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Ausbildung und Transformation

Wer nicht ausbildet, soll zahlen

Ausbildung und Transformation: Wer nicht ausbildet, soll zahlen
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Eine Woche, zwei Pressekonferenzen: Unternehmen müssten mehr qualifizieren, heißt es. Zwei Tage später wird verkündet, dass besonders in Metall- und Elektrobranchen immer weniger Ausbildungsplätze gibt. Was denn nun?

Die Musik dröhnt über den Stuttgarter Stadtgarten, um die 10.000 Metaller und Metallerinnen wippen in den Knien, mancher hat die erste Dose Bier in der Hand, die Sonne scheint, die Stimmung ist gut. Die Frauen und Männer sind dem Aufruf ihrer Gewerkschaft gefolgt, die mit einem bundesweiten Aktionstag einen "Fairwandel" fordert, es geht um den Umbau in der Industrie, vor allem in der Autoindustrie. Denn Elektroautos brauchen nicht nur weniger, sondern auch andere Komponenten.

Produktionen werden umgebaut und das macht den Menschen, die seit 20, 30, 40 Jahren Verbrennermotoren entwickelt und zusammengebaut haben, Angst. Angst um ihre Arbeitsplätze, ihre Einkommen. Schon vor zwei Jahren demonstrierte die IG Metall in Stuttgart für den "Fairwandel", forderte Wirtschaft und Politik auf, dafür zu sorgen, dass die ArbeitnehmerInnen in der Industrie mitbedacht werden.

Die Demos am vergangenen Freitag – bundesweit waren nach IG Metall-Angaben mehr als 50.000 DemonstrantInnen in 50 Städten auf den Beinen – sollten vor allem ein Zeichen an die Koalitionsverhandler von SPD, Grünen und FDP senden. Zumal besonders letztere Partei nicht gerade als arbeitnehmerInnenfreundlich bekannt ist. Die Befürchtung ist groß, die neue rot-grün-gelbe Regierungskoalition könnte sich einseitig an die Seite der Unternehmen stellen.

"Wenn wir nur zugucken und nichts machen, dann läuft's gegen uns", rief der Baden-Württemberg-Chef der IG Metall Roman Zitzelsberger in die Menge. Der Koalitionsvertrag müsse klar das Ziel haben, dass niemand seinen Arbeitsplatz verliert im Rahmen der Transformation hin zu Klimaneutralität. Mindestens 500 Milliarden Euro müssten investiert werden, damit die Versorgung mit klimafreundlicher Energie funktioniere. Und zwar schnell, denn mit 16 Windrädern im Jahr, wie 2020 in Baden-Württemberg geschehen, werde man das Thema nicht bewältigen. Die Rechnung für den Umbau dürfe nicht den ArbeitnehmerInnen präsentiert werden, warnte Zitzelsberger. "Wir fordern eine faire Lastenverteilung, wer viel verdient, soll viel beitragen."

Dort boomt's, hier kriselt's

Nun steht die deutsche Automobilindustrie nicht ganz am Anfang des Umbaus. Nach langem Zögern haben in den vergangenen zwei Jahren Daimler und Porsche Tempo gemacht. Doch nicht überall sieht man Fortschritt. So berichtet Rolf Klotz, Betriebsratsvorsitzender von Audi Neckarsulm, wie die Belegschaft vor zwei Jahren für E-Auto-Modelle gekämpft hat. "Damals hieß es: zu teuer, wir machen weiter in Verbrenner." 18 Monate später verkündete der Audi-Vorstand das Ende des Verbrenners. Klotz: "Das fühlt sich scheiße an." Nun hat man Angst um den Bestand des Werkes mit seinen 15.700 Beschäftigten. Denn es fehlt eine klare Perspektive: Was soll dort gebaut werden? Der Vorstand schweigt sich bislang aus.

