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Kunst aus dem Schützengraben

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Otto Dix war nicht der einzige: In keinem anderen Krieg haben so viele Künstler ihre Eindrücke in Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafik festgehalten wie im Ersten Weltkrieg. Dies wird 100 Jahre danach in zahlreichen Ausstellungen erstmals erfahrbar. Teil 4 unserer Serie "Der Weltkrieg im Südwesten".

Wohlig ausgestreckt liegt der württembergische Generalleutnant Theodor von Wundt auf der Wiese und schmaucht ein Pfeifchen, mit sich und der Welt im Reinen: braun, gelb und grün die Felder der Picardie, im Hintergrund zwischen Bäumen ein Dorf. "Drunten im Unterstand, do ist's halt schön", steht unter einem Aquarell, das den Generalleutnant in einem etwas engen Raum, im Kreise seiner Offiziere bei einem Gläschen Wein zeigt, offenbar lustige Anekdoten erzählend. So idyllisch porträtierte Albert Heim, offiziell angestellt als Regimentszeichner, den Ersten Weltkrieg, oder besser: So wollte von Wundt ihn wohl dargestellt sehen. Heims Humor wird gelegentlich etwas aufmüpfig – nicht alle Zeichnungen wurden von der Zensur freigegeben. Doch alles in allem kommt von Wundt gut weg: ein väterlicher Freund, vielleicht mit der einen oder anderen Schrulle.

Zwischen den Werken Heims und zweier weiterer Künstler im Besitz des <link http: www.landesarchiv-bw.de web _blank>Stuttgarter Hauptstaatsarchivs, Eugen Nanz und Paul Lang-Kurz, und Otto Dix' grimmigem Hyperrealismus scheinen Welten zu liegen. Auch Käthe Kollwitz' flammender Aufruf "Nie wieder Krieg!" oder Max Beckmanns durch Kriegserlebnisse als Sanitäter in Unordnung geratene Welt scheinen weit entfernt. Sicher, Dix' Grafikzyklus "Der Krieg" und seine Gemälde zum Thema sind erst später entstanden, auf der Grundlage von Skizzen, die er vor Ort im Schützengraben anfertigte. Auch Heim, Nanz und Lang-Kurz, die sicher nicht zu den epochemachenden Künstlern gehören, zeigen die Schützengräben an der Somme und bei Ypern, hier und da auch einmal einen gefallen Soldaten oder einen Friedhof. Dennoch bleibt eine Diskrepanz, die sich nicht auf Anhieb erklärt. Kann es sein, dass verschiedene Künstler den Krieg so unterschiedlich wahrnahmen?

100 Jahre nach Kriegsbeginn haben viele Museen ihre Bestände durchforstet und geben nun erstmals Gelegenheit, zu überprüfen, wie zahllose bekannte und unbekanntere Künstler den Ersten Weltkrieg ins Bild gesetzt haben. Die Bundeskunsthalle Bonn hat bereits Ende 2013 mit rund 200 Werken den Anfang gemacht. Das Künstlerhaus Edenkoben zeigt Max Slevogt als Kriegsmaler, die Augsburger Museen Paul Klee, der dort auf dem Flughafen stationiert war, Mülheim an der Ruhr den in den ersten Kriegsmonaten gefallenen August Macke, Güstrow Ernst Barlach und das Stuttgarter Kunstmuseum natürlich Otto Dix, nebst ein paar weiteren Grafiken anderer Künstler, unter anderem von Oskar Schlemmer im Lazarett. Wuppertal wagt den Vergleich zwischen deutschen und französischen Darstellungen. Auch der Louvre Lens, das Centre Pompidou in Metz und die Londoner National Portrait Gallery widmen sich dem Thema.

Hervorzuheben in diesem Panorama ist eine Privatsammlung: Gerhard Schneider war im Lauf der Zeit zu der Erkenntnis gelangt, "dass eine Fülle von Kunstwerken mit Themen dieses Krieges entstanden ist bzw. durch ihn angeregt wurde, die bislang kaum jemand registriert hat". Bereits 2008 waren einige Werke seiner Sammlung in Oldenburg zu sehen. Nun stellt eine große Ausstellung in Reutlingen, Attendorn im Sauerland und Aschaffenburg mehr als 300 Arbeiten vor. Schneider konzentriert sich auf "expressive Kunst", also die moderne Kunst jener Zeit. In seiner Sammlung finden sich große Namen wie Ernst-Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Conrad Felixmüller oder Max Pechstein. Heute zu Höchstpreisen gehandelt, war ihre Kunst seinerzeit umstritten – und verhielt sich kritisch zum Zeitgeschehen.

