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Die Sackgassen-Allianz

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Die Wohnraum-Allianz Baden-Württemberg will mit bezahlbaren Angeboten gegen explodierende Mieten vorgehen. Seit bald drei Jahren kommen immer neue Vorschläge auf den Tisch. Der Stapel wird groß und größer, die Umsetzung ist mangelhaft bis ungenügend.

"Stakeholder" ist einer der Lieblingsbegriffe von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Der Anglizismus steht sinnbildlich für die Sackgasse, in der der Wohnungsbau derzeit steckt, im "Dead End", wie manche Allianz-Mitglieder sagen. Die Bizerba-Gesellschafterin hat jedenfalls kurz nach ihrem Amtsantritt im Ministerium als erste Tat, wie sie selber sagt, "alle Stakeholder", sprich: Interessengruppen, zusammengetrommelt, rund 50 an der Zahl. Sie lockte mit der großen Vision, "für ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum" zu sorgen zwischen Main und Bodensee. Nach nur einem halben Jahr und dem ersten Spitzengespräch versprach sie, "rasch die richtigen Schlüsse" aus den erarbeiteten Empfehlungen zu ziehen.

Es folgte ein weiteres Spitzengespräch und noch eines. Nach dem dritten stellte die Balinger Gemeinde- und Kreisrätin, die 2016 direkt an die Spitze eines neugeschnittenen Ressorts rotierte, in Aussicht, "die Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau zu beschleunigen". Nach dem sechsten warnte sie davor, den "Mieterschutz in einer Weise zu überhöhen, dass private Investorinnen und Investoren in den Mietwohnungsbau abgeschreckt werden". Das siebente fand vor einer Woche in Zürich statt, ihm folgte – wieder einmal – eine Ankündigung, es würden Veränderungen in der Baurechtsordnung, "so schnell wie möglich in Kraft treten".

Für so viel Leerlauf sind aber nicht allein die landespolitische Quereinsteigerin und ihr Stab verantwortlich, sondern auch die Stakeholder. So befasst sich die Arbeitsgruppe "Miet- und Wohnungsrecht" in ihren aktuellen Empfehlungen mit dem Mietrechtsanpassungsgesetz und will verschiedene Aspekte dieses komplizierten Themas demnächst "in die bundespolitische Diskussion einfließen lassen". Dabei ist das Gesetz längst in Kraft. Vor allem steckt der Teufel nicht allein im Detail, sondern im großen Ganzen, weil eine Kardinalfrage ungeklärt ist: Wie viel Markt und wie viel Staat, nicht sollen oder können, sondern müssen sein im Wohnungsbau?

Nicht alle in der Wohnallianz wollen günstigen Baugrund

Die Ministerin selber war kürzlich in Wien. Viel Nachahmenswertes fiel ihr danach nicht ein. Beeindruckt hätten sie neben der Technologieoffenheit der Stadt die "hybriden Bauweisen", sagt sie nachher der "Badischen Zeitung". Dass buchstäblich alle maßgeblichen StadtpolitikerInnen in Wien finden, zentrale Teile des Wohnungsbaus müssten Marktmechanismen entzogen werden, blieb offenbar ohne größeren Eindruck. Sie arbeite "auf Hochtouren" an jenem im vergangenen Sommer vorgeschlagenen Kommunalfond, damit Städte und Gemeinden "selbst bauen". Das sei ein Ansatz, in dem "wir ein großes Potenzial sehen". Wien investiert Jahr für Jahr mindestens 300 Millionen Euro, manchmal sind es auch 400 oder noch mehr. Wäre das die Messlatte, müsste Hoffmeister-Kraut, pro Kopf gerechnet, für Baden-Württemberg mindestens eine Milliarde Euro in die Hand nehmen.

Vom Nachholbedarf ganz zu schweigen: Für CDU/FDP-Landesregierungen war Wohnungsbau, noch dazu leistbar, viel zu lange kein Thema. Der Markt zeigte auch kaum Interesse. 2010 wurden 20 000 Einheiten fertiggestellt. Inzwischen stehen dank der Bundesmittel alljährlich 250 Millionen Euro bereit, die aber mangels Flächen und baureifen Projekten nicht zur Gänze abgerufen werden. Auch deshalb sollen Teile in dem neuen Fond landen.

