KONTEXT:Wochenzeitung
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Loderndes Warnsignal

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Vergangene Woche brannte der ICE 511 zwischen Köln und Frankfurt. Die verkohlten Waggons auf offener Schnellbahnstrecke machen deutlich, dass der Brandschutz für Tiefbahnhof und Tunnel von Stuttgart 21 nichts taugt.

Die Erleichterung war riesig. "Wir sind froh, dass die Evakuierung des Zugs schnell und sicher durch alle Beteiligten vonstatten gegangen ist", so Berthold Huber am Tag nach dem ICE-Brand auf der Schnellfahrstrecke zwischen Köln und Frankfurt. "Dafür danken wir allen Einsatzkräften, Helfern und unseren Mitarbeitern", sagte der Vorstand Personenverkehr bei der Deutschen Bahn AG (DB).

320 Einsatzkräfte hatte das Unglück des ICE 511 bei Dierdorf im Landkreis Neuwied am vergangenen Freitag auf den Plan gerufen. 510 Fahrgäste wurden gerettet, nur fünf Leichtverletzte waren zu beklagen. Für den Sprecher der Bundespolizei war es ein "Glücksfall", dass ein Kollege an Bord war, der die reibungslose Evakuierung organisierte. Man habe "Glück gehabt mit dem Wetter – trocken und verhältnismäßig warm", ergänzte der Kreisfeuerwehrinspektor. Glück im Unglück verhinderte eine Katastrophe. So fällt die Schadensbilanz eines durch technischen Defekt ausgelösten Zugbrandes mit zwei ausgebrannten Waggons und einer kaputten Strecke vergleichsweise harmlos aus.


Zurück zum Tagesgeschäft? Mitnichten, denn der ICE-Brand paralysiert die bisherigen Sicherheitsstrategien. Allen voran das Brandschutzkonzept für den neuen Bahnknoten Stuttgart 21 mit seinen zwei U-Bahnhöfen und 60 Kilometern Tunnelzuläufen. Ab 2021 sollen täglich hunderte Züge durch das unterirdische Röhrennetz rollen.

Kluft zwischen Brandschutz-Theorie und tatsächlichem Vollbrand im ICE

Anders als bislang säen diesmal nicht die Gegner des Milliardenprojekts Zweifel an dessen Sicherheit. Dass Tunnel und Tiefbahnhof potenzielle Todesfallen sind, legt die Bahn und ihr oberster Brandschützer Klaus-Jürgen Bieger selbst nahe. Mit früheren Aussagen, nach denen der ICE 511 nie derart lichterloh in Flammen hätte stehen dürfen. Zwischen theoretischem Brandschutz für S 21 und tatsächlichem Vollbrand des ICE klaffen Widersprüche. Die gut dokumentiert sind: <link http: www.schlichtung-s21.de fileadmin schlichtungs21 redaktion pdf external-link-new-window>im stenografischen Protokoll des 6. Schlichtungsgesprächs zu S 21 vom 20. November 2010.

Damals moderierte Schlichter Heiner Geißler eine lebhafte Diskussion über die Sicherheit der unterirdischen S21-Bauwerke. Im Verlauf der Sitzung war es Bieger, der jegliche Kritik daran in Abrede stellte. Mit einer Argumentation, die seit dem ICE-Brand vom vergangenen Freitag in wesentlichen Teilen unhaltbar ist. So betonte Bieger damals, dass sich der Brandschutz bei der Bahn nicht nur auf bauliche Anlagen beschränke. Sondern auch auf Loks, Treibwagen und Waggons, die speziell brandschutztechnisch konstruiert und ausgestattet sind.

"Es gibt einen Brandschutz in Schienenfahrzeugen, der abhängig von der Tunnellänge ist. Das heißt, bei der Eisenbahn gibt es nicht nur den Anlagenteil, der den Brandschutz sicherstellt, sondern es gibt vor allen Dingen auch einen Fahrzeugteil, der den Brandschutz sicherstellt, und dieser ist sehr hoch. Deshalb haben wir auch sehr wenige Brände. Sie werden in der Literatur kaum etwas dazu finden. Das ist in den letzten Jahren immer besser geworden, und deswegen ist es auch eine Erfolgsstory."

Sehr hoher Brandschutz im Fahrzeugteil? Der Vollbrand des ICE 511 widerlegt dies anschaulich. Sehr wenige Brände? Keine 24 Stunden nach dem ICE-Unglück kam es zu einen weiteren Brand. "Am Samstagmorgen hieß es im Zugfunk, dass die Strecke Gemünden – Würzburg wegen Zugbrands gesperrt ist", sagt ein Insider gegenüber Kontext. Dabei geriet "nur" ein Güterwagen eines privaten Eisenbahnunternehmens in Brand. Öffentlich gemacht wurde dieser Brand nicht.

