KONTEXT:Wochenzeitung
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Das Kämmerle muss geräumt werden

Das Kämmerle muss geräumt werden
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Wie in der Stuttgarter Forststraße 168 versucht die Immobilienfirma Schwäbische Bauwerk auch in der Reinsburgstraße 65, die MieterInnen aus ihren Wohnungen zu ekeln. Mit fiesen Schikanen und exorbitanter Mietsteigerung. Aber so einfach ist das nicht mit dem Kleinkriegen.

Das erste Schreiben erreicht Angela Gerace Ende Juni vergangenen Jahres. "Bitte überweisen Sie die Miete ab 1.7.2018 auf das neue Konto", teilt die Schwäbische Bauwerk kurz mit. Damit war klar, dass es einen neuen Hauseigentümer gibt. Im Oktober liegt der zweite Brief im Kasten. Wenn keine Zustimmung für die Mieterhöhung erfolge, "sehen wir uns gezwungen eine Klage beim Amtsgericht einzureichen". Da ist der Tonfall schon ein anderer.

Frau Gerace, 72 Jahre alt, lebt seit 1970 in der Reinsburgstraße 65. Es war Oktober, daran erinnert sie sich noch, als sie eingezogen ist. 1971 wird ihre Tochter Sandra geboren. Jetzt steht sie, zusammen mit Nachbar Erwin Dobler, aufgelöst in ihrer Wohnung und rekonstruiert die Ereignisse.

Damals seien die alten Vermieter sehr nett gewesen, erzählt sie. Als das Ehepaar bei einem tragischen Unfall verunglückte, waren die Mieter von Nummer 65 nahezu geschlossen bei der Beerdigung. Auch der letzte Eigentümer sei ein netter Mann gewesen, der häufig zum Kaffee kam, ein Tierliebhaber, der die drei "Hundle" der Geraces ins Herz geschlossen hatte. Aber verabschiedet hat er sich nicht, das nimmt ihm Frau Gerace ein bisschen übel.

Schwäbische Bauwerk klingt regional und bodenständig

Als Marc-René Ruisinger, Inhaber der Schwäbischen Bauwerk, mit seinem Vater zur Besichtigung ihrer neu erworbenen Immobilie in die Wohnung von Erwin Dobler kommt, ist noch alles gut. "Kommen Sie, kommen Sie", sagt Dobler, 79, "ich zeige Ihnen meinen Schatz!", und er führt Vater und Sohn zu seiner "Marilyn": die Monroe als Mosaik aus Portugal, 60 x 80 Zentimeter, 12 Kilo schwer, sein ganzer Stolz als "riesen Marilyn-Fan". Die Ruisingers seien eigentlich ganz nett gewesen, erinnert er sich. Und der Name Schwäbische Bauwerk klinge ja auch vertrauenserweckend. Regional und bodenständig.

Dass ein wohlklingender Name bei der Firmengründung viel ausmacht, weiß Marc-René Ruisinger spätestens seit 2017. Damals, mit Mitte 30, schreibt er in Freiburg unter dem Firmennamen "Freiburger Stadtbilderhalt e. K." Hausbesitzer an und ermuntert sie zum Verkauf. Als sich einige von ihnen beschweren, regt sich der Verdacht, so berichtete die "Badische Zeitung", der Mann segle unter der vertrauenserweckenden Flagge der ähnlich klingenden "Arbeitsgemeinschaft Freiburger Stadtbild". Letztere ist seit mehr als 50 Jahren in der Stadt tätig und bekannt. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sagte damals: "Wir haben mit der Firma nichts zu tun. Unser Verein ist primär am Denkmalschutz und am Stadtbild interessiert, diese Firma wohl primär an guten Geschäften."

Heute strotzt die Homepage der Schwäbischen Bauwerk nur so vor PR-Begriffen, die gutgläubigen Hausbesitzern das Herz öffnen: Vertrauen, Diskretion, Werte. Auf den Trick ist kürzlich auch die Besitzerin der Forststraße 168 reingefallen (Kontext berichtete), die extra nicht an ein fieses Immobilienunternehmen, sondern an eine eingesessene Firma mit Seele verkaufen wollte. So präsentiert sie sich auch: Die Schwäbische Bauwerk unterstütze eine ganze Reihe caritativer und städtischer Projekte, steht in deren Internetauftritt, vom Kältebus bis zum Kinderhospiz. Nach der Berichterstattung über die unverschämte Behandlung der Forststraße-Mieter haben zumindest die "Freunde der Staatsgalerie" ihr Logo von der Seite entfernen lassen.

Unter www.stuttgart-immobilientipp.de hat Ruisingers Firma eine Seite für Tipp-Geber eingerichtet, bei Klick aufs Menü sogar auf Schwäbisch: "Sie hen ghört, dass Ihr Nachbor, a Bekannter von Ihne oder a Person in Ihrer Gegend a Haus verkaufa will? Mir kontaktieret dr Verkäufer ond behandlet Ihrn Tipp absolut diskret." Bei einem Wert von bis zu anderthalb Millionen Euro werden 50 000 Euro Prämie ausgelobt. Wer nicht gefeit ist vor der Stuttgarter Äffle- und Pferdle-Dialekt-Gemütlichkeit, fällt drauf rein. Gerace nennt solche Prämienzahlungen mittlerweile "Kopfgeld".

