KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Energieversorgung in Baden-Württemberg

Ohne Kohle geht nichts

Energieversorgung in Baden-Württemberg: Ohne Kohle geht nichts
|

Datum:

Die EnBW will bis 2035 klimaneutral werden. Schon in den kommenden Jahren sollen die CO₂-Emissionen um die Hälfte sinken. Das klingt gut. Bis heute aber gilt: Die Kohle ist ihr wichtigster Brennstoff, die Wette auf Wasserstoff ist riskant. Der Mannheimer Energieversorger MVV ist da weiter.

Seinen Wohlstand verdankt Baden-Württemberg seinen fleißigen Menschen, klar, und der Industrie, die wiederum von günstiger Energie profitierte. Über Jahrzehnte standen dafür im Süden die Atomkraftwerke, jetzt ist der Norden am Zug. Siehe die weltweit agierenden Konzerne Intel und Tesla, die ihre Wahl von Ostdeutschland mit der guten Versorgung mit regenerativen Energien begründeten. Günstiger Strom sei damit auch mittelfristig gesichert. "The Länd" hinkt hinterher.

Seit geraumer Zeit sucht auch die EnBW nach Antworten auf den "menschengemachten Klimawandel" und bemüht dazu historische Vergleiche. Was die Dampfmaschine und der Verbrennungsmotor in den vorangegangenen Jahrhunderten waren, sollen die erneuerbaren Energien im 21. Jahrhundert werden, sagt der Karlsruher Konzern, und will bis 2030 seine direkten CO₂-Emissionen halbieren und bis 2035 klimaneutral werden. Aber Achtung: Auf dem Weg dorthin setzt der drittgrößte deutsche Energieversorger vor allem auf fossile Energieträger.

Gas- statt Kohlekraftwerke

Der Weg zur Klimaneutralität läuft bei der EnBW unter dem Label "Fuel Switch" und soll vorerst Kohle durch Erdgas ersetzen. "Es ist ein notwendiger Zwischenschritt, da die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solarenergie nicht ausreicht, um den Energiebedarf zu decken", betont das Unternehmen. Sichtbar ist der gleichzeitige Ausbau regenerativer Energien. Seit 2012 hat der Konzern den Anteil erneuerbarer Energien auf 40 Prozent erhöht und damit mehr als verdoppelt. Zu viel Bürokratie, Verwaltung und Abstimmung bei unklarer Verantwortung hielten eine noch schnellere Wende auf, sagt eine Unternehmenssprecherin.

Bei den regenerativen Energien investiert die EnBW vor allem in Windkraft für den Strombedarf. In der Wärmeerzeugung wird - wie beim Fernwärmenetz Stuttgart - insbesondere in die Modernisierung zentraler Kraftwerke investiert. Damit die Fernwärme noch umweltfreundlicher werde, habe man das Heizkraftwerk in Stuttgart-Gaisburg "grundlegend modernisiert". Anstelle von Kohle erzeuge es elektrischen Strom und Wärme mithilfe von emissionsarmem Erdgas, verlautet aus Karlsruhe.

Mit dieser Strategie zieht sich der Konzern Kritik der Umweltverbände zu. Die EnBW setze voll auf Erdgas, um aus der Abhängigkeit von der Kohle zu kommen, sagt Fritz Mielert vom BUND Stuttgart, "das war vor zehn Jahren vielleicht noch ein fortschrittliches Konzept". Vielmehr sollte heute auf Diversifikation der Energieträger gesetzt werden. Die Erzeugung großer Mengen an Energie sei nicht entscheidend. "Je kleiner die Kraftwerke sind, umso eher lassen sie sich ersetzen. Die EnBW baut aber jetzt Gaswerke in der Dimension von Kohlekraftwerken. Das schafft neue Abhängigkeit von großen Anlagen", sagt Mielert.

MVV setzt auf Diversifizierung

Fortschrittlicher ist die Strategie des Mannheimer MVV. Zur Erzeugung grüner Wärme setzt dieser Energieversorger auf ein breites Portfolio: von Restwärme aus thermischer Abfallbehandlung über regenerative Energiequellen wie Biomasse, Biomethan und Flusswärme bis hin zu Geothermie, biogener Klärschlammverwertung und industrieller Abwärme. Mit dem dezentralen Ansatz will die MVV "alle verfügbaren umweltfreundlichen Technologien und grünen Optionen erschließen und nutzen". Die Nutzung verschiedener Energieträger stärke auch die notwendige Resilienz, meint der BUND. "Da könnte sich die EnBW was abschauen", sagt Mielert. Zur Sicherung der Wärmeversorgung seien "enorme Investitionen in Netze und Gebäude notwendig. Da geht die EnBW aber nicht dran."

Der Konzern sieht das anders. Man stehe im Spannungsdreieck aus den Anforderungen an Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. "Mit Hochdruck" investiere die EnBW in die Energiewende, in die Erneuerbaren, in den Ausbau der Strom- und Gasnetze und in moderne Gaskraftwerke, die zunächst mit Gas und dann klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden können und die "volatile Erzeugung aus Erneuerbaren ausgleichen können", teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Für die klimaneutrale Strom- und Gasversorgung sei Wasserstoff das "letzte Puzzlestück" der Nachhaltigkeitsstrategie der EnBW. Noch sei die Herstellung des Wasserstoffs zu teuer, doch schon jetzt würden die Gaskraftwerke und -netze so gebaut, dass sie sie schnell wie möglich auf Wasserstoffbetrieb umgestellt werden könnten. In Reallaboren erprobt der Konzern bereits heute an drei Orten die Energieversorgung mit Wasserstoff.

