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Bitcoins

Millionenschwer und wertlos

Bitcoins: Millionenschwer und wertlos
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Die Wall Street steigt in den Handel mit Bitcoin-Fonds ein. Auch an der Stuttgarter Börse kann schon länger mit der Pseudo-Währung spekuliert werden: Was als falsche Kritik des Geldes begann, ist zum großen Geschäft geworden.

"Was da genau gehandelt wird, ist selbst für Kenner der Wall Street nicht einfach zu verstehen", berichtete die "Zeit"-Kolumnistin Heike Buchter jüngst aus New York. Die US-amerikanische Börsenaufsicht hat am vergangenen Dienstag erstmals den Handel mit Bitcoin-Indexfonds zugelassen. Nicht zu begreifen, worum es dabei geht, "macht nichts", meint Buchter, denn "das geht auch vielen so, die in Bitcoin investiert sind oder damit spekulieren."

Auch im Herzen der schwäbischen Finanzwelt gibt es ein Angebot, das viele "digital natives" nicht ablehnen wollen: "Trade on the official crypto exchange of Börse Stuttgart". Dort ist angekommen, dass der Bitcoin Schlagzeilen im Frühjahr 2021 erneut machte, weil er "die magische Grenze von US-$ 50.000" pro Stück überschritten hatte. Und jetzt kann sich auch an der heimischen Börse jeder via App an diesem Geschäft beteiligen. Wie wurde aber aus der Kritik von ein paar Hackern am sogenannten "Fiatgeld" ein Stück Programmcode, mit dem zwar niemand ein Bier kauft, das aber ein an der Börse – nicht nur an der in Stuttgart – beliebtes Investitionsobjekt ist?

Am Anfang stand eine Kritik

Beginnen wir 2008, als "Satoshi Nakamoto" – ein Pseudonym, hinter dem sich vielleicht sogar eine Gruppe verbirgt – das technische Konzept und die Software, die Bitcoins erzeugt, veröffentlicht hat. Der Antrieb war dabei nach eigener Auskunft eine Kritik an dem Geld, wie wir es bis heute kennen und das von Nakamato "Fiatgeld" genannt wird. Fiat ist lateinisch und heißt: "Es sei getan! Es geschehe! Es werde!" Die Theorie dahinter: Das heutige Geld habe selbst keinen Wert, diene aber als Tauschmittel. Entsprechend die Problemdiagnose: "Das Kernproblem konventioneller Währungen ist das Ausmaß an Vertrauen, das nötig ist, damit sie funktionieren." Und dieses Vertrauen sehen die Kritiker missbraucht: von Zentralbanken, welche dieses Geld entwerten, von Banken, die mit dem Geld ihrer Anleger spekulieren und nicht zuletzt Gebühren für Überweisungen verlangen.

Das ist alles schon für sich genommen recht bemerkenswert. Dass mit Geld eine ganze Gesellschaft eingerichtet ist, in der es in der Produktion um ebendiesen abstrakten Reichtum als Zweck geht; in der also Autos, Gurken und Tische nicht hergestellt werden, weil die jemand fahren, essen oder benutzen will, sondern weil sie das Mittel dafür sind, an das Geld heranzukommen: Das alles irritiert diese kritischen Geister nicht. Dass man Geld investieren und so als Kapital eine veritable Kommandomacht über die lebendige Arbeit hat – geschenkt. Dass dieses Kommando einen Produktionsprozess einrichtet, der aus Geld mehr Geld macht, indem die Arbeiter mit ihrer Arbeit diesen abstrakten Reichtum vermehren und gleichzeitig von ihm getrennt sind – ach, auch das wissen sie vielleicht, aber ist nicht Gegenstand ihrer Kritik. Überhaupt interessiert sich Nakamoto nicht dafür, was Geld ist.

Was sie umtreibt, ist die konstruktive Frage, wie all das besser funktionieren kann. So sehen sie im "Fiatgeld" die nützlichen Funktionen des Geldes sehr mangelhaft umgesetzt: "Notwendig ist [stattdessen] ein elektronisches Zahlsystem, das auf kryptographischen Nachweis anstelle von Vertrauen basiert und es zwei bereitwilligen Parteien ermöglicht, Transaktionen direkt untereinander durchzuführen, ohne dass eine vertrauenswürdige dritte Partei nötig wäre." So machen sich die Kritiker also daran, praktisch zu werden und den Bitcoin zu schaffen, der diese Funktionen besser ausführen soll: keine Entwertung, keine Kosten, keine Zahlungsunsicherheiten. Das erscheint ihnen gerade deswegen als lohnendes Unterfangen, weil sie wissen, dass vom Geld in dieser Gesellschaft alles abhängig gemacht ist. So leisten sie sich den nicht gerade kleinen Widerspruch, etwas schaffen zu wollen, was die kapitalistische Geldwirtschaft besser funktionieren lassen soll, indem sie ausgerechnet den Stoff, um den sich alles dreht, nämlich das Geld, für eine ziemliche Nebensache erklären, das man einfach so durch etwas anderes ersetzen könne.

