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Mann des Jahrhunderts war eine Frau

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Um Maria Theresia geht es in der deutschen Geschichtsschreibung meist nur im Zusammenhang mit Friedrich II., ihrem großen Widersacher. Dabei war die Kaiserin einer der mächtigsten Menschen aller Zeiten. Und sie steht für ein hochmodernes Thema: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die Habsburgerin, die Anfang Mai ihren 300. Geburtstag feiert, war einzigartig. Jedenfalls in den Augen von Élisabeth Badinter. Die französische Feministin hat sich sieben Jahre lang mit der Herrscherin, der Reformerin, der Mutter und vor allem mit der Frau Maria Theresia beschäftigt. Den Anstoß gab ein Zufall – als sie auf einen Briefwechsel zwischen der vierten von elf Töchtern, Maria Christina, und einer der Schwiegertöchter, Isabella von Bourbon-Parma, stieß. "Ich war fasziniert", bekennt die Philosophin.

An Kaiserinnen war über Jahrhunderte kein Mangel, an Herrscherinnen schon. Im alten Rom waren die ranghöchsten Frauen in der Regel Gattinnen oder Mütter. Die einzige chinesische Kaiserin überhaupt lebte im siebten Jahrhundert. Theophanu herrschte über das oströmische Reich am Ende des ersten Jahrtausends. In Schottland war Maria Stuart schon als sechs Tage altes Baby Königin. Frauen in ganz Europa führten die Geschäfte für ihre noch unmündigen Söhne, häufig besser als die erwachsenen Männer danach. Schweden hatte mit Christina I. im 17. Jahrhundert tatsächlich eine unverheiratete Königin. Nach zehn Jahren musste sie abdanken.

Als Maria Theresia 1740 mit gerade 23 Jahren ihrem Vater auf den Thron folgte, wurde ihr eine noch viel kürzere Regentschaft prophezeit. Denn Karl VI. hatte 1713, also vier Jahre vor der Geburt seiner ältesten Tochter, die "Pragmatische Sanktion" erlassen, ein Vertragswerk, das auch die Erbfolge neu regelte: Fehlte ein männlicher Stammhalter, war nun auch die weibliche Nachkommenschaft thronfolgeberechtigt – was sich als besonders weitsichtig erweisen sollte, denn Karls einziger Sohn starb 1716 kurz nach der Geburt, und danach gebar seine Gemahlin Elisabeth Christina nur noch Töchter.

Gleich zu Beginn ihrer Regentschaft marschieren die Preußen ein

Allerdings anerkannten nicht alle europäischen Herrscherhäuser, dass der Thron an eine Erbin statt an einen Erben übergehen sollte. Allen voran Friedrich II.: Keine sechs Wochen nach Karls Tod bot er einen Kuhhandel an und wollte für seine Zustimmung zur "Pragmatischen Sanktion" Schlesien abgetreten bekommen. Die Antwort der "Winterkönigin", wie Maria Theresia in Diplomatenkreisen ob des ihr vorhergesagten Verfallsdatums hieß, wartete er nicht ab, sondern marschierte ohne Kriegserklärung ein, besetzte diesen nordöstlichen Teil des ihres Reiches und stürzte die junge Regentin in einen über sieben Jahre dauernden Krieg. An dessen Ende 1748 standen Glanz, Gloria und Gebietsgewinne für den Preußenkönig. Zugleich aber musste er endgültig die neue Erbfolge schlucken.

"Als mein Herrn Vattern niemals gefällig ware, mich zur Erledigung weder aus auswärtigen noch inneren Geschäften beizuziehen noch zu informieren: so sahe mich auf einmal zusammen von Geld, Truppen und Rat entblößet", wird Maria Theresia später über Versäumtes klagen. "Die Herausforderungen, die auf diese Frau einstürmten, waren immens", analysiert Badinter. Während dieses ersten Kriegs sei Maria Theresia mehrfach mit fast aussichtslos erscheinenden Situationen konfrontiert gewesen. Offenbart habe sie dabei "einen Widerstandsgeist und einen außergewöhnlichen Mut, der die Bewunderung selbst ihrer ärgsten Feinde wecken sollte". Und sie habe bewiesen, "dass ihre Weiblichkeit der Machtausübung nicht nur nicht entgegenstand, sondern eine Trumpfkarte war, die sie grandios auszuspielen wusste".

