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Schuss nach hinten

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Die Immobilienfirma Schwäbische Bauwerk modernisiert nicht nur ihre Mieter hinaus. Sie versucht auch, ihren Gegnern den Mund verbieten zu lassen. Dafür ist ihr Chef Marc-René Ruisinger am vergangenen Donnerstag vor Gericht gezogen. Und hat krachend verloren.

Schon die Bibel weiß es: Hochmut kommt vor dem Fall. So geschehen am vergangenen Donnerstag vor der 11. Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts. Dort saß – rechts – Marc-René Ruisinger, Chef der berüchtigten Immobilienfirma Schwäbische Bauwerk und – links – Rolf Gaßmann, Vorsitzender des Mietervereins Stuttgart. Der hatte im April eine spitz formulierte Pressemeldung herausgegeben und die Schwäbische Bauwerk unter anderem als „einen der größten Wohnungsspekulanten in Stuttgart“ bezeichnet. Ruisiniger findet das geschäftsschädigend und wollte die Äußerungen gerichtlich verbieten lassen.

Die Masche seines Unternehmens: Die Schwäbische Bauwerk kauft Häuser und versendet an die BewohnerInnen recht zügig Ankündigungen zu mehr oder minder nutzbringenden Modernisierungsvorhaben. Die Kosten, die dadurch anfallen, werden anteilig auf die Miete umgelegt, die anschließend zwei oder sogar dreimal so hoch sein soll. Damit ist die Immobilien-Firma bisher gut gefahren. Denn wer plötzlich ein Schreiben vom neuen Hauseigentümer im Briefkasten hat, das verkündet, die Miete betrage statt der bisherigen 488,30 Euro im Monat künftig 1155,24 Euro, der ist eingeschüchtert, bekommt es mit der Angst zu tun – und nicht zu selten zieht er aus, weil er die angekündigte Miete nicht mehr bezahlen kann. Außerdem sind im Fall der Schwäbischen Bauwerk mehrere Fälle dokumentiert, in denen Modernisierungen zwar angekündigt, aber nie durchgeführt wurden. Die Häuser wurden, kurz nachdem alle Bewohner ausgezogen waren, weiterverkauft. Rolf Gaßmann, der 30 000 Mieter in Stuttgart vertritt, geißelte diese Geschäftspraktiken: "Die Schwäbische Bauwerk presst Mieter aus und will sie aus ihren Wohnungen vertreiben!"

Das Unternehmen und sein Chef sehen das vor Gericht naturgemäß ganz anders. Ruisingers Anwalt, Christopher Wolf, sagte am vergangenen Donnerstag in Saal 155 des Landgerichts, wenn es Firmen wie die Schwäbische Bauwerk nicht gäbe, dann würden Wohnhäuser gar nicht mehr renoviert. Und: "Klar, möchte man als Mieter so wenig wie möglich löhnen." Aber: Was in den betroffenen Häusern zuvor gezahlt worden sei, seien – mit Verlaub – "Dorfmieten" gewesen. Die angekündigten Modernisierungen seien deshalb einfach "Dinge, die einmal gemacht werden müssen". Ob dazu auch die neuen, sehr teuren Außenaufzüge gehören? Sie wurden in mindestens zwei Fällen in einem umfangreichen Maßnahmenkatalog für geplante Modernisierungen aufgelistet, ohne dass die Mieter sie gewollt hätten.

Gegen Kritik wird geklagt

Hinter der Geschäftspraxis der Schwäbische Bauwerk verberge sich die Attitüde eines Miethais, sagte Ursel Beck von den Mieterinitiativen Stuttgart einmal öffentlich. Und prompt sollte sie eine Unterlassungserklärung unterzeichnen. Auch das – eine Einschüchterung. "Das war ziemlich dick aufgetragen", sagt Ursel Beck heute. Sie hat sich gewehrt, nicht unterschrieben – und bisher, sagt Beck, sei nichts weiter passiert.

Nun sitzt also Rolf Gaßmann vor Gericht, auch er sollte eine Unterlassungserklärung zeichnen. Stein des Anstoßes war eine Pressemitteilung des Mietervereins im April dieses Jahres. Darin kritisierte der Vereinsvorsitzende Gaßmann die Stadt Stuttgart, weil sie im offiziellen Wohnungsmarktbericht eine ganzseitige Anzeige der Schwäbischen Bauwerk abgedruckt und damit "einem der größten Wohnungsspekulanten in Stuttgart" eine Plattform geboten hatte, verkaufswillige Eigentümer von Mehrfamilienhäusern anzuwerben – "Beihilfe zur Mietervertreibung" nennt das der Mieterverein.

