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Tarifrunde Öffentlicher Dienst

Kämpferische Gärtner:innen

Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Kämpferische Gärtner:innen
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Flughäfen und Busverkehr lahmgelegt, Kitas dicht, Müllabfuhr steht – die Warnstreiks im öffentlichen Dienst nehmen Fahrt auf. In diesen Tagen ist auch Baden-Württemberg dran. Die Gewerkschaft Verdi fordert 10,5 Prozent mehr, die Arbeitgeber bieten um die fünf Prozent plus Einmalzahlungen.

Das kam bei der Gewerkschaft nicht sonderlich gut an: Den Spielregeln der Tarifverhandlungen gemäß nannten die Arbeitgeber ihr Angebot "abschlussfähig". Verdi wies es empört zurück und kündigte massive Warnstreiks an. An der Basis scheint das ganz gut anzukommen.

"Wir sind auf jeden Fall dabei", sagt Sandra Fuhrmann, die bei der Stadt Esslingen als Landschaftsgärtnerin arbeitet. Mit ihren Kollegen Croce Gueli und Antonios Diamantis sorgt sie an diesem Nachmittag für Sauberkeit auf dem Spielplatz im Stadtteil Neckarhalde. Ein Quartier aus Reihen- und Einzelhäusern, am Stadtrand in luftiger Höhe mit Aussicht auf Stuttgart. "Ein angenehmer Arbeitsplatz", sagt die 33-Jährige. "Schöner Blick und wenig Müll und Hundehaufen." Sie hat sich erst spät für die Ausbildung zur Landschaftsgärtnerin entschieden, zunächst Unternehmenskommunikation studiert, was ihr dann doch nicht gefallen hat. Bei der Stadt ist sie gelandet, weil eine Freundin aus dem Hundesportverein ihr dazu geraten hat. Und sie bereut es nicht. "Die Ausbildung war abwechslungsreich, intensiv, und wir hatten gute Ausbilder." Gemeinsam mit ihren 20 und 22 Jahre alten Kollegen war sie in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, hat sich um die Interessen der jungen Belegschaft bei der Stadt gekümmert.

Alle drei sind Verdi-Mitglieder. Für sie ist das selbstverständlich, auch weil der städtische Bauhof traditionell gut organisiert ist – im Gegensatz zu den reinen Verwaltungsabteilungen. Das haben die drei auch persönlich erlebt, als sie in den vergangenen Wochen bei Arbeitsstreiks mitgemacht haben. Bei dieser neuen Form streiken nur einige wenige und laufen an ihrem Streiktag durch die Abteilungen ihrer Firma oder Verwaltung, um für die Tarifbewegung zu werben. Wie war die Reaktion? Die drei schauen sich fragend an. Vorarbeiter Diamantis ergreift das Wort: "Teils unfreundlich, teils sehr zögerlich." Er habe versucht, den Kolleg:innen zu erklären, dass 30 Tage Urlaub und regelmäßige Lohnerhöhungen keine freiwillige Gabe des Arbeitgebers seien. Und dass Tarifabschlüsse rein rechtlich nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten, der Arbeitgeber die Erhöhungen aber allen zahle. "Eigentlich kämpfen wir dann für die, die nicht dabei sind, mit." Sein jüngerer Kollege Gueli ergänzt: "Aber einige haben auch gesagt, dass sie mitstreiken, obwohl sie nicht in der Gewerkschaft sind."

Für einen Singlehaushalt reicht das Geld nicht

Wenn in dieser Woche in Esslingen erst die Jugend und später die städtischen Mitarbeiter:innen zum Warnstreik aufgerufen werden, wollen die drei dabei sein. Wie es ist, zu streiken, wissen sie nicht. "Ist für uns ja das erste Mal", sagt Sandra Fuhrmann.

