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Gift im Ofen

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In Dotternhausen darf der Baustoffkonzern Holcim weiter giftigen Abfall verfeuern. So hat jetzt der Verwaltungsgerichtshof entschieden. Die Naturschützer sind empört und kämpfen weiter. Ein juristischer Streit zwischen Groß und Klein ist entbrannt.

Für den Verein Natur- und Umweltschutz Hohenzollern (NUZ) aus Dotternhausen im Zollernalbkreis endet das Jahr mit einer Enttäuschung. Kurz vor Weihnachten hat der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim eine Beschwerde ihres Vorsitzenden Norbert Majer gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen als unbegründet verworfen. Über das Urteil der obersten Verwaltungsrichter freuen darf sich dagegen der französisch-schweizerische Baustoffkonzern Holcim-Lafarge, dessen Tochter Holcim Süddeutschland in dem knapp 1900 Einwohner zählenden Dorf an der B 27 zwischen Balingen und Rottweil eine Zementfabrik betreibt. Denn das Werk darf nach dem VGH-Urteil weiter so genannte Ersatzbrennstoffe (EBS) zur Zementklinkerproduktion verfeuern. Zumindest vorläufig.

Mittlerweile hat sich der Streit darüber, wie stark die tägliche Produktion von bis zu 2300 Tonnen Zement die Gesundheit der Anwohner und den Zustand der Umwelt belastet, zu einem juristischen Kampf Klein gegen Groß entwickelt. Auf der einen Seite steht Norbert Majer, der seit zwei Jahren mehrere Klagen gegen die Betriebsgenehmigung des Zementwerks vor Gericht eingereicht hat. Immer stellvertretend für seinen lokalen Umweltschutzverein, der anders als manche Initiative eifernder Windkraftgegner keine Klageberechtigung besitzt. Siehe den Kontext-Beitrag "Staatlich unterstützte Sabotage" in Ausgabe 448.

Ausgabe 421, 24.4.2019

Mondlandschaft auf Expansionskurs

Von Jürgen Lessat

Streit um den Plettenberg: Der Schutz von Flora und Fauna steht gegen den Abbau von Kalkstein durch den Zementkonzern Holcim. Die Stadt Balingen kämpft für den Erhalt ihres Hausbergs, unterstützt von Natur- und Umweltschützern.

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Auf der anderen Seite steht nicht etwa der Werksbetreiber, sondern das Land.  Dessen Regierungspräsidium in Tübingen hat als Aufsichtsbehörde im Februar 2017 grünes Licht gegeben, den Klinker-Drehofen ausschließlich mit EBS zu befeuern. Zuvor durfte der Konzern im Dotterhausener Werk mindestens  40 Prozent Steinkohle als Brennstoff einsetzen. Der lobenswerte Verzicht auf den Klimakiller Kohle, den sowohl Holcim als auch die Behörde betonen, bekommt allerdings einen Makel, da der Ersatz teils hochgiftiger Abfall ist. So landen seither Tiermehl, Tierfett, Trockenklärschlamm, Biomasse, Kunststoffe, Flugasche, Bearbeitungsöle, Altreifen, Gummiabfälle, Faserfangstoffe, Druckfarbenreste sowie bituminöse Dachpappen im Dottenhausener Drehrohrofen.

Wie gewöhnliche Müllverbrennungsanlagen unterliegen zwar auch EBS verbrennende Zementwerke der Bundesimmissionsschutzverordnung, in der seit Anfang 2019 erheblich niedrigere Abgasgrenzwerte festgelegt sind. Allerdings mit Ausnahmen, die deutliche Überschreitungen erlauben, wie etwa bei   Kohlemonoxyden, die um das 40fache höher sein können. "Ausnahmsweise" mehr Schadstoffe gestand auch das Tübinger Regierungspräsidium dem Holcim-Werk zu – ohne zuvor mögliche negative Folgen in einer sonst üblichen Umweltverträglichkeitsprüfung zu untersuchen.

Nicht nur deshalb zweifelt Anwohner Majer an der Rechtmäßigkeit der Genehmigung. Sie ist nur zulässig, wenn Rauchgase nach dem modernsten Stand der Technik entgiftet werden, nämlich mit einem sogenannten SCR-Katalysator, den das Stuttgarter Umweltministerium mit einem entsprechenden Erlass vom 21. Dezember 2015 zur Pflicht erklärt hat. Darauf beruft sich Majer. In Dotternhausen werden die Abgase noch mit einem älteren SNCR-Verfahren behandelt.

Im Rechtsstreit schlug sich die Tübinger Behörde auf die Seite von Holcim. Nachdem Majer im April 2017 Klage gegen die Genehmigung eingereicht hatte, umging sie deren aufschiebende Wirkung mit einer Sofortvollzugsverfügung. Gegen diese reichte der NUZ-Vorsitzende wiederum Klage ein. Ganze zwei Jahre ließ sich das Verwaltungsgericht Sigmaringen Zeit, diese im Juni 2019 als unbegründet abzulehnen. Die Beschwerde dagegen verwarfen die Mannheimer VGH-Richter nun schneller. Wann die Sigmaringer Richter in der Hauptsache verhandeln und entscheiden, bleibt weiter offen.

 "Während ein internationaler Baustoffkonzern seit Jahren keine Investitionen in saubere Luft tätigen muss, bekommen wir immer mehr Gerichts- und Anwaltskosten aufgebrummt", sagt Naturschützer Majer. Aufgeben wollen seine Mitstreiter und er dennoch nicht:  "In Dotternhausen darf nicht weiter giftiger Sondermüll auf Kosten unserer Gesundheit verbrannt werden, während die Gewinne daraus ins Ausland abfließen."


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