Für Mielert ist diese Fixierung auf einen Energieträger gefährlich. "Wenn wir den nötigen Wasserstoff beispielsweise durch künftige Wasserknappheiten in Australien oder im Nahen Osten nicht bekommen, dann kracht die ganze Strategie zusammen", sagt er. Inwieweit grüner, also durch erneuerbare Energien erzeugter Wasserstoff tatsächlich kostengünstig ist und in ausreichender Menge zur Verfügung stehen werde, sei nicht absehbar. Für eine zukunftssichere Energieversorgung dürfe man sich nicht auf die "Traumgestalt Wasserstoff" verlassen.

Bis heute gilt: Die Kohle ist der wichtigste Brennstoff der EnBW. Die Kraftwerke in Altbach/Deizisau, Heilbronn, Karlsruhe und Stuttgart-Münster werden überwiegend mit Steinkohle betrieben. Auch in Lippendorf, Mannheim und Rostock ist die EnBW an entsprechenden Meilern beteiligt. Im vergangenen Jahr hatte die EnBW angekündigt, das Rheindampfkraftwerk 7 (RDK 7) in Karlsruhe in diesem Sommer zur Stilllegung anzumelden. Die Unsicherheiten der kurzfristigen Energieversorgung durch den Krieg in der Ukraine sorgten aber jüngst für eine Kehrtwende. "Aufgrund der aktuellen Lage haben wir neu reflektiert und beschlossen, die Stilllegung von RDK 7 bis auf Weiteres auszusetzen", meldet das Unternehmen.

"Blutige Kohle" aus Kolumbien

Fast 90 Prozent der im Jahr 2021 verfeuerten Steinkohle der EnBW kamen aus Russland. "Mit Hochdruck" arbeite das Unternehmen daran, Ersatz für die knapp 3,6 Millionen Tonnen russischer Kohle zu beschaffen, sagt eine Unternehmenssprecherin. Ergänzend zur Beschaffung in Kolumbien, Südafrika und den USA würden derzeit weitere Optionen in Australien, Afrika und Asien geprüft.

Mit anderen NGOs kritisiert die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald vor allem die Folgen des Kohleabbaus in Kolumbien, die zu massiver Umweltverschmutzung, Verletzungen der Rechte auf Gesundheit, Wohnen, Wasser und Nahrung sowie von Gewerkschaftsrechten führten. "Kein Unternehmen hat in Kolumbien so viel Schaden verursacht wie die EnBW", sagt ihr Sprecher Sebastian Rötters. Nur aus Kostengründen habe die EnBW die Kohlebeschaffung in den letzten Jahren stärker auf Russland verlagert. Jetzt befürchten Umweltverbände, dass der Konzern wieder auf "blutige Kohle" aus Kolumbien zurückgreift. Das Unternehmen verweist auf die Versorgungssicherheit. Rötters wiederum verlangt, die EnBW müsse sich ehrlich machen und ihre Grundsätze zur verantwortungsvollen Beschaffung endlich ernst nehmen. Dazu gehöre, "nicht jeden Lieferanten durchzuwinken".  (fk)

Dies hat Folgen für die Emissionen der EnBW. Nach einer deutlichen Reduktion der direkten Kohlendioxidausstöße 2019/20 erreichten sie 2021 wieder das Niveau des Jahres 2018. Nachholeffekte mit anziehender Stromnachfrage nach den Corona-Lockdowns sowie schwache Winderträge, die mit dem verstärkten Einsatz fossil gefeuerter Erzeugungsanlagen einhergingen, macht die EnBW für den neuerlichen Anstieg verantwortlich. Beim langfristigen Ziel der Reduzierung der CO2-Emissionen liege man aber "noch am unteren Rand" des Zielkorridors.

Der moderne Ablasshandel bleibt

Allein durch reduzierte Emissionen lässt sich das Ziel der Klimaneutralität nicht erreichen. Das weiß auch die EnBW und will kompensieren. Dabei werden Projekte unterstützt, die eine Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes an anderer Stelle oder eine Endlagerung von Kohlenstoff in Kohlenstoffsenken bewirken sollen. Wie hoch der Anteil dieser Restemissionen sein wird, kann die EnBW noch nicht sagen. Kompensationen stehen zudem als "moderner Ablasshandel" in der Kritik, da sie nicht zur Vermeidung von Emissionen beitragen und Greenwashing Vorschub leisten. Und irgendwann, gibt Mielert zu bedenken, wären diese Deals auch sehr teuer, "weil das alle machen wollen".

So liegt noch ein weiter Weg vor den Karlsruhern, wie sie selber einräumen. Bevor sie den Bedarf vollständig mit erneuerbaren Energien decken könnten, heißt es, hielten sie das "Gesamtsystem mit unseren konventionellen Kraftwerken stabil".


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Johannes Frübis
    am 17.06.2022
    Antworten
    Es ist doch so:
    Strom ist ein Gut das jeder braucht.
    Da liegt es nahe, das Investoren gerne Großkraktwerke (Gas, Öl, Kohle, Atom) bauen, um so eine schöne Rendite zu erzielen. Das ging solange gut, bis diese "verflixten" Erneuerbaren auf der Bildfläche erschienen. Anfangs noch belächelt (z.B.…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!