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Ufos über Zuffenhausen

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Sind die Chefs von Daimler, Porsche, VW und BMW alle grün geworden? Beim Autogipfel des "Handelsblatts" hätte man diesen Eindruck haben können. Wären da nicht die ungläubigen Demonstranten gewesen.

Das weiße Auto steht auf dem Dach des Museums. Es könnte als Ufo vom Himmel gefallen sein. Männer in dunklen Anzügen umkreisen es, knien am Heck nieder und schauen, ob da wirklich keine Auspuffrohre sind. Nein, da sind keine zu sehen. Der Porsche Taycan ist ein Elektroauto mit 761 PS, in 2,8 Sekunden von Null auf Hundert, Höchstgeschwindigkeit 260 km/h, Kaufpreis zwischen 105 000 und 185 000 Euro, mit Extras auf der Kostenskala nach oben offen.

Im Konferenzsaal, von dem aus man das Ufo-Auto sehen kann, werden die Gäste mit einem Werbefilm auf den Auftritt von Hausherr Oliver Blume (51) eingestimmt. "Wir sind die, die kein Mensch braucht", spricht eine sonore Stimme aus dem Off, "aber jeder will". Der Chef des Unternehmens hat es eine Nummer kleiner und schränkt ein, dass das nicht für Frau Merkel gelte, die sein Angebot, den Taycan als Testwagen zu fahren, abgelehnt habe. Außerdem könne man selbst mit diesem Fahrzeug die Welt nicht retten. Das stimmt auch wieder.

Irgendwie ist diese Relativierung beruhigend zu hören in jenen drei Tagen, in denen Blume & Co. auf den "Autogipfel 2019" in Stuttgart-Zuffenhausen gestiegen sind. Sonst wäre man noch vom Glauben abgefallen. Kein Autoboss wollte nicht nachhaltig sein, jeder so schnell wie möglich klimaneutral werden, selbst als die Professorin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, für Tempo 130 und kleinere Autos plädierte, murrte keiner. Als hätte jemand die Devise ausgegeben, rhetorisch abzurüsten, um der wachsenden Gegnerschaft nicht weitere Munition zu liefern.

Beim "Handelsblatt" sind die Autobosse in guter Hand

Eingeladen hat das "Handelsblatt", das eine Branche entdeckt hat, die sich gerade "neu erfindet", im Gegensatz zum "Spiegel", der sie auf seinem Titel "Von 100 auf null" fahren lässt. Mercedes-Fahrer Günther Oettinger darf dort sogar sagen, Daimler, Audi oder BMW könnten zu "Zulieferern für Datenkonzerne wie Google" degradiert werden. Hier liegt in der Tat ein gewisser Widerspruch in der Bewertung vor, aber es ist auch ein Unterschied, ob man als Gastgeber oder als Kritiker auftritt. Beim "Handelsblatt", das zum Stuttgarter Holtzbrinck-Konzern gehört, waren die Sponsoren und Kooperationspartner von Daimler, Porsche, VW, Audi und Opel in guten Händen. Nein, es musste nicht über Dieselskandale gesprochen werden. Es genügte, voll elektrisch zu sein beziehungsweise es werden zu wollen. Allerdings mit der bangen Frage verknüpft: "Bleibt der Fahrspaß zukünftig auf der Strecke?"

Man könnte jetzt Oliver Zipse (55) herausgreifen, der seit August BMW-CEO ist und sagt, dass sein Unternehmen schon seit 2013 auf "E" setzt. Sprich, schon immer gewusst hat, dass die Batterie kommt. Das hat er kürzlich erst mit dem Bürgermeister Chen von Peking besprochen, "auf Augenhöhe", wobei er nicht den Rang meint, sondern die fachliche Kompetenz des Mannes. Der Chinese ist technologisch top. Aber Zipse ist ja nicht allein.

Auch Ola Källenius (50), der neue Daimler-Chef, fährt quasi alternativ, mit einem Plug-in-Hybrid. Das ist eine Mischung aus Elektro und Benziner, die noch nötig ist, weil Mercedes elektrisch hinterherhinkt und nur ein Modell in der EQ-Familie hat, welch selbiges, so mosert das "Manager-Magazin", "eher ein Schnellschuss" sei. Das ändert freilich nichts daran, dass der Schwede Mercedes grüner und bis 2039 CO2-neutral machen soll. Das Pariser Klimaschutzabkommen sei ihm eine Verpflichtung, sagt Källenius. Den Druck aus Brüssel kennt er auch.

Ein Schrempp hätte so weichgespültes Zeug nie erzählt

Der eingangs erwähnte Oliver Blume sollte, möchte man meinen, eigentlich die größten Probleme mit der Ergrünung des Autos haben. Gerade an diesem Ort, an dem die PS-Protzerei unter einem Dach versammelt ist. Würde jemand die Pferdestärken hier zusammenzählen, würde er (eine Frau käme wohl nicht auf die Idee) auf Abertausende kommen. Allein der Porsche 917 Spyder hat 1200 PS und fuhr in 2,1 Sekunden von Null auf Hundert, bis ihn die Ölkrise 1974 stoppte. Aber was sagt Blume? Er könne sich einen Porsche sogar ohne Geräusch vorstellen. Seine Kinder bräuchten das nicht mehr.

