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Münchner Häuserkampf

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Patrizia ist nicht überall erwünscht: Ähnlich wie in Baden-Württemberg muss in Bayern die marode Landesbank zehntausende Wohnungen verscherbeln. Ein Verkauf an einen Immobilienhai allerdings scheint undenkbar, für die CSU wäre das politischer Selbstmord.

Patrizia ist nicht überall erwünscht: Ähnlich wie in Baden-Württemberg muss in Bayern die marode Landesbank zehntausende Wohnungen verscherbeln. Ein Verkauf an einen Immobilienhai allerdings scheint undenkbar, für die CSU wäre das politischer Selbstmord.

So sehen die Daten aus vom anschwellenden Häuserkampf: 9,40 Euro zahlt man laut einer neuen Studie in Stuttgart im Durchschnitt Miete für den Quadratmeter, in München sind es 12,30 Euro. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt fehlen 8000 Wohnungen, in der bayerischen sind es 31 000. Am Nesenbach ging die Miete in einem Jahr um 2,2 Prozent nach oben, an der Isar um 4,1. Die Stuttgarter Zahlen sind heftig, die Münchner noch weitaus extremer.

Und noch einen Vergleich gibt es: Die Landesbank Baden-Württemberg verkaufte jetzt 21 000 Wohnungen, damit sich das verschuldete Kreditinstitut über Wasser halten kann. Der Zuschlag ging an das Augsburger Immobilienunternehmen Patrizia, das Mieterverbände als einen rein auf Rendite orientierten Wohnungsvermarkter ansehen, als "Heuschrecke". In München ist der Sachstand ähnlich, nur noch nicht so weit fortgeschritten: Die landeseigene Bayerische Landesbank (Bayern-LB) soll ihre Wohnungsbaugesellschaft GBW verkaufen, welche derzeit 33 000 Wohnungen im Freistaat besitzt, davon 10 000 in München und Umgebung.

In München geht es immobiliär anders zur Sache als in Stuttgart. Foto: privatVieles allerdings spricht dafür, dass es in München nicht zur kalten Stuttgarter Lösung kommen wird, die den Bewohnern saftige Mieterhöhungen oder die Kündigung bescheren könnte. Denn die CSU als immerwährende Regierungspartei ist in sozialen Angelegenheiten mittlerweile sensibilisiert. Und der im vergangenen Sommer auferstandene neue SPD-Hoffnungsträger auf der Landesbühne, der populäre Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, treibt die Christsozialen in der Wohnungsfrage gerade vor sich her. Zwei Lösungen stehen im Raum: Entweder werden die Immobilien von einem Bündnis der Kommunen übernommen – das strebt die CSU an. Oder der Freistaat kauft sie selbst, was die SPD favorisiert.

Der bayrische Wohnungsstreit wird immer erbitterter

Patrizia und Co. jedenfalls sollen außen vor bleiben, was auch eine Folge der unguten Stuttgarter Entwicklung ist, die in München durchaus beobachtet wurde. In eineinhalb Jahren sind im Freistaat Landtagswahlen, Ude bringt sich als hoffnungsvoller Herausforderer von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) schon jetzt in vielen Bereichen in Stellung. Er strebt die historische Ablösung der CSU durch ein Bündnis aus SPD, Grünen und Freien Wählern (FW) an. Umfragen sehen Christsoziale und die Dreier-Opposition derzeit gleichauf mit je 44 Prozent. Die CSU dürfte damit ihre Spitze erreicht haben, während Ude der Auffassung ist, dass seine SPD noch Luft nach oben hat.

Der bayerische Wohnungsstreit wird immer erbitterter geführt. Hauptprotagonist der Staatsregierung ist Finanzminister Markus Söder, der seine Vergangenheit als JU-Rambo zunehmend abstreift und zu Seehofers wichtigsten Stützen zählt. Söder will die GBW-Hinterlassenschaft unbedingt den Kommunen aufdrücken. Denn er muss sich um ein weiteres CSU-Wahlkampfthema kümmern: die Entschuldung Bayerns. Seehofer hatte kürzlich ziemlich unvermittelt proklamiert, dass das Land republikweit oberster Sparmeister sein und bis 2030 ohne Schulden dastehen soll. Schon dieses Jahr will er eine Milliarde tilgen. Ein Ankauf der Wohnungen käme zur Unzeit.