Eine weitere Erkenntnis aus dem Wien-Trip: Die Stadt kauft schon seit Jahrzehnten so lange Grundstücke auf, bis zusammenhängende Flächen entstehen. Erst dann werden sie als Bauland ausgewiesen. Dieses Vorgehen – i<link https: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand ulm-baut-selbst-4750.html _blank external-link>n Ulm gibt es eine ähnliche Praxis – hält die Preise niedrig. Ein Dorn im Auge mancher in der Wohnraum-Allianz. Erst am Wochenende bei der Mitgliederversammlung von <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik die-maer-von-den-mietnomaden-5200.html _blank external-link>Haus und Grund beklagte der Vorsitzende und frühere Stuttgarter Bürgermeister Klaus Lang (CDU), "wie der Sozialismus fröhliche Urständ' feiert".

Viele Exkursionen, falsche Schlüsse

Und noch eine Idee, die gerade in Wien zu besichtigen wäre, – vielleicht sogar von der CDU-Landtagsfraktion, die gerade auf Bildungsreise an der Donau ist – wird hierzulande verbissen bekämpft: Bis Ende Mai können sich Interessenten, auch private Hauseigentürmer in einem besonders eng bebauten Teil des 10. Bezirks online registrieren lassen, um von der Stadt kostenlose Tröge zur Fassadenbegrünung zu bekommen. Im Zielgebiet wird erprobt, wie innerstädtische Temperaturen unkompliziert um über zehn Grad zu senken sind. Schon im nächsten Jahr steht die Ausdehnung des Angebots auf alle Bezirke an. In Baden-Württemberg wird dagegen weiterhin polemisiert gegen die von Grün-Rot eingeführten Begrünungsvorschriften dort, wo andere Grünflächen fehlen.

Die Faustregel "Reisen bildet" scheint ohnehin nicht so recht zu gelten. Gerade in Zürich hätte die Ministerin abermals erkennen müssen, dass all die Exkursionen kaum nützen, wenn falsche Schlüsse daraus gezogen werden. Hoffmeister-Kraut hat das "Genossenschaftswesen" entdeckt, das einen "wesentlichen Beitrag" leisten könne zur Schaffung von Wohnraum: "Über unser Förderprogramm 'Wohnungsbau BW' gewähren wir künftig Landesbürgschaften und fördern außerdem die Gründungsberatung."

GenossInnen in der Schweiz sind allerdings tatsächlich Stakeholder. Peter Schmid, Präsident der Baugenossenschaft <link https: www.mehralswohnen.ch hunziker-areal quartierteil _blank external-link>"mehr als wohnen", sieht sie "denen verpflichtet, die nicht direkt von Vorteilen" der Genossenschaft selber "profitieren können". Deshalb müsste die Wohnraum-Allianz erst einmal über die Änderung des deutschen Genossenschaftsrechts debattieren. Denn hierzulande sei der satzungsgemäße Zweck einer Wohnungsgenossenschaft, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, "auf eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung ihrer Mitglieder gerichtet". Oder, wie es beim traditionsreichen Stuttgarter Bau- und Heimstättenverein heißt: "Wir wollen, dass unsere Mitglieder und ihre Familien sich bei uns Zuhause fühlen."

Die SchweizerInnen wollen mehr und "dem gemeinnützigen Wohnungsbau Impulse zur Weiterentwicklung bieten", wie es in den Statuten der "mehr als wohnen" heißt. Die versteht sich "als Katalysator und Innovations- und Lernplattform für den gemeinnützigen Wohnungsbau von morgen". Der Besuch eines der Objekte ist Teil der Zürich-Exkursion. Auf dem Hunziker-Areal ("Lebendiges Quartier statt Siedlung") mit seinen 370 Wohnungen, Läden, Restaurants, Atelier­räumen, Kindertagesstätten und einer Gästepension geben sich internationale Delegationen die Klinke in die Hand. Gut 40 000 Quadratmeter ist das frühere Industriegelände groß, zur Erinnerung an die hier abgerissene Fabrik sind alte Betonplatten auf einer der Freiflächen eingelassen.

