KONTEXT:Wochenzeitung
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Die Emotionen des Monarchen

Die Emotionen des Monarchen
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Hat er oder hat er nicht? Ob Wilhelm II. von Württemberg im August 1914 bei der Verabschiedung seiner Soldaten in den Ersten Weltkrieg tatsächlich Tränen vergossen hat, war auch Thema bei der offiziellen Vorstellung des neuen Kontext-Buches "Der König weint" im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv.

Wenn es denn einen Beleg für die Emotionen des Monarchen gäbe, dann müsste er sich eigentlich genau dort finden lassen, wo Herausgeber Wilhelm Reschl und weitere Autoren am Donnerstag vergangener Woche (25. 9.) vor knapp hundert interessierten Besuchern einige Kapitel aus "Der König weint" gelesen haben. Doch Gastgeberin Dr. Nicole Bickhoff, die Chefin des Archivs, hatte beim Studium der hauseigenen Bestände eher Gegenteiliges gefunden: Mit "Thränen" habe Wilhelm seinem Schmerz Ausdruck verliehen, dass er nicht selber mit ins Feld ziehen konnte, steht in den Notizen des damaligen Ministerpräsidenten Karl von Weizsäcker.

Ansonsten aber war die Hausherrin voll des Lobes über ein Buch auf "außerordentlich hohem journalistischem Niveau". Hier das Grußwort von Nicole Bickhoff:

 

Als die Kontext:Wochenzeitung vor wenigen Wochen mit dem Wunsch an uns herangetreten ist, das Buch im Hauptstaatsarchiv der Öffentlichkeit vorzustellen, bin ich sehr gerne diesem Wunsch nachgekommen.

Zum einen, weil mich das Produkt wirklich überzeugt hat – das Werk, das es heute vorzustellen gilt, beinhaltet keine der gängigen Schilderungen der "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", sondern es greift eher Randthemen auf, Vergessenes und Verdrängtes aus den Jahren 1914 bis 1918, angesiedelt im regionalen Kontext des Südwestens, und es tut dies in seinen Beiträgen auf außerordentlich hohem journalistischem Niveau.

Zum anderen werden in dem Band Themen angesprochen, die zum Hauptstaatsarchiv, zu seinem Profil und vor allem auch zu seinen Beständen sehr gut passen. Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart verwahrt mit seinen militärischen Beständen eine sehr reiche Überlieferung zum Ersten Weltkrieg. Aufgrund der fast völligen Vernichtung des Heeresarchivs in Potsdam im Zweiten Weltkrieg sind die militärischen Bestände hier im Hause nicht nur für die württembergische, sondern für die gesamte Militärgeschichte des Kaiserreichs von hoher Bedeutung. Sie umfassen unter anderem die Akten des Kriegsministeriums und der ihm unterstellten Behörden und Formationen, Kriegstagebücher und Personalunterlagen, vor allem die Kriegsstammrollen des XIII. württembergischen Armeekorps, sowie umfangreiche Sammlungsbestände wie Nachlässe und Bildsammlungen. Letztere finden Sie bereits zu einem großen Teil online gestellt.

In seinen handschriftlichen Erinnerungen an den letzten württembergischen König notierte der damalige Ministerpräsident Karl von Weizsäcker: "Als der Weltkrieg kam, hat er (gemeint ist König Wilhelm II.) mir in Friedrichshafen mit Thränen seinen Schmerz ausgesprochen, dass er nicht selbst in den neuen Feldzug gegen die Franzosen mitziehen könne."

Offensichtlich hielt man in Württemberg im Sommer 1914 die politische Entwicklung für recht harmlos – was auch die Tatsache zeigt, dass der Monarch die Sommerfrische am Bodensee genoss, während in Berlin die diplomatischen Drähte heiß liefen und die allgemeine Mobilmachung angeordnet wurde. Vielleicht kreisten Wilhelms Gedanken um die eigenen Erfahrungen, die er in jungen Jahren beim Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 gesammelt hatte. Hoffnungsvoll war zu diesem Zeitpunkt die Atmosphäre im deutschen Oberkommando, wo der Württemberger Ende August mit dem Kaiser, dem Reichskanzler und Generalstabschef Moltke "in sehr zuversichtlicher, befriedigter Stimmung" zusammentraf.

Scheinbar in Widerspruch zu dieser optimistischen Haltung steht die Gefühlsregung, die dem heute vorzustellenden Buch seinen Titel gegeben hat: "Der König weint". Es gibt keinen offiziellen Beleg für die Beobachtung, dass König Wilhelm II. bei der Verabschiedung seiner Truppen Tränen in den Augen gestanden haben. Vielleicht aber war diese Emotion des Monarchen trotz aller – echten oder nur zur Schau getragenen Zuversicht – ein Zeichen der Erkenntnis oder zumindest Befürchtung, dass viele der Soldaten, die er verabschiedete, nicht in die Heimat zurückkehren würden.

Die Aussage, "der König hätte bei dieser sonst so fröhlichen Veranstaltung Tränen in den Augen gehabt", hat auch die Lyrikerin Hilde Domin berührt, sie nimmt darauf Bezug im Gedicht "Ein blauer Tag", das ich zitieren möchte:

Ein blauer Tag
Nicht Böses kann dir kommen
An einem blauen Tag
Ein blauer Tag
Die Kriegserklärung
Die Blumen öffneten ihr Nein
Die Vögel sangen Nein
Ein König weinte
Niemand konnte es glauben
Ein blauer Tag
Und doch war Krieg

Gestorben wird auch an blauen Tagen
Bei jedem Wetter
Auch an blauen Tagen wirst du verlassen
Und verlässt du
Begnadigst nicht
Und wirst nicht begnadigt
Auch an blauen Tagen
Wird nichts zurückgenommen
Niemand kann es glauben:
Auch an blauen Tagen
Bricht das Herz. 

Letztendlich kostete der Erste Weltkrieg circa 85 000 Württemberger das Leben, etwa 200 000 sollten verwundet werden.

 

"Der König weint" kann ab sofort über die Redaktion bestellt und bezogen werden. Der 172 Seiten starke Band fasst in 18 Kapiteln die gleichnamige Serie über den Weltkrieg im Südwesten zusammen, die in der ersten Jahreshälfte in Kontext erschienen ist. Die Artikelsammlung, die von Kontext-Autor Wilhelm Reschl bearbeitet wurde und von dem studierten Historiker herausgegeben wird, kann ab sofort per E-Mail über <link>verwaltung@kontextwochenzeitung.de oder telefonisch unter 07 11 - 66 48 65 48 bestellt werden.

Das Buch kostet 14,90 Euro zuzüglich Versandkosten, kann aber auch nach vorheriger telefonischer Absprache (Mo-Fr 10-17 Uhr) in der Redaktion (Hauptstätter Straße 57 in Stuttgart-Mitte) abgeholt werden.


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