Da ist, bei aller PR-Lyrik, etwas passiert. Unvorstellbar, dass breitbeinige "Petrol-Heads" wie Jürgen Schrempp, Wendelin Wiedeking, Ferdinand Piëch oder auch Dieter Zetsche so ein weichgespültes Zeug erzählt hätten. Ihre Nachfolger sind nicht mehr die Rampensäue, die Hochzeiten im Himmel verkünden, oder sich mit Arnold Schwarzenegger vor der G-Klasse, einer Art Super-SUV, mit Stetson und Schnapsglas präsentieren. (Wobei sich der Terminator als Elektrik-Fan herausstellen sollte). Sie sind leiser und freundlicher und können sich sogar vorstellen, wie BMW-Zipse, dass man in der Stadt – "zurecht" – ohne Auto leben kann.

Einmal abgesehen davon, dass keiner von ihnen die Performance auf die Bühne brächte, die den Altvorderen zur Ausstellung ihres Egos diente, sind sie einfach jünger, weniger autoritär, wenn auch nicht minder hart, aber durch die äußeren Umstände davor gefeit, Allmachtsphantasien zu entwickeln. Die Verfassung der deutschen Autoindustrie ist halt nicht so, dass sie sich als Stolz der Nation aufspielen könnte, made in Germany ist kein automatischer Türöffner mehr in der Welt, Trump und Johnson drohen. Und das heilige Blechle ist ziemlich profan geworden. Es ist laut und stinkt. Immer noch.

Natürlich nicht im Museum, wo rund 300 Gäste a 1600 Euro Teilnahmegebühr ihre Leckereien neben blankgewienerten Porsches verspeisen, und sich manch einer darüber lobend äußert, nachdem er auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt bei VW nur vegane Burger gekriegt hat. Das hat zur Verkündigung der Serienproduktion des Elektro-Volkswagen ID 3 gepasst, die am 4. November stattfinden und den Auftakt zumindest der Klimarettung bilden soll.

Draußen vor der Tür wird Klartext geredet – vor allem von Resch

Draußen vor den Türen, die zusätzlich durch Sperrgitter gesichert sind, findet das gepflegte Ambiente keine Fortsetzung. Zwei Kletterer von Robin Wood hängen ein meterlanges Transparent zwischen zwei Laternenmasten auf, auf dem zu lesen ist, dass saubere Autos eine dreckige Lüge seien. Die Klimaaktivisten von "Kesselbambule", BI Neckartor, "Extinction Rebellion", SÖS, attac, Anstifter, "Ende Gelände" und "Fridays for Future" geißeln das "Kartell der Klimakiller", den Taycan als "ökologischen Hirnriss", und in toto das "kriminelle System". Das schweißt zusammen.

Mitten drin steht Jürgen Resch, der medial mal "Öko-Antifa", mal "Umwelt-Krieger" ist, auf einem Anhänger, den Wendelin Wiedeking mit seinem Traktor hergefahren haben könnte. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist das personifizierte Feindbild der Autoindustrie, und sei, so heißt es, von selbiger gebeten worden, sich zu mäßigen. Der Bitte mag Resch nur in begrenztem Maße folgen, wie in der von Kontext nachgedruckten Rede zu lesen ist. "Hier feiert die Elite sich und ihre Stadtpanzer", ruft er zum Museum hinüber, "immer größer, immer schwerer, jeder Dritte ist ein SUV". Für ihn sind sie Stadtpanzer, die "mit 200 gegen eine Betonwand" rasen – "und die Profite sichern". Er selbst fährt einen Tesla 3.

Der gebürtige Plochinger, Jahrgang 1960 und weißhaarig, könnte auch als evangelischer Pfarrer durchgehen. Er ist bei Gott kein Volkstribun, nur verdammt beharrlich, wenn es um seine Sache geht: den Klimaschutz. Sein früherer politischer Freund Winfried Kretschmann kann ein Lied davon singen: Wenn der grüne Ministerpräsident im Diesel-Streit nicht aufpasst, könnte es sein, dass irgendjemand von der Landesregierung im Knast landet. Seitdem sind die beiden keine Freunde mehr. Im Staatsministerium ist Resch eine Persona non grata.

Die Elite im Porsche-Museum ist offener. "Handelsblatt"-Chefredakteur Sven Afhüppe hat seine Reporterin Ina Karabasz vor den Eisengittern stehen und lässt in den Saal berichten. "Ich finde es wichtig, dass man diesen Dialog eingeht", kommentiert Hausherr Blume den virtuell verbreiteten Demonstranten Resch. Eine wirkliche Erleichterung erfasst die Versammlung von 95 Prozent Anzug tragender, krawattenloser Männer jedoch erst, als die Reporterin am Freitag, 25. Oktober, um 15 Uhr verkündet: Sie kommen raus! Die Polizei hat die Blockierer von "Kesselbambule" weggeräumt.


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4 Kommentare verfügbar

  • helago
    am 04.11.2019
    Antworten
    NEIN, es ist KEINE rethorische Frage von mir, sondern ich meine das sehr ernst, sehr ernst sogar. Und wie lange muß der drecks E-Amischlitten, dessen Name mir gerade entfallen ist, fahren damit er in die Ökobilanz in einen Bereich kommt der akzeptabel ist???? Ach ja, bei einem Test auf dem…
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