und der Geheimdienstorganisationen heute, wie in der Weimarer Republik der Freikorps. BKA-Computer, Datensammlungen, Knast, Gerichtsurteile, staatlich bezahlte und geduldete Schlägerkommandos, wer jammert hier von verlorenen Bürgerrechten? 13 Prozent der deutschen Wähler, quer durch alle Parteien, haben ein rechtsextremes Weltbild. Fünf Millionen Bürger der BRD wollen wieder einen Führer haben. Das sagt die Sinus-Studie. Wir wissen das schon lange, die Empirie der Straße.

Was also mache ich im Ernstfall? Nach Italien abhauen, da habe ich genug Freunde und Bekannte, da fühle ich mich wohl. Na ja, so rosig ist es dort auch nicht mehr. Im Prinzip bin ich ja ein "bodenständiger" Typ, also hier bleiben – erst einmal. Eine Untergrundgruppe gründen, politischer Widerstand; das ist sicher sinnvoll, aber mir haben diese aufrechten Antifaschisten jedweder Couleur noch nie so zugesagt. Aber, bevor die anderen mich totschlagen, schlage ich zu. Denen kann man mit Vernunft oder Argumenten nicht beikommen. Man darf die nicht hochkommen lassen, die muß man einfach unterdrücken, meint Bernhard. Ich: Wie willst du als Linker etwas unterdrücken, das so schwer faßbar ist, willst du den Alltag der Leute eliminieren, wenn schon, mußt du die Leute selbst eliminieren. Gedanken an eine humanistisch-sozialistische Diktatur der Vernunft, einfach die Macht übernehmen, und denen mal zeigen, was im Guten alles möglich ist. Blödsinn. Vorher dagegen arbeiten, es nicht zum Ernstfall kommen lassen, daß die ihre Ideen nicht verwirklichen können, Alltagspolitik machen, Beispiele setzen, exemplarische Avantgarde. Wir sind schließlich nicht wenige, 300 000 bei der Friedensdemonstration, Brokdorf, Gorleben, Startbahn West, Alternativszene, überall bröckelt es doch – nur, überall ist der Gegner auch dabei. Was wollen die eigentlich wirklich – außer dem, was man so liest, was man ahnt, was einem so durch den Kopf geht, als Kriegsspiele?

Feldforschung/Schützengräben

Ende September findet in Weinheim, nahe Heidelberg, eine Tagung unter dem Motto "Die Deutschen und die nationale Identität" statt. Veranstalter sind die Vereine "Bürger für aktive Freizeit" und "Jahnjugend e. V." in Zusammenarbeit mit dem Schlesischen Studentenbund. Initiiert ist diese Veranstaltung vom Weinheimer Oberstudienrat und NPD-Stadtrat Günter Deckert, der in beiden Vereinen das Sagen hat. Aufgerufen wurde zu diesem "Kurpfälzer Herbst" durch Inserate in rechtsradikalen Publikationen wie z. B. "Nation Europa". Acht Referenten, darunter ein Österreicher und ein Franzose.

"Kein roter Chaot kommt hier rein." (Günter Deckert)

Das Rolf-Engelbrecht-Haus ist von zwei Hundertschaften umzingelt, wird bewacht, eine Bannmeile gelegt. Die Demonstranten dürfen nicht näher als 500 Meter an die Festung heran. Vor dem Versammlungshaus stehen Polizeibeamte untätig herum, nichts ist los, mehrere Jungen versuchen, Kastanien von den Bäumen zu holen, Polizisten helfen, sie werfen ihre Gummiknüppel ins Geäst. Mit meiner schwarzen Lederjacke sehe ich schon fast aus wie einer von denen. Keiner nimmt Notiz von mir, ich will ein Interview mit Deckert, stelle mich vor, "aha". Ich bin lokalisiert, das ist gut so, später spricht mir Deckert indirekt ein Lob dafür aus, daß ich mich "zu erkennen gegeben habe", wo sich doch sonst immer welche versuchen, in seine Vereine einzuschleichen. Ein richtiger Mann sagt, was er ist.