Zugbrände hängt die Bahn nicht an die große Glocke

Diese Heimlichtuerei dürfte auch ein Grund sein, warum sich "kaum etwas" zu Zugbränden in der Literatur findet. So kam es nach Angaben des Insiders bei Versuchsfahrten vor Inbetriebnahme des Frankreichverkehrs im Juni 2007 zu einem Brand in einem TGV zwischen Rastatt und Karlsruhe. Der Zug wurde in den Karlsruher Güterbahnhof umgeleitet, wo die Feuerwehr den Löschangriff startete. "Im Karlsruher Hauptbahnhof, den ein großes Hallendach überspannt, wäre die Brandbekämpfung wesentlich schwieriger gewesen", so der Informant. Auch dieser Fahrzeugbrand wurde nicht "an die große Presse-Glocke gehängt".

Zurück zur Stuttgart-21-Schlichtung im Jahr 2010, in der Bieger auch bauliche und technische Vorkehrungen der Bahn skizzierte, um es erst gar nicht zu Bränden kommen zu lassen. Fachleute sprechen von Reduzierung der Ereigniswahrscheinlichkeit.

"Wir haben für den Brandschutz im Fall Stuttgart 21 spezielle Anforderungen aufgestellt, und diese sind abhängig von der Tunnellänge. Das heißt, diese Züge müssen für Tunnel über 5 km Länge geeignet sein. Unsere ICEs und alle neuen elektrotechnischen Triebzüge sind das."

Er erläutere, was die Bahn darunter versteht.

"Es geht um erhöhte Anforderungen an die Werkstoffauswahl. Heute sind die Anlagen in den Wagen gekapselt, sodass es nicht zu einem Brand kommen kann, und es muss für die Fahrzeuge risikoanalytisch bewertet werden."

Die häufigste Brandursache in Zügen ist Vandalismus, indem Sitze in Brand gesetzt werden. Um dies zu verhindern oder zumindest zu erschweren, beschreibt die DIN 5510 für Schienenfahrzeuge brandschutzspezifische Anforderungen an Bau- und Systemteile. Beim ICE 511 erfüllten die verbauten Materialien die höhere Brandschutzstufe 2 der DIN 5510. Trotzdem brannte der vorletzte Waggon lichterloh. "Warum der ICE 511 Feuer fing, ist gerade Bestandteil der Ermittlungen durch die Ermittlungsbehörden", erklärt eine Bahnsprecherin auf Anfrage.

Schwere Brände werden nicht mit Wasser gelöscht

Auch die Einkapselung der Fahrzeugtechnik verhinderte das Desaster nicht. Stattdessen schlug der Brand durch den Unterboden in den darüberliegenden Fahrgastraum über. Dabei entwickelte sich ein Vollbrand mit enormer Hitze und dichtem Rauch, dem weder Wagenwände und Dach aus Aluminium-Hohlkammerprofilen noch das massive Stahlbodengestell des Waggons standhielten. "Es kam zu einem extrem heißen Metallbrand", erklärt ein Brandexperte gegenüber Kontext.

Metallbrände sind schwer löschbar, da sich bei deren hohen Temperaturen von über 2000 Grad Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zersetzt. Es besteht die Gefahr von Knallgasexplosionen, weshalb auch Wasser als Löschmittel ausscheidet. Im Stuttgarter Fildertunnel, mit 9,5 Kilometern längster S 21-Tunnel, ist eine "nasse" Löschleitung vorgesehen – mit Wasser gefüllt. Bilder vom Unglücksort bei Dierdorf bestätigen, dass die Feuerwehr Löschschaum einsetzte, und dennoch den vorletzten Waggon teilweise kontrolliert abbrennen lassen musste.

Beim Unglückszug handelt es sich um einen ICE 3 mit zwei gekoppelten Zugteilen mit jeweils acht Waggons. Im Vollbrand stand mit dem vorletzten Waggon des hinteren Zugteils der Transformatorwagen (TR). "Dessen unterflur angebrachter Transformator fasst 1640 Liter Öl, eine Menge, die offenbar den Vollbrand anheizte", so der Informant. Vom TR schlugen die Flammen offenbar auf den letzten Stromrichterwagen (SR) über, dessen Kondensatoren im Fahrbetrieb unter einer Spannung von 2800 Volt stehen.

Um den ICE-Zugteil spannungsfrei zu machen, müssen vier Erdungsschalter betätigt werden, die über die acht Waggons verteilt sind. Nach Auskunft des Dierdorfer Wehrkommandanten wurde der Löschangriff nach erfolgter Notfallerdung durchgeführt. Schwieriger ist dies, wenn der Zug im Tunnel zu erden ist. "Der Lokführer muss von seinem Führerstand 400 Meter bis zum Endwagen des zweiten Zugteils laufen, um dort im Führerstand den letzten Erdungsschalter in Erden zu verlegen. Das ist bei einem Vollbrand im Tunnel ausgeschlossen", betont der Insider. Löschen würde Lebensgefahr bedeuten.

Den Brand im ICE 511 hatten Fahrgäste entdeckt, die dann die Notbremse zogen. Dagegen hatte Brandschutzexperte Bieger in der Schlichtung behauptet, dass Hitzedetektoren in den Zügen Brände zuverlässig melden.

