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Heckler und Koch

Die freundliche Waffenschmiede

Heckler und Koch: Die freundliche Waffenschmiede
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Heckler und Koch wird Vorreiter für Waffengeschäfte, die profitabel und ethisch zugleich sind. Beteuert der neue Chef für Kommunikation, der die Rüstungsschmiede aus der Schmuddelecke holen will. Über mehr zivile Produkte will man aber nicht nachdenken, denn noch ist die Nachfrage nach Waffen groß genug.

Wenige schwäbische Kleinstädte sind so prominent in Dokumentationen, Spielfilmen und Zeitungsberichten vertreten wie Oberndorf am Neckar. Immer wieder ist die Rüstungsfirma Heckler und Koch (HK) der Auslöser: Skandale um illegale Waffenexporte, jahrelange Gerichtsverhandlungen, Parteispenden an prominente Politiker, undurchsichtige Übernahmeversuche durch einen französischen Milliardär und enorm hohe Schulden, aber auch die angeblich mangelhafte Funktionstüchtigkeit des Sturmgewehrs G 36 sorgen für meist unerwünschte Publicity. Mit Informationen ging das Unternehmen höchst sparsam um und fütterte meist nur den medialen Platzhirsch, den "Schwarzwälder Boten", mit ihm genehmen Informationen.

Doch seit etwa drei Jahren dreht sich was in Oberndorf-Lindenhof: Ein neuer Chef, Norbert Scheuch, lud Mitte August 2017 zu einer Aktionärsversammlung ins nahegelegene Sulz und stellte sich überraschenderweise Reporterfragen. Nicht nur die Journalisten rieben sich die Augen. Der Freiburger Friedensaktivist Jürgen Grässlin etwa war ganz euphorisch: Er glaube, es sei möglich, "eine Wende bei Deutschlands tödlichstem Unternehmen herbeizuführen", sagte er damals. HK kündigte eine "Grüne-Länder-Strategie" an und wollte Waffen nur noch an EU-, Nato- oder Nato-nahe Staaten liefern. Scheuch erläuterte wenig später im Interview, der Grund für den neuen Kurs sei eine "kritische Bewertung des Geschäfts".

Doch die Ära Scheuch endete abrupt – und nur zwei Wochen später. Der Aufsichtsrat feuerte den Kurzzeitchef, das Unternehmen versicherte aber: "Die eingeleitete strategische Neuausrichtung des Unternehmens" würde unverändert fortgeführt. Doch mit der neuen Offenheit war erst einmal wieder Schluss. Alles wieder beim Alten auf dem Lindenhof?

Ein dreiviertel Jahr später, im Mai 2018, übernahm Jens Bodo Koch den Chefposten. Er kam von einem anderen Rüstungsunternehmen, der Atlas Elektronik in Bremen. Als Finanzchef folgte wenig später Björn Krönert. Er sollte "die Bude auf Vordermann bringen", so die zuständige IG-Metallbevollmächtigte Dorothee Diehm.

Bei HK gibt es jetzt einen Kommunikationschef

Scheuch sei nicht an seiner neuen Offenheit, sondern an Managementfehlern gescheitert und deshalb gefeuert worden, berichten Insider. Demnach habe Scheuch, ein "klassischer Sanierer", etliche langjährige Mitarbeiter der mittleren Führungsebene rausgeworfen und damit wertvolles Know-how leichtfertig weggegeben. Die Folge seien schwere Qualitätsprobleme in der Fertigung gewesen. Nach seiner Entlassung kamen einige dieser Leute wieder zurück. Die neuen Bosse handelten mit der IG Metall ein Abkommen aus, wonach die Beschäftigten zwei unbezahlte Stunden pro Woche Mehrarbeit leisten, um das wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen zu retten.

Und damit zum nächsten Transparenz-Anlauf: HK hat kürzlich einen Profi als Pressesprecher angeheuert. Nach mehreren Stationen im Journalismus ist Marco Seliger seit Beginn dieses Jahres Kommunikationschef beim Oberndorfer Waffenhersteller – eine Position, die dort neu geschaffen wurde. Seliger war bei der Bundeswehr Pressesoldat, arbeitete als Lokalreporter für die "Schwäbische Zeitung", ging später für die FAZ als Reporter in Kriegsgebiete, um zu sehen, "wie Menschen dort leben und was der Krieg mit ihnen macht". Dann wurde er Chefredakteur von "loyal", der Zeitschrift des Reservistenverbands.

