KONTEXT:Wochenzeitung
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"A Bauchschüssle muschte hawe"

"A Bauchschüssle muschte hawe"
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Vor 100 Jahren schlugen Soldaten und rechtsextreme Freikorps die Münchner Räterepublik nieder. Besonders brutal ging die württembergische Brigade vor. Das zeigt der Mord an Gustav Landauer, dem das Generallandesarchiv Karlsruhe nun eine kleine Ausstellung widmet.

"Mai 1919. München, das fröhliche, ausgelassene München, die Stadt der Weißwurstphilister, Bockbierandächtigen und der buntzusammengewürfelten, launentollen Bohème ist eine belagerte und eroberte Stadt geworden. Nur die Karabiner, Maschinengewehre, Handgranaten und Brownings reden hier laut und Offiziere, die Massenschlächtereien kommandieren, Weißgardisten, die sich im Niedermetzeln von 'Spartakisten' nicht genugtun können, hasstrunkene, beifallklatschende 'Bürger', die zum Morden und Würgen hetzen. In den Arbeitervierteln, in den Bezirken, wo der Kampf getobt hat, lauert an jeder Hauswand, in jedem Hof der Tod auf Männer und Frauen, die nach Kleidung, Haltung, Miene oder auch durch nichts verdächtig erscheinen, mit den 'Rotgardisten' für die Räterepublik gekämpft zu haben."

Anschaulich, nicht ohne Humor und doch bitter anklagend beschreibt Clara Zetkin im Januar 1920 die Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Nicht aus eigener Erfahrung: Anlass ihrer Schrift über "Revolutionäre Kämpfe und revolutionäre Kämpfer 1919" war die Ermordung ihrer Freunde und Kampfgefährten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ein Jahr zuvor: drei Tage nachdem sie für die USPD als eine der ersten Frauen in die Verfassunggebende Versammlung Württembergs gewählt worden war, zwei Wochen vor <link https: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen jetzt-reden-frauen-5457.html _blank external-link>ihrer ersten Parlamentsrede.

Landauf landab wird derzeit die Weimarer Republik als der Beginn der Demokratie in Deutschland gefeiert. Für den Romancier Alfred Döblin, der genauer hingeschaut hat, trug sie ihr Ende von Anfang an in sich. 1937 im französischen Exil fragte sich der Autor, wie das nationalsozialistische Unheil begonnen hatte. In seinem vierbändigen Werk "November 1918" gelangt er zu dem Schluss: mit der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs. Reichspräsident Ebert paktierte mit den Militärs und hasste die Revolution mehr als alles andere. Im Januar 1919 hetzte er seinen "Bluthund" Gustav Noske auf die demonstrierenden Spartakisten. Damit begann eine beispiellose Welle der rechten Gewalt.

354 Menschen kamen in den ersten Jahren der Republik durch Anschläge rechtsradikaler Paramilitärs ums Leben, bis hin zu Außenminister Walter Rathenau. Dem standen 22 Attentate von links gegenüber. Dies konnte der Münchner Mathematiker und Publizist Emil Julius Gumbel in seinem 1922 erschienenen Buch <link https: www.archive.org stream _blank external-link>"Vier Jahre politischer Mord" nachweisen. Während aber die linken Täter ausnahmslos zum Tod oder harten Strafen verurteilt wurden, kamen die rechten samt und sonders ungeschoren oder mit milden Strafen davon.

"Es ist amtlich bestätigt", schreibt Gumbel zwei Jahre später, "dass in Deutschland seit 1919 mindestens 400 politische Morde vorgekommen sind. Es ist amtlich bestätigt, dass fast alle von rechtsradikaler Seite begangen wurden, und es ist amtlich bestätigt, dass die überwältigende Zahl dieser Morde unbestraft geblieben ist." Dabei hatte Gumbel selbst noch Glück gehabt: Im März 1919 war er einem Attentat entkommen, weil er sich nicht in seiner Wohnung befand. Als Privatdozent für Statistik in Heidelberg zog er sich in der Folge den Hass rechter Studenten zu. 1932 wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen. Eine Gastprofessur in Paris half ihm, den Nationalsozialisten zu entkommen, später ging er ins Exil nach New York.