Kryptisches Falschgeld

Diesen Widerspruch einmal genauer betrachtet: Der Form nach scheint der Bitcoin wie das Geld ein Akt der Definition zu sein, und so nimmt es Nakamato auch: "Wir definieren eine elektronische Münze [Coin] als eine Kette digitaler Signaturen. Jeder Eigentümer überträgt den Coin auf den nächsten, indem er einen Hash der vorherigen Transaktion und den öffentlichen Schlüssel des nächsten Besitzers digital signiert und dies an das Ende des Coins anfügt. Der Empfänger der Zahlung kann die Signaturen überprüfen, um die Kette der Eigentümer zu verifizieren." Warum auch nicht, immerhin weiß man ja, dass auch der Staat Papierzettel, die selbst keinen Wert haben, zum Zahlungsmittel erklärt, also definiert.

Was die digitalen Freunde der Geldfunktionen dabei leider verpassen, ist der Inhalt der staatlichen Definition: Als Gewaltmonopol verpflichtet nämlich der Staat seine Bürger auf das Eigentum und setzt mit seinem Recht durch, dass die bedruckten Scheine von allen Bürgern als Mittel des Zugriffs auf allen privaten Reichtum akzeptiert werden – und damit dieser Reichtum sind. Das Geld wird mit der staatlichen Hoheit als Maß und Mittel des abstrakten Reichtums gesetzt. Diesen Inhalt hat der Bitcoin natürlich gar nicht vorzuweisen, warum er eben auch kein Geld ist, sondern ein Stück Programmcode, das so gestaltet wurde, dass man es als einen Datensatz besonders anonym und sicher hin- und hertransferieren kann, und das ansonsten in jeder Hinsicht ziemlich selbstreferenziell ist: Wer nämlich einen Bitcoin hat, hat damit nichts als diesen selbst, ein Stück Informationstechnik, die man in seinen virtuellen Tresor stecken kann und von dort wieder an andere Adressen überweisen kann – sofern die ein Interesse an einem Stück Datensatz haben.

Das haben auf ihre ganz eigene Art auch die Kritiker des Papiergeldes und Bitcoin-Verfechter festgestellt und gleich eine Lösung gefunden: "Der wesentliche Punkt ist, dass, wenn einmal ein Tausch zwischen Geld (US-$) und Bitcoins stattfinden kann, Warenproduzenten ein Mittel haben, Bitcoin als ein mögliches [!] Tauschmittel zu bewerten." Das ist der Sache nach ein Eingeständnis, dass der Bitcoin weder Wert hat noch ein Geld ist. Doch die Bitcoin-Erfinder stellen sich einfach auf den Standpunkt, dass es irgendwann eine Relation zwischen ihrem Produkt und echtem Geld geben muss, damit man dank des Bitcoin-Preises in Dollar einfach die Gleichung umdrehen kann und dann alle Waren, die ihren Ausdruck in Dollar haben, auch in der eigenen Fiktion ausdrücken kann. Mit derselben Logik könnte man zwar auch Autos, Gurken und Tische zu Geld erklären, weil man über den Preis dieser Waren umgekehrt auch jede andere Ware in einer bestimmten Quantität Gurken ausdrücken könnte, aber da haben die "Bitcoin-Ökonomen" schon über ganz andere Widersprüche hinweggesehen.

Gesagt, getan. So wird zu Beginn der Karriere des Bitcoins ein Angebot für die Internetgemeinde aufgemacht: Zwei Pizzas sollen an die Adresse der Erfinder geschickt werden, dafür werden 10.000 Bitcoins ausgelost. Dafür findet sich – wie auch für alles andere, was im Internet so passiert – früher oder später jemand, der bereit ist zu zahlen, und schon ist ein Verhältnis zwischen Bitcoin und echten 41 US-Dollar für Pizza hergestellt. Das ändert der Sache nach natürlich nichts daran, dass der Bitcoin wertlos ist, aber einige internetaffine Geschäftemacher fangen an, sich auf dieser Grundlage auch Waren in Bitcoins abnehmen zu lassen. Seine "Wertbestimmung" resultiert in diesen Transaktionen auf nichts anderem als dem Preis, der am Ende gezahlt wird, weil es ja gar keinen Wert gibt, der hier seinen Ausdruck in dem Pseudogeld findet. Und so hätte der Bitcoin als Spielerei für internetbegeisterte Nerds auch sein Dasein fristen können. Dann aber wurde die elektronische Münze von derjenigen Instanz entdeckt, welche in dieser Gesellschaft die Oberhoheit hat über die Schaffung von Werten aus Wertlosem: der Börse.

