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Stuttgart 21 und Bahnbilanz

Rosige Zeiten

Stuttgart 21 und Bahnbilanz: Rosige Zeiten
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Wegen erneut gestiegener Stuttgart-21-Kosten spricht selbst die "Wirtschaftswoche" von einem Finanzdesaster und mahnt Bahnchef Richard Lutz, dazu Stellung zu nehmen. Doch in der Bilanzpressekonferenz schwelgt die DB lieber in Optimismus.

Nun ist es also doch so weit: "Stuttgart 21 gestoppt" titelt die Vaihinger Kreiszeitung. Am 1. April, muss hinzugefügt werden, und vielleicht wäre der Spaß für ein paar Leseminuten noch größer gewesen, wenn nicht schon im Vorspann "Unser Aprilscherz 2022" gestanden hätte. Doch sei's drum, der Artikel lässt einige Male schmunzeln, wenn er über ein Alternativprojekt, Umnutzungen der gebauten Tunnel und einen neuen Image-Slogan des Landes fabuliert. Und er offenbart einige Kenntnis von den gravierendsten Problemen des Bahnprojekts. "Die Signale in Sachen Brandschutz waren nicht gut", zitiert die Zeitung einen fiktiven Sachbearbeiter des Regierungspräsidiums Stuttgart. Dass diese Signale auch jenseits von Aprilscherzen anhaltend verstörend sind, dass beispielsweise das Brandschutzkonzept nicht einmal durch eine Simulation bestätigt ist, darauf weist Kontext seit rund zehn Jahren in Dutzenden Artikeln immer wieder hin (unter anderem hier und hier).

"Stuttgart 21 wird am fehlenden Brandschutz scheitern", das war auch die These von Dieter Reicherter, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21, die er am 30. März in Berlin vortrug (hier als PDF zum Download), bei der Vorstellung des "Alternativen Geschäftsberichts Deutsche Bahn 2021" durch das Bündnis "Bahn für alle". An dem Bericht hat auch Kontext-Autor Winfried Wolf mitgearbeitet, und lesenswert ist er nicht nur, weil er fundiert auflistet, was alles falsch läuft in dem Staatskonzern und neben S 21 noch weitere teure und unsinnige Projekte wie Hamburg-Diebsteich auflistet, sondern auch, weil er Alternativkonzepte aufzeigt.

Kostensteigerungen erst nach Redaktionsschluss

Die Präsentation des Alternativen Geschäftsberichts hat schon eine gewisse Tradition und findet immer einen Tag vor der Vorstellung des offiziellen Geschäftsberichts der Bahn AG für das vorangegangene Jahr statt. Den nennt der Konzern, more sophisticated, "Integrierter Bericht 2021", und dieses Mal wurde er wegen eines Details mit besonderer Spannung erwartet: wegen der neuen, oder besser gesagt, erneut eingeräumten Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 (Kontext berichtete). 9,8 Milliarden Euro sind, inklusive Risikopuffer, nun eingeplant, womit sich die Kosten seit Projektbeginn knapp vervierfacht haben.

Diese Zahlen hatte die Bahn bereits am 18. März in einer Pressemitteilung verschickt. Um 18.18 Uhr, "pünktlich nach Redaktionsschluss der meisten Tageszeitungen", wie die "Wirtschaftswoche" süffisant am 30. März anmerkt. In einem langen Online-Artikel geht das Düsseldorfer Magazin – bislang nicht als Speerspitze der Projektkritiker aufgefallen – der Frage nach, welche negativen Folgen die immensen Stuttgart-21-Kosten für die Bahn insgesamt haben. Die Situation bei der Bahn sei "ohnehin angespannt" und S 21 vergrößere noch das Risiko für den Bund, den Konzern mit zusätzlichem Geld zu stützen, zitiert die "Wirtschaftswoche" dabei auch Kay Scheller, den Präsidenten des Bundesrechnungshofs. Und weiter: "'Dieses Geld fehlt an anderen Stellen', sagt Scheller. Der Investitionsstau bei der Eisenbahninfrastruktur sei 'seit Jahren unverändert hoch'. Viele wichtige andere Neu- und Ausbauprojekte stünden an. (…) Stuttgart 21 binde außerdem 'die ohnehin knappen Ressourcen' bei der Planung und Bauausführung." Und da die Bahn auf einem Großteil der Kosten sitzen bleiben werde, werde ihre aktuell knapp 30 Milliarden Euro betragende Nettoverschuldung weiter steigen.

