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Türme weg, Probleme bleiben

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Ein Symbol der Atomkraft wird gesprengt: die Kühltürme von Philippsburg. Die EnBW macht davon so großartige Bilder, dass man den Eindruck bekommt, sie hätte darauf gewartet.

Sie fielen im frühen Morgenrot: zwei Kühltürme, 152 Meter hoch, Wahrzeichen der Stadt Philippsburg bei Karlsruhe, 65.000 Tonnen Stahlbeton, zu Staub geworden in wenigen Sekunden. Und die Eigentümerin, die Energie Baden-Württemberg (EnBW), scheint sich nicht sattsehen zu können am Niedergang dessen, was ihr einst so wichtig war: der Atomstrom.

Die Videos, die der landeseigene Konzern verbreitet, und die man sich unbedingt anschauen muss, sind wirklich großartig. Von oben, von unten, von der Seite wird der Fall dokumentiert, mit Grafiken unterlegt, die besagen, dass niemand die Sorge haben muss, es könne ein Störfall sein, jemandem ein Stein auf den Kopf fallen oder eine gefährliche Wolke die Gesundheit rauben. Die Türme seien nämlich nie mit Radioaktivität in Berührung gekommen, beruhigt Projektleiter Thomas Müller, der auch erläutert, wie so eine "Fallrichtungssprengung" funktioniert: Die Türme kippen leicht an und fallen dann in sich zusammen. Weltweit bewährte Methode, absolut sicher, kurzes Donnergrollen, fertig. Donnerstag, 14. Mai, 6:05 Uhr.

Auch der Geschäftsführer der EnBW Kernkraft, Jörg Michels, tritt nicht in Schwarz vor die Kamera. In Blau schaut er voll Optimismus in die Zukunft, also in die Energiewende hinein, für welche die Sprengung ein "Meilenstein" ist. Dort, wo die Türme seit den 1970er-Jahren das Landschaftsbild um Philippsburg herum geprägt haben, kommt jetzt nämlich ein Konverter hin. Das ist ein Umspannwerk, in dem der von Norden fließende Gleichstrom in Wechselstrom verwandelt und weiter in den Süden verteilt wird. Nur saubere Energie natürlich, frisch importiert vom Windpark in der Nordsee.  Auch dazu gibt es Bildmaterial, das Michels zum Anschauen empfiehlt – "so oft man will".

Franz Untersteller, der grüne Umweltminister, ist ebenfalls begeistert. Er habe sein ganzes Berufsleben für den Atomausstieg gekämpft, lässt er wissen, und jetzt falle ein "bildgewaltiges Symbol". Noch besser: Dort, wo es sterbe, entstehe Neues, mache die Atomkraft "buchstäblich Platz für die erneuerbaren Energien". Er meint den Konverter. Der braucht 100.000 Quadratmeter Platz, soll 2024 den Betrieb aufnehmen und Baden-Württemberg mit grünem Strom versorgen.

Aber Achtung: Wo das Licht leuchtet, gibt's auch Schatten. Den sieht, wenn's um die EnBW geht, vornehmlich einer: Harry Block, 71. Der pensionierte Lehrer, Urgestein der grünen Bewegung, 1999 raus aus der Partei, Stadtrat in Karlsruhe von 1989 bis 2004, kritischer Aktionär des Energieversorgers, BUND-Mitglied und nach eigener Einschätzung "vernünftiger Anarchist", glaubt dem ideologischen Überbau nicht. Der Ex-Grüne regt sich "tierisch auf". Der Konverter, 500 Millionen Euro teuer, unterstütze doch nur den "alten Gigawattwahn", schimpft Block. Mit Hilfe der grünen Landesregierung sowie des Philippsburger Gemeinderats werde hier eine vollautomatische, ohne jegliche MitarbeiterInnen auskommende Großanlage errichtet, die nur der EnBW nütze, welche den angelieferten Strom teuer ins Ausland weiterverkaufe. Viel g'scheiter wären regionale Angebote.

Aber sonst, alles gut? Ist doch Schluss in Philippsburg, die Meiler sind seit 2011 beziehungsweise 2019 abgeschaltet, die Region wird "für alle sicherer", wie der Umweltminister sagt. Nichts ist gut, betont Block. In den Abklingbecken befänden sich weiterhin radioaktive Brennelemente aus den letzten Reaktorladungen des AKW-Betriebs. Sie müssten in Castoren umgeladen und zwischengelagert werden, zusammen mit den rund 60 Castor-Behältern, die schon auf dem Gelände stehen. Wann die alle wegkommen, sei völlig ungelöst. Ganz zu schweigen von den radioaktiven Emissionen, die der Abriss der Atommeiler mit sich bringe. Blocks Fazit: "Kühltürme weg – Probleme bleiben."


Stolze sieben Videos hat die EnBW von der Sprengung der beiden Kühltürme ins Netz gestellt – hier sind sie zu finden. Am eindrucksvollsten fanden wir dieses hier.


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