Im anderen Fall geht es um das ungarische Hochschulgesetz, das aus Sicht der EU-Kommission die Freiheit von Forschung und Lehre gefährdet. Das Gesetz richte sich speziell gegen die vom US-Milliardär George Soros betriebene "Central European University" in Budapest, die sich der Verbreitung von Liberalismus und Demokratie verschrieben hat. Parallel zum Gesetzgebungsverfahren hatte die Orbán-Regierung eine Plakat-Kampagne gegen Soros gestartet, die Kritikern zufolge antisemitische Vorurteile schürte. Vergeblich hatte Brüssel in beiden Fällen bereits sogenannte Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, um die Budapester Regierung zur Rücknahme der Gesetze zu bewegen. Urteilt das EuGH im Sinne der EU-Kommission, könnten Ungarn saftige Geldstrafen blühen.
Spielt dies alles bei der Stuttgarter Messegesellschaft, die je zur Hälfte dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart gehört, keine Rolle? Das touristische Angebot einer Destination stehe sicher nicht in einem politikfreien Raum und sei gelegentlich stark von politischen Entwicklungen in einem Land oder einer ganzen Region beeinflusst, entgegnet Messegeschäftsführer Roland Bleinroth auf Anfrage: "Solche Entwicklungen nehmen wir selbstverständlich zur Kenntnis." Dennoch stehe der Messe nicht zu, für die Besucher Wahlergebnisse oder jeweils aktuelle Regierungen eines Landes zu bewerten oder gar touristische Destinationen grundsätzlich von der CMT auszuschließen.
Die CMT böte ein sehr breites Spektrum an touristischen Destinationen, so Bleinroth, im Fokus stünden die landschaftlichen, kulturellen und kulinarischen Highlights der jeweiligen Länder oder Regionen. "Als Marktplatz für Unternehmen und Kunden der jeweiligen Branche hat eine Messe grundsätzlich auch eine Neutralitätspflicht gegenüber den legitimen Marktteilnehmern, jedenfalls solange sich diese nicht gesetzeswidrig verhalten", ergänzt er.
Tourismusbranche will mit Politik nix am Hut haben
Ähnlicher Argumente bediente sich zuletzt auch die Tourismusbranche. "Die Wahl des Reiselandes und einer bestimmten Region trifft jeder Urlauber für sich und gemäß seiner eigenen individuellen Vorstellungen, seiner moralischen und weltanschaulichen Einstellungen und Erwartungen", betonte Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), kürzlich in einem Interview. Der Verband wäre äußerst schlecht beraten, die politischen Systeme in den einzelnen Destinationen zu bewerten und hieraus Handlungsempfehlungen für Mitglieder und Reisende abzuleiten.
Fiebig gestand immerhin zu, dass es aufgrund politischer und sicherheitsrelevanter Situationen zu Verlagerungen der Reiseströme komme. Im Falle der Türkei beispielsweise lasse sich aber nicht eindeutig feststellen, ob Menschen primär aus Sicherheits- oder politischen Erwägungen nicht in das Land fahren. Der DRV selbst hatte seine im Herbst 2016 im türkischen Kuşadası geplante Jahrestagung nach heftigem internen Streit abgesagt und nach Berlin verlegt.
Hätte die Landesmesse dennoch sensibler bei der Auswahl der Partnerländer vorgehen müssen? Nach Kontext-Informationen dominierte bei der Kür bislang die Methode "First come, first serve". Demnach war der Ungarische Tourismusverband früh auf die Messe Stuttgart zugegangen und hatte schnell alle Konditionen akzeptiert. Darunter auch einen mittleren fünfstelligen Betrag, den die Messegesellschaft für die exklusive Kooperation verlangt. "Die CMT muss auch künftig für alle Länder offen bleiben", unterstreicht Geschäftsführer Bleinroth. Eine Zulassungsdiskriminierung nach politischer Einschätzung wäre nicht nur rechtswidrig, sondern würde dazu führen, dass die CMT ihren Charakter als Marktplattform und auch ihre Berechtigung verliere.
Kritik von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), der Aufsichtsratsvorsitzenden der Messegesellschaft, braucht das Messemanagement nicht zu fürchten. "Die Auswahl der Partnerländer für die Messe CMT unterliegt im Zuge des laufenden Geschäftsbetriebs der Entscheidungskompetenz der Messegeschäftsführung als deren originäre Aufgabe", teilt ein Sprecher der Ministerin auf Anfrage mit.
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Horst Ruch
am 13.01.2018Eine Touristikmesse hat doch nicht die…