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Urlaubsziel mit Makel

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Wegen seiner restriktiven Flüchtlingspolitik sitzt Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof auf der Anklagebank. Die Stuttgarter Reisemesse CMT dagegen feiert das vom Rechtsnationalen Viktor Orbán regierte Land für seine Gastfreundschaft.

Die Besucher erwartet ein Land der Vielseitigkeit, in dem es jede Menge zu entdecken gibt: etwa die bewaldeten Mittelgebirge im Norden oder die einmalige Puszta, die große Tiefebene. Für Familien hält der Balaton, besser bekannt als Plattensee, Badespaß parat. Erholungssuchende finden Entspannung in den zahlreichen Thermalbädern, Partygänger sind in der Hauptstadt Budapest richtig.

Ungarn ist das perfekte Urlaubsziel, das legt die Stuttgarter Messegesellschaft derzeit in Werbeflyern und auf ihrer Homepage nahe. Auf der 50. Ausgabe der Reisemesse CMT, die an diesem Wochenende in Stuttgart beginnt, präsentieren sich die Magyaren tatsächlich nur von ihrer besten Seite. Dabei kommt die überschwängliche Werbung für das EU-Mitgliedsland durch den Veranstalter nicht von ungefähr: Ungarn ist in diesem Jahr Partnerland der CMT.

Keine Rede ist in den Pressetexten der Messegesellschaft vom umstrittenen Vorgehen der ungarischen Regierung, das inzwischen das höchste europäische Gericht beschäftigt. So reichte die EU-Kommission erst im vergangenen Dezember vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Klage gegen Ungarn wegen seiner Flüchtlingspolitik ein. Im September 2015 hatten die EU-Innenminister die Umverteilung von bis zu 120 000 Asylbewerbern beschlossen. Bis heute hat Ungarn, neben Polen als einziger EU-Staat, nicht einen Asylbewerber aus diesem Programm aufgenommen. Stattdessen sollen stacheldrahtbewehrte Grenzzäune zu Serbien und Kroatien Migranten an der Einreise hindern.

Während sich Ungarn vor Kriegsflüchtlingen abschottet, sind zahlungskräftige Touristen aus Deutschland willkommen. Auf der CMT soll die exklusive Messekooperation für zusätzliches Interesse bei Publikum und Medien sorgen. Ein Partnerland profitiere von einer einzigartigen Präsenz vor, während und nach der Messe, verspricht der Veranstalter. "Rund 240 000 Besucher, 1500 Journalisten und zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft fokussieren ihr Interesse jedes Jahr auf die Partner der CMT", heißt es in der Akquisebroschüre. Partner dürften ihre Destination, wie in der Tourismusbranche Reiseregionen genannt werden, im Rahmen von Presseevents, Rahmenveranstaltungen und eigenen Events präsentieren und sich dadurch von anderen Ausstellern abheben. "Ihre Destination wird zudem in allen Kommunikationsmaßnahmen der CMT mitgeführt – dies entspricht einer Gesamtreichweite von durchschnittlich 45 Millionen Kontakten", heißt es weiter.

Im Demokratie-Ranking rutscht Ungarn immer weiter ab

Mit dem Hinweis auf reichlich Kontakte zu Medienleuten und Meinungsmachern setzt sich die Stuttgarter Messegesellschaft gleich in mehrfacher Hinsicht in einen Fettnapf. Denn seit der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orbán Ungarn regiert, geht es dort aus Sicht vieler Kritiker mit politischen Rechten, bürgerlichen Freiheiten und auch mit der Pressefreiheit bergab. Nichtregierungsorganisationen bescheinigen dem Land einen fortschreitenden Demokratieverlust. Im jüngsten Ranking der in Wien ansässigen "Democracy Ranking Association" etwa verschlechterte sich das Land zuletzt von Platz 37 auf 42. "Seit der Machtübernahme im Jahr 2010 hat Viktor Orbáns Allianz der Jungen Demokraten (Fidesz) Verfassungsänderungen und Gesetzesänderungen durchgesetzt, die es ihm ermöglicht haben, die Kontrolle über die unabhängigen Institutionen des Landes zu festigen. Nach einem Rückgang der Beliebtheit in den Jahren 2014 und 2015 ist die Unterstützung für die Partei in jüngster Zeit gestiegen, was vermutlich auf die harte Linie der Migrationspolitik zurückzuführen ist", konstatiert die New Yorker "Freedom House"-Initiative.

Auch die britische Wirtschaftszeitung "The Economist" stufte Ungarn zuletzt um zwei Plätze ab. In ihrem "Democracy Index 2016" schaffte es das EU-Land noch auf Platz 56 – und gilt damit als "unvollständige Demokratie". In dem Land mangele es vor allem an der politischen Teilhabe. Unter den EU-Staaten wird nur Rumänien (Indexplatz 61) als noch undemokratischer als Ungarn eingestuft.

Besserung ist nicht in Sicht. Zumal die EU seit Dezember zusätzlich wegen zweier umstrittener Gesetze vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Ungarn klagt. Zum einen, weil die Orbán-Regierung im Juni Nichtregierungsorganisationen dazu verpflichtet hatte, sich offiziell registrieren zu lassen und ihre Finanzquellen offen zu legen. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass man gegen Vereine vorgehen wolle, die angeblich die "Verteidigungsfähigkeit Ungarns und den Kampf gegen illegale Einwanderung schwächen wollen". Die EU-Kommission wertet dies als Angriff auf das Recht der Vereinigungsfreiheit.