Die Immobilien sind eine unliebsame Hinterlassenschaft der Bayerischen Landesbank (Bayern-LB). Hochfliegende Pläne, im osteuropäischen Immobilienmarkt mitzumischen, brachten das Institut an den Rand der Pleite. Unter Ministerpräsident Edmund Stoiber hatte die Bayern-LB das Kärntner Schrott-Institut Hypo Alpe Adria gekauft und sich dabei offenkundig vom damaligen Kärntner Rechtsaußen, dem Landesobmann Jörg Haider, über den Tisch ziehen lassen. Hinzu kamen für die Bayern-LB Verluste aus Spekulationen im einst überheizten US-Immobilienmarkt. Gesamtschaden: zehn Milliarden Euro. Die EU-Kommission verlangt nun, wie auch in Stuttgart, für eine Neuaufstellung das Abstoßen des Tafelsilbers.

Retter der Entmieteten

Söder behauptete lange Zeit, dass ein Kauf der Wohnungen durch den Freistaat rechtlich nicht möglich sei, denn dies wäre das Prinzip "linke Tasche, rechte Tasche". Ende vergangener Woche allerdings verlautete von EU-Vizekommissionspräsident Joaquín Almunia, dass es Brüssel egal sei, wer die Wohnungen kauft, solange dadurch die Bayern-LB entschuldet würde. Ude freut sich nun und wirft Seehofer vor, er habe bisher mit "einer Lüge" argumentiert.

Mehr und mehr setzt der 64-jährige Schwabinger aus dem Rathaus am Marienplatz die landespolitischen Themen und zwingt die CSU in die Defensive. Er lobt die starken Kommunen als Akteure, allen voran natürlich sein München – während die Staatsregierung die Gemeinden auszehre, so der Vorwurf. Das Modell München will er auf den Freistaat übertragen. So seien die Münchner Stadtwerke etwa ein blühendes kommunales Unternehmen, das viel Geld in erneuerbare Energien investiere. Wohingegen die CSU die einstigen Bayernwerke an Eon verscherbelt habe – und der Energieriese nun auch noch den Münchner Standort schließt.

Das Wohnungsthema birgt vor allem in der bayerischen Landeshauptstadt gewaltigen Sprengstoff, Ude schwingt sich zum Retter der Entmieteten auf. Nun wird vom "Immobilienwahnsinn" gesprochen, es gründen sich Initiativen gegen die Gentrifizierung – die Umwandlung ganzer Stadtviertel in überteuerte Lebensräume ausschließlich für die Schicken und die Reichen. Der Trend verschärft sich noch, weil manch lebensfreudige Ältere mittlerweile eine luxussanierte Altbauwohnung in der Stadt der langweiligen Villa am viel zu ruhigen Starnberger See vorziehen. In München gilt die Maxvorstadt schon als umgekippt, Haidhausen und Schwabing sowieso.

Russische und saudische Milliardäre in München

The Seven: Luxusdomizile in München für Milliardäre. Foto: privatJetzt kämpft ein traditionell hässliches Arbeiterviertel wie Obergiesing gegen Entmietung und Luxussanierung. Eine 100-Quadratmeter-Altbauwohnung im entsprechenden Ambiente geht für eine Million Euro weg. In die "Lenbachgärten" nahe dem Hauptbahnhof haben sich vor allem russische und saudische Milliardäre eingekauft. An der Spitze steht derzeit das Bauprojekt "The Seven": Im alten Heizkraftwerksturm an der Müllerstraße 7, nahe dem Viktualienmarkt, werden auf elf Etagen Nobel-Etablissements gebaut. Die oberste Penthouse-Wohnung bietet 750 Quadratmeter auf zwei Etagen und eine Dachterrasse um das ganze Geschoss herum. Sie ist schon verkauft für geschätzte 15 Millionen Euro, Besitzer unbekannt.

Einzig Ministerpräsident Seehofer schweigt noch. Wie so oft wartet er, bis er glaubt, die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung erspürt zu haben. Private Immobilienkonzerne müssen bei den GBW-Wohnungen außen vor bleiben, alles andere wäre politischer Selbstmord der CSU. Die Kommunen sperren sich. Ein Kauf durch den Freistaat wiederum wäre ein Einknicken gegenüber Ude. Somit ist am wahrscheinlichsten, dass die Wohnungen bis zur Wahl im Herbst 2013 an der Bayern-LB hängen bleiben – und die Mieter zumindest relative Ruhe haben. 


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