Die Halle ist zu groß für die 20 bis 30 Teilnehmer der Tagung, aber es ist ja nur ein Anfang. Die Teilnehmer: etliche ältere Männer, einige schlägerhaft aussehende junge Kerls, drei Frauen, Frau Müller von nebenan, sie sind die einzigen, die alle Veranstaltungen besucht haben. Sie wirken sympathischer als die Männer. Besonders die jüngeren laufen herum wie mit gesträubten Nackenhaaren, Aggressivität wegen der Demonstration. Eindruck, daß ein paar von denen ganz gerne zuschlagen würden. Sie beäugen mich mißtrauisch. Referate. "Deutschland – was ist das eigentlich", "Nationale Identität und Überfremdung", "Was ist deutsch?", "Das deutsche Selbstverständnis Österreichs heute", "Die Deutschen nach dem Holocaust", "Das egalitäre Weltsystem". Gedichte, Tänze, Lieder, eine Volkstanzgruppe der Wiking-Jugend.

Ich bin allein, will mich konzentrieren. Ich sage nichts, protestiere nicht, lache nicht, grinse nicht, ernsthaft, schreibe mit, höre zu – ich muß einen reinen Beobachterstandpunkt einnehmen, kühl, sachlich, unnahbar, nicht beeindruckbar. Auf das Wort achten, mitschreiben, zitieren:

... wer gern im Zelt lebt, soll das tun ... internationales asoziales Proletenpack ... kulturelle Mischlinge ... Umvolkungsprozeß ... volkliche Überfremdung ... Völkermord der Deutschen ... biologische Überfremdung ... Alis und Jusufs, die uns die Jobs wegnehmen ... Deutschland den Deutschen ... Volksentscheid ... die Jugend lechzt nach Sinn und Zusammenhang ... verführte Jugend ... Hausbesetzungsfetischismus ... die Jugend und ihre Ersatzidentitäten . . Nationalismus ist ein Lebenselixier der Deutschen ... Heimat, die Sehnsucht nach Identität ... Macht, Kraft und Herrlichkeit des Nationalen ... babylonische Gefangenschaft der Deutschen ... Rudi Dutschke, im Grunde seines brandenburgischen Herzens ein an Deutschland Leidender, Rebell, Marxist ... eine luziferische Herausforderung für eine niedergehaltene Kulturnation ... es gibt nur einen revolutionären Weg ... der Mensch lebt aus dem Mythos, ebenso das Volk ... die Religiosität des Nationalen in unserer nichtreligiösen Zeit ... Freiheitsliebe, Opferbereitschaft, Mut, Willenskraft, Härte ... ich hasse die Lüge, also liebe ich mein Volk ..., mein Volk, die Bestie ... wo ein jeder glaubt, sich läutern zu müssen für die Vergangenheit ... der Egalitarismus als Instrument des Völkermordes ... der Mensch beherrscht nicht mehr den Raum, weil er von nirgendwo herkommt ... keine Herkunft, kein Schicksal, keine Kultur ... die Qualität in menschlichen Ordnungen ist ein Produkt der Selektionen ... der organische Humanismus ... Völkermord durch Vereinheitlichung ... Gleichmacherei ist die Wurzel der wirklichen Intoleranz ... der unterschiedliche Egalitarismus der Supermächte ... unsere Heimat Europa. Deutschland als letztes Entscheidungsfeld ... wir sterben den Wärmetod ... der neue Menschentypus der Verwurzelung ... der Nomadismus, den uns der Egalitarismus aufzwingt ... der Willen zur Eroberung ... das Recht auf Macht und den Mut zur Macht ... Prometheus soll wieder entdeckt werden ... Appell an Wörter jenseits der Begriffe ... Mobilisierung des Bewußtseins ... das große metapolitische kulturelle Projekt ... keine Parteien ... kultureller Krieg ... Gelöbnis an die Ahnen ... das unvergängliche Erbe ... ich schwöre ... für artgerechte Tänze ... mir stinken diese levantinischen Tänze ... der Odal-Runen-Tanz ... der Jägerneuner aus dem Ammerland ... beim Jägerneuner wird die ganze Kraft des Burschen ausgetanzt und die Lieblichkeit des Mädchens ... gerade diese Männertänze haben eine besonders gemeinschaftszwingende Kraft, man gerät da beinahe in Trance ... Schlußlied: Die Gedanken sind frei!! Ich sitze im Schützengraben und die Wörter krachen wie Geschosse über mich hinweg.

