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Finanzbranche

Helfer der organisierten Kriminalität

Finanzbranche: Helfer der organisierten Kriminalität
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Nichts gelernt aus der Lehmann-Pleite und dem Crash 2008? Stabiler ist der Finanzmarkt jedenfalls nicht geworden, sagt der Volkswirt Gerhard Schick. Warum das so ist, schreibt er in seinem neuen Buch "Die Bank gewinnt immer". Kontext hat mit ihm darüber gesprochen.

Es ist ein Befund, so dramatisch, dass man ihn am liebsten in die Welt herausbrüllen würde. Doch hier steht der Satz, ganz unaufgeregt, und provoziert durch seine Sachlichkeit: "Meine These ist, dass das Geschäftsmodell einer globalen Großbank ohne Berührung zu kriminellen Aktivitäten gar nicht denkbar ist." Gerhard Schick, einst finanzpolitischer Sprecher der Grünen, mag nicht der einzige sein, der zu einem solchen Urteil kommt. Aber erstens spricht er es aus. Und zweitens tut er es deutlich und ohne demagogische Marktschreierei. Vielmehr handelt es sich um die nüchterne Beschreibung eines gravierenden Problems.

In seinem Buch konkretisiert der Mannheimer Volkswirt seine Vorwürfe: gefälschte Bilanzen und gigantischer Steuerbetrug, Geldwäsche für Drogenkartelle und Offshore-Verstecke, die Terroristen zu ihrem Kundenkreis zählen. "Ich brauche gar keine Verschwörungstheorien", sagt Schick, "die Realität ist krass genug." Für ihn ist die Finanzbranche "zu einem besonders wichtigen Helfer organisierter Kriminalität geworden".

Das Statement hat Gewicht, nicht nur, weil es auf einen dramatischen Missstand aufmerksam macht. Sondern auch, weil Schicks Expertise selbst bei politischen Gegnern unbestritten ist. "Niemand fällt jemand ein, der ähnlich hartnäckig ist wie Schick", schreibt die "Welt" in einem Porträt, er sei "bei Freunden und Gegnern gleichermaßen geachtet." Das Zitat hat es nun als Werbung auf den Klappentext zum Buch geschafft, das den Untertitel trägt: "Wie der Finanzmarkt unsere Gesellschaft vergiftet" – und das wiederum klingt durchaus nach einer verschärften Tonlage für einen, der nicht zu drastischen Darstellungen neigt. "Ich meine das wirklich sehr ernst", betont Schick. Ob er sich radikalisiert hat?

Wirecard: Schon wieder ein Skandal

"Ehrlich gesagt, war der Cum-Ex-Skandal für mich noch einmal eine Wegmarke. Und Wirecard steht dem an einigen Punkten in nichts nach. Wir haben es am Finanzmarkt zu oft mit organisierter Kriminalität zu tun. Und das Problem ist nicht nur, dass sie stattfindet, sondern dass Behörden, die dafür zuständig sind, sie zu bekämpfen, nicht das Richtige tun." Dann macht Schick eine längere Pause, überlegt und fährt schließlich fort: "Ich würde nicht sagen, dass diese Erfahrungen mich radikalisiert haben, aber sie haben mich zutiefst empört und ich bin sehr vielen Menschen begegnet, denen es genauso geht. Als Gesellschaft dürfen wir uns diese Zustände nicht gefallen lassen."

Man kann mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten nicht über die von ihm mitgegründete "Bürgerbewegung Finanzwende" reden, ohne irgendwann auf das Licht der Öffentlichkeit zu sprechen zu kommen. "Unsere Gesellschaft muss sich intensiver mit Finanzfragen beschäftigen", das ist eine seiner zentralen Thesen, "sonst gewinnen immer nur die Falschen und die Lobby hat leichtes Spiel." Noch ist das ein weiter Weg, denn bislang lässt auch die Medienwelt kein gesteigertes Interesse an diesem Thema erkennen. Schick sieht das so: "Es gibt zwar gut recherchierte Artikel und einige Journalisten, die bei der Berichterstattung zu Cum-Ex und Wirecard eine hervorragende Arbeit machen. Aber in den großen Diskussionsforen dieser Republik haben diese großen Finanzskandale bisher kaum Niederschlag gefunden. Wobei man sich schon fragt: Was ist hier eigentlich los? Ständig wird von der ganzen Härte des Gesetzes gesprochen, aber dann geht es eher um Wohnungseinbrüche und um Drogendealer. Sobald die Kriminellen aber in Anzug und weißem Hemd daherkommen, reagiert unsere Gesellschaft merkwürdig apathisch."

