Aufgefallen sind den kritischen Fachleuten vor allem Zeichnungen der markanten Lichtaugen, die im Dach des künftigen Tiefbahnhofs vorgesehen sind. Diese lassen nicht nur natürliches Licht in die riesige Bahnsteighalle hereinscheinen, sie erfüllen auch überlebenswichtige Funktionen im Unglücksfall: Sollte ein Zug oder eine Lokomotive in Brand geraten, müssen die giftigen Rauchgase über Öffnungen in den 28 Lichtaugen entweichen. Große Gebläse am Süd- und Nordkopf des Tiefbahnhofs sollen den Qualm aus dem unterirdischen Bahnhof ins Freie drücken. Auf diese Weise bleibe die riesige Bahnsteighalle lange genug rauchfrei, damit sich alle Reisende und Bahnangestellte aus der Gefahrenzone retten können, wie die Bahn stets betont. Derzeit wird davon ausgegangen, dass sich im Notfall mehr als 16 000 Menschen in rund einer Viertelstunde selbst aus dem unterirdischen Bahnhof retten. So lange soll und muss die Luftschicht vom Bahnsteigniveau bis in 2,5 Meter Höhe rauchfrei bleiben. Mit Simulationen sei der Nachweis hierfür bereits erbracht worden, betont die Bahn.
Die Öffnungen sind zu klein, um genügend Rauch abzuführen
Die Ingenieure 22 bezweifeln dies nach dem Aktenstudium. Denn in den Unterlagen entdeckten sie Widersprüchliches und Fehlerhaftes. "Die Öffnungen der Lichtaugen sind tatsächlich kleiner, als im aktuellen Brandschutzkonzept angenommen", kritisiert ihr Sprecher Heydemann, Rauch gelange daher offenbar langsamer ins Freie. Der Grund: Maßgeblich für die brandschutztechnische Auslegung der Rauchöffnungen, fachsprachlich als "Natürliches Rauch- und Wärmeabzug-Gerät" (NRWG) bezeichnet, sei nicht etwa deren geometrische Fläche oder der freie Durchtrittsquerschnitt, beschreibt der Ingenieur die Fehlerquelle. Entscheidend sei vielmehr die sogenannte "aerodynamisch wirksame Öffnungsfläche" der NRWG-Klappen, die in einem brandtechnischen Prüfversuch ermittelt wird. Das Verhältnis zwischen aerodynamisch wirksamer und geometrischer Öffnungsfläche, auch als Durchflussbeiwert Cv bezeichnet, schwanke je nach Klappenbauart zwischen 0,65 und 0,7. Das heißt: Die aerodynamisch wirksame Fläche ist um rund ein Drittel kleiner als geometrische.
Diese Werte gelten allerdings nur, wenn An- und Abströmung ungehindert erfolgen. Aus der Querschnittszeichnungen der Bahn für die Lichtaugen wird deutlich, dass die Klappenbereiche innen wie außen mit Aluminiumlamellen verkleidet sind. Zudem ist auf der Außenseite ein Kunststoffnetzgewebe vorgesehen, wohl um Nager und Vögel den Zugang zur Bahnsteighalle zu unterbinden. Dies bremst die Durchströmung weiter aus. "Der Einbau von Verkleidungen behindert den Rauchdurchtritt erheblich und ist nicht zulässig", betont Heydemann. Der Cv-Wert könne dadurch bis auf 0,3 sinken, sich also noch einmal halbieren. Im Brandschutzkonzept seien die aerodynamisch wirksamen Öffnungsflächen der Lichtaugen demnach viel zu groß angegeben, schlussfolgert Heydemann, in drei Fällen sogar größer als die geometrische Öffnungsfläche.
Wenn es bei S 21 brennt, sollte es windstill sein
Zudem haben die Rauchabzugsklappen auch in anderer Hinsicht Schwachstellen, glauben die Ingenieure 22. So können sie im Notfall nur bei nahezu Windstille geöffnet werden, weil sonst der Brandrauch in die Bahnsteighalle zurückgedrückt werde. Es sollen "nur jene Flächenanteile geöffnet werden, die in Lee [Windschatten] liegen, um Windeinströmungen und damit das Risiko von Verwirbelungen in der Halle zu vermeiden", heißt es im Brandschutzkonzept, das vom Düsseldorfer Büro Klingsch BPK erstellt wurde. Für die Gutachter offenbar kein Problem. Sie berufen sich auf eine "Häufigkeitsverteilung der Windrichtungen", und die beeinträchtigt die Funktionsweise des Rauchabzugs angeblich nicht. Stutzig machte die Ingenieure allerdings, dass die angeführten Winddaten aus dem Jahr 1994 und von einer Messstation auf dem Dach des Stuttgarter Schwaben-Zentrums stammen. "Die Verwendung einer 24 Jahre alten und damit veralteten meteorologischen Windverteilung zeigt, wie wenig sorgfältig der Gutachter das Brandschutzkonzept bearbeitet hat", bemerkt Heydemann dazu.
6 Kommentare verfügbar
Horst Ruch
am 26.07.2018Wenn schon aus politischem Trotz niemals ein Baustopp angeordnet wird, könnte auf die nach den technischen Formeln berechneten Rauchabzugsrohre in der von den Ingenieure 22 dargestellten Visualisierung a la Chirico verzichtet…