Implosion

"Der menschliche Geist neigt dazu, über das Maß hinaus zu extrapolieren." (Tagungsredner Max Hoefer, Wien)

Zwei Wochen später, Mitte Oktober. Verschärfte Bedingungen, sozusagen Trainingslager, Abgeschottetheit: Jahrestagung der "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e. V." in Goslar, Hotel Goldene Krone. Konnte ich bei der Weinheimer  Tagung noch mittags und abends nach Hause fliehen, habe ich mich hier in das Tagungshotel einquartiert, ich will alles mitbekommen. Zwei Tage und zwei Nächte mit Rassisten unter einem Dach, eine Art Bewährungsprobe. Die Teilnehmer: durchschnittlich 50 Personen, die meisten über 50 Jahre alt. Erstaunlich viele Frauen, hauptsächlich ältere, viele mit Duttfrisur. Ärzte, Lehrer, Wissenschaftler, aber auch "einfache Leute", Bauern, Rentner, Frauen mit Töchtern, ein junges dänisches Ehepaar, die Frau hochschwanger, ein Österreicher, der aussieht wie Himmler, mit Topffrisur, ab und zu rote Flecken im Gesicht, zwingende Miene.

Es ist wie bei einem Familientreffen, man begrüßt sich freudig und überschwenglich, redet und lacht. Bei allem Treiben bleibt die Atmosphäre doch etwas gedämpft. Als ich 15 war, habe ich an Versammlungen einer schwäbisch-pietistischen Sekte teilgenommen, die "Möttlinger Rettungsarche", da ging es ähnlich zu, die Leute sahen auch so aus, gleiches Alter, auch diese Frisuren, eine geheimnisvolle Stimmung. Was habe ich nur? Ich stelle mich vor, wieder dieses "aha", zurückgezogene Beobachtungsstellung einnehmen, keine Miene verziehen, ernsthaft, seriös wirken, habe einen dunklen Rollkragenpullover und Jackett an. Der Tagungsraum, irgendwie düster und dunkel, altdeutsch eingerichtet, Landschaften und Hirsche an der Wand, Tische in Hufeisenform, matte Kunstglasfenster, matte Beleuchtung, dunkles Mobiliar, dämpfende Teppiche, Ruhe, der Vorsitzende spricht zur Eröffnung. Verglichen mit dem, was jetzt kommen sollte, war der Weinheimer Kongreß vor zwei Wochen ein Scharmützel. Die Jahrestagung der Bio-Anthropologen: eine Versammlung wie eine 48-Stunden-Marathon-Predigt, eine religiös inspirierte Tagung mit Totschlagcharakter. Der Sektenführer leistet die Präliminarien, und dann bricht der Krieg aus, wie von unsichtbarer Hand gesteuert, ein Massaker des menschlichen Geistes, der Theorie, Dramaturgie des Schlachtfeldes:

Genetischer Krieg, biologischer Krieg, kultureller Krieg, richtiger Krieg. Alles ist vererblich, Intelligenz, Krankheit, Faulheit, Minderwertigkeit, Asozialität, Kriminalität, Klugheit, Begabung, Widerstandskraft, Härte, Willen, Leistungsschwäche, Schwachsinn, Geistesschwäche, Geisteskrankheit, Behinderung. Der Mensch ist vorprogrammiert, selektiert, Merkmalsträger.