Gumbels Recherchen trugen mit dazu bei, dass auch die Behörden aktiv werden mussten. Eine Denkschrift des bayrischen Justizministeriums nannte zwar keine Täter und wurde nie gedruckt, doch von Gumbel in späteren Publikationen mit verwendet. In Freiburg hatte derweil im März 1920 fast unbemerkt ein Prozess gegen Eugen Digeler aus Schwäbisch Hall, einen der Mörder Gustav Landauers stattgefunden, den nun eine kleine Ausstellung im Generallandesarchiv Karlsruhe beleuchtet.

Die Zusammenhänge sind zwar nicht neu. Doch bei der Erschließung eines Aktenbestands von 1200 Regalmetern sind nun, passend zum 100. Jahrestag der Ermordung des gebürtigen Karlsruhers am 2. Mai, buchstäblich auf den letzten Metern die Prozessakten zum Vorschein gekommen: 254 Blatt Zeugenverhöre, private Briefen, bis hin zur Urteilsverkündung, die das Archiv zwar nicht alle ausstellt, aber zum Anlass nimmt, den Fall aufzuarbeiten.

"Sie ermordeten Gustav Landauer, in dem die deutsche Revolution einen ihrer reinsten Menschen, einen ihrer großen Geister verlor", schreibt der Dramatiker Ernst Toller, selbst eine der zentralen Figuren der Räteregierung, 1933 in seinen Erinnerungen "Eine Jugend in Deutschland". <link http: www.edition-av.de gl.htm _blank external-link>Landauer, Literat, damals Dramaturg am Schauspielhaus Düsseldorf, war bereits in der Novemberrevolution von Ministerpräsident Kurt Eisner nach München eingeladen worden: "Was ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen mitarbeiten."

Nachdem die USPD bei den Parlamentswahlen im Januar unterlegen war, wurde Eisner auf dem Weg zu seiner Rücktrittserklärung am 21. Februar 1919 von dem fanatischen Antisemiten Graf von Arco auf Valley erschossen. Der Graf hatte selbst jüdische Vorfahren und war daher aus der rechtsradikalen Thule-Gesellschaft ausgeschlossen worden. Mit dem Mord wollte er seinen glühenden Antisemitismus unter Beweis stellen. Eisners Nachfolger als USPD-Vorsitzender wurde Toller.

Am 17. März wurde Johannes Hoffmann (SPD) zum Ministerpräsidenten gewählt. Doch der Kampf zwischen Parlamentarismus und Rätesystem war noch nicht entschieden. Am 7. April rief Ernst Niekisch, der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats, die Räterepublik aus. Hoffmann war nach Bamberg geflohen, Toller übernahm die Leitung des Zentralrats. Landauer wurde Volksbeauftragter, wie man die Minister nannte, für Volksaufklärung. Ein Mitarbeiter war Ret Marut, später bekannt als B. Traven. Durch Aufklärung, so hofften die Räte, würden sich die Massen nach Jahrzehnten des Militarismus zu einem selbstbestimmten Leben in Frieden bewegen lassen. Landauer, Lebensreformer und Pazifist, begann mit den Schulen. Er lehnte Hausaufgaben ab und strich als erste Amtshandlung die Prügelstrafe.

Auf Aufklärung setzte auch der Finanzbeauftragte Silvio Gesell, der durch eine einmalige Vermögensabgabe die von der Kriegswirtschaft zerrütteten Finanzen sanieren und durch ein sich selbst entwertendes Geld der Spekulation vorbeugen wollte. Nach einer Woche versuchte Hoffmann, im so genannten Palmsonntagsputsch die Macht an sich zu reißen. Versuche, mit ihm Verhandlungen aufzunehmen, scheiterten, ein Emissär wurde sofort verhaftet. Nun übernahmen die Kommunisten, die zunächst die "Scheinräterepublik", wie sie es nannten, abgelehnt hatten. In ihrer Republik war Landauer, ebenso wie Gesell, nicht mehr vertreten. Hoffmann seinerseits forderte aus Berlin und Stuttgart militärische Hilfe an.

"An die Proletarier Württembergs!" ist ein Flugblatt der Stuttgarter SPD-Regierung überschrieben. Im Gegensatz zur "Schwindelmeldung" der KPD, das bayrische Proletariat habe die Münchner Räterepublik proklamiert, handle es sich in Wirklichkeit um ein "Abenteuer von einigen meist in Bayern land- und wesensfremden Literaten und politischen Hochstaplern". Einige der führenden Köpfe sind namentlich genannt: darunter Erich Mühsam, "anarchistischer Bohèmeliterat, der sein ganzes Leben im Kaffeehaus verbracht und noch nie eine Stunde gearbeitet" habe, Ernst Toller, "23-jähriges Bourgeois-Söhnchen" und Max Levien, "gehirn-syphillitischer Bolschewist". "Das schwäbische Volk" werde ihnen "die gebührende Antwort zu geben wissen."