Das Vertrauen bröckelt

Ihre Wohnung war bisher mit 348 Euro kalt für 58 Quadratmeter Erdgeschoss traumhaft günstig. Deshalb fand sie die erste Mieterhöhung von Oktober auf 400,20 Euro plus 50 Euro Nebenkosten völlig in Ordnung. Die Sache mit dem Amtsgericht allerdings nicht. "Nicht gut, eine Drohung" hat Erwin Dobler auf dem Brief notiert. Da bröckelte das Vertrauen in das Unternehmen mit dem hübschen Namen schon. Auch der Satz "Familienunternehmen in 5. Generation" auf der Homepage machte die MieterInnen misstrauisch, weil sie im Internet gelesen haben, dass die Firma als Nachfolgerin diverser anderer Unternehmen von Marc-René Ruisinger erst seit 2013 besteht.

Die Geschichte der Familie begann ganz anders: mit Schokolade der Firma Waldbaur, neben Moser-Roth, Ritter und Eszet einer der großen Hersteller in Stuttgart. Mitte des 19. Jahrhunderts von den Brüdern Franz und Gustav Waldbaur gegründet, überlebte die Fabrik zwei Weltkriege, in den Sechzigern hatte sie 500 Mitarbeitende. 1964 ging Waldbaur auf Gerd Ruisinger über, der Mitte der Siebziger an die Firma Stollwerck verkaufte und fortan unter dem Namen Waldbaur in Immobilien machte. Mit den "Katzenzungen" stellt Stollwerck heute noch den einstigen Waldbaur-Schlager her.

Als Gerd Ruisinger die Schokofirma verkaufte, lebte Angela Gerace seit sechs Jahren in der Reinsburgstraße 65. Eine resolute Frau, Schwäbin, wie sie im Buche steht. Sie hat bei der Post gearbeitet, bis sie krank wurde. Heute ist sie Rentnerin mit großem Herz für Tiere – Katze Micky Maus ist krebskrank, die kleinen Hunde, alle über 14 Jahre alt, zwei davon halb blind, stammen aus dem Auslandstierschutz.

Ihre Wohnung ist klein, aber fein, und picobello – kein Tierhaar zu sehen, nicht das winzigste Stäubchen. Die Küche ist alt aber blitzeblank, die Fugen im Bad wie eben erst gespachtelt, die Badewanne: blütenweiß. Ruisinger Junior sei ganz begeistert gewesen bei dem Anblick und Angela Gerace war ein bisschen stolz – immerhin stammt die Wanne aus dem Jahr 2003 – bis sie merkte, dass sich auf den Mietpreis auswirkt, was gut in Schuss gehalten wurde.

Die Miete verdreifacht sich innerhalb eines Monats

Am 14. November 2018 geht der dritte Brief der Schwäbischen Bauwerk bei den MieterInnen ein, Betreff: "Modernisierungsankündigung – 1. Aufforderung zur Duldung baulicher Maßnahmen mit Mieterhöhungsankündigung". Er liest sich fast genauso wie der an die BewohnerInnen der Forststraße: Neue Leitungen, neue Elektroinstallationen, neue Fenster, Aufstockung des bestehenden Gebäudes, Hausnummernbeleuchtung, Alarmanlage, Installation eines Außenaufzugs – das Ganze für "vorrausichtlich" 1065,51 Euro kalt plus Betriebskosten.

In dem Schreiben steht, dass es zur "Beeinträchtigung aufgrund von Baulärm und Bauschmutz" und zur "zeitweiligen Nichtbenutzung der Mieträume" kommen kann. Miete und Betriebskosten seien dennoch weiterhin zu zahlen, "Sie können ... zum Ablauf des übernächsten Monats kündigen". Das ist der ausgestreckte Mittelfinger gegenüber einer 72-Jährigen, deren Miete sich innerhalb eines Monats fast verdreifacht hat und demnächst zwei Drittel ihrer Rente verschlingen soll.

Angela Gerace ist mit all den Schreiben zum Anwalt gegangen. Die angekündigte Mieterhöhung sei "absurd, vernichtet die Existenzgrundlage unserer Mandantin und wird von dieser nicht akzeptiert", schreibt der an die Immobilienfirma. Nachbar Erwin Dobler meldet sich brieflich bei Oberbürgermeister Fritz Kuhn: "Mit Verzweiflung und Angst möchte ich Sie bitten, mich und meine Mitmieter im Kampf gegen diese dubiosen Modernisierungsmaßnahmen zu unterstützen." Geantwortet hat Finanzbürgermeister Michael Föll, auf zwei DIN-A4-Seiten: Das klinge eher nach Instandsetzung denn nach Modernisierung, und die ließe sich nicht so einfach auf die Mieter umlegen, schreibt er, und sichert zu, dass sich das Amt für Liegenschaften und Wohnen mit der Schwäbischen Bauwerk ins Vernehmen setzen würde. Eine Stellungnahme der Stadt ist bis Redaktionsschluss nicht zu bekommen.