"Kein einziger Expressionist war reaktionär", schreibt der Dichter Ivan Goll 1921. "Kein einziger war nicht Anti-Krieg. Kein einziger, der nicht an Brüderschaft oder Gemeinschaft glaubte. Auch bei den Malern." Als die Expressionisten, von den Nazis als "entartet" verfolgt, nach 1945 wiederentdeckt wurden, wurden allerdings ausschließlich die formalen Aspekte wahrgenommen. Das Thema Krieg wurde verdrängt. Künstler, die nicht zur ersten Reihe der Avantgarde zählten, sich aber kritisch mit ihrer Umgebung auseinandersetzten, fanden keine Beachtung. "In mancher Hinsicht", so Schneider, "gehören sie zum vergessenen, auch kulturellen Gedächtnis der jüngeren Vergangenheit."

Ganz ohne Einschränkungen ist Goll nicht zuzustimmen. Es gab Künstler, die sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet haben: Otto Dix, Franz Marc, Ernst-Ludwig Kirchner, Max Ernst, Oskar Kokoschka, Max Slevogt, Max Beckmann, sogar Wilhelm Lehmbruck, der später am Erlebnis des Krieges verzweifelte. Auch Max Liebermann, zwar kein Expressionist, aber einer der angesehensten Künstler seiner Zeit, verhielt sich staatstragend. Auf dem Titelblatt der von Paul Cassirer, dem großen Förderer moderner Kunst, herausgegebenen Zeitschrift "Kriegszeit" illustrierte er die Rede Kaiser Wilhelms vom Balkon des Berliner Stadtschlosses. Wilhelm hatte gesagt: "Ich kenne keine Partei mehr. Ich kenne nur noch Deutsche" – ein Zugeständnis an die Sozialdemokraten, die im Gegenzug den Krieg unterstützen.

Doch schon bald folgte die Ernüchterung. "Die Leute, die in Deutschland im Siegestaumel leben, ahnen nicht das Schreckliche des Krieges", schrieb August Macke 1914 aus dem Feld, kurz vor seinem Tod. "Die Welt ist um das blutigste Jahr ihres vieltausendjährigen Bestehens reicher", vermerkte Franz Marc 1916 auf seiner letzten Neujahrspostkarte. Lehmbruck, der mit seinem "Gestürzten" ein Sinnbild dieser Desillusionierung schuf, setzte seinem Leben 1919 ein Ende. Kirchner begab sich nach Davos in psychiatrische Behandlung, erholte sich nie mehr ganz und wählte 1937 ebenfalls den Freitod, als er von der Beschlagnahmung seiner Werke durch die Nazis erfuhr.

Paul Cassirer, der sich auch freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, wurde unter dem Eindruck seiner Erlebnisse zum Pazifisten. Vorübergehend in Haft, gab er nun eine andere Zeitschrift, den "Bildermann" heraus, der das Geschehen mit mehr Abstand betrachtete. In der 12. Ausgabe vom 20. September 1916 findet sich zum Beispiel eine Lithografie von Ottomar Starke, die zwei Männer beim Geldzählen zeigt. "Wir arbeiten nur mit 300 % Reingewinn", steht darunter. So deutlich äußerten sich auch die Künstler im "Bildermann" selten. Zeitschriften unterlagen der Zensur – wenn auch Kunstzeitschriften sich vielleicht mehr Freiheiten erlauben konnten als beispielsweise die Tagespresse. Im Dezember 1916 erschien das Blatt zum letzten Mal, auf dem Cover eine Abbildung von Ernst Barlach unter dem Titel "Dona nobis pacem."

Dass überhaupt so viele Kriegsbilder von Künstlern in Zeitschriften und Zeitungen erschienen, liegt am Stand der Mediengeschichte: Der Film wurde erst im Verlauf des Kriegs als Mittel der Propaganda entdeckt. Fotografiert wurde viel, aber die druckgrafische Reproduktion war kompliziert. Zudem war es gar nicht so einfach, wirklich dramatische Momente – wie zum Beispiel nächtlichen Artilleriebeschuss – mit der Kamera einzufangen. Zeichnungen konnten solche Erlebnisse viel besser vor Augen führen. Düstere Farben, starke Hell-Dunkel-Kontraste, explodierende Granaten, nächtliche Leuchtfeuer, Inszenierungen von Hass und Gewalt, Leichen im Stacheldrahtverhau, brennende Städte: Fast will es scheinen, als habe der Expressionismus die künstlerischen Mittel entwickelt, um den Krieg richtig ins Bild zu setzen.