"Wir müssen dafür kämpfen, daß es kein genetisches Chaos gibt." (Tagungsredner Rieger)

Kriegsstatistik. Schwachsinnsrate von vier Prozent, 1,5 Millionen Türken, Geburtenrate, zehn Prozent Mischlinge, bald gibt es keine Deutschen mehr, in 20 Jahren haben wir einen türkischen Bundespräsidenten, prozentuales Ansteigen der Erbkrankheiten, Intelligenzquotient, Intelligenz ist zu 80 Prozent vererblich, nein zu 66 Prozent, 20 Prozent für die Umwelt, der Mann ist zu sieben Prozent schuldig an einer Unfruchtbarkeit der Ehe, zehnprozentige Wahrscheinlichkeit des Schwachsinns bei gemischtrassigen Ehen, 15-prozentige Gefahr des Schwachsinns bei Kindern aus Ehen, wo der Vater braune und die Mutter blaue Augen hat, 90 Prozent der Asozialen sind erbuntüchtig, wenn man das mal hochrechnet, die heimischen Frauenressourcen sichern, Politiker machen sich schuldig, wenn sie zulassen, daß die heimischen Frauenressourcen durch Fremdrassige erobert werden, Verrat. Sterilisieren. "In den USA ist eine Familie untersucht worden, wenn man aus dieser Sippe im 18. Jahrhundert eine Landstreicherin sterilisiert hätte, dann hätte das in der Folgezeit in den USA 113 Mörder, 275 Verbrecher, haufenweise Prostituierte und Landstreicher nicht gegeben, insgesamt waren das 3500 Personen und man hat ausgerechnet, daß die Nichtsterilisierung dieser Frau den amerikanischen Steuerzahler bis heute etwa zwölf Millionen Dollar gekostet hat."

"Der Kapitalismus sucht sich für seine liberalistische Wirtschaftspolitik die von den Erbanlagen minderwertigsten, schlechtesten, unintelligentesten, einfältigsten Wesen als Massenmenschen zur Arbeit ... Die Säuglingssterblichkeit in den unteren Schichten ist wegen deren Minderwertigkeit besonders groß." (Tagungsredner Hoefer)

Ich blicke hoch und wundere mich, daß mich niemand ansieht, kein vorwurfsvoller Blick. Habe ich nicht eben geschrien, mir war so, bin ich etwa verrückt geworden, in mir zieht sich alles zusammen, doch, ich war still, eine Implosion. Entweder die oder ich sind verrückt. Wo bin ich hingeraten?

"Es besteht die Frage, ob sich eine Frau nicht strafbar macht, wenn sie – wider die Möglichkeiten der Früherkenntnis – ein behindertes Kind zur Welt bringt. Das kann man als Körperverletzung bezeichnen." (Tagungsredner und Vorsitzender Jürgen Rieger)

Dauernd muß ich die junge Dänin mir gegenüber anschauen. Ist sie unsicher? Ich versuche, ihren Blick in meinen zu zwingen. In zwei Monaten bekommst du ein Kind, was machst du, wenn es behindert ist? Hängst du dich auf, tötest du das Kind, oder läßt du es leben, entgegen allen genetischen Theorien? Ich spüre leise Angst. Sie schaut mich an. Frauen, was bringt sie nur hierher? Obwohl recht zahlreich vertreten, greifen sie in die Diskussionen nicht ein, sie machen sich eher bemerkbar durch ätzende, besorgte Zwischenrufe, ich höre von ihnen Witze über Neger, Chinesen und Behinderte, wenn einer der Redner von Überflutung durch fremde Rassen spricht, da nicken sie, mit einem Gesicht, das an Erweckung, Offenbarung erinnert.