So geht es in vielen Betrieben. Besonders die Jungen machen sich Sorgen um die Zukunft. Alexander Pohl, 25 Jahre alt, ist Industrie-Mechaniker bei der Alfing Sondermaschinengruppe in Wasseralfingen. Dort werden Montagelinien und Maschinen produziert. "Wir hängen voll am Verbrenner", erzählt er. Kürzlich habe man angefangen, Linien für Elektromotoren zu bauen. Doch diese Linien seien kleiner, weil weniger Teile benötigt würden. Insgesamt wäre die Situation schwierig. "Der Auftragseingang ist nicht so doll", erzählt der junge Betriebsrat. "Wir hatten schon zwei Jahre Kurzarbeit, jetzt steht das wieder an." Die Geschäftsführung sei zwar gewillt, in neue Produkte zu investieren. "Aber auf Kosten der Beschäftigten", sagt Pohl. Beispielweise werde versucht, langjährige Betriebsvereinbarungen aufzulösen. Bislang habe es keine Entlassungen gegeben und man diskutiere im Betrieb, wie man mit einem Zukunftstarifvertrag Beschäftigung halten könne: "Wir wollen ja mit allen 400 Kollegen durch die Krise." Er hätte auch nichts dagegen, wenn seine Firma nicht mehr nur für die Autoproduktion arbeite. Im Moment diskutiere man die – zumindest vorübergehende – Einführung der Vier-Tage-Woche. Allerdings sei die Frage eines zumindest teilweisen Lohnausgleichs noch nicht geklärt.

Gänzlich anders sieht es bei Mosca aus. Paul Schmidt, 22, Elektroniker und Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV), will nicht klagen. "Wir gehören zu den Profiteuren von Corona." Denn bei Mosca werden mit 600 Beschäftigten in Waldbrunn Verpackungsmaschinen produziert. Aktuelles Problem: der Halbleitermangel. Schmidt sieht  auch ein Problem darin, dass Kollegen abwandern. "Ich denke, weil wir einen Haustarif haben und man woanders mehr verdienen kann." Immerhin setze das Unternehmen auf Ausbildung. "Da sind wir sehr stark. In diesem Jahr haben wir 15 Ausbildungsplätze und die Tendenz ist leicht steigend."

Bei Bosch in Bühl dagegen läuft es richtig übel. Luca Ummenhofer, 21, Mechatroniker und ebenfalls JAV-Vorsitzender ist sauer. In Bühl werden Kleinantriebe fürs Auto hergestellt, zum Beispiel Sitzverstellmotoren. Die braucht man zwar auch für E-Autos, aber die Produktion geht nach Osteuropa. "Bis 2025 werden von 3.800 Stellen 700 abgebaut, das sind 1.000 Leute", erzählt er. Das hat nichts mit Transformation zu tun, sondern mit Profitmaximierung. Luca sorgt sich auch um die Ausbildung. "Dieses Jahr haben wir noch 33 Azubis eingestellt, im vorigen Jahr waren es 36 und in Zukunft sollen es immer weniger werden." Das Unternehmen argumentiere mit der Verkleinerung des Standorts, aber das findet Ummenhofer zu kurz gedacht. Er fordert mehr Ideen für neue Produkte.

Sparen an der Ausbildung

Das Thema Ausbildung beschäftigt auch Ergun Lümali, Betriebsratsvorsitzender von Daimler Sindelfingen. Er steht an diesem Aktionstag auf der Bühne im Stuttgarter Stadtgarten und wettert: "Es ist ein Hohn: Die Arbeitgeber klagen über Fachkräftemangel, gleichzeitig werden die Ausbildungsplätze reduziert. Wo sollen die gut ausgebildeten Fachkräfte von morgen denn herkommen, wenn sie heute nicht ausgebildet werden?"

In der Tat überraschte die vergangene Woche mit zwei Pressekonferenzen: Erst stellten Vertreter von Wirtschaftsministerium, Arbeitsagentur, Südwestmetall und IG Metall die Future-Skills-Studie vor. Erstmals wurden anhand konkreter Befragungen und Daten die Fähigkeiten gesammelt, die Beschäftigte benötigen für den Umbau der Industrie. Denn die "ausreichende Zahl von Fachkräften mit entsprechenden Kompetenzen ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit", erklärte dazu Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer von Südwestmetall.