Und der Hunger nach Bildern war groß. Einige Künstler wie Slevogt oder Kokoschka waren in offiziellem Auftrag als Schlachtenmaler unterwegs. Andere schickten Skizzen mit der Feldpost nach Haus oder führten gezeichnete Kriegstagebücher wie Waldemar Flaig, bei dem stimmungsvolle Landschaften mit Skat spielenden Soldaten, zerstörten Dörfern und halb verwesten Leichen auf einem Schlachtfeld wechseln. Oder der württembergische Maler <link http: www.fritz-steisslinger.de _blank>Fritz Steisslinger, nach dem Zweiten Weltkrieg im Planungsstab der Stuttgarter Kunstakademie, der den Kriegsalltag der Soldaten aus nächster Nähe in kleinen Ölskizzen festhielt.

Nicht immer lässt sich eine kritische Intention zweifelsfrei feststellen. Edwin Scharffs blutrot nachkolorierte Lithografie "An meinen tapferen fürs Vaterland gefallenen Bruder Alfred" im Kriegsbilderbogen Münchner Künstler scheint Verlassenheit und Sinnlosigkeit auszudrücken. Oder wollte er doch den Heldentod preisen? Bilder von Kriegsgefangenen schwanken zwischen Mitgefühl und stereotypen Feindbildern. Aber zur Kriegspropaganda taugen diese Darstellungen allesamt nicht, umso weniger, je weiter der Krieg fortschreitet. Manche bedienen sich christlicher Motive wie der Pietà – der Trauer der Mutter um ihren toten Sohn – des von Pfeilen durchbohrten Sebastian oder des dornengekrönten Christus. Andere greifen zur Allegorie wie Otto Schubert, der stellvertretend die Leiden der Pferde im Krieg darstellt. Der Totentanz bietet ein jahrhundertealtes, treffendes Motiv. Ernst Barlach, Willy Jaeckel oder Wilhelm Kohlhoff zeigen den Krieg, von Francisco Goya ausgehend, in Form einer riesenhaften Gestalt als sinnloses Wüten.

Dies alles ist neu, trotz Goya. Dessen "Desastres de la guerra" hatten zu Lebzeiten überhaupt nicht erscheinen können und wurden erst 80 Jahre später einem größeren Publikum bekannt. Jahrhundertelang war der Krieg nur dargestellt worden, um die gloriosen Taten der Sieger zu feiern. Mit dem Erlebnis der Schützengräben zerplatzten die Heldenträume. Der Frontsoldat war nur noch Menschenmaterial: Der Zufall entschied, wer als Toter, Verletzter oder Überlebender aus dem Stellungskrieg hervorging. Der Hurrapatriotismus, vor dem Krieg auch durch unzählige Krieger- und Nationaldenkmäler befeuert, wich schnell dem Katzenjammer. Manche hatten es vorher gewusst wie Ludwig Meidner, der bereits 1912 brennende und zerstörte Städte auf die Leinwand gebannt hatte. Er fand kein Gehör. 

Ähnlich erging es Heinrich Stegemann, der 1937 eine Lithografiefolge herausgab um vor der Gefahr eines neuen Weltkriegs zu warnen. Verwundet und verschüttet, hatte er den Ersten Weltkrieg überlebt und seine Erlebnisse schon einmal 1924 in einem Radierzyklus verarbeitet. Es gelang ihm jedoch nicht, seine neue, großformatige Folge an den Mann zu bringen. Zur selben Zeit wurden 43 seiner Arbeiten als "entartet" aus Museen entfernt. 

Info:

Die Ausstellung "Der Erste Weltkrieg im Spiegel expressiver Kunst. Kämpfe - Passionen - Totentanz" aus der Sammlung Gerhard Schneider war vom 1.2. bis 20.4. 2014 im Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen und ist vom 18.5. bis 13.7. im Sauerlandmuseum Attendorn und vom 27.9. 2014 bis 11.1. 2015 in der Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg zu sehen. Der Katalog (280 Seiten, ca. 230 Abbildungen) kostet 25 Euro, ISBN 978-3-939775-40-9.

Reaktionen heutiger Künstler auf den Ersten Weltkrieg zeigt die <link http: www.kontur-stuttgart.de _blank>Ausstellung "Underground" im Bunker der Maginot-Linie Fort de Schoenenbourg, 1.5. bis 3.10. 2014; dazu bietet das Bürgerprojekt die Anstifter <link https: www.die-anstifter.de veranstaltungsorte fort-de-schoenenbourg _blank>Exkursionen an.


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