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"Der Sklavenstaat muss verschwinden"

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Von den Hunderten, die täglich in der Stuttgarter Bolzstraße in die Kinos strömen, wissen wohl die wenigsten, an wen sie erinnern will. Dabei war Eugen Bolz einmal Württembergs Staatspräsident. Und in diesen Tagen ist es erst siebzig Jahre her, dass Hitlers Volksgerichtshof ihn zum Tode verurteilte.

Schulen, eine Stiftung, Plätze und Straßen im ganzen Land sind nach ihm benannt, und am Stuttgarter Königsbau ist ihm ein mannshohes Bronzerelief von Alfred Hrdlicka gewidmet, das ihn als einsames, betendes, gefesseltes Opfer unterm Galgen zeigt. Eugen Bolz war ein aufrechter Mann mit Prinzipien – und mit vielen Facetten: ein konservativer, zuweilen elitär, aber auch sozial denkender Demokrat mit einer hohen Auffassung von Staat und Moral, von Recht und Ordnung. Und zugleich ein Pragmatiker, dem es als Politiker bei aller Grundsatztreue um einigermaßen menschengerechte Verhältnisse ging: "Nicht das, was sein sollte, sondern das ist die große Frage: Was ist politisch möglich und erreichbar, und auf welchen Wegen ist es zu erreichen?"

Seine eigentliche Tragik habe darin bestanden, "dass er vom ersten Tag an das Unheil kommen sah und doch nicht helfen konnte". Das sagte Gebhard Müller, der neun Jahre nach Kriegsende Ministerpräsident des neuen Bundeslands Baden-Württemberg und später Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden sollte. Da sind Zweifel angebracht. Hätte Bolz tatsächlich vorausgesehen, welches Unheil der Hitlerfaschismus über die Welt bringen würde, hätte er noch 1932 wohl kaum an seine Frau Maria geschrieben: "Mein Eindruck über Hitler war ein besserer, als ich vermutete. Seine Äußerungen waren konsequent und klar, und seine Auffassungen decken sich im Allgemeinen weitgehend mit den unseren." Hätte sich ferner wohl dem Fraktionszwang seiner Zentrumspartei, des politischen Arms des deutschen Katholizismus, widersetzt und am 24. März 1933 im Reichstag doch nicht für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Und hätte wohl auch Jahre später, im Kreis der Verschwörer um den Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, seine staatsphilosophisch wie religiös begründeten Bedenken gegen den Tyrannenmord zurückgestellt.

Über viele Jahre stand für den Juristen Bolz wie für viele andere Bürgerliche, so sein Biograf Frank Raberg, "der Hauptfeind der Republik links – auf dem rechten Auge war er zwar nicht 'blind', aber er sah mit ihm erheblich schlechter". Als Bolz seinen Irrtum begriff, war es zu spät. Und doch war er eben auch ein mutiger, ein todesmutiger Mann und ein Patriot. "Und wenn ich umkomme", schrieb er, als er sich dem konservativen Widerstand um Goerdeler und Stauffenberg angeschlossen hatte, "mein Leben ist nichts, wenn es um Deutschland geht ... Ich kann nicht anders. Ich muss dabei sein."

Für Bolz, zwölftes Kind und einziger Sohn einer Rottenburger Kaufmannsfamilie, gab es die als typisch bürgerlich berühmten Tugenden und Haltungen, an denen nicht zu rütteln war. Das Sparen gehörte dazu und Pünktlichkeit, Disziplin, Pflichterfüllung, Fleiß, Gehorsam gegenüber einer vermeintlich gottgewollten Obrigkeit. Die tiefe, schon im Elternhaus praktizierte Frömmigkeit begleitete und hielt ihn ein ganzes Leben lang, bis in die Todeszelle. Sie durchdrang sein Denken so sehr, dass er den Satz prägte, Politik sei ja "nichts anders als praktisch angewendete Religion". Und auch sie ließ ihn, der als Schüler des Stuttgarter Karls-Gymnasiums noch neugierige Anteilnahme, wenn nicht sogar Sympathien für sie empfunden hatte, auf Distanz zur Sozialdemokratie gehen wegen ihrer Glaubens- und Kirchenferne.