Zwei Tage später legten Vertreter von DGB, IG Metall und NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) dar, dass das Angebot an Ausbildungsplätzen 2021 gesunken ist. Über alle Branchen gesehen wurden in diesem Jahr 511.000 Plätze angeboten, 2020 waren es noch 530.00 und im Jahr davor sogar 572.000. Ausgerechnet in der Metall- und Elektrobranche sei das Angebot seit 2019 um fast ein Viertel gesunken, berichtete Christian Herbon, Jugendsekretär der IG Metall Baden-Württemberg.

Es wäre allerdings zu schlicht zu sagen, die Unternehmen sind zu doof, um bis übermorgen zu denken. Laut Herbon zeichnet sich im Ausbildungssektor vielmehr ein Strukturumbruch ab, zumindest im Metall- und Elektrobereich. Die Aufgaben werden immer spezieller, noch sind nicht alle Berufsbilder darauf ausgerichtet. Die Coronapandemie habe zudem vor allem in kleineren Betrieben zu Sparmaßnahmen geführt, die auch auf Kosten der Ausbildung gegangen seien. "Der Unterschied zwischen den großen Unternehmen und den kleineren, die früher teilweise zwei, drei Leute oder auch um die acht Azubis eingestellt haben, ist gravierend." Dazu komme, dass es immer weniger Bewerber gibt. Nicht nur weil die Anzahl der Schulabgänger generell sinkt. In diesem Jahr haben überraschend viele junge Leute gar keinen Weg in die Ausbildung gesucht – weder in die betriebliche noch in die universitäre.

Wo sind die jungen Leute?

"Eine Reihe wiederholt das letzte Schuljahr, weil sie keine Generation Corona sein wollen", weiß Herbon. Dennoch fehlten einfach junge Leute und man wisse nicht, was die jetzt machen. "Das bereitet uns ein Riesenkopfzerbrechen", sagt auch Stefan Küpper, bei Südwestmetall zuständig für Ausbildung und Qualifizierung. Schon im vorigen (Corona-) Jahr zeichnete sich ab, dass es weniger Azubis geben werde. "Und da waren die Ausbildungsverträge ja schon 2019 abgeschlossen worden. Wir konnten 2020 knapp zehn Prozent der Ausbildungsplätze nicht besetzen. Sonst waren das immer so um die drei bis vier Prozent. Ich gehe davon aus, dass es dieses Jahr noch dramatischer wird." Selbst renommierte Mittelständler hätten gravierende Probleme Azubis zu finden. "Das ist ein dramatischer Einbruch. Und man muss sich ja fragen, was das mittelfristig auslöst? Was passiert, wenn diejenigen, die in diesem Jahr keine Ausbildung angefangen haben, im nächsten oder übernächsten Jahr dann mit den normalen Schulabgängern zusammentreffen?", fragt sich Küpper. 

Er kann sich vorstellen, dass die Klimadebatte bei der Zurückhaltung der Jungen eine Rolle spielt: "Da fragt sich bestimmt der eine oder die andere: Will ich in der Autoindustrie arbeiten?" Auch die schlechte Bewältigung von Corona während der Ausbildung mag dazu beitragen, dass manche lieber warten, bis die Lage wieder stabil ist. Denn an Berufsschulen und in Ausbildungswerkstätten der Betriebe lief der Corona-Unterricht größtenteils genauso schlecht wie in den normalen Schulen.

Der IG- Metall Jugendsekretär Herbon erfährt direkt in Betrieben, wie hoch die Unsicherheit auch bei den aktuellen Azubis ist. "Die fragen sich, wie ist meine Perspektive angesichts der Transformation? Werde ich übernommen?" Der Metaller befürchtet zudem, dass sich weiterhin Unternehmen aus der Ausbildung zurückziehen. Er fordert eine Ausbildungsgarantie mit Umlagefinanzierung: "Und  wer nicht ausbildet , soll zahlen."


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4 Kommentare verfügbar

  • Andrea K.
    am 05.11.2021
    Antworten
    So lange man das Märchen vom Fachkärftemangel weitererzählt, wird sich auch nichts ändern.

    Ich war 2015 selbst arbeitslos und habe die Zeit genutzt, mit Geflüchteten zu arbeiten. Und ich vergess nie, wie ich damals meine "Beraterin" fragte, in welche Berufe man die Neuankömmlinge denn schicken…
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