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Atemmasken für alle

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Reisende, haltet die Luft an, wenn ihr auf den Zug wartet. Das könnte besser für die Gesundheit sein. Vielleicht auch für die Nerven, wenn wieder einmal keiner kommt. Notizen aus der Parallelwelt Bahn.

In der vergangenen Kontext-Ausgabe hat Arno Luik bei diversen Behörden nachgefragt, was sie gegen den Feinstaub auf Bahnhöfen, unterirdischen zumal, zu tun gedächten? Bekanntlich sei selbiger gefährlich, und in Tiefbahnhöfen wie dem Züricher spucken die Messstationen astronomische Werte aus. Werte, die selbst die am Stuttgarter Neckartor, der schmutzigsten deutschen Straßenkreuzung, weit übertreffen

Die Antworten der zuständigen Behörden ließen lange auf sich warten und waren wenig überraschend. Das Regierungspräsidium verwies auf das Eisenbahn-Bundesamt, selbiges auf die Deutsche Bahn, welche schließlich einen S-21-Sprecher lapidar verkünden ließ: "Die allgemeinen Grenzwerte für Feinstaub in der Außenluft gelten nicht für Bahnhöfe." Geschwiegen hat Verkehrsminister Winfried Hermann, was Luik insoweit irritiert hat, als das Haus des Grünen ein sauberes Motto auf seinem Briefbogen führt: "Mobilität und Lebensqualität. Für Stadt und Land". Aber jetzt ist die Antwort da, und siehe da, sie könnte auch von der Bahn stammen. "Die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte für den Feinstaub in der Umgebungsluft", schreibt Hermanns Pressestelle, "gelten nicht für Bahnhöfe, Stadt- und S-Bahnstationen". Zu weiteren Fragen könne gegebenfalls die DB AG Angaben machen. Wir können also festhalten, dass Bahnhöfe exterritoriale Gebiete sind, die ihre eigenen Gesetze haben und am besten nur mit Atemmaske zu betreten sind.

Oder gar nicht. "Total peinlich" war es dem Chef der DB-Netzgesellschaft noch im August 2013, als sich ein Mitarbeiter im Stellwerk kurzfristig krank meldete und niemand als Ersatz einspringen konnte. Die Folge: Stundenlang konnten kaum noch Züge am Mainzer Hauptbahnhof einfahren. "Wir tun alles, damit das nicht wieder vorkommt", beteuerte die Deutsche Bahn damals, und kündigte eine Einstellungsoffensive an. Vergangenen Sonntag hat sich nun ein Mitarbeiter im Stellwerk kurzfristig krank gemeldet und wieder konnte erstmal niemand einspringen. Die Folge: Stundenlang konnten kaum noch Züge am Mainzer Hauptbahnhof einfahren – mit dem kleinen Unterschied, dass diesmal auch noch der Frankfurter Flughafen betroffen war. Der Verkehr stand zwischen 9 und 15 Uhr weitestgehend still. Das ist der Bahn inzwischen aber nicht mehr peinlich. Ganz im Gegenteil: Der Konzern zeigte sich vielmehr zufrieden, wie schnell es an einem Sonntag (!) gelungen sei, einen Ersatz zu finden. Und wie bereits vor sechs Jahren verwies die Bahn auf eine Einstellungsoffensive, mit der in Zukunft verhindert werden soll, dass sich solche Vorfälle wiederholen.

An der dünnen Personaldecke verdeutlicht sich der katastrophale Zustand eines Unternehmens am Rande der Überschuldung. 1991 waren in Deutschland noch gut 450 000 Menschen im Sektor Schiene beschäftigt. 2017 waren es nur noch knapp 250 000. Dafür haben sich in der gleichen Zeitspanne die Bezüge der Bahnchefs um mehr als 2000 Prozent gesteigert und auch der Schuldenstand erreicht immer neue Rekordwerte: Im vergangenen Jahr ist er auf 20 Milliarden Euro angewachsen, hinzu kommt ein gewaltiger Sanierungsstau, den das Unternehmen auf 57 Milliarden beziffert. Das Damoklesschwert S 21 ist in diesen Kennzahlen noch gar nicht berücksichtigt.

In einer solchen Situation ist es natürlich ärgerlich, wenn Außenstehende einem über die Schulter gucken und bei Bedarf auf die Finger klopfen. Wie etwa der Bundesrechnungshof, der 25 Jahre nach der Bahnprivatisierung sehr deutlich wird. "Die Infrastruktur wurde jahrelang auf Verschleiß gefahren, sie ist in einem beklagenswerten Zustand", führte Kay Scheller, Präsident der Prüfbehörde, Ende vergangenen Jahres aus: "Ein 'Weiter so' ist deshalb nicht akzeptabel. Aber das Verkehrsministerium ist ambitionslos." Daraufhin haben sich kluge Köpfe etwas einfallen lassen: Die Bahn prüft nun, ob sie dem Rechnungshof bestimmte Informationen vorenthalten kann, wie verschiedene Medien unter Bezug auf die "Bild am Sonntag" berichten. Etwa indem die Prüfer künftig keine Wortlautprotokolle aus den Aufsichtsratssitzungen mehr bekommen, sondern nur noch die unkommentierten Abstimmungsergebnisse. Denn wenn niemand von Problemen weiß, dann gibt es sie gar nicht, genau wie Feinstaub unbedenklich wird, sobald man sich unter der Erde befindet.


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