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Der verhinderte König von Litauen

Der verhinderte König von Litauen
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Heute wäre Herzog Wilhelm von Urach sicher ein Liebling der Yellow Press: seine Mutter, eine monegassische Prinzessin aus jenem Hause Grimaldi, dessen Mitglieder bis heute manches bunte Blatt füllen. Doch der schwäbische Prinz war auf der Suche nach einer Krone. Teil XII unserer Serie "Der Weltkrieg im Südwesten".

Playboy hätte er werden, als Prügel- oder Pinkelprinz den Marktwert mancher Gazette steigern können. Aber der 1864 geborene Hochadlige war schon seinem Naturell nach eher solide, ja fast bieder. Er wächst auf Schloss Lichtenstein und in Stuttgart auf, dort macht er am Karlsgymnasium sein Abitur, um anschließend – wie man so sagt – eine militärische Laufbahn einzuschlagen.

Er wird Kavallerieoffizier im württembergischen Heer; zu Beginn des Ersten Weltkriegs ist er Generalleutnant und Divisionskommandeur. Eine schöne Karriere, möchte man meinen, doch der Herzog strebt nach Höherem: Er will einen Thron besteigen. Den in Württemberg hat sein gleichnamiger Verwandter inne, nicht nur das, König Wilhelm hat Herzog Albrecht zu seinem Nachfolger bestimmt, einen populären Heerführer im Weltkrieg; einen Katholiken wie der Herzog von Urach auch.

Also muss sich der nach einem Thron im Ausland umschauen. An Europas Rändern brodelt es, neue Staaten entstehen, vor allem auf dem Balkan. In Griechenland, Rumänien und Bulgarien sind schon deutsche Fürsten zum Zuge gekommen.

1910 hat er sich im heimatlichen Monaco beworben, drei Jahre später in Albanien, einem Land, das er bestenfalls durch die Lektüre von Karl Mays Abenteuergeschichten "Durch das Land der Skipetaren" gekannt haben mag. Danach will er Monarch eines möglichen Großherzogtums Elsass-Lothringen werden, schon während des Krieges bewirbt er sich um den Königsposten in Polen. Überall geht der Schwabenprinz leer aus.

Allerdings ist er durch sein Interesse an Polen auf dem Personaltableau deutscher Ostpolitik aufgetaucht. Wenn es nach der Reichsregierung und vor allem den führenden Miltärs geht, soll ein ganzer Gürtel an Vasallenstaaten zwischen Deutschland und Russland entstehen.

Diese sogenannte "Randstaatenpolitik" sollte Russland weit nach Osten drängen, von Finnland bis zur Ukraine würden selbstständige Staaten entstehen. Praktisch so, wie es heute ist – allerdings noch ohne EU und ohne Demokratie.

Im Friedensvertrag von Brest-Litowsk haben die Deutschen ihre Vasallenstaaten auch so durchgesetzt. In aller Welt nennt man diesen Vertrag damals "Raubfrieden" oder "Diktatfrieden". Wie sich die Zeiten ändern ... Die neuen Staaten und Stätleins sollten natürlich Monarchien werden, vorzugsweise besetzt mit ungekrönten aber throngeilen deutschen Prinzen. So kommt nun wieder Herzog Wilhelm ins Spiel.

Das kleine Litauen, hoch oben im Baltikum, sucht einen König. Der soll vor allem katholisch sein. Der umtriebige Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger vermittelt seinen schwäbischen Landsmann an die Litauer. Am 1. Juli 1918 trifft sich eine litauische Delegation mit Herzog Wilhelm im badischen Freiburg. Der Württemberger hat auch seinen ältesten Sohn mitgebracht, also den potenziellen Kronprinzen. Die anderen zehn Kinder und die Gattin, eine bayerische Prinzessin sind nicht beteiligt.

Die Sozialisten in den baltischen Staaten spotten zwar über den "Prinzen-Export", doch sie sind – nicht nur in Litauen – nur eine Minderheit. Am 11. Juli 1918 wählt die Taryba, der litauische Landesrat, Wilhelm zum König von Litauen; als solcher soll er den Namen Mindaugas II. tragen. Der erste Mindaugas hat im 13. Jahrhundert das Königreich Litauen gegründet, das allerdings seit dem Mittelalter praktisch nie mehr selbstständig war.

Zunächst scheint alles glatt zu laufen. Der Thronanwärter lernt Litauisch, fragt seinen Dienstherrn König Wilhelm, der zugleich sein – wesentlich älterer – Neffe ist, um Erlaubnis. Als guter Katholik schreibt er auch an den Papst Benedikt XV. Der König gibt sein Plazet, der Papst erteilt den apostolischen Segen. Beides nützt freilich wenig: König und Papst haben nämlich nichts zu melden.

Der Kaiser, die Reichsregierung und die Militärführer haben das Sagen. Und die lassen den Herzog von Urach zappeln und mit ihm die Litauer. Ohnehin wird das 1915 besetzte Baltenland in Berlin eher als Kriegsbeute betrachtet. Die litauischen Volksvertreter werden als "ehrgeizige Kaffeehaus-Politiker" verhöhnt und bestenfalls als "gutmütige, aber unreife Schwärmer" eingeschätzt. Über die nationale Bewegung heißt es in einer vertraulichen Note in Berlin: "Sie leidet an einer, oft ans lächerliche grenzenden, Überschätzung der eigenen Kraft."

So wird den Völkern Osteuropas ziemlich rasch bewusst, dass der große Krieg sie zwar vom zarischen Joch befreit hat, dass jedoch das preußisch-deutsche Herrenmenschentum auch nicht besser ist. Den schwäbischen Thronaspiranten Wilhelm von Urach behandeln die Herren in Berlin kaum vornehmer. Just am Tag seiner Wahl, am 11. Juli 1918 , hat Kaiser Wilhelm dem König von Sachsen den litauischen Thron, in Personalunion, versprochen – streng geheim natürlich.

Die Sache sickert durch und sorgt in der Hauptstadt Vilnius für Erregung, die Litauer wollen auf gar keinen Fall einfach so mitregiert werden, wie im 18. Jahrhundet als der Sachse August "der Starke" über Polen und Litauen geherrscht hat. Man kann nur staunen, mit welchen abstrusen dynastischen Winkelzügen sich der deutsche Kaiser beschäftigt hat, während an der Front im Westen tagtäglich Tausende seiner Soldaten elend zugrunde gehen.

Zwei Monate später wankt die deutsche Armee in Frankreich einer Niederlage entgegen; auch den Völkern im Osten Europas wird klar: Das Reich des Kaiser Wilhelm hat den Krieg verloren. Das Interesse an deutschen Prinzen kühlt rasch und merklich ab. Am 2. November beschließt der Litauische Landesrat einstimmig, eine republikanische Verfassung anzustreben.

Der Beinah-König Wilhelm von Urach geht nach dem Krieg einem anderen Hobby nach. Er studiert und wird bereits 1922 mit einer Arbeit zur Stadtgeografie von Reutlingen an der Universität Tübingen zum Dr. phil. promoviert.

Im selben Jahr versucht er noch einmal seinen Anspruch auf den Fürstenthron von Monaco anzumelden. Aber Frankreich, Schutzmacht der Operettenmonarchie, will natürlich keinen "Boche" als monegassisches Oberhaupt.

So stirbt Wilhelm, Herzog von Urach, Graf von Württemberg 1928, ohne jemals eine Krone getragen zu haben. Er wird neben seinen gekrönten und ungekrönten Verwandten in der Schlosskirche zu Ludwigsburg beigesetzt.


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