Gaßmann hatte außerdem geschrieben, dass die Schwäbische Bauwerk ihre "Mieter besonders rücksichtslos auspresst". Dem war noch ein Hinweis nachgeschoben: "Der Mieterverein Stuttgart warnt verantwortungsvolle Hauseigentümer ausdrücklich davor, an diesen wilden Spekulanten zu verkaufen." Und weil Gaßmann sich ebenfalls weigerte, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, landete der Fall vor Gericht.

Fast eine ganze Stunde lang spricht am vergangenen Donnerstag der Vorsitzende Richter Oliver Schlotz-Pissarek, erörtert den Sachverhalt und interpretiert jedes abgemahnte Wort der Pressemitteilung in aller Ausführlichkeit, unter Hinzuziehung diverser Präzedenzfälle und Urteilssprüche.

Dass die Schwäbische Bauwerk "einer der größten Spekulanten in Stuttgart" sei, packt Schlotz-Pissarek beispielsweise in die Schublade der zulässigen Meinungsäußerung. Ebenso die "wilden Geschäftsmethoden", die Gaßmann dem Unternehmen anlastet. Die Aussage sei zwar herabsetzend, aber noch lange keine Schmähkritik. "Der Mieterverein Stuttgart warnt verantwortungsvolle Hauseigentümer ausdrücklich davor, an diesen wilden Spekulanten zu verkaufen" sei laut dem Vorsitzenden Richter zwar als Boykott-Aufruf zu verstehen, aber selbst der sei in diesem Falle von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Gerichtlich bestätigt: Die Aufgabe eines Mietervereins ist Mieterschutz

Ruisingers Anwalt wird später noch verdrossen anmerken: Hier würde ein kleines Unternehmen unverhältnismäßig an den Pranger gestellt und verantwortlich gemacht für die Versäumnisse des Staates. Der hätte doch öffentlichen Wohnraum verscherbelt und beim sozialen Wohnungsbau geschlafen. Und als kleines Unternehmen werde nun – wo ist da die Verhältnismäßigkeit? – die Schwäbische Bauwerk an die Öffentlichkeit gezerrt.

Das sah Richter Schlotz-Pissarek anders: Durch Modernisierungen falle zunehmend preiswerter Wohnraum weg, das sei ein "Faktum" und berühre die Menschen. "Dieses Thema ist existenziell für viele", sagt der Richter. "Bezahlbare Mieten sind nicht erst seit Wochen ein die Öffentlichkeit berührendes Thema." Und damit sei die Pressemeldung, die Gaßmann für den Mieterverein formuliert hatte, zwar in Teilen überspitzt, aber voll und ganz zulässig. Und nicht nur das: Solcherlei Pressemitteilungen zu verfassen sei überdies auch noch Sinn und Zweck eines Mietervereins. Schlotz-Pissareck zitierte die Satzung: "Der Verein bezweckt, die Interessen seiner Mitglieder in Miet- und Wohnungsfragen tatkräftig zu schützen, für eine soziale Wohnungspolitik in Gemeinde, Land und Bund sowie für ein soziales Mietrecht einzutreten. Dies soll erreicht werden durch: Einwirkung auf die Gesetzgebung, Verwaltung, Presse und die öffentliche Meinung zur Förderung der Interessen der Mieter …", und so weiter.

Das kleine, aber vorhandene Publikum lauschte den Ausführungen des Richters einträchtig, nur das ein oder andere "aha" oder "na klar" war zu vernehmen, als Ruisingers Anwalt seinen Mandanten zu verteidigen versuchte. Alles in allem war die Erleichterung letztlich groß, dass einer, der erstens Mieter auspresst und zweitens denen, die diese Praxis öffentlich ankreiden den Mund verbieten lassen will, nicht einfach so durchkommt mit seinen Machenschaften.

Nachdem Richter Schlotz-Pissarek in der Verhandlung andeutete, dass die Klage der Schwäbischen Bauwerk keine Aussichten auf Erfolg hätte, zog das Unternehmen sie zurück. Ein Urteil gab es nicht. Doch Marc-René Ruisinger und seine Schwäbische Bauwerk müssen die Prozesskosten tragen. Der Streitwert liegt bei 40 000 Euro. So kann's gehen. Oder, wo dieser Text schon mit einem Zitat begonnen hat: Wer anderen einen Grube gräbt, fällt manchmal eben selber rein.


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