Auf jeden Fall sei eine ordentliche Lohnerhöhung nötig, auch da herrscht Einigkeit. Als Landschaftsgärtner:innen sind sie in Esslingen in der Entgeltgruppe 5, Stufe 2, übersetzt sind das 2.755,14 Euro brutto pro Monat. Reicht das? Die drei zucken mit den Schultern. Diamantis, der noch zu Hause lebt, zahlt davon die Miete für seine Familie, da seine Mutter nicht arbeiten kann und sein Bruder studiert. Gueli, der ebenfalls noch daheim ist, grinst verlegen. "Ich kann mein Geld komplett behalten." Und Sandra Fuhrmann wohnt mit ihrem Partner zusammen, der ebenfalls arbeitet. "Das geht dann schon irgendwie, aber es wird halt alles teurer." Sie und ihr Freund hätten ihre Gewohnheiten umgestellt: "Wir kaufen nur soviel, wie wir verbrauchen. Früher hatten wir immer irgendwelche Vorräte. Das machen wir nicht mehr." Zudem backe sie Brot nun selbst, damit unter der Woche das Vesperbrot gesichert ist. "Beim Bäcker komme ich ja inzwischen mit drei Sachen in der Hand raus und habe zehn Euro bezahlt. Das ist mir zu viel." Diamantis sagt: "Als Single kannst du davon nicht leben, erst recht nicht hier in Esslingen, wo die Mieten dermaßen teuer sind."

Nun könnten sie als Landschaftsgärtner:innen ja auch in der freien Wirtschaft arbeiten. "Ja, da lässt sich mehr verdienen", sagt Fuhrmann. Aber die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst seien gut, weil verlässlich. Auch für Fortbildung werde gesorgt, so könne Diamantis den LKW-Führerschein machen. "Und der ist echt teuer." Neben solchen Vorteilen, mit denen Kommunen versuchen, ihr Personal zu halten, schlägt für die drei vor allem eines zu Buche. "Wir haben ein richtig gutes Arbeitsklima", sagt Fuhrmann, "die Kollegen hier sind super."

Zu lange zu wenige Leute eingestellt

Das wäre ein Vorteil für die Akquise von Arbeitskräften – wenn er sich denn herumsprechen würde. Insgesamt hat der öffentliche Dienst einen eher mittelmäßigen Ruf. "Wenn wir Straßenrandstreifen säubern und einer steht mal daneben, weil er gerade telefoniert, kommt gleich ein Bürger und motzt, das wäre ja typisch", erzählen Fuhrmann, Gueli und Diamantis.

Auch Menschen aus der Verwaltung dürfen sich viel anhören, angesichts langer Schlangen vor Bürgerämtern, Ausländerbehörden und sehr langsamer Entscheidungsprozesse. Allerdings liegt das offensichtlich weniger an Mitarbeiter:innen als vielmehr an der Organisation von Verwaltungen sowie an der Stellenplanung inklusive Besetzung. In einer Umfrage des Südwestrundfunks (SWR) unter Ausländerbehörden im August 2022 zeigt sich, dass nahezu alle über zu wenig Leute plus zu viele Aufgaben klagen.

Es ist viel schief gelaufen in den Behörden. Digitalisierung versäumt, zu wenig ausgebildet, zu wenig Stellen eingeplant. Die Folge: steigende Krankheitszahlen, lange Wartezeiten, Unzufriedenheit auf allen Seiten und unbesetzte Stellen. Wer will schon in einer Behörde arbeiten, die nicht funktioniert?

All das trifft auf nahezu alle Bereiche in der öffentlichen Verwaltung zu, die dafür da ist, die öffentliche Daseinsvorsorge für die Bürger:innen zu gewährleisten. Die Personalnot führt dazu, dass Kommunen sich gegenseitig die Leute abwerben und dafür Zusatzreize ausdenken. So bezahlt Stuttgart seit kurzem allen Beschäftigten ein ÖPNV-Jahresticket, andere werben mit besonders flexiblen Arbeitszeiten, vielen Weiterbildungsangeboten, Job-Fahrrädern oder auch mal besseren Eingruppierungen als die Nachbarkommunen.

Auf allen Seiten: kein Geld

Wenn die Kommunen aber nun so händeringend Leute suchen – warum sträuben sie sich dann, deutlich mehr zu zahlen? Überfordert seien sie, heißt es von Seiten der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Zwar sagt auch die VKA per Pressemitteilung "Gute Arbeit muss anständig entlohnt werden", verweist aber auf die Nachwehen von Corona, Altschulden und Investitionsrückständen. Nicht zu vergessen die Inflation, die die Kommunen ebenfalls belaste.

Es geht für ziemlich viele um ziemlich viel

Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst (Kommunen und Bund) betrifft die 2,4 Millionen Beschäftigten der Kommunen und die 134.000 beim Bund. Die Forderung der Gewerkschaften Verdi und Deutscher Beamtenbund lautet 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro. Auszubildende, Studierende und Praktikant:innen wollen monatlich 200 Euro mehr. Laufzeit: 12 Monate.

