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Es geht um die Existenz

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Massiver Stellenabbau bei Bosch: Allein in Schwäbisch Gmünd will der Autozulieferer rund ein Fünftel der Arbeitsplätze streichen. Betriebsrat und IG Metall sehen schwere Versäumnisse beim Management.

Die Firma Bosch beschäftigt weltweit rund 410 000 Menschen, in Deutschland sind es 140 000 Frauen und Männer. Noch. Vorige Woche kündigte Bosch Stellenstreichungen an: Erst erklärte das Traditionsunternehmen, dass in Feuerbach und Schwieberdingen 1600 Arbeitsplätze wegfallen sollen. Ein paar Tage später legte es nach: Bei der Robert Bosch Automotive Steering GmbH (Bosch AS) in Schwäbisch Gmünd, wo etwa 5200 Beschäftigte Lenksysteme für Autos entwickeln und bauen, sollen 1000 Stellen gestrichen werden. Nicht so einfach hinnehmen wollen das Alessandro Lieb, Betriebsratsvorsitzender bei Bosch AS in Schwäbisch Gmünd und Vorsitzender des Europäischen Betriebsrates des Geschäftsbereiches Automotive Steering, und Roland Hamm, erster Bevollmächtigter der IG Metall Aalen und Schwäbisch Gmünd.

Herr Lieb, Herr Hamm, wie ist die Stimmung bei Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Lieb: Enttäuscht, bestürzt – natürlich haben manche Existenzängste. Das ist nachvollziehbar.

Hamm: Bei der Betriebsversammlung war schon noch eine gewisse Schockstarre zu spüren. Aber Betriebsrat und IG Metall haben kämpferisch Position bezogen und unter starkem Beifall der Beschäftigten Widerstand und Protestaktionen angekündigt.

Was hat die Firmenleitung als Begründung für den Arbeitsplatzabbau angegeben?

Lieb: Der Bereichsvorstand hat die rückläufige Auftragslage als Begründung angegeben. Es werden nicht so viele Stückzahlen abgerufen wie erwartet, auch zukünftig. Und natürlich kommt wie immer das Thema Kosten hoch.

Sind Sie und Ihre KollegInnen in Schwäbisch Gmünd zu teuer?

Lieb: So sieht es zumindest der Bereichsvorstand. Da kommt dann die bekannte Diskussion Hochkosten- gegen Niedrigkostenstandort. Also wir gegen Ungarn, wo Bosch auch zwei Standorte hat. Ich gehe anders an dieses Thema ran. Ich bin der Ansicht, dass man Volumina fair verteilen muss, da stellt sich zum Beispiel die Frage, welche Neuaufträge in Ungarn oder in Deutschland platziert werden. Das war ja auch das Ergebnis unserer Standortsicherungsverhandlungen 2017. Ich erwarte ein klares Bekenntnis zu unserem Standort Schwäbisch Gmünd, beziehungsweise für alle deutschen Bosch-AS-Standorte.

Das wäre aber nicht sehr solidarisch gegenüber den ungarischen Kollegen, oder?

Lieb: Wir wollen niemandem etwas wegnehmen. Aber was nicht geht, ist, in Ungarn weiter Personal aufzubauen, während bei uns Personal abgebaut werden muss. Es gibt in Ungarn zwei Standorte, einer ist im Prinzip die direkte Konkurrenz zu Schwäbisch Gmünd, dort wird also das Gleiche produziert.

Hamm: Ich will nochmals deutlich machen, dass wir vor zwei Jahren für Gmünd ein Standortsicherungspaket vereinbart haben. Das heißt: Bis 31. Dezember 2022 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.

Was wurde 2017 noch vereinbart?

Hamm: Damals sollten hier 760 Stellen in der Produktion wegfallen. Nach langen und harten Verhandlungen, die von vielen Demos und Kundgebungen von uns begleitet wurden, haben wir uns geeinigt: Darauf, dass zwei wichtige Volumenaufträge am Standort Schwäbisch Gmünd produziert werden, auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 31. Dezember 2020 und auf Investitionen von 100 Millionen Euro in Gmünd. Darüber hinaus verpflichtete sich das Management, vereinbarte Maßnahmen zur Verbesserung von Arbeitsabläufen und Produktivität umzusetzen. Da es sich bei den Investitionen im wesentlichen um Automation und damit um Produktivitätssteigerung handelte, schlossen wir Vereinbarungen wie Altersteilzeit und freiwillige Aufhebungsverträge. Darüber sind bis heute 760 Stellen ohne betriebsbedingte Kündigungen abgebaut worden.

Was ist so ein Abkommen Wert, wenn jetzt schon wieder die Streichung von 1000 Stellen gefordert wird?

Hamm: Das ist schon wichtig. Vor allem ist wichtig, dass das eingehalten wird. Hier müssen wir feststellen: Das Management hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Es gibt nach wie vor Schwierigkeiten: Maschinenstillstand, Defizite in der Produktion, Prozesse laufen nicht ordentlich, hoher Krankenstand.

Lieb: Es wurden zwar investiert – aber das nutzt ja nichts, wenn keine Aufträge akquiriert werden und in Gmünd platziert werden. Ich erwarte von unseren Topmanagern, dass sie Arbeit hierher bringen. Das ist ihr Job.

Wie geht es jetzt weiter?

Hamm: Noch im Frühjahr wurde erklärt, es gäbe eine Kosteneinsparlücke von 50 Millionen Euro. Jetzt hat die Geschäftsleitung gesagt, es müssten 100 Millionen Euro eingespart werden. Wenn sich ein Einsparziel zwischen Frühjahr und jetzt verdoppelt, kann man sich schon fragen, wie hier ein Unternehmen geführt wird. Wir gehen jetzt in Werkstattgespräche, um gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen darüber reden, was nicht gut läuft und was geändert werden muss. Wir setzen auf die Kreativität der Beschäftigten, gegen die Phantasielosigkeit des Managements.

Lieb: Gemeinsam mit der IG Metall und einem externen Berater werden wir die Zahlen und Daten prüfen, die der Bereichsvorstand uns vorgelegt hat. Und wir wollen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen innovative Lösungen erarbeiten. Denn das, was der Bereichsvorstand hier ankündigt, sind für mich primitive Alternativen. Ich unterstelle: Wir haben im Werk technische und organisatorische Potentiale! Und die Gegenseite kann sich darauf einstellen, dass wir auch diesmal kämpfen werden. Unsere Ziele sind: keine betriebsbedingten Kündigungen und eine sichere Zukunft für alle Bereiche am Standort.

Hamm: Der Bereichsvorstand hat gedroht: Wenn wir bis Weihnachten keine umsetzbaren Maßnahmen vereinbart haben, kündigen sie den Standortsicherungs-Tarifvertrag. Dann könnten sie Leute betriebsbedingt entlassen. Ich habe ihnen gesagt: Macht mal. Wir sind gut organisiert, Ihr werdet sehen, was dann passiert.


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