Fünfzehn Jahre ist es her, dass Schick, damals 33, als Abgeordneter für die Grünen in den Bundestag eingezogen ist. Er hätte damals "nie gedacht, dass hinter den glitzernden Fassaden von Banken und Co. so viel kriminelle Energie steckt". Über eine Dekade war er finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er übernahm die Position im Herbst 2007, kurz nachdem sich die dramatisch sinkenden Immobilienpreise in den USA auch für europäische Banken bemerkbar machten und die EZB erstmals seit dem 1. September 2001 Milliardenbeträge fließen ließ, um den Finanzsektor zu stabilisieren. Die Pleite der Großbank Lehman Brothers, ein knappes Jahr später, markierte den vorläufigen Höhepunkt einer globalen Krise, die das gesamte Finanzsystem zum Einsturz zu bringen drohte. "Die Gesellschaft war in Aufruhr", erinnert sich Schick. Es war eine Zeit, in der viel möglich schien.

Merkel wollte mal alle Märkte regulieren

Der Finanzmarkt, der sich als nicht ganz so stabil erwies, wie er manchen erschien, sollte krisenfester werden. Das Katastrophenszenario einer globalen Krise dürfe sich nicht wiederholen – das, meint Schick, sei zwischenzeitlich der Konsens im Bundestag gewesen. Im Oktober 2008, "dem Monat der Rettungspakete", wie ihn die "Tagesschau" nannte, einigt sich die Bundesregierung auf ein Rettungspaket von 480 Milliarden Euro für kriselnde Banken, wobei keine Zeit blieb, das Parlament um Zustimmung zu bitten. Kanzlerin Merkel versprach damals, dass nun "alle Marktteilnehmer, alle Produkte und alle Märkte wirklich überwacht und reguliert werden".

Alte Glaubenssätze gerieten ins Wanken. In einem aufsehenerregenden Artikel für die "FAZ" beschrieb ihr zwischenzeitlich verstorbener Herausgeber Frank Schirrmacher "das komplette Drama der Selbstdesillusionierung des bürgerlichen Denkens", mit einem Hinweis auf den offiziellen Biografen von Margaret Thatcher. Der schrieb plötzlich Dinge wie: "Wenn die Banken, die sich um unser Geld kümmern sollen, uns das Geld wegnehmen, es verlieren und aufgrund staatlicher Garantien dafür nicht bestraft werden, passiert etwas Schlimmes. Es zeigt sich – wie die Linke immer behauptet hat –, dass ein System, das angetreten ist, das Vorankommen von vielen zu ermöglichen, sich zu einem System pervertiert hat, das die wenigen bereichert." Schirrmacher bilanziert: "Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik."

Doch es handelte sich gerade nicht um Anliegen, die die politische Linke exklusiv für sich vereinnahmen könnte, und die Gesellschaftskritik ist zwischenzeitlich wieder domestiziert. 2008 aber sorgte die Umwandlung von Bürgergeld zu Bankengeld noch quer durch alle Schichten für Empörung: Wenn sich alle an Regeln zu halten haben und in der Marktwirtschaft miteinander konkurrieren müssen, wie kann es dann sein, dass große Banken hemmungslos herumzocken dürfen, ohne dem Risiko ausgesetzt zu sein, selbst für ihre Verluste zu haften? Das hat sich nicht nur Schick gefragt. Ideen wie ein Trennbankengesetz, eine höhere Eigenkapitalquote für Kreditinstitute und eine Finanztransaktionssteuer erfreuten sich damals großer Beliebtheit, auch unter Konservativen und teils sogar Liberalen. Tatsächlich hat der Bundestag seit 2008 mehr als 30 Gesetze verabschiedet, um den Finanzmarkt zu reformieren. Sie tragen Namen wie Kleinanlegerschutzgesetz oder Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz. Und dennoch: Wenn das Ziel war, Kleinanleger zu schützen, die Finanzaufsicht zu verbessern oder den gesamten Sektor krisenfester zu machen, fällt die Erfolgsbilanz ernüchternd aus. Was in erster Linie mit einer massiven Intervention der Bankenlobby zusammenhängt. So Schicks Befund.

Eine Art Greenpeace für Geldfragen

Er kennt das Problem: Bis ein Gesetz zum Gesetz wird, kann das ursprüngliche Anliegen bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden. Als Beispiel führt er gerne die Finanztransaktionssteuer unter Olaf Scholz an, die er eine Alibi-Steuer nennt: Eigentlich hätte sie den spekulativen Hochfrequenzhandel eindämmen sollen – nun aber ist im aktuellen Entwurf der Bundesregierung ausgerechnet der Hochfrequenzhandel als Ausnahme von den Regelungen befreit, während Kleinanleger belastet werden.