Schwankende Stimmungen

Als Bolz 1928 württembergischer Staatspräsident wurde, führte er die bestehende Koalition unter Ausschluss der Wahlsiegerin SPD fort, mit den Deutschnationalen und trotz deren verhängnisvoller Nähe zur NSDAP. Einige Jahre zuvor hatte er noch die Ansicht vertreten, die SPD gehöre wegen ihrer Bedeutung und Stärke immer in eine Regierung; er wollte nicht, dass "die Masse der Arbeiter" in Opposition stünde. Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot bekämpfte Bolz übrigens intensiver und erfolgreicher als die meisten anderen Regierenden in Deutschland.

Widersprüchliches Meinen und Tun waren ihm ja nicht fremd. Im Ersten Weltkrieg erlebt er das sinnlose Blutvergießen bei den Kämpfen um den Hartmannsweilerkopf im Elsass mit (zum Artikel <link http: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne der-berg-den-sie-menschenfresser-nannten-2319.html _blank>"Der Berg, den sie Menschenfresser nannten") und vertraut seinem Tagebuch schwankende Stimmungen an. "Mit Stolz sandte ich den Franzosen am Osterdienstag meine ersten Granaten", brüstet sich der Leutnant im April 1915 in seinem Tagebuch. Und fast zeitgleich bekennt er: "Ich war nie ein Freund des Krieges. Ich glaubte nie an einen solchen Wahnsinn unter berechnenden Kulturvölkern. Ich halte auch den jetzigen Krieg für den größten Wahnsinn in der Geschichte."

Mit 38 Jahren wird Bolz, inzwischen mit dem Titel eines Amtsrichters versehen und zugleich sowohl im Reichs- wie im Landtag ein aufstrebender Zentrums-Abgeordneter, Justizminister in Stuttgart. Nach drei Jahren folgt der Aufstieg an die Spitze des Innenministeriums, und Bolz erwirbt sich in der Folge so viel Ansehen in der Bevölkerung und Anerkennung als Verwaltungs- und Finanzfachmann, dass er für hohe Ämter in Berlin gehandelt wird. Im November 1923, nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch in München, greift er übrigens schärfer gegen die NSDAP durch als viele seiner Kollegen in anderen Ländern: Bolz lässt ihre Spitzenfunktionäre verhaften und ihre Geschäftsstellen von der Polizei besetzen ...

In den Krisenjahren der Weimarer Republik mit Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und anschwellendem Extremismus leidet Bolz unter dem unerbittlichen politischen Gegeneinander. Am Ende, in seiner Neujahrsbotschaft 1933, beklagt er verzweifelt den Zustand des deutschen Parlamentarismus: "Nur zum Einreißen finden sich hin und wieder Mehrheiten von Parteien zusammen, die sich sonst nur mit Messer und Revolver bearbeiten." Straßenschlachten, speziell von Nazis inszeniert, sind da längst an der Tagesordnung, Wahlkampfkundgebungen werden reihenweise gesprengt, der Ruf nach dem starken Mann wird immer lauter.

Im März 1933 wird Hitler Reichskanzler, und Bolz kommentiert: "Wir sind nicht dagegen ... Wir sind seit Monaten davon überzeugt, dass die Kanzlerschaft Hitlers eine politische Notwendigkeit geworden ist." Was ihm vorschwebt, ist ein "Diktator auf Zeit", ein christlich und national eingestellter Regent, gestützt auf eine "Notgemeinschaft der Parteien". Wenig später wird er in Stuttgart als Staatspräsident durch den Nazi Wilhelm Murr abgelöst – freilich mit seiner eigenen und den Stimmen seiner ganzen Fraktion. Und in Berlin beschließt der Reichstag das verhängnisvolle Ermächtigungsgesetz, dem auch er nach heftigen internen Debatten schweren Herzens zustimmt, wie viele Deutsche in der hoffenden Erwartung, der sogenannte Spuk werde bald vorüber sein und Hitler sich an seine Zusagen halten.

Unliebsame Politiker verschwinden

Stattdessen schicken die neuen Machthaber eine Terrorwelle durchs Land, Organisationen und Parteien lösen sich auf oder werden verboten, unliebsame Politiker verschwinden in Zellen. Im Juni 1933, nach einer bösartigen Kampagne im Stuttgarter "NS-Kurier", ist auch Bolz an der Reihe: Er wird vorgeladen ins Hotel Silber in der Stuttgarter Dorotheenstraße. Sein Parteifreund Heinrich Brüning, der Reichskanzler a. D., der gegen Ende seiner Amtszeit wie Bolz in Württemberg nur noch mit sogenannten Notverordnungen regiert hatte, weil tragfähige parlamentarische Mehrheiten da wie dort nicht mehr zustande kamen, beschrieb, was geschah, als Bolz das Gebäude verließ: Er "wurde ergriffen, auf einen Wagen gesetzt und mehrere Stunden durch Stuttgart gefahren. Die 'erregte Volksmenge' war überall aufgebaut und nahm eine so drohende Haltung an, dass ihn die Polizei in 'Schutzhaft' nahm und in das Gefängnis auf dem Hohenasperg brachte." Bestellte Sprechchöre hatten gefordert, den "Landesverräter" aufzuhängen, Bolz wurde bespuckt und mit Pferdemist, faulen Eiern und Kohlestücken beworfen.