"In Fahrzeugen gibt es einen Brandschutz mit Hitzedetektoren. Heute arbeitet man mit sehr vielen Detektoren. Es ist natürlich abgeschottet. Es gibt Bordlöschmittel und Brandschutztüren. Das heißt, selbst wenn ein Zug irgendwo zu brennen anfängt, kann man dies eingrenzen, und der Zug kann weiterfahren. Das ist das Wichtige."

Der Hinweis von Bieger auf Bordlöschmittel ist angesichts des Brandgeschehens beim ICE 511 ein schlechter Witz. "Das Zugpersonal hätte sich mit Löschversuchen in Lebensgefahr begeben", sagt der Informant. Dass der ICE-Brand glimpflich ausging, ist vor allem das Verdienst des Lokführers. Nachdem die Notbremse gezogen war, brachte er den Zug nicht sofort, sondern erst in einer Haltebucht zu stehen, wo die Evakuierung begann. Der letzte Tunnel, den der Zug verlassen hat, lag 15 Kilometer zurück, der nächste vier Kilometer voraus. "Bei 300 Stundenkilometer den Zug außerhalb eines Tunnels zum Halten zu bringen, war eine Meisterleistung", sagt der Informant.

Züge sollen im Notfall nie im Tunnel zum Stehen kommen

Damit handelte der Lokführer ganz nach Vorschrift, wonach Züge im Notfall nie im Tunnel zum Stehen kommen sollen. Dies betonte auch Klaus-Jürgen Bieger in der Schlichtung.

"Das Entscheidende ist, dass wir schon sehr frühzeitig gesagt haben: Wenn jemand im Tunnel die Notbremse zieht, ist das für das weitere Verfahren nicht gut. Das heißt, dann steht der Zug brennend im Tunnel. Deswegen gilt: Wenn Sie im Tunnel die Notbremse ziehen, ist der Lokführer in der Lage, weiterzufahren. Er überbrückt das und fährt raus ..."

Dennoch gibt es bei Stuttgart 21 Szenarien, in denen ein brennender Zug im Tunnel zum Stehen kommt. Der wahrscheinlichste Worst Case: Vorausfahrende Züge oder belegte Bahnsteiggleise blockieren die Ausfahrt. "Ein Stromabnehmer reißt den Fahrdraht herunter, es kommt zum Entladungsblitz, der den ICE in Brand setzt", schildert der Insider ein weiteres Szenario. Bergab im Fildertunnel reicht der Luftvorrat der Druckluftbremsen nicht aus, um den Zug sicher im Tiefbahnhof abzubremsen. "Der Lokführer muss im Tunnel halten", erläutert er. Kommt es wie beim ICE 511 zu einem Vollbrand mit gewaltiger Rauchentwicklung, ist die Katastrophe unausweichlich. "Die Flüchtenden ersticken in den Brandgasen. Da gibt´s kein Glück im Unglück mehr, die Bahn kann sich nicht länger rausreden", sagt der Insider.

Bringt der Brand des ICE 511 den Tiefbahnhof Stuttgart 21 ins Schleudern? "Die DB unterstützt die Ermittlungen der Ermittlungsbehörden umfassend. Erst wenn die Ursache geklärt ist, lassen sich daraus Maßnahmen ableiten", teilt eine Bahnsprecherin mit. Auch die Stuttgarter Feuerwehr beschäftigt das Unglück. "Um eine qualifizierte Auskunft zu geben, muss die Branddirektion die Sachlage erst einmal genau prüfen", man wolle sich erst in einigen Tagen äußern.

Vor acht Jahren hatte Schlichter Geißler bereits die Bahn aufgefordert, "für jeden Tunnel eine Lösung zu finden, die den Worst Case berücksichtigt". "Versprochen. Diese Lösung finden wir", hatte der damalige Bahn-Vorstand Volker Kefer laut Protokoll geantwortet. 


Info:

"Scheitert Stuttgart 21 am Brandschutz?" Das fragt das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 in einer Info-Veranstaltung am Montag, 29. Oktober um 19.30 Uhr im Großen Saal, Rathaus Stuttgart.

Das Jahrhundertloch: Stuttgart 21

Immer neue Kostensteigerungen, Risiken durch den Tunnelbau, ungelöste Brandschutzfragen, ein De-facto-Rückbau der Infrastruktur – das sind nur einige Aspekte des Milliardengrabs.

<link https: www.kontextwochenzeitung.de internal-link-new-window>Zum Dossier


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10 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 23.10.2018
    Antworten
    Eine abweichende Frage. Wie steht es um den Brandschutz bei Bussen, deren Scheiben zunehmend mit Plastikfolien verklebt werden. Oft wird inzwischen der gesamte Bus versiegelt. Das sieht nicht nur übel aus und führt zu einem "Fliegenblick". Die Frage ist, ob man die Scheiben der Notausstiege in…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 6 Stunden
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