Schick hat den Prozess, vom Aufbruch in der Krise bis zum Scheitern an der Lobbymacht, hautnah miterlebt. Er kennt die stundenlangen Ausschusssitzungen und wälzerdicken Vorlagen, mit tausenden Seiten hochkompliziertem Juristendeutsch, wo jeder noch so feine Formulierungsunterschied erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. "Und deswegen liegt es so nahe, sich von freundlichen Lobbyisten die Gesetzesvorlagen erklären zu lassen", schreibt Schick. Kein Abgeordneter könne alle Punkte auf jeder Tagesordnung vollständig durchdringen.

Grundsätzlich sei es nicht verwerflich, für seine Interessen zu werben, schreibt der Mann, der ja ebenfalls für Interessen wirbt. "Entscheidend ist das völlige Ungleichgewicht zwischen der Finanzlobby und Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Interessen der Bürgerinnen und Verbraucher einsetzen." Und da kommt die Bürgerbewegung Finanzwende ins Spiel, für die Schick sein Bundestagsmandat vorzeitig aufgegeben hat und deren Vorstand er nun ist: "Bisher klaffte hier eine Lücke. Es fehlte jemand, der in Sachen Geld die Rolle übernimmt, die Umweltverbände wie Greenpeace, NABU, oder BUND beim Klima- und Naturschutz spielen."

Diese Verbände haben, aller Defizite in der Umweltpolitik zum Trotz, beachtliche Erfolge vorzuweisen, teilweise auch errungen gegen den Widerstand industrieller Schwergewichte. Mit der Finanzwende sollen nun Kampagnen dafür sorgen, dass Geldfragen im öffentlichen Diskurs nicht untergehen. Die Zuversicht, die er sich bewahrt hat, zeigt sich auch seiner Wortwahl. Meist hat die Finanzlobby nichts "verhindert", sondern nur "ausgebremst". In diesem Sinne beschließt er ein jedes Kapitel mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen unter der vorsichtig-optimistischen Zwischenüberschrift: "Da geht noch was!" – egal ob die Preisexplosion am Wohnungsmarkt, die Klimakrise oder der zunehmende Populismus gemeint ist, die als eigene Komplexe jeweils enge Verbindungen zum und Wechselwirkungen mit dem Finanzmarkt aufweisen.

Die Krise als Dauerzustand

Doch bei aller Zuversicht betont er auch, dass sich die Weltwirtschaft über die vergangenen Jahre in eine ausgesprochen verzwickte Lage manövriert hat. Die Krise ist für Schick inzwischen weniger Ausnahme als Dauerzustand. Der Volkswirt vergleicht sie mit einer chronischen Krankheit, die nie richtig auskuriert worden sei, sondern sich nur verlagert habe. Bereits im Dezember 2018, bei seiner letzten Rede im Bundestag, mahnte er: "Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2007 treibt mich die Sorge um, dass aus der Weltfinanzkrise unserer Zeit eine ähnliche Menschheitskatastrophe entstehen könnte wie aus der Weltfinanzkrise ab 1929. Und diese Sorge ist in den letzten zehn Jahren ständig gewachsen." Er räumt allerdings ein, dass er damals nicht ahnen konnte, wie bald die Republik "in einer neuen Krise stecken würde, die die Lehman-Krise in den Schatten stellt".

Ein Problem mit dem Aufbau neuer Strukturen und Netzwerke ist das Drängen der Zeit: Denn laut Schick haben "wir es mit Problemen zu tun, um die wir uns nicht erst in zehn Jahren kümmern können, weil sie eine Eigendynamik haben". Das gelte neben der Klimakrise auch für die Instabilität am Finanzmarkt: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es ein erneutes Wackeln am Finanzmarkt gibt, wenn man ein System hat, in dem die Schulden immer schneller wachsen als die Wirtschaftsleistung. Das kann langfristig nicht gut gehen."

Neben einem Plädoyer an die Öffentlichkeit, bei Finanzfragen nicht aufzugeben, kann Schicks Buch auch als Appell an politische Entscheidungsträger verstanden werden: Strukturelle Probleme lösen sich nicht, indem man sie sich selbst überlässt. "Ich finde es erstaunlich, dass diese alten Glaubenssätze die Banken- und Finanzkrise von 2008 weitgehend überlebt haben. Da konnten wir eigentlich schon deutlich sehen, wie gefährlich es ist, wenn wir uns darauf verlassen, dass Märkte sich selbst regulieren. Und wie gefährlich es ist, manche wichtigen gesellschaftlichen Anliegen den Finanzmärkten zu überlassen."

Gerhard Schick, "Die Bank gewinnt immer – Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet", erschienen am 19. August 2020 im Campus Verlag, 256 Seiten, 22 Euro. 


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