Nach wenigen Wochen wird er freigelassen und zieht sich für längere Zeit ins Kloster Beuron zurück – und dann für etliche Jahre ins Privatleben, als juristischer Berater der Caritas, Steuerberater des Klosters und Teilhaber einer Fabrik. Seine Einweihung in konkrete Widerstandspläne wird auf die Jahreswende 1941/42 datiert: Über christliche Gewerkschafter kommt Bolz in Kontakt zu Gegnern des Regimes, unter anderem zu führenden Mitarbeitern der Firma Bosch und vor allem zu Goerdeler, einem früheren Deutschnationalen und sogar Reichskorpskämpfer, der das Regime immer heftiger ablehnte und schließlich 1943 formulierte: "Das deutsche Volk muss und wird sich selbst von einem System befreien, das unter dem Schutz des Terrors ungeheure Verbrechen begeht und Recht, Ehre und Freiheit des deutschen Volkes zerstört."

Seine Geschäftsreisen ins In- und Ausland nutzt Bolz dazu, Verbindungen zu knüpfen und zu pflegen, unter anderem zum "Wüstenfuchs" Erwin Rommel. Schließlich ist Bolz, der einmal sagte "Der Sklavenstaat muss verschwinden, koste es, was es wolle!", so wichtig für die Verschwörer, dass er als Innen- beziehungsweise Kultusminister einer neuen Reichsregierung unter Goerdeler genannt wird.

Ob es ernst gemeint ist oder in der Erwartung geschrieben wird, es werde notfalls gefunden und ihn entlasten – jedenfalls notiert Bolz nach dem misslungenen Versuch, Hitler am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze in Ostpreußen in die Luft zu sprengen: "Ich habe nichts getan, ich bin an der Vorbereitung des Attentats nicht beteiligt, es ist nichts geschrieben." Im August steht die Gestapo dennoch vor Bolz' Villa am Stuttgarter Kriegsbergturm. In Berlin erwarten ihn Haft und Folter und ein kurzer Prozess vor dem Volksgerichtshof unter seinem berüchtigten Präsidenten Roland Freisler.

Ein Foto von der Gerichtsverhandlung, bei der es nichts zu verhandeln, sondern nur das vom "Führer" gewollte Urteil zu verkünden gibt, drei Tage vor Weihnachten, zeigt einen weißhaarigen, gealterten Mann, aufrecht und gefasst. Verurteilt wird er, weil er Kenntnis von den Plänen für den Staatsstreich und sie nicht angezeigt hatte – Bolz, "für immer ehrlos", habe sich zugleich zum "Knecht der Feinde" im Ausland gemacht.

Sein schwäbischer Landsmann Eugen Gerstenmaier, dem Kreisauer Kreis um Graf Moltke zugehörig, nach dem 20. Juli selbst nur mit viel Glück davongekommen und später langjähriger Präsident des Deutschen Bundestags, berichtet, Bolz habe ein Gnadengesuch an Hitler richten wollen und doch schon vor seinem Prozess zu Dritten gesagt: "Sie werden sehen, sie werden sich nicht scheuen, uns die Köpfe abzuschlagen."

Am 23. Januar 1945 werden in Plötzensee neun Männer des 20. Juli gehängt, dann stirbt Eugen Bolz durch das Fallbeil. Sein Leichnam wird verbrannt, die Asche, um die seine Frau vergeblich bittet, verstreut.


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4 Kommentare verfügbar

  • Pedro Ro.
    am 09.01.2015
    Antworten
    Es wird Ihnen ganz herzlich gedankt, an diese außergewöhnliche Persönlichkeit mit diesem außergewöhnlichen Schicksal erinnert zu haben. In ihm verkörpert sich die Realität des Widerstands im Schwanken zwischen den Motivationen, den Irrtümern und Nicht-Irrümtern, dem Eintreten bis zum Ende für die…
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