Gemeinschaftswaschküche – in der Schweiz Pflicht

Auf einer anderen sind noch die weißen Begrenzungslinien von Parkplätzen zu sehen, teilüberwuchert von wildwachsendem Grün. Einer der ganz wenigen Planungsfehler: Autos sind nur aus eng begrenzten Gründen zugelassen, etwa für Menschen mit Behinderung. Schnell hat sich herausgestellt, dass für BewohnerInnen und Gäste viel weniger Stellplätze gebraucht werden als gedacht. Jetzt werden Grünflächen für alle daraus. Gemeinschaftswaschküchen sind wie so oft in der Schweiz selbstverständlich Pflicht und im Hunziker unbürokratisch organisiert, weil kostenlos. Gemeinschaftsräume stehen zur Verfügung, in einem steht ein Flügel. Wer ein Fest feiern will und nicht Mitglied ist, kann für 150 Euro inklusive am Tag eine Location mit Küche für 35 Personen mieten, GenossInnen zahlen 80. Markus Müller, Präsident der baden-württembergischen Architektenkammer, schwärmt von Angebot und Vielfalt, von der "gesellschaftlichen Idee", die hinter genossenschaftlichem Bauen nach eidgenössischem Verständnis steckt.

Wirklich kopierbar sind die Züricher Verhältnisse aber so wenig <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik besser-wohnen-in-wien-2816.html _blank external-link>wie die in Wien. Schon beim allerersten Termin der Ministerin hebt André Obermatt, Stadtrat und Vorsteher des Hochbaudepartements, wesentliche Unterschiede hervor: Zentrales Ziel sei, den Individualverkehr "massiv" zurückzudrängen, was weitreichende Auswirkungen auf die Stadtplanung haben werde. Und vor allem dürften keine neuen Wohnbaugebiete ausgewiesen werden. Der stark wachsende Wohnungsbedarf sei stattdessen ausschließlich durch Verdichtung zu decken.

"Das könnten wir nie anbieten", wird später ein Vertreter der Immobilien- und Wohnungsunternehmen in der Allianz auf dem Dachgarten der "Kalkbreite" sagen. Die Genossenschaft hat sich dem partizipativen Bauen verschrieben, will "engagiert mitmischen in der Stadtentwicklung". Ihre Mitglieder dürfen kein Auto besitzen. "Uns geht es um einen vernünftigen Lebensstil", sagt die Präsidentin Ruth Gurny. So sind Wohnungsgrößen pro Person vorgeschrieben und besonders begehrt preiswerte Studios, deren BewohnerInnen gemeinsam eine große Küche nutzen.

Die Moral von der Geschicht'? Baden-Württemberg muss einen eigenen Weg finden, um die im Auftrag der L-Bank 2017 von Prognos errechnete "aufgelaufene Baulücke" von 88 000 fehlenden Wohnungen zu decken. 2017 wurden laut Statistischem Landesamt allerdings nur 33 500 Einheiten fertiggestellt; 38 500 Genehmigungen sind erteilt. Bezahlbarer oder sozialer Wohnungsbau ist keine statistische Kategorie. Gerade deshalb lohnt der Blick über den ideologischen Tellerrand.

Der DGB hat eine <link https: www.dgb.de themen _blank external-link-new-window>bundesweite Aktion zum Thema Wohnen gestartet, die klarmachen soll, dass "der Markt allein nicht für bezahlbaren Wohnraum sorgen" kann. Und egal, ob diese Erkenntnis irgendwann, nach dem neunten oder zehnten Spitzengespräch, doch noch mehrheitsfähig bei den Stakeholdern wird oder nicht, der Ball liegt im Feld der Wirtschaftsministerin. Ihre Zeit, zu liefern wird knapp. Denn in zwei Jahren ist die Legislaturperiode vorrüber und vorbei.


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