Der 47-Jährige war zu einem Gespräch über Schulden, Fehler in der Vergangenheit, die neue Strategie und die Eigentümer bereit. Seliger sagt, er habe nicht mehr im Journalismus arbeiten wollen, "weil es kaum noch Medien in Deutschland gibt, die bereit oder wirtschaftlich in der Lage sind, die Kosten für verteidigungspolitische Fachberichterstattung zu tragen". Warum er ausgerechnet beim Schmuddelkind der Industrie gelandet ist? Er habe sich immer gefragt, "warum die Kommunikation so miserabel ist". Die Firma habe – da versteht jemand seinen Job – weltweit anerkannte Spitzenprodukte und einen starken Namen. "Dass dieses Unternehmen in der deutschen Öffentlichkeit bisher als Paria betrachtet wurde, der ständig Kritik auf sich zieht, das mag so sein", sagt er. Er sei in Oberndorf angetreten, um das zu ändern.

Die Beschäftigten spucken in die Hände

Vor einigen Wochen hat Seliger stolz verkündet, dass HK nach mehreren Jahren wieder einen Gewinn erwirtschaftet hat. Gleichzeitig lasten Schulden in Höhe von 236 Millionen Euro auf dem Unternehmen, was in etwa dem Jahresumsatz entspricht. Doch Seliger verweist auf ein uneingeschränktes Testat, das die Wirtschaftsprüfungskanzlei Deloitte kürzlich erteilt habe. "Wirtschaftlich sind wir im grünen Bereich." Für HK ist ein solches Testat wichtig, um den 250-Millionen Euro schweren Auftrag für die G 36-Nachfolge bei der Bundeswehr zu erhalten.

Bei der letzten HK-Hauptversammlung im Dezember 2019 haben sich die Vertreter der beiden Hauptanteilseigner Andreas Heeschen und Nicolas Walewski heftig beharkt. Die beiden früheren Freunde sind sich inzwischen spinnefeind. Heeschen hat ein Gutteil seiner Aktien an Walewski verpfändet, seine Stimmrechte aber behalten. Walewski würde gerne ganz übernehmen, doch als Franzose braucht er das OK der Bundesregierung. Da der Milliardär aus Paris auch mit Leuten geschäftlich verbandelt ist, die auf den Bermudas residieren und in den "Panama-Papers" auftauchen, lässt das Bundeswirtschaftsministerium den Bundesnachrichtendienst laut Medienberichten das Firmengeflecht Walewskis durchleuchten. Gefragt, wie es mit einer Genehmigung nun aussehe, teilt eine Sprecherin des Ministeriums mit, man könne "zu etwaigen Investitionsprüfungen ... aufgrund von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ganz grundsätzlich keine Auskunft geben". Laut HK-Sprecher Seliger liege der Antrag auf Übernahme nun schon mehr als 20 Monate beim Ministerium. Allerdings zeige das aktuelle operative Ergebnis, dass HK "von der schwelenden Eigentümerfrage wirtschaftlich nicht beeinträchtigt" werde.

Auch im Betrieb soll sich das Klima verbessert haben. Manche Arbeitsgerichtsverfahren in der Vergangenheit waren eher ungünstig für den Ruf der Firma. Als vor Jahren im Zuge der Mexiko-Affäre zwei fristlos Entlassene dagegen klagten, las der Richter aus internen Mails zu den Waffengeschäften mit Mexiko vor. So manchem Berichterstatter verschlug es die Sprache. Denn erstmals wurde da öffentlich, wie unverhohlen die gesetzlichen Bestimmungen umschifft wurden.

Seit gut einem halben Jahr sei die Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung sehr konstruktiv und noch kooperativer geworden, meint Seliger dazu. "Alle Seiten haben verstanden, dass eine permanente, zum Teil öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung dem gesamten Unternehmen schadet." Mit der denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme hatten die IG-Metaller einer Vereinbarung zugestimmt, die bis Frühjahr 2021 unter anderem zwei Stunden Mehrarbeit pro Woche vorsieht. Die Mitarbeiter "beteiligen sich also aktiv an der Sanierung ihres Unternehmens", lobt Seliger.

Eigentlich ist die Regierung schuld

Der schlechte Ruf von HK rührt unter anderem daher, dass Güter des Unternehmens immer mal wieder in Bürgerkriegsgebieten oder bei Soldaten und Milizen, die für Diktatoren kämpfen, auftauchen. Doch im Gespräch verweist der Unternehmenssprecher darauf, dass die Waffen nicht nur aus Oberndorf stammen, sondern auch aus anderen Waffenfabriken, die etwa das G 3-Sturmgewehr in Lizenz fertigten. Standorte dafür gibt es beispielsweise in der Türkei, dem Iran oder Saudi-Arabien. Diese Lizenzen, sagt Seliger, habe aber nicht HK, sondern die Bundesregierung vergeben: "In den 1960er Jahren galten Iran und Saudi-Arabien für die damalige Bundesregierung als 'Bollwerk gegen den Kommunismus', die entsprechend unterstützt werden sollten."

Bei Waffenexporten, führt Seliger aus, gehe es nicht nur um Wirtschaftspolitik, die Bundesregierung verfolge mit der Genehmigung auch außen- und sicherheitspolitische Ziele. Sein Unternehmen wünschte sich, dass die Regierung "das gelegentlich deutlicher herausstreichen würde. Damit würde sich dann vielleicht auch die Klage etwas relativieren, dass HK-Waffen heute in Ländern sind, in denen sie möglicherweise besser nicht wären". Heute, sagt er, würde sein Unternehmen wohl vorsichtiger bei Lizenzvergaben handeln. Ob das eine Lehre sei, die HK aus der Vergangenheit gezogen hat? Seliger wird philosophisch: "Wenn man nicht aus der Vergangenheit lernen würde, dann hätte man keine Zukunft."

An Rüstungskonversion, also daran, das vorhandene Knowhow statt für den Bau von Waffen für andere Produkte zu nutzen, denke HK allerdings nicht. Brauche man auch nicht, denn allein mit den Lieferungen in "Grüne-Länder" sei der Betrieb bestens ausgelastet: "Die Nachfrage nach Waffen von HK in diesen Ländern ist nach wie vor groß, sodass wir derzeit keine Notwendigkeit sehen, über Konversion nachzudenken." Mit der "Grüne Länder-Strategie", so sieht es Seliger, hebe sich HK positiv von anderern Waffenherstellern ab: "In der Rüstungsindustrie sind wir damit ein Vorreiter, der zeigt, dass Waffengeschäfte ethisch und profitabel zugleich sein können", so Seliger, der zuversichtlich ist, HK aus der Schmuddelecke rauszubekommen.

Doch davon sind längst nicht alle überzeugt. Skeptisch bleibt etwa Jürgen Gräßlin, der sich seit Jahrzehnten kritisch mit den Geschäften der Oberndorfer Rüstungsfirma befasst und mehrere Bücher zum Thema, etwa "Schwarzbuch Waffenhandel", geschrieben hat. "Polizeieinheiten, die einen Rechtsstaat mit rechtsstaatlichen Mitteln sichern, benötigen Bewaffnung", betont der Friedensaktivist, und das gehe "durchaus auch mit Pistolen von Heckler und Koch". Doch dass die Waffen ausschließlich dort landen, wo sie Gutes tun, glaubt er nicht. Anfangs zeigte sich Gräßlin zwar begeistert von der Grüne-Länder-Strategie – aber da hatte er noch den Eindruck, sie würde auch konsequent umgesetzt. "Doch die strategische Zielvorgabe seit den beiden Hauptversammlungen 2019 erinnert eher an einen Schweizer Käse", sagt er nun gegenüber Kontext. "Denn dort, wo sich neue Absatzmärkte auftun, höhlt HK eigene restriktive Vorgaben aus." So würden Kriegswaffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten wie Indonesien, Malaysia und andere durch die Hintertür wieder salonfähig.

Entscheidend sei laut Gräßlin auch nicht die Frage, welcher Organisation, etwa der NATO oder der EU, das Empfängerland von Waffen angehöre. "Wichtig ist, ob dort demokratische Rechte gelten, ob die Menschenrechte gewahrt und Kriege vermieden werden." Vor diesem Hintergrund seien auch "Kleinwaffenexporte von HK und anderen Rüstungsexporteuren nach Frankreich, Ungarn und in die USA äußerst kritisch zu hinterfragen", sagt er. Ein Lob hat Gräßlin auch übrig: "Wenn HK zur Zeit keine Waffen an den NATO-Partner Türkei liefert, begrüße ich das ausdrücklich." Aber grundsätzlich bleibt er dabei: "Das weltweite Massenmorden mit HK-Waffen muss ein Ende finden."

Wie Grässlin betont, werde Sicherheit allen voran geschaffen durch sinnvolle Arbeit und umfassende Bildung, durch Gesundheit und Wohlstand für alle Menschen. "Wer Sicherheit will, muss ziviles Knowhow, in Notsituationen Nahrungsmittel und Medikamente liefern, nicht aber Waffen." Der Friedensaktivist rät der Rüstungsschmiede zur schrittweisen Umstellung auf eine nachhaltige zivile Fertigung: "Die Welt braucht Produkte für den ökologischen Umbau, für die Gesundheit der Menschen – hier ließen sich nicht nur Schulden abbauen, sondern richtig Geld verdienen."


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