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Im Namen des Vaters

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Erst beutete Anton Schlecker seine Mitarbeiter aus, dann fuhr er sein Unternehmen gegen die Wand. Fünf Jahre später endet ein spektakulärer Prozess wegen Insolvenzverschleppung und Betrug mit einer Überraschung. Nicht der alte Herr soll ins Gefängnis, sondern seine Kinder. Die haben inzwischen Revision eingelegt.

Die erste Schlecker-Frau, die ich nach Anton Schlecker fragte, weinte. Das Gespräch ist dreizehn Jahre her. Ich war Redakteur bei der "Stuttgarter Zeitung" und hatte den Auftrag, die Unruhen bei Schlecker zu erforschen. Niemand sprach damals von einer Krise. Das Geschäft brummte. Doch in der Drogeriekette geschahen seltsame Dinge.

Mitarbeiterinnen wurden von ihren Vorgesetzten in den Keller bestellt. Die Personalgespräche ähnelten einem Überfallkommando. In einer Minute füllte die Schlecker-Frau noch das Seifenregal auf, in der nächsten standen zwei Regionalleiter hinter ihr und drängten sie in einen Raum, in dem sie kaum Luft bekam.

Nur besonders selbstbewusste Charaktere überstanden die nächste Stunde, ohne einen Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Wer sich weigerte, wurde behandelt wie eine Kriminelle. Sofort die Sachen zusammenräumen, den Laden verlassen, sagten die Chefs. Hausverbot. Das war selten persönlich gemeint. Schlecker schichtete nur gerade das Personal um. Erfahrene Frauen in hohen Tarifgruppen raus, billige Frischlinge rein. Wer freilich jung einen Betriebsrat gründen wollte, kam gleich mit auf die Streichliste.

Anton Schlecker mied die Öffentlichkeit wie die Pest

2004, als ich meinen ersten Schlecker-Artikel schrieb, gab es in Stuttgart keinen einzigen Betriebsrat bei dem Unternehmen. Gern hätte ich Anton Schlecker selbst gefragt, warum das so war. Aber der Mann glich einem Phantom. Die Öffentlichkeit mied er wie die Pest. Anton Schlecker hatte sich damals ein riesiges Vermögen erarbeitet. Aber genossen hatte er es kaum. Um 6.45 Uhr Antritt im Büro, Mittagessen mit der Familie, dann wieder Büro bis 19 Uhr. Anton Schlecker hatte zwar Freunde. Aber wenn sie ihn sehen wollten, mussten sie zu ihm kommen. Sein Anwesen war schon damals nicht besonders gut in Schuss.

Und doch habe ich Schleckers Welt auf ihrem Höhepunkt erlebt. "Willst du den sicheren Ruin eines Unternehmens, gib ihm 30 Jahre Erfolg", sagte Schlecker in jenen Tagen. Er sollte mehr Recht behalten, als ihm lieb sein konnte.

Wenig später hatte der Mann, der 1975 sein erstes Drogeriegeschäft öffnete, sein unternehmerisches Reich überdehnt. Es reichte vom Atlantik bis nach Osteuropa, umspannte 17 