Die Antwort gab eine fast 3000 Mann starke Freiwilligentruppe unter dem Befehl des Generalmajors Otto Haas, der nach der Einnahme Münchens am 1. Mai den Tagesbefehl gab, alle Bewaffneten sofort zu erschießen und alle weiteren Gefangenen an ein Feldgericht zu überstellen, "das über die standrechtliche Erschießung zu befinden hat." Die Denkschrift des bayrischen Justizministeriums befand später: "Das Feldgericht hatte in den bestehenden Gesetzen keine Grundlage." Eine Grundlage hatte der Befehl allerdings in einer Anordnung des Reichswehrministers Noske vom 9. März: "Jede Person, die im Kampf gegen Regierungstruppen mit der Waffe getroffen wird, ist sofort zu erschießen."

Landauer war einer von 36 Gefangenen, die im Gefängnis Stadelheim ermordet wurden. Toller beschreibt, wie er im Hof steht, die Spuren betrachtet und die Einschusslöcher zählt - "der Wärter erzählt, warum sie so tief sitzen, die betrunkenen württembergischen Soldaten zielten nach Bauch und Knien. 'Du darfscht nit glei verrecke, du spartakischte Hund, a Bauchschüssle muschte hawe', sagten sie."

Die Karlsruher Ausstellung zeigt auch, wie die Berichte frisiert wurden. In einem handschriftlichen "Kriegstagebuch" heißt es: "Landauer von Wachleuten erschossen." Abgetippt wurde daraus: "Landauer geriet bei der Überführung ins Gefängnis in die Kampfzone und kam dabei ums Leben." Laut Tollers Aufzeichnungen riefen die Soldaten: "Der Hetzer, der muss weg. Derschlagts ihn!", woraufhin Landauer entgegnet: "Ihr wisst selbst nicht, wie verhetzt ihr seid." Das Signal zum Mord gab nach Aussage des Augenzeugen Major Franz Freiherr von Gagern, der mit einer "schlegelartigen Keule" Landauer zu Boden streckte. Im Bericht wurde daraus eine Reitgerte. Von Gagern erhielt später eine Geldstrafe von 300 Mark.

Die Obduktion, im Juni 1919, bestätigt die Angaben: Landauer starb durch drei Schüsse, zwei in den Kopf und einen in die Brust, der Schädel war völlig zertrümmert. Der Soldat Digeler, der einen der Schüsse abgegeben hatte, wurde in Freiburg zu fünf Wochen Haft verurteilt, die er durch die Untersuchungshaft bereits abgesessen hatte. Und zwar nicht für den Mord, sondern weil er die Uhr Landauers an sich genommen hatte.


Info:

Die Ausstellung im Generallandesarchiv Karlsruhe, Nördliche Hildapromenade 3, läuft noch bis 10. Mai (Dienstag bis Donnerstag 8.30 – 17.30 Uhr, Freitag bis 19 Uhr). Am 2. Mai um 19 Uhr liest der ehemalige Intendant des Badischen Staatstheaters, Achim Thorwald, im Prinz-Max-Palais aus Landauers Werken.

Literaturempfehlungen:

Clara Zetkin: Revolutionäre Kämpfe und revolutionäre Kämpfer 1919, Verlag Das Freie Buch, München 2017.

Alfred Döblin: November 1918, 4 Bände, Gesammelte Werke Bd. 15, Fischer-Verlag Frankfurt a.M. 2013.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, in: Sämtliche Werke, Bd. 3, Wallstein-Verlag, Göttingen 2015.

Werner Onken: Silvio Gesell in der Münchener Räterepublik. Eine Woche Volksbeauftragter für das Finanzwesen im April 1919, Oldenburg 2018.


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4 Kommentare verfügbar

  • E Wolfram
    am 05.05.2019
    Antworten
    Ja nichts gelernt, die Polizei sucht sich durch Hinrichtungen aus wie die Anzeiger der naechsten 3 Jahrzehnte aussehen und die linke macht deren Bemühungen legendär.
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