Wenn überhaupt außerhalb Österreichs, dann ist die Habsburgerin als Matrone, als ältliche Frau gegenwärtig. So abgebildet hängt sie heute sogar in Schloss Sanssouci, nicht eben prominent, aber immerhin. Hatte der Preußenkönig sie gemeinsam mit Madame Pompadour und der Zarin Elisabetha Petrowna doch als eine der "drei Erzhuren Europas" tituliert. Otto Christoph Graf Podewils, sein Gesandter am Wiener Hof, beschrieb sie dagegen in einer seiner zehntausenden Depeschen als alles andere als eine Erzhure: "Sie hat ein rundes volles Gesicht und eine freie Stirn. Die gut gezeichneten Augenbrauen sind, wie auch die Haare, blond, ohne ins Rötliche zu schimmern. Die Augen sind groß, lebhaft und zugleich voll Sanftmut, wozu ihre Farbe, die von einem hellen Blau ist, beiträgt. Die Nase ist klein, weder gebogen noch aufgestülpt, der Mund ein wenig groß, aber ziemlich schön, die Zähne weiß, das Lächeln angenehm. Hals und Kehle gut geformt. Arme und Hände wundervoll ... Ihr Gesichtsausdruck ist offen und heiter, ihre Anrede freundlich und anmutig. Man kann nicht leugnen, dass sie eine schöne Person ist."

Eine Reformkaiserin mit verschieden Rollen 

Die schöne Person war geprägt von Frauen, vererbter Feminismus sozusagen: von ihrer Mami, von einer Tante und von ihrer Aya, der Amme und Erzieherin Gräfin Karoline von Fuchs-Mollard. Genannt Füchsin, wurde sie der Kaiserin zur Weggefährtin und Beraterin: Als einzige Nicht-Habsburgerin schaffte sie es, in der berühmten Kapuzinergruft beerdigt zu werden.

Maria Theresia wurde eine Reformkaiserin: Die allgemeine Unterrichtspflicht wurde eingeführt, im Rahmen einer Justizreform ein erstes Höchstgericht geschaffen, die Verwaltung umgebaut. Adel und Kirche wurden steuerpflichtig und die Audienzen der Kaiserin fürs Volk öffentlich. Und sie zeigte sich – wie shocking für Protokoll – sogar zu Fuß in der Wiener Innenstadt.

Die schöne Person blieb aber nicht lange so schön, was wiederum hinreichend ausgewalzt wurde. Der literarisch begabte preußische Gesandte schrieb: "Die zahlreichen Geburten, die sie durchgemacht hat, dazu ihre Körperfülle, haben sie äußerst schwerfällig werden lassen. Trotzdem hat sie einen ziemlich freien Gang und eine majestätische Haltung. Ihr Aussehen ist vornehm, obgleich sie es verdirbt durch die Art, sich zu kleiden. Der kleine englische Reifrock, den sie trägt, entstellt sie."

In nur 19 Jahren schenkte die Erzherzogin von Österreich, Königin zu Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Herzogin zu Burgund, zu Limburg, zu Luxemburg, zu Württemberg und so weiter (der eigentliche Titel ist etwa acht Mal so lang) 16 Kindern das Leben. Das letzte, Max Franz, den späteren Kurfürsten und Erzbischof von Köln, bekam sie mit 39. Viel beschrieben ist, wie sie die Mutterrolle stilisierte. Zahlreiche Gemälde legen Zeugnis davon ab. "Heute tendieren Frauen in Machtpositionen eher dazu, ihre Weiblichkeit zu verleugnen", weiß Badinter, "Maria Theresia ließ ihren Charme spielen." Sie habe jongliert mit den verschiedenen Rollen. Einmal war die Familie Mozart zu Gast bei der Familie Habsburg-Lothringen, wie das österreichische Herrscherhaus seit 1736 hieß. Drei Stunden lang soll gescherzt und gelacht und musiziert worden sein. "Der Wolferl ist der Kaiserin auf den Schoß gesprungen, hat sie um den Hals bekommen und rechtschaffen abgeküsst", berichtet Leopold Mozart beglückt.