Mit was nur beschäftigt sich die Frauenbewegung, hier sitzen Frauen, unsere Mütter und Großmütter, die uns erzogen haben, sie haben nichts gelernt, mehr noch, sie wollen wieder. Der faschistische Theoretiker Julius Evola, hier oft und gerne zitiert, hat einmal von der Unerbittlichkeit der Frau gesprochen. Neben mir sitzt eine, Besitzerin eines Kosmetiksalons, sie ist freundlich zu mir, nicht unsympathisch, nach einer Weile holt sie eine Mappe aus ihrer Tasche, darin Bilder, Großformat und farbig, ein vietnamesisches Kind, über und über behaart, ein archaisches Geschöpf?, ein vormenschliches Wesen?, das ist aus meiner anthropologischen Sammlung, sagt sie, sieht süß aus, aber das ist doch kein Mensch!

"Ich habe Angst vor einem eurasisch-negroiden Paneuropa." (eine Frau) "... diese ausländischen Familien mit den neunköpfigen Kindern ..." (eine Frau)

Sie verwickeln sich in die aberwitzigsten Formulierungen und Widersprüche, aber sie merken es nicht. Meine Implosionen halten an. Ein junger Mann von zwergenhaftem Wuchs, mit fahrigen Handbewegungen und zuckenden Gesichtszügen, nuschelnder Sprache, greift in die Diskussion ein. Nur „Profilneurotiker wie SPD-Kühn“ oder „Ziegen wie Annemarie Renger“ würden sich für die Ausländerintegration einsetzen. Mein Haß erwacht. Warum räumt ihr nicht in euren eigenen Reihen zuerst auf, der da, der wäre der erste, den ihr sterilisieren müßtet aufgrund eurer komischen Vererbungstheorien. Ich halte es bald nicht mehr aus.

Samstagabend, Tagesschau. Friedensdemonstration in Bonn, da wäre ich lieber. Ich sitze vor dem Apparat, um mich herum mehrere ältere Teilnehmer der Tagung. Böll redet, Eppler redet, beide mit ihren schriftlichen Aufzeichnungen in der Hand. Eine etwa 60-jährige Frau neben mir: "Hat jemand schon mal Göring oder Goebbels öffentlich mit Konzept in der Hand reden hören?"

Ich muß raus hier, in meinem kleinen und ungemütlichen Hotelzimmer fühle ich mich nicht wohl. Rufe zu Hause an, brauche jemanden, mit dem ich reden kann, Schorsch bedauert mich, macht ein paar Witze. Goslar, ein Kaff, nichts ist los, ich streife in der Stadt umher, nur noch ein Pornofilm läuft, ich erwäge, hineinzugehen, was soll's, kenn ich doch. Zurück ins Hotel, Fernsehen, Sportschau, Liza Minelli.

Am nächsten Morgen der Höhepunkt: Dr. Dr. Werner Freytag, Arzt und Biologe, Buchautor mit 240 000 verkauften Exemplaren. Ein Sektenprediger, wie er im Buch steht. Er beschwört, droht, preist, klagt an, verspricht. White Gospel. Sein Lebensmotto: nach dem Abendessen kalt abduschen und dann die Hände über die Bettdecke. Ein widerlicher Kerl. Sein Thema: Die Natur als Gott; sein Ziel: Eine alternative Religion. "Als Fundament berücksichtige ich die Tatsache, daß die Naturgesetze eine hierarchische Ordnung im All aufgebaut haben. Wie immer betont, sollte der Mensch unter Beachtung der biologischen Gesetze, insbesondere der Genetik, Eugenik und Umwelt für sich und seine Mitmenschen eine echte Humanitas und hohe ethische Werte anstreben."

Im Banne seiner Ausführungen hat sich ein etwa 70-jähriger Mann in die Mitte des Raumes gestellt und hält mit geschlossenen Augen – wie in Trance – eine ekstatische, laute Rede, spricht vom ethnischen Chaos, von der kulturellen Verwirrung, von der Notwendigkeit einer neuen Ordnung: "Ich fordere die Umsetzung des finalen Wissens in finales Handeln." Antwort: "Als Kind meiner Väter und als Vater meiner drei Kinder meine ich: wir sollten wollen."

