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Stuttgart 21

Geschenke für die Bahn

Stuttgart 21: Geschenke für die Bahn
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Einst hatte Ex-Bahnchef Rüdiger Grube Stuttgart 21 als "großes Geschenk" an die Stadt bezeichnet. 2021 aber wurde vor allem deutlich, wie willig die Stadt ist, der DB AG große Geschenke zu machen. Um in ferner Zukunft Flächen bebauen zu können, deren Bedarf noch in den Sternen steht.

Wäre da nicht dieser leidige Korruptionsskandal gewesen, den die Financial Times im November enthüllten – es wäre wohl ein recht ruhiges Jahr rund um Stuttgart 21 gewesen. Keine großen Kostensteigerungen; will sagen, die mit einiger Sicherheit zu erwartenden (Kontext berichtete) wurden noch nicht bekannt gegeben. Und mit Frank Nopper hat das Projekt einen glühenden Fan auf dem Stuttgarter OB-Sessel bekommen, der von S 21 wohl so begeistert ist wie seit Ex-OB Wolfgang Schuster keiner in der Stadt.

Vielleicht sind die Skandale aber eben einfach nur feinziselierter bei S 21, besser verbrämt, geschmückt, unkenntlich gemacht. Etwa der, dass die Stadt Stuttgart der Bahn neben ihren anteiligen Projektkosten von 292 Millionen Euro laut S-21-Finanzierungsvertrag seit nunmehr 20 Jahren immer wieder milde finanzielle Gaben zuteil werden lässt und diese in Zukunft sogar noch zu intensivieren gedenkt.

Auf viele dieser milden Gaben hat Kontext immer wieder hingewiesen (unter anderem hier), und erstaunlich war dann, dass die Stadt Stuttgart im Februar dieses Jahres eine bemerkenswert offene Aufstellung darüber veröffentlichte, was sie – neben den vertraglich fixierten Kostenanteil – bislang schon für S 21 ausgegeben, oder besser, versenkt hat. Der bemerkenswerteste Posten davon waren vielleicht die 140 Millionen Euro Verzugszinsen, die der Bahn von 2011 bis 2020 erlassen wurden, dafür, dass die Grundstücke des Gleisvorfelds noch nicht freigeräumt und also nicht bebaubar sind. Nachdem ja schon bemerkenswert war, dass die Stadt der Bahn im Jahr 2001 überhaupt das Gleisvorfeld für 459 Millionen abgekauft hatte, als feststand, dass sie die Fläche noch lange nicht nutzen kann – der Kauf war im Grunde ein Darlehen an die Bahn.

Die Stadt zahlt und zahlt und zahlt

Den Zinserlass bis 2020 indes hatte der Gemeinderat schon 2007 beschlossen. Das waren noch andere Zeiten, da war noch Wolfgang Schuster OB und es gab im Rat keine sogenannte ökosoziale Mehrheit. Weswegen Kontext im Februar auch wissen wollte, ob fürderhin, also ab 2021, die Bahn nun endlich Verzugszinsen zahlen muss. Eine Selbstverständlichkeit? Nein: "Bei einer so sensiblen Thematik" sei es nicht möglich, so kurzfristig zu antworten, antwortete zunächst die Pressestelle der Stadt. Eine ausführlichere Antwort kam, zu spät für den Artikel, einige Tage später: "Die Landeshauptstadt Stuttgart und die Deutsche Bahn verhandeln derzeit über Anpassungen des im Jahr 2001 geschlossenen Grundstückskaufvertrags", hieß es darin. Und weiter: "Die Verhandlungen schließen auch die ab dem 1. Januar 2021 wegen der verspäteten Rückgabe der Grundstücke im Kaufvertrag vereinbarten Zinszahlungen ein. Die im Verhandlungszeitraum anfallenden Zinszahlungen werden zunächst aufgeschoben."

Ausgabe 516, 17.2.2021

Versenkte Kosten, künftige Kosten

Von Oliver Stenzel

Wie viel ein möglicher Gäubahntunnel und andere Stuttgart-21-Ergänzungsprojekte kosten werden, ist noch völlig unklar. Jetzt sind aber immerhin ein paar Posten dokumentiert, die die Stadt Stuttgart bereits für S 21 ausgegeben hat.

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"Zunächst", das ließ noch hoffen. Zu Unrecht, wie nach Verhandlungsende im November bekannt wurde: Zwar werden die Zinsen in Zukunft nicht mehr komplett erlassen, statt vier Prozent werden bis 2026 nur zwei Prozent Verzugszinsen berechnet, bis 2029 dann drei Prozent. Doch die dezente Abkehr vom Totalerlass wird damit kompensiert, dass die Stadt der Bahn beim Freiräumen und der Sanierung des Gleisvorfelds finanziell noch mehr entgegen kommen will als ohnehin schon vereinbart, und dass sie sich zur Übernahme vieler Kosten bereit erklären will, die noch überhaupt nicht kalkulierbar sind (Kontext berichtete). Und alles, damit die irgendwann mal frei werdenden Flächen ein paar Jahre früher, aber garantiert nicht vor Anfang der 2030er-Jahre bebaut werden können.

Für einiges Grummeln bei den S-21-KritikerInnen hatte im Vorfeld gesorgt, dass die Beschlussvorlage für diese Änderungen der Bahnverträge nicht öffentlich zugänglich ist, und dass auch der Beschluss darüber hinter verschlossenen Türen erfolgen soll. Wegen der vielen Kosten-Unsicherheiten hatten sich die Fraktionen zwar Bedenkzeit erbeten. Geändert hat dies nichts mehr: Am 16. Dezember stimmte in nichtöffentlicher Sitzung eine Mehrheit des Gemeinderats für die Änderungen, also für noch mehr Geschenke an die Bahn. Bemerkenswert, nach so vielen Klagen über mangelnde Transparenz bei dem Milliardenprojekt, ist der Umgang von Stadt und Bahn mit Transparenz: Es sei zu dem Thema Vertraulichkeit vereinbart worden, so die Stadtverwaltung, und ob Unterlagen veröffentlicht würden, "müsste zum gegebenen Zeitpunkt von DB und der Stadt geprüft werden".

Als "großes Geschenk an die Stadt Stuttgart" hatte der frühere Bahnchef Rüdiger Grube S 21 wiederholt bezeichnet. Wie willig auch die Stadt sein würde, der Bahn große Geschenke zu machen, ahnte womöglich nicht einmal der große Aphoristiker Grube ("Cash in the Täsch is the Name of the Game").


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