Maria Theresia setzte der Fixierung auf männliche Thronfolger ein Ende

Für die Feministin stecken in der Familienrolle aber noch ganz andere, nicht nur die damalige Welt verändernde Botschaften. "Indem sie sechzehn Kinder zur Welt bringt, darunter fünf Söhne, setzt sie der obsessiven Fixierung ihrer Vorgänger auf einen männlichen Erben ein Ende und stärkt die symbolische Macht der Habsburger", so Badinter. Außerdem hätten die "fast ununterbrochenen Schwangerschaften über zwanzig Jahre hinweg ihrem Körper das Bild einer Lebenskraft verliehen, die der Körper des Königs niemals kennen wird". Und sie habe sich "nicht wie die meisten Frauen ihres Ranges damit begnügt, Kinder zur Welt zu bringen, sondern hat sie aufgezogen und zeigt sich regelmäßig bei ihnen".

Trotzdem bestimmt Machtkalkül bei manchen den Lebensweg. Tragisches Sinnbild dafür ist Maria Antonia oder Marie Antoinette, die sich, keine 15 Jahre alt, mit dem Dauphin von Frankreich vermählen muss, dem späteren König Ludwig XVI. Aber erst acht Jahre später wurde sie zum ersten Mal schwanger. Dazwischen liegt ein mehrfach übersetzter und komplettierter Briefwechsel mit ihrer Mutter, voller intimer Details. Das Ende der beiden Enkelsöhne, einer starb im Gefängnis, und von Tochter und Schwiegersohn unter dem Fallbeil in Paris muss Maria Theresia nicht mehr miterleben.

Eine Frau, die zugleich nah und fern erscheint

"Es ist weder meine Absicht, eine geschichtliche Studie über das theresianische Österreich, noch eine Herrscherinnenbiographie in der üblichen Form zu verfassen", charakterisiert Badinter ihr aufschlussreiches Buch, "vielmehr möchte ich versuchen zu begreifen, wie diese mächtige Frau ihre unterschiedlichen sozialen Rollen miteinander vereinbaren oder eben nicht vereinbaren konnte." Entstanden sei "das Bild einer Frau, die zugleich nah und fern erscheint – nah, weil sie ihr Herz zu öffnen versteht und ihre Freude, ihren Ärger und ihre Kalamitäten auch wirklich zeigt; nah vor allem auch, weil sie sich Herausforderungen stellen musste, die Männern unbekannt, den Frauen des 21. Jahrhunderts jedoch sehr vertraut sind; aber auch fern, weil sie über eine Macht verfügte, die wir nicht kennen, und weil ihre Realität sich uns zu einem Teil entzieht".

Was im Jubiläumsjahr nicht vergessen werden soll, ist die Bedeutung einer Regentin, die nie versucht hat, zur Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gekrönt zu werden – in der weisen Erkenntnis, dass es ohnehin nicht dazu gekommen wäre. Stattdessen setzte sich ihr Ehemann und Mitregent Franz Stephan durch. Bei der Kaiserwahl 1745 in Frankfurt konnte der Gemahl auf sieben der neun kurfürstlichen Stimmen zählen.

Aber es blieb dabei: Der "Mann des Jahrhunderts", wie Hofbaumeister Emanuel Teles da Silva einmal schrieb, "ist eine Frau". Eine, deren Vorbildcharakter bisher zu kurz kam in der europäischen und der deutschen Geschichte – nicht nur aus Frauensicht. "Die Paten des neuen Deutschland dürfen nicht Wilhelm I., II. und Bismarck heißen, sondern Konrad Adenauer, Willy Brandt, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl", empfahl Heiner Geißler nach der Wiedervereinigung, "wobei ich mir gewünscht hätte, dass bei der Überführung der Gebeine Friedrichs II. von der Hohenzollernburg nach Sanssouci irgendeiner wenigstens einmal gesagt hätte, dass derselbe zwar preußischer König war, aber die deutsche Kaiserin damals Maria Theresia hieß, und gegen die hat er Krieg geführt."

 

Élisabeth Badinter: Maria Theresia. Die Macht der Frau, übersetzt von Horst Brühmann und Petra Willim, Zsolnay, Wien 2017


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2 Kommentare verfügbar

  • EuroTanic
    am 10.03.2017
    Antworten
    Menschen die nur auf Kosten anderer gelebt haben haben keine Auszeichnung verdient. Die selbsternannten Adels- und Königshäuser müssen ihren geraubten Besitz zurückgeben und bei ihren Opfern um Gnade bitten
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