Schlachtfeld: Prinz Eugen der edle Ritter 

"Da wallt dem Deutschen auch sein Blut – Er trifft des Türken Pferd so gut,
Er haut ihm ab mit einem Streich – Die beiden Vorderfüß' zugleich.
Als er das Thier zu Fall gebracht – Da faßt er erst sein Schwert mit Macht,
Er schwingt es auf des Reiters Kopf – Haut durch bis auf den Sattelknopf,
Haut auch den Sattel noch zu Stücken. – Und tief noch in des Pferdes Rücken;
Zur Rechten sieht man wie zur Linken – einen halben Türken heruntersinken."

Der Türke soll sich vorsehen, wir haben ihn nicht gerufen, das waren unverantwortliche Politiker. Wem der Türke gefällt, der soll doch in die Türkei gehen. Uns reicht's jedenfalls. Überfremdung, wir sind kein Einwanderungsland. "Lieber Roboter als Türken" (ein Zwischenruf). Der Türke nimmt uns die Jobs weg, der Türke verdirbt unsere Jugend mit Rauschgift, der Türke ist schuld am Anstieg der Kriminalität, der Türke vermehrt sich schneller als wir, der Türke ist ein Terrorist, der Türke nimmt uns unsere Frauen weg, der Türke betrügt den deutschen Staat, dadurch, daß er seine ganze Verwandten nach Deutschland holt, der Türke hat eine andere Mentalität, der Türke hat nicht unser "Seelischunbewußtes", der Türke hat nicht unsere Kultur, der Türke sorgt für ein genetisches Chaos, der Türke heiratet deutsche Frauen und entführt die Kinder, durch die Anwesenheit des Türken wird unsere Umwelt systematisch vergiftet, der Türke ist ein Mittel des Völkermordes, der Türke zeugt Mischlinge, Mischlinge sind nicht gut für die Verteidigungspolitik, der Türke ist kein Mitbürger, der Türke ist Gast mit beschränkter Aufenthaltszeit, der Türke schmarotzt an unseren Erbgütern, der Türke ist minderwertig, der Türke überflutet unser Land, Deutschland den Deutschen.

"Kriege wegen Religionen oder Ideologien sind sinnlos, wegen Landnahme nicht." (Diskussionsredner Dr. Tietjens)

Gestern wie heute

"Gedichte, Tänze, Lieder, eine Volkstanzgruppe der Wiking-Jugend", schreibt Mario Damolin 1982 und es hört sich an wie heute auf einem Kongress der völkischen Identitären. Die Wiking-Jugend war eine Vorgängerorganisation der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), die 2009 durch das Innenministerium verboten wurde. Frühere Funktionäre der HDJ finde sich heute in der Identitären Bewegung wieder und sind oder waren für die AfD tätig, unter anderem auch für die AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg. Die im Text zitierte rechtsextreme Zeitschrift "Nation Europa" hieß später "Nation und Europa" und wurde 2009 durch "Zuerst!" ersetzt. AfD-Flügel-Mann Björn Höcke hat dem Heft in der Vergangenheit ein Interview gegeben, ebenfalls die baden-württembergische AfD-Abgeordnete Christina Baum oder Reimond Hoffmann, heute Mitarbeiter der AfD-Fraktion im Landtag und Gemeinderat in Rottweil. (ana)

Im Jahr 1683 haben die vereinigten europäischen Heere den Vormarsch der Türken nach Mitteleuropa gestoppt. Das Osmanische Reich hatte sich ein Land nach dem anderen einverleibt, 200 000 Türken belagerten Wien, die Schlacht am Kahlenberg war die erste Vorentscheidung, Eugen von Savoyen eroberte 1717 Belgrad zurück. Unsere Tradition.

"Heute findet Landnahme nicht über Krieg statt, sondern ganz legal über Visum" (Vorsitzender Jürgen Rieger). "... eine stille Landnahme ..." (Tagungsredner Dr. Rolf Kosiek)

Die Türken sind in Wirklichkeit Besetzer, Eindringlinge. Sie besetzen verschiedene Territorien: Arbeit, Schule, Stadtteil, soziale Fürsorge, Verbrechen und unsere Frauen. Das Territorium der Frau ist das wichtigste und gefährdetste zugleich, weil von hier aus der Volkskörper organisch und genetisch wächst, unser Ursprung und unsere Zukunft zugleich. Vor allen anderen Dingen müssen wir zuerst die biologische Landnahme verhindern, die so nichtöffentlich über die Bühne geht, in Wirklichkeit aber ein biologischer Krieg ist.

"Was der Türke vor 300 Jahren nicht geschafft hat mit kriegerischen Mitteln, das bekommt er heute von unseren Politikern erlaubt" (ein Zwischenruf). "Ein Politiker, der nicht im Interesse der eigenen Population handelt, handelt immer im Interesse der biologischen Konkurrenz." (Tagungsredner Detlef Promp)

Bevor das Schlachtfeld ausgesteckt wird, finden zumeist politische Konsultationen statt. Schließlich ist der Türke auch nur Opfer einer verheerenden Politik. Also, wir müssen unsere Politiker dazu zwingen, dafür zu sorgen, daß der Türke langsam aber sicher wieder in seine Heimat abzieht. Wir müssen zudem darauf hinwirken, daß bei Mischehen zwischen Deutschen und Türken eine genetische Beratung obligatorisch wird, und darüber aufgeklärt wird, welche Gefahren da drohen, welche genetische Störungen und Krankheiten mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten werden. Ich sage obligatorisch! Wir wollen das Problem rein politisch lösen.

Wenn Sie mich direkt fragen, bin ich gegen Mischehen, das sollte verboten werden, der Türke soll seine Finger von unseren Frauen lassen, der soll endlich abhauen, wenn er das nicht kapiert, können wir stärkere Geschütze auffahren, wenn er den Krieg will, kann er ihn haben, wir leben hier in Deutschland, wir sind eine Kulturnation, keine Untermenschen wie diese Kameltreiber, wir müssen uns endlich wehren, wir schwören und geloben, für die Erhaltung des unvergänglichen Erbes zu kämpfen, ab heute, wir warten nicht mehr.

"Die Masseneinwanderung der Fremdarbeiter erinnert an die Praxis im Dritten Reich: dort sollten auch Millionen germanisiert werden." (Tagungsredner Dr. Rolf Kosiek)

Geschichte und Eigensinn, das Schlachtfeld wartet: Der Bochumer Professor Theodor Schmidt-Kaler, einer der meistzitierten aus der Gilde der neuen Überfremdungstheoretiker, hat unlängst für das Jahr 1990 "bürgerkriegsähnliche Zustände und Rassenkrawalle" in der Bundesrepublik Deutschland vorausgesagt. Bei gleichbleibend sinkender Geburtenrate der "heimischen Bevölkerung" sei dann jener kritische Punkt erreicht, an dem der Ausländeranteil in der Bundesrepublik auf zehn Prozent angestiegen ist – durch "Scheinasylanten" und Familienangehörigen von Gastarbeitern. Die Lafetten werden schon ausgefahren.


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1 Kommentar verfügbar

  • era
    am 01.03.2020
    Antworten
    Ziemlich am Anfang steht "ich fühle mich nicht wohl bei den Leuten von der Antifa". Geht mir genauso. Mein Impuls ist, mit Gutmenschen, wo es sie auch gibt, zusammen zu kommen. Nur leider habe ich bis heute das Gefühl, dass ich mit diesem Wunsch bei vielen überzeugten Linken nicht gut aufgehoben…
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