Im anderen Fall geht es um das ungarische Hochschulgesetz, das aus Sicht der EU-Kommission die Freiheit von Forschung und Lehre gefährdet. Das Gesetz richte sich speziell gegen die vom US-Milliardär George Soros betriebene "Central European University" in Budapest, die sich der Verbreitung von Liberalismus und Demokratie verschrieben hat. Parallel zum Gesetzgebungsverfahren hatte die Orbán-Regierung eine Plakat-Kampagne gegen Soros gestartet, die Kritikern zufolge antisemitische Vorurteile schürte. Vergeblich hatte Brüssel in beiden Fällen bereits sogenannte Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, um die Budapester Regierung zur Rücknahme der Gesetze zu bewegen. Urteilt das EuGH im Sinne der EU-Kommission, könnten Ungarn saftige Geldstrafen blühen.

Spielt dies alles bei der Stuttgarter Messegesellschaft, die je zur Hälfte dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart gehört, keine Rolle? Das touristische Angebot einer Destination stehe sicher nicht in einem politikfreien Raum und sei gelegentlich stark von politischen Entwicklungen in einem Land oder einer ganzen Region beeinflusst, entgegnet Messegeschäftsführer Roland Bleinroth auf Anfrage: "Solche Entwicklungen nehmen wir selbstverständlich zur Kenntnis." Dennoch stehe der Messe nicht zu, für die Besucher Wahlergebnisse oder jeweils aktuelle Regierungen eines Landes zu bewerten oder gar touristische Destinationen grundsätzlich von der CMT auszuschließen.

Die CMT böte ein sehr breites Spektrum an touristischen Destinationen, so Bleinroth, im Fokus stünden die landschaftlichen, kulturellen und kulinarischen Highlights der jeweiligen Länder oder Regionen. "Als Marktplatz für Unternehmen und Kunden der jeweiligen Branche hat eine Messe grundsätzlich auch eine Neutralitätspflicht gegenüber den legitimen Marktteilnehmern, jedenfalls solange sich diese nicht gesetzeswidrig verhalten", ergänzt er.

Tourismusbranche will mit Politik nix am Hut haben

Ähnlicher Argumente bediente sich zuletzt auch die Tourismusbranche. "Die Wahl des Reiselandes und einer bestimmten Region trifft jeder Urlauber für sich und gemäß seiner eigenen individuellen Vorstellungen, seiner moralischen und weltanschaulichen Einstellungen und Erwartungen", betonte Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), kürzlich in einem Interview. Der Verband wäre äußerst schlecht beraten, die politischen Systeme in den einzelnen Destinationen zu bewerten und hieraus Handlungsempfehlungen für Mitglieder und Reisende abzuleiten.

Fiebig gestand immerhin zu, dass es aufgrund politischer und sicherheitsrelevanter Situationen zu Verlagerungen der Reiseströme komme. Im Falle der Türkei beispielsweise lasse sich aber nicht eindeutig feststellen, ob Menschen primär aus Sicherheits- oder politischen Erwägungen nicht in das Land fahren. Der DRV selbst hatte seine im Herbst 2016 im türkischen Kuşadası geplante Jahrestagung nach heftigem internen Streit abgesagt und nach Berlin verlegt.

Hätte die Landesmesse dennoch sensibler bei der Auswahl der Partnerländer vorgehen müssen? Nach Kontext-Informationen dominierte bei der Kür bislang die Methode "First come, first serve". Demnach war der Ungarische Tourismusverband früh auf die Messe Stuttgart zugegangen und hatte schnell alle Konditionen akzeptiert. Darunter auch einen mittleren fünfstelligen Betrag, den die Messegesellschaft für die exklusive Kooperation verlangt. "Die CMT muss auch künftig für alle Länder offen bleiben", unterstreicht Geschäftsführer Bleinroth. Eine Zulassungsdiskriminierung nach politischer Einschätzung wäre nicht nur rechtswidrig, sondern würde dazu führen, dass die CMT ihren Charakter als Marktplattform und auch ihre Berechtigung verliere.

Kritik von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), der Aufsichtsratsvorsitzenden der Messegesellschaft, braucht das Messemanagement nicht zu fürchten. "Die Auswahl der Partnerländer für die Messe CMT unterliegt im Zuge des laufenden Geschäftsbetriebs der Entscheidungskompetenz der Messegeschäftsführung als deren originäre Aufgabe", teilt ein Sprecher der Ministerin auf Anfrage mit.


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5 Kommentare verfügbar

  • Horst Ruch
    am 13.01.2018
    Antworten
    .....soviel mir in Erinnerung ist wurde seit Beginn der CMT 1968? Spanien, das seinerzeit unter Diktator Franco regierte Land präsentiert. Also hier Stimmung gegen Ungarn bzw. dessen derzeitigen Präsidenten V.Orban zu erzeugen, ist zu simpel und seltsam.
    Eine Touristikmesse hat doch nicht die…
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