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Der Raketen-Nazi mit Bundesverdienstkreuz

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Wichtige Grundlagen für die Mondlandung, die sich am 20. Juli zum 50. Mal jährt, lieferte der deutsche Physiker Hermann Oberth. Dass sich der Raketenpionier zu rechtsextremen Positionen bekannte, wird selten dazugesagt.

Dieser Tage wird anlässlich des 50. Jahrestages der Mondlandung allerorts in den Medien über die Weltraumforschung berichtet. Am 20. Juli 1969 betraten erstmals Menschen einen fremden Himmelskörper, mehr als eine halbe Milliarde Menschen verfolgten das Weltereignis vor den Fernsehgeräten. Die Astronauten Neil Armstrong, Edwin "Buzz" Aldrin und Michael Collins wurden zu Nationalhelden in den USA, es war ein Sieg des Westens im Kalten Krieg der Supermächte und zugleich ein Ereignis, das sich tief in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt hat.

Ein Anlass, daran zu erinnern, dass am Menschheitstraum vom Sternenflug maßgeblich auch deutsche Raketenpioniere, einst im Dienst der Nazis, beteiligt waren. Mindestens 1600 Wissenschaftler, Ingenieure und Raketenbauer brachten die US-Amerikaner im Sommer 1945, unmittelbar nach der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg, im Rahmen der Operation "Paperclip" über den Atlantik. Diese begründeten unter der Leitung von Wernher von Braun im Rahmen der NASA den US-Raumflug. Die deutsche Raketentechnik hatte während der NS-Zeit die V2 ("Vergeltungswaffe 2") entwickelt, die erste Großrakete mit Flüssigkeitsantrieb, mit der auch die Erschließung des Weltraums begann – denn sie war das erste von Menschen konstruierte Flugobjekt, das die Grenze zum Weltraum durchstieß. Ihr Zweck war freilich ein anderer: Am 8. September 1944 schlug die erste V2 in der britischen Hauptstadt London ein, Angriffe auf Antwerpen, Maastricht und andere Städte folgten.

Mit möglich gemacht hatte dies Hermann Oberth, der als "Vater der Raumfahrt" gilt. Er war einer von wenigen Raketenforschern, die nach dem militärischen Ende des Nazi-Regimes nicht postwendend in die USA gingen und dafür in rechtsextremen Kreisen entsprechend gefeiert wurde. Beispielhaft sei die rechtsextreme Zeitschrift "Student" zitiert, die Oberth 1985 porträtierte: "Hermann Oberth bekannte sich stets zum deutschen Volkstum und war bestrebt, seine Entwicklungen in erster Linie dem deutschen Volk zugute kommen zu lassen. So schlug er vor dem Zweiten Weltkrieg günstige Angebote aus der Sowjetunion aus, obwohl die Bedingungen in Deutschland für ihn nicht günstig waren. Und ebenso verhielt er sich 1945 reserviert gegenüber beiden Weltmächten. In seinem langen Leben verdiente sich Hermann Oberth Anerkennung als großer Wissenschaftler und als geradliniger Mensch."

Geboren wurde Oberth 1894 im heute zu Rumänien gehörenden Siebenbürgen (Transsilvanien). Im Ersten Weltkrieg war er Freiwilliger der österreichisch-ungarischen Armee, 1923 veröffentlichte er in München sein Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen". Das 92-Seiten-Büchlein des Lehrers für Mathematik und Physik wurde zur Grundlage der modernen Raketen- und Raumfahrtwissenschaft. Auf dem Papier war darin die bemannte Raumfahrt bewiesen. Ein Jahr zuvor hatte die Heidelberger Universität den Dissertationsversuch von Oberth als "zu phantastisch" abgelehnt. Oberth zeigte, dass Raketen im Vakuum schneller waren als die Geschwindigkeit der austretenden Schubgase. Daneben skizzierte er eine Raumstation samt Weltraumrakete. In der erweiterten Auflage des Buches, die sechs Jahre später unter dem Titel "Wege zur Raumschifffahrt" erschien, zählte Oberth als Nutzen der Raumfahrt unter anderem militärische Aufklärung und Nachrichtenkommunikation auf.