Zum S-21-Desaster Stellung beziehen? Och nö

Von einem "Finanzdesaster" bei S 21, das sich nicht mehr verschweigen lasse, spricht das Magazin daher, und mahnt vom Konzern nachdrücklich an, sich dazu zu äußern: "Spätestens, wenn die Deutsche Bahn Ende März die Geschäftszahlen für 2021 veröffentlicht, muss Bahnchef Lutz Stellung beziehen."

Am Tag nach Erscheinen des Artikels, am 31. März, wurden die Geschäftszahlen veröffentlicht, und in der Bilanzpressekonferenz bezog Bahnchef Richard Lutz Stellung zu verschiedenen Themen – aber nur sehr knapp zu S 21. Er referierte den erhöhten Kostenrahmen und dass man davon ausgehe, dass dieser bis zur geplanten Eröffnung 2025 ausreiche. Was Lutz nicht sagte: Das wurde auch bei den früheren Kostenrahmen stets versichert. Und ja, die zusätzlichen von der DB zu tragenden Milliardenbeträge würden, so der Bahnchef, "die Verschuldungslinie belasten".

Doch unterm Strich trägt die Bahn einen erstaunlichen Optimismus zur Schau, noch deutlicher in der Pressemitteilung zum Geschäftsbericht: "Deutsche Bahn will 2022 wieder schwarze Zahlen schreiben. Rekordumsatz in 2021", titelt diese. Beim Umsatz habe die Bahn zweistellig zugelegt, um 18,4 Prozent auf 47,3 Milliarden Euro, und habe damit noch das Vorkrisenjahr 2019 übertroffen, auch wenn "pandemiebedingt" am Ende noch ein operativer Verlust von 1,6 Milliarden Euro stehe, aber auch der habe sich im Vergleich zum Vorjahr (2,9 Milliarden) deutlich verringert. Dass pandemiebedingt der Bahn auch milliardenschwere Staatshilfen zugute kamen, erläutert bei der Pressekonferenz immerhin Finanzvorstand Levin Holle. Die Netto-Verschuldung von 29,1 Milliarden Euro wird zwar auch erwähnt, aber auch die liege "leicht unter Vorjahr". Rosige Zeiten stehen also bevor, so der Tenor.

Korruption: nicht gefunden

Nun ist die Kommunikation einer, vorsichtig ausgedrückt, durchwachsenen Geschäftslage nach außen das eine, ein ausführlicher Geschäftsbericht das andere. Was also steht in dem immerhin 284 Seiten dicken Schmöker? Zunächst, der hatte wohl einen sehr frühen Redaktionsschluss. Denn der Begriff "Stuttgart 21" findet sich darin zwar, auch ein Absatz zur "Kostenüberprüfung", doch inhaltlich weniger als in der Pressemitteilung vom 18. März: Der DB-Konzern habe "eine Überprüfung der Gesamtkostenprognose (…) vorgenommen, deren Ergebnisse im Frühjahr 2022 vorliegen werden. Es ist mit einer spürbaren Erhöhung der Kosten zu rechnen." Ein Satz, der immerhin universell und wiederverwendbar ist.

Interessanter ist da fast noch der folgende Absatz, weil darin zu den im vergangenen November von der "Financial Times" erhobenen Korruptionsvorwürfen Stellung genommen wird (Kontext berichtete) und das Thema irgendwie in Vergessenheit geraten ist: "In Zusammenhang mit den 2021 öffentlich erhobenen Vorwürfen bezüglich Missmanagement, Korruption und fehlender Information des Konzernabschlussprüfers (…) haben wir (…) eine Untersuchung vorgenommen und dabei keine Ergebnisse festgestellt, die auf konkrete Compliance-Verstöße oder Vermögensschädigungen schließen lassen."

Wie beruhigend. Weswegen der DB-Spitze als neue Konzern-Hymne der Käpt'n-Blaubär-Song "Alles im Lot auf'm Boot, alles in Butter auf'm Kutter" vorgeschlagen sei. Dass es darin um Verkehrsmittel geht, die noch nicht zum Kernbereich des Konzerns gehören, dürfte zu verschmerzen sein.


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8 Kommentare verfügbar

  • Michael Kerschl
    am 07.04.2022
    Antworten
    Der Vortrieb des Engelbergtunnels begann 1995. 2002, also nach 7 Jahren wurden die ersten Bewegungen festgestellt. 2006, also nach gut 10 Jahren gab es die erste Sanierung. Die Tunnel von S21 werden schon seit knapp 10 Jahren gebaut und gerade der Fildertunnel führt durch noch tiefere…
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