"Auch wenn der hier goldene Wasserhähne einbauen lässt, werden das niemals Luxuswohnungen", sagt Erwin Dobler. Die Reinsburgstraße 65 ist ein Haus aus den Fünfzigern, das mit fünf seiner insgesamt elf Mietparteien gealtert ist. Die Ecken sind abgewetzt, an mancher Stelle ist der Lack abgesprungen, aber es ist penibel gehegt und gepflegt.

Auf jedem Stockwerk sind zwei Extra-Türen angebracht, hinter denen sich Gas- und Stromzähler verbergen. Als Frau Gerace einzog, waren im Kämmerle neben ihrer Haustür Regalbretter eingebaut, und seitdem lagert sie dort sauber aufgereihte Müllbeutel, Kante auf Kante gefaltete Staub- und Putztücher, Kehrwisch und Schäuffele. Keiner der Hausbesitzer der vergangenen Jahrzehnte hatte etwas dagegen.

Angela Gerace spricht von "Schikane"

Anfang Januar kam wieder ein Brief der Schwäbischen Bauwerk: Das Kämmerle sei "nicht Gegenstand Ihres Mietvertrags" und müsse geräumt werden. Mittlerweile hat man ihr in einem weiteren Scheiben angedroht, ihr Putzzeug wegzuwerfen, seitdem spricht sie von "Schikane". Auch die Sache mit ihrer Wohnungstür sei eine solche, sagt sie. Dort hängt ein Kranz mit rosafarbenen Blümchen, vor zehn Jahren hat sie ein Blechschild angeschraubt, mit Erlaubnis der Vorbesitzer. "Stella" und "Peggy" steht darauf, die Namen ihrer Hunde. Die Schwäbische Bauwerk, die im Zuge der Modernisierung neue "einbruchhemmende" Wohnungstüren einbauen lassen will, teilte mit: "Sie haben hier in Kauf genommen, dass Sie fremdes Eigentum beschädigen. Wir fordern Sie auf, das von Ihnen angebrachte Schild kurzfristig zu entfernen und das Türblatt fachmännisch richten zu lassen."

Angela Gerace hat den Beton ihres Balkons auf der Innenseite neu gestrichen, weil der mit den Jahrzehnten schäbig ausgesehen hat. Auf eigene Rechnung und mit Zustimmung des Vorbesitzers. Die Schwäbische Bauwerk moniert: "...dass Sie das Allgemeingut gestrichen haben und das in einem Farbton, welcher nicht zum Haus passt." Gezeichnet Marc-René Ruisinger. Er hat Beweis-Fotos beigelegt, vom Kranz, dem Schild an der Tür, dem Balkon, aufgenommen aus dem Hinterhaus. Das habe er auch gekauft und seitdem, erzählt die Rentnerin, dürften die dortigen Mieter ihre Wäsche nicht mehr auf der kleinen Terrasse hinterm Gebäude aufhängen. Weil die nicht mitgemietet sei. 

"Wir haben ein schönes Leben, wir lassen uns nicht vertreiben", sagt Erwin Dobler. Der Hausarzt ist um die Ecke, auch ein Getränkehandel und ein Gemüseladen. Ein 85-Jähriger "von oben" habe schon angekündigt, ihn müsse schon raustragen, wer ihn loshaben möchte.

Marc-René Ruisinger ist für Anfragen per Mail, Telefon oder an der Firmenhaustür nicht zu erreichen. Vielmehr lässt er sich von seiner Mutter abschirmen. Der Sohn sei nicht da, viel unterwegs, habe überhaupt keine Zeit, und auch kein Handy, sagt Mama Ruisinger, man möchte bitte Verständnis haben. Unter dem Reiter "Unternehmensprofil" auf der Homepage der Schwäbischen Bauwerk findet sich der schöne Satz: "In diesem Sinne verhelfen wir verblassten Gebäude-Schönheiten zu neuem Glanz und damit den Bewohnern zu einem neuen Wohngefühl mit Wohlfühlfaktor."

Wohnungsnot im ganzen Land

Wohnen ist mehr als ein Dach überm Kopf. Es ist ein Menschenrecht – oft nur auf dem Papier. MieterInnen werden ausgepresst. Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

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2 Kommentare verfügbar

  • Josef Keuner
    am 23.03.2019
    Antworten
    ANGSTGEBET IN WOHNUNGSNOT
    Ringelnatz

    (1923)
    Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht
    Uns aus der Wohnung jagen.
    Was soll ich ihr denn noch sagen –
    Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!?

    Ich ringe meine Hände.
    Weil ich keinen Ausweg fände,
    Wenn's eines Tags so wirklich wär:
    Bett, Kleider, Bücher,…
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