Oberth arbeitete an der Entwicklung der V2 mit

Während der NS-Zeit arbeitete der Raketenpionier anfangs noch in Rumänien, war dort von 1934 an Mitglied der Transsilvanischen Nationalsozialistischen Partei. Ab 1938 lehrte er als Professor an den Technischen Hochschulen Wien und Dresden, ab 1941 an der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, dem Raketenzentrum auf der Ostsee-Insel Usedom, wo Hitler die V2 entwickeln ließ.

Hier wurde Oberth im Oktober 1942 Zeuge, wie eine Rakete seines Schülers Wernher von Braun mit Überschallgeschwindigkeit ins Weltall vorstieß. Statt zu den Planetenräumen flog die V2 aber, gebaut im mörderischen Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen, mit riesigen Sprengladungen europäische Städte an. Über 12 000 Zwangsarbeiter kamen beim Bau der Raketen in Mittelbau-Dora ums Leben, zwischen 8000 und 12 000 Menschen, größtenteils Zivilisten, starben außerdem durch V2-Einschläge in den angegriffenen Städten wie London und Antwerpen. Hätte man ihn eher nach Peenemünde hinzugezogen, so glaubte Oberth später, hätte Deutschland den Krieg gewonnen.

Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Schweiz und Italien nach Kriegsende holte Wernher von Braun seinen Lehrvater 1955 in die USA. Am Raketen-Entwicklungszentrum in Huntsville, Alabama, erarbeitete Oberth Studien über die Zukunft der Raumfahrt und war an der Entwicklung der Rakete für den ersten bemannten amerikanischen Raumflug beteiligt. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück. Als 75-jähriger saß Oberth am 20. Juli 1969 auf der Ehrentribüne in Cape Kennedy als Apollo 11 von der Startrampe zum Mond donnerte. Oberth zeigte sich anlässlich des ersten bemannten Mondfluges "tief bewegt, dass alles in Erfüllung gegangen ist, was ich schon 1922 vorausgesagt hatte."

1965 bekannte er sich offen zur NPD

Aus seiner politischen Haltung machte Oberth auch in dieser Zeit kein Hehl. In seinem 1965 verfassten Buch "Der Mut zur Wahrheit – mein Weg zur NPD" bekannte sich Oberth öffentlich zu seinem politischen Engagement bei den Nationaldemokraten und gab kund: "Wir brauchen eine Opposition, die für die Wahrheit wirbt und nicht nur für das Recht der einstmals Naziverfolgten, sondern auch das Recht der heute Verfolgten vertritt. Es tut mir leid, dies sagen zu müssen, aber wir brauchen eine Opposition, die die deutsche Regierung von Zeit zu Zeit mahnt, auch an die Interessen der Deutschen zu denken. Ich will Gerechtigkeit für alle Völker, auch für das deutsche!" Oberth gehörte der NPD von 1965 bis 1967 als Mitglied an, in dieser Zeit trat er auch auf NPD-Wahlveranstaltungen auf. Im März 2000 wurde Oberth im NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" neben Hans Grimm, dessen Buchtitel "Volk ohne Raum" das Motto der nationalsozialistischen Expansionspolitik wurde, dem NS-Bildhauer Arno Breker und Waldemar Pabst, prominenter Putsch-Offizier aus Weimarer Zeiten, der 1919 die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht anordnete, als "prominenter Förderer" der NPD genannt. Oberth war Unterzeichner einer Erklärung der rechtsextremen Vereinigung "Freiheitlicher Rat" für die Generalamnestie von NS-Kriegsverbrechern.