Windige Geschäfte als Kernkompetenz

Auf wieder andere Art bestätigt auch die Börse einmal mehr, dass der Bitcoin völlig wertlos ist. Die Experten für fiktives Kapital schätzen nämlich die Eigenschaft an ihm besonders, dass es völlig unbestimmt ist, was wo mit ihm zu "kaufen" ist. Sie nehmen also gerade die Abwesenheit jedes Werts und nutzen das als Spekulation auf das "Zahlungsversprechen" der digitalen "Währung", die keine ist. Derart windige Geschäfte gehören der Sache nach natürlich zur Kernkompetenz des Finanzkapitals und so wird der Bitcoin als Handelsartikel – eben inzwischen auch in Stuttgart und New York – gelistet und so das virtuelle Geld zum spekulativen Investment. So wird die digitale Münze mit einem Kurs versehen, der sie zwar immer noch nicht zum Geld macht, aber den Bitcoin umgekehrt mit einem – von der Börse verbrieften – Preis ausrüstet. Weil der Kurs des Bitcoins von gar nichts anderem abhängt als der Spekulation auf ihn, da er gar nichts anderes repräsentiert als eine Spekulation, ist er auf seine ganz eigene Art an der Börse denkbar gut aufgehoben. Er ist damit zum Wertobjekt geworden, dessen Wert von nichts anderem abhängt als der Spekulation auf seine Wertsteigerung.

Das nimmt sachgemäß kein Beteiligter an der Börse als Ausdruck des Wahnsinns, der dort unterwegs ist. Vielmehr gelten jene, die zu Beginn des "Internetgeldes" einige Biere von Freunden durch Bitcoins bezahlen ließen und über die Spekulationen des Finanzkapitals so nun zu echten Geld-Millionären geworden sind, als "Visionäre", und die Stuttgarter Börse macht Werbung damit, dass sich jetzt jeder ganz einfach via App an dem Unsinn beteiligen kann.

Eine steile Karriere. Was als Kritik an der Funktionalität des Geldes begann; was zur Konstruktion eines Geldes überging, das keines ist; was am Ende auch an der Börse millionenschwer gehandelt wird, gerade weil es wertlos ist: Das ist der Bitcoin. In der kapitalistischen Logik hat es sogar eine falsche Kritik des Geldes dazu gebracht, in die eingerichteten Geldkreisläufe integriert zu werden und wurde zum Geschäft gemacht. In dieser besten aller Welten ist eben noch der größte Unsinn Wert, solange er dazu taugt, aus Geld mehr Geld zu machen.

Die verkehrten Vorstellungen über das Geld, welche auch "Satoshi Nakamoto" in seiner Kritik teilt, wurden übrigens schon 2007 von einem Stuttgarter, nämlich von Theo Wentzke, kritisiert – nachzulesen in: "Das Geld. Von den vielgepriesenen Leistungen des schnöden Mammons", das er zusammen mit Wolfgang Möhl verfasst hat (erschienen im GegenStandpunkt-Verlag München). Wer noch tiefer in die Materie einsteigen will: In der ebenfalls "GegenStandpunkt" benannten Vierteljahreszeitschrift Nr. 3/2021 ist unter dem Titel "Bitcoin – 'freies Geld' für freie Bürger" ein noch deutlich ausführlicherer Artikel zum Thema erschienen. Aber für derartige marxistische Kritik interessieren sich die Erfinder des "besseren Geldes", das keines ist, genauso wenig wie die Stuttgarter Börse. Beide sind viel zu sehr damit beschäftigt, dass das Geschäft mit dem Geld weiterläuft und es seine Funktionen erfüllt.


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13 Kommentare verfügbar

  • Anette
    am 22.10.2021
    Antworten
    Bei aller Wertschätzung dem Autoren gegenüber, dieser Artikel wird dem Bitcoin nicht gerecht. Ja, die Börse kann gar nicht wissen, womit sie handelt, wenn sie synthetische ETFs handelt, die nur am Kurs vom Bitcoin partizipieren wollen, denn dieser ist volatil. Ja, die Spekulationen um den Bitcoin…
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