Der Verband der kommunalen Arbeitgeber (VKA) hat in der zweiten Verhandlungsrunde ein Angebot vorgelegt: Drei Prozent mehr ab 1. Oktober 2023 und zwei Prozent ab 1. Juni 2024 plus 1.500 Euro Inflationsausgleich in diesem und 1.000 Euro im nächsten Jahr. Für Azubis, Studierende und Praktikant:innen soll's gestückelt 1.250 Euro Inflationsausgleich geben. Das Weihnachtsgeld soll in diesem Jahr für die höheren Lohngruppen auf 75 Prozent, im nächsten Jahr dann für alle auf 90 Prozent erhöht werden. Laufzeit: 27 Monate.  (lee)

Die Inflation ist auch für Verdi und den Beamtenbund, die gemeinsam verhandeln, das ausschlaggebende Argument für die ungewohnt hohe Forderung von 10,5 Prozent. Damit setzt Verdi ein starkes Zeichen – kaum jemand kann sich noch daran erinnern, dass Gewerkschaften in der Bundesrepublik mal zweistellige Lohnzuwächse gefordert haben. Älteren fällt vielleicht noch der Kampf von 1974 ein, als Verdi-Vorgängerin ÖTV und Deutsche Postgewerkschaft mit einer Forderung von 15 Prozent in die Tarifrunde gingen. Nach drei Tagen Streik einigten sich die Tarifparteien auf elf Prozent, mindestens aber 170 D-Mark. Die Rahmenbedingungen damals: Energiekrise, die Inflation lag bei 6,9, die Teuerung bei 12 Prozent, und der SPD-Kanzler Willy Brandt warnte vor einem zweistelligen Ergebnis.

In den folgenden Jahrzehnten verhielten sich die Gewerkschaften eher zurückhaltend, zeitweise sanken die Reallöhne sogar. Zuletzt in den Coronajahren 2020 (minus 0,1 Prozent) und 2021 (minus 1,1 Prozent), was 2022 mit minus 4,1 Prozent noch unterboten wurde.

Streiks müssen weh tun

Derzeit reißen vor allem die Energiepreise tiefe Löcher in die privaten Haushaltskassen und es dürfte kaum jemand glauben, dass die Preise je wieder auf das Niveau von vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sinken. Also müssen die Löhne rauf. In der Argumentation haben es die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst schwerer. Denn ihre Löhne bezahlen die Bürger:innen – und damit auch die Beschäftigten selbst – direkt über Steuern und Gebühren. Zwar gibt es Kommunen, denen es ganz gut geht, aber es gibt auch klamme Städte. Wie zum Beispiel Esslingen, wo Brückensanierungen hinausgezögert werden, die schon beschlossene Sanierung der Bücherei wegen Geldmangels gekappt wird. Wie also soll die Stadt ihren Mitarbeiter:innen höhere Löhne bezahlen?

Der Gärtnertrupp aus Esslingen zuckt mit den Schultern. Tiefere Einblicke hätten sie ja nicht. Aber, so Sandra Fuhrmann: "Ich verstehe nicht, warum Esslingen so schlecht da steht. Hier ist ja viel Industrie, da müsste es doch viel Gewerbesteuer geben." Fest steht für sie: "Nur mit Sparen kommt man auch nicht weiter." Vielleicht stimme ja die gesamte Finanzierung der öffentlichen Hand nicht. "Vermögenssteuer", wirft ihr Kollege Diamantis ein. Fuhrmann nickt. "Die Reichen könnten ruhig mehr Steuern bezahlen."

Vom 27. bis 29. März treffen sich die Tarifpartner zu den nächsten Verhandlungen. Bis dahin will Verdi den Druck auch im Südwesten erhöhen. Nach Warnstreiks quer durchs Land werden am heutigen Mittwoch hunderte Azubis zu Streikparaden in Mannheim und Esslingen erwartet. Ihre Forderungen: 200 Euro monatlich mehr und unbefristete Übernahme. Die Arbeitgeberseite findet sämtliche Streikaufrufe unangebracht. VKA-Präsidentin Karin Welge verweist auf das vorgelegte Angebot und befindet, damit "verbieten sich weitere Streiks und damit verbundene zusätzliche Belastungen unserer Bürgerinnen und Bürger".

Ein immer wiederkehrendes Argument. Streiks sind böse, denn sie belasten viele Menschen, Fluggäste, Bahnfahrer:innen, Busnutzer:innen, Eltern, Unternehmer:innen. Das stimmt. Doch Streiks, die niemand spürt, führen zu nichts.


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