Der Raketenforscher war außerdem Ehrenmitglied des rechtsextremen "Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes" (DKEG) und der ihr nahestehenden "Deutschen Akademie für Bildung und Kultur". Das 1996 aufgelöste DKEG war mit bis zu 4000 Mitgliedern Mitte der 1960er Jahre die größte überparteiliche Organisation von Rechtsextremisten in der Bundesrepublik. Es bot Dichtern und Schriftstellern ein Podium, die sich in den Dienst des NS-Staates gestellt hatten, ihre Ziele waren die "Neubildung volkshaften Selbstverständnisses und Selbstbewußtseins" und die "Pflege volkshaft konservativer Literatur". Die elitär nationalistisch-völkische Kulturgemeinschaft wurde 1950 auf Initiative des ehemaligen Reichsfachschaftsleiters für Lyrik in der NS-Reichsschrifttumskammer und Mitglieds der Obersten SA-Führung für kulturelle Belange, Herbert Böhme, ins Leben gerufen. Seinen größten Einfluss erreichte das DKEG mit der Beteiligung an der "Aktion Widerstand" , einer rechtsextremen Organisation, die von 1970 bis 1971 bestand und aus der nach ihrer Auflösung diverse militante Gruppen (unter anderem die Wehrsportgruppe Hoffmann) hervor gingen.

Am 8. August 1981 wurde Oberth, von Gerhard Frey, dem Bundesvorsitzenden der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU), im bayerischen Passau der mit 10 000 Mark dotierte "Europäische Freiheitspreis der >Deutschen National-Zeitung<" verliehen. In dem auf die Ehefrau Freys eingetragenen FZ-Verlag wurden in den 80er Jahren in großem Umfang unter anderem Gold- und Silbergedenkmünzen von Oberth und NS-Größen wie Karl Dönitz und Rudolf Heß gewinnbringend vertrieben. Der Preis stand anderen Ehrungen Oberths wie dem Großen Bundesverdienstkreuz (1961 und 1985) und dem Bayerischen Verdienstorden (1984) nicht im Weg.

Nach seinem Tod: Ehrungen von rechts, partielle Amnesie sonst

1989 starb Oberth in seinem Wohnort Feucht bei Nürnberg. Nach seinem Tod erschien in der Holocaust-leugnenden und antisemitischen Hetzpostille "Die Bauernschaft" eine Rubrik mit dem Titel "Wir trauern um folgende Leser der BAUERNSCHAFT"; darunter "Prof. Oberth". Macher des Blattes war Thies Christophersen, vormals SS-Sonderoffizier in Auschwitz-Birkenau, später Urvater der deutsch-sprachigen Holocaust-Leugner und Autor der Broschüre "Die Auschwitz-Lüge", die zum Synonym für die rechtsextreme Leugnung des Holocaust wurde.

Die "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte”, die Gefangenenhilfsorganisation für Nazis und NS-Kriegsverbrecher, offenbarte nach dem Tod von Oberth: "Als Freund unserer ‚Stillen Hilfe‘ war er bis zu seiner letzten Stunde ein getreuer Helfer und Spender zur Unterstützung unserer Hilfsbedürftigen." Geführt wurde die 1947 gegründete "Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte” von Gudrun Burwitz, der Tochter von Reichsführer-SS Heinrich Himmler.

Im Nachruf des Hamburger Magazins "Spiegel" vom 8. Januar 1990 findet sich kein Hinweis auf das rechtsextreme Nachkriegs-Engagement des Verstorbenen, im Eintrag der Neuen Deutschen Biographie ebenso wenig. Oberths politische Überzeugungen taten offenbar seinem Ruf zu Lebzeiten und auch danach keinen Abbruch. Neben Bundesverdienstkreuz und mehreren Ehrendoktorwürden sind sogar ein Mondkrater und ein Asteroid nach ihm benannt. Dass Oberths Studien durchaus auch politisch-revanchistische Hintergründe gehabt haben mögen, zeigte der Raketenpionier 1962 in Nürnberg. Bei seiner Dankesrede vor dem Bund der Vertriebenen, der ihn zum Ehrenmitglied ernannt hatte, sagte er laut "Spiegel" unter anderem: "Ich hatte gehofft, eine Rakete zu finden, die den Schandvertrag von Versailles hätte zerschlagen können. Das ist mir nicht gelungen."


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3 Kommentare verfügbar

  • Lowandorder
    am 28.07.2019
    Antworten
    Sach mal so. Kein Einzelfall. Sag mal z.B. Prof. Dr. Helmut Harms
    https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Harms - et al.

    Liggers. Etliche Peenemünder schafften nicht den klug zuvor eingefädelten Sprung über den Großen Teich post WK II.
    Einige waren u.a. Väter von Mitschülern & - es gab ja die…
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