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Frauen sind die Verliererinnen

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Verdirbt Corona den Bierdurst? Zum ersten Mal seit Kriegsende melden Brauereien Kurzarbeit an. Wie viele andere Unternehmen in der derzeitigen Lage. Aber was bedeutet das für die Beschäftigten?

Seit Montag ist die Stuttgarter Brauerei Dinkelacker in Kurzarbeit. Und nicht nur die. Der Maschinenbau, die Autoindustrie, die Kulturbranche, das Hotel- und Gaststättengewerbe – wo man hinschaut und hinhört, werden Beschäftigte nach Hause geschickt. Die Kinder sind ja eh daheim, also könnte es in der einen oder anderen Familie ganz gut passen, wenn Mutter oder Vater zuhause bleiben müssen.

Ob sie dann allerdings noch ihre Miete zahlen können, hängt vom vorherigen Verdienst und vom jeweiligen Tarifvertrag ab. Bundesregierung und Bundestag sind stolz darauf, wie schnell sie die derzeitigen Änderungen in der Kurzarbeit beschlossen haben. Musste bisher ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein, reichen nun zehn Prozent aus. Neu ist auch, dass die Arbeitsagentur die Sozialversicherungsbeiträge voll übernimmt, denn die mussten bisher die Arbeitgeber zahlen. Außerdem können auch Leiharbeiter Kurzarbeitergeld bekommen.

Doch was bedeutet Kurzarbeit für den und die Einzelne?

Wenn eine Firma Kurzarbeit anmeldet, übernimmt das Arbeitsamt den Lohn für die Mitarbeiter. Gesetzlich sind das 60 Prozent des Nettolohns, mit Kind 67 Prozent. Davon müssen dann Miete, Strom und Essen bezahlt werden. Das kann knapp werden. Gut dran sind Beschäftigte, die in tarifgebundenen Betrieben arbeiten und deren Gewerkschaft einen guten Tarifvertrag ausgehandelt hat.

Gut, wenn Aufzahlungen drin sind

Gut bedeutet, dass Aufzahlungen durch den Arbeitgeber verabredet sind. So kommen die Dinkelacker-Leute beispielsweise glimpflich davon. Laut ihrem Tarifvertrag ist bei Kurzarbeit Null, also wenn gar nicht mehr gearbeitet wird, eine Aufzahlung auf 90 Prozent des Nettolohnes vorgesehen. "Da sind wir erstmal auf der sicheren Seite", sagt Uwe Deffner. Er ist Betriebsratsvorsitzender von der DS Getränkelogistik GmbH von Dinkelacker und Konzernbetriebsratsvorsitzender. Bei ihm sind 60 Beschäftigte betroffen, in der eigentlichen Brauerei 150. Nicht alle Brauereimitarbeiter werden komplett daheim bleiben müssen. "Wir haben je nach Abteilung eine Kurzarbeiterquote von 20, 50 und 100 Prozent." Manche arbeiten also noch vier oder 2,5 Tage pro Woche.

Aber warum stagniert der Bierabsatz? Trinken die Leute jetzt weniger Alkohol? Hartmut Zacher, Gewerkschaftssekretär bei der NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) in der Region Stuttgart lacht. Das wisse er nicht, aber: "Die Feste sind abgesagt. Alleine das Frühlingsfest macht 3,5 Millionen Euro Umsatz. Außerdem sind die Gaststätten zu, das trifft dann auch den Außendienst." Zudem scheinen die Leute ihr Bier zu bunkern. "Die Flaschen kommen nicht zurück", weiß Zacher. "Normalerweise dauert der Umlauf zwei Monaten. Jetzt sind noch nicht mal die Flaschen von Weihnachten zurück."

In letzter Minute, nämlich vor einer Woche, konnten NGG und der Bundesverband Systemgastronomie sich auf einen Tarifvertrag zur Kurzarbeit einigen, der für die 120.000 Beschäftigten bundesweit ebenfalls eine Aufzahlung auf bis zu 90 Prozent des Nettolohnes vorsieht. Schlimm sieht es für die Angestellten in den allermeisten Kneipen, Restaurants und vor allem kleineren Hotels aus. Alexander Münchow von der NGG Südwest, ist richtig sauer. Denn bei ihm landen derzeit viele Anfragen von den dort Beschäftigten. "Die bekommen dubiose Änderungsverträge zur Kurzarbeit vorgelegt, die sie unterschreiben sollen. Da steht kein Ende der Kurzarbeit drin und teilweise sind sogar Kündigungsmöglichkeiten vorgesehen." Gerade im Gastronomiebereich würde vielen Beschäftigten demnächst klar werden, wie schlecht sie verdient haben. "Auch, weil sie bislang ja noch Trinkgeld hatten, das jetzt wegfällt."

Sein Kollege Zacher erzählt, es sei zudem in der Gastronomie "nicht unüblich", dass der Arbeitsvertrag zum Beispiel 25 Wochenstunden vorsieht, die Leute aber 30 arbeiten und die fünf Mehrstunden schwarz bezahlt werden, "nach dem Motto: Dann muss du nicht so viele Steuern zahlen". Das sei zum einen Sozialversicherungsbetrug und zum anderen fallen die Beschäftigten, die das mitgemacht haben, nun besonders auf die Nase. Zacher: "Wer bislang 2000 Euro netto hatte, aber nur 1400 versteuert hat, den wird es heftig treffen."

Frauen ziehen auch diesmal den Kürzeren

Doch auch diejenigen, die ehrlich gearbeitet beziehungsweise verdient haben, werden bei Kurzarbeitergeld ganz schön schlucken. Falls ein Hotel beispielweise einen Koch tatsächlich nach Tarif bezahlt hat, verdient der 2437 Euro brutto, netto kommt er ohne Kinder auf 1663 Euro. Mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld sind das noch 998 Euro. Eine angelernte Servicekraft hätte mit Kurzarbeit noch 775 Euro in der Tasche. Münchow: "Davon kann man hier im Südwesten kaum leben bei den hohen Mieten." Die NGG ruft hier aber nicht nach dem Staat, sie fordert den Arbeitgeberverband Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) auf, für die 135.000 Beschäftigten in dem Gewerbe endlich einen Tarifvertrag zu Kurzarbeit abzuschließen, in dem Aufzahlung vereinbart wird. "Die haben immerhin zehn Rekordjahre hinter sich", so Münchow. "Aber der Dehoga weigert sich und fordert stattdessen vom Staat, auf Hotelessen nur noch sieben Prozent Mehrwertsteuer zu erheben. Das ist doch überhaupt nicht krisenrelevant." In der Tat: Ob man nun kein Essen mit 19 Prozent oder kein Essen mit sieben Prozent Mehrwertsteuer verkauft, dürfte egal sein. Münchow: "Aber das wollen die schon seit Jahren." 

Noch übler ergeht es in diesen Tagen den vielen 450-Euro-JobberInnen, im Amtsdeutsch "GeringverdienerInnen". Die haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld (allerdings würde da bei 60 Prozent auch wenig übrig bleiben), die fliegen raus und müssen zum Arbeitsamt und rutschen in Hartz IV. Münchow: "Insgesamt werden vor allem Frauen die Verliererinnen sein. Mal wieder." Es gibt allerdings nicht nur Verzweiflung bei der NGG. "Wir haben ja auch Branchen, in denen die Leute jetzt schaffen wie verrückt. Die gesamte Lebensmittelindustrie boomt", sagt Münchow. Da müsse man eher darauf achten, dass die Beschäftigten nicht irgendwann vor Erschöpfung umfallen.

Kurzarbeit in Zahlen

In der vergangenen Woche sind bei der Bundesagentur für Arbeit 76.700 Anträge auf Kurzarbeit eingegangen, die mit dem Coronavirus begründet wurden. Zum Vergleich: 2019 zeigten im Schnitt wöchentlich 600 Betriebe Kurzarbeit an. Gegen Ende des Jahres, als die Konjunktur unter anderem wegen der Transformation in der Autoindustrie schwächer wurde, waren es pro Woche 1000. Wie viele Beschäftigte von Kurzarbeit betroffen sind, erhebt die Bundesagentur offenbar nicht. Besonders viele Kurzarbeitanzeigen kamen laut Agentur aus Baden-Württemberg, Bayern, und Nordrhein-Westfalen.  (gvl)

Ähnlich sieht´s bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aus. Auf Anfrage, wie sehr die betreuten Branchen jetzt auf Kurzarbeit zurückgreifen, sagt der Sprecher von Baden-Württemberg Andreas Henke: "Naja, so sehr sind wir nicht betroffen. Der öffentliche Dienst muss immer funktionieren, im Gesundheitswesen ist die Lage bekannt und im Handel ist es geteilt: Der Internet- und Lebensmittelhandel boomt, Kaufhäuser allerdings sind dicht." Betroffen sei bei ihnen vor allem der Bereich Medien, Kunst, Industrie. 

Richtig übel ist die Lage für die gesamte Kulturbranche, in der Millionen Menschen als Soloselbstständige unterwegs sind, die noch nie viel verdient und nun keine Aufträge mehr haben. Für sie und für die vielen kleinen Unternehmen hat Baden-Württemberg einen Härtefallfonds für Soforthilfen beschlossen. Ende dieser Woche sollen die Formulare für diese Gruppen vorliegen, damit Betroffene unbürokratisch Soforthilfe bekommen. Wie weit das funktioniert, wird man in wenigen Tagen sehen.

Auch in der Metallindustrie kracht es gerade. VW dicht, Opel dicht, Renault und Ford dicht. Bei Daimler zahlen erstmal die Beschäftigen zwei Wochen Schließung, indem sie ihre Arbeitszeitkonten und Urlaubskonten plündern. Wie es dann weiter geht? Wahrscheinlich Kurzarbeit. Immerhin: Im baden-württembergischen Tarifvertrag von Südwestmetall und IG Metall sind bei Kurzarbeit ebenfalls Aufzahlungen zwischen 86 und 97 Prozent vorgesehen, je nachdem, wie viele Beschäftigte betroffen sind. So will man die MitarbeiterInnen an Bord halten. Schließlich soll ja irgendwann wieder gearbeitet werden.


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3 Kommentare verfügbar

  • Dr. Hanke
    am 02.08.2020
    Antworten
    Während der Finanzkrise 2008 wurde mir als Mann mit zwei Diplomen und einem Doktortitel absagen erteilt aufgrund der Frauenquote. Gesagt und geschrieben wurde mir unter anderem, dass ich solange warten sollte bis eine Frau schwanger wird. Maenner in Deutschland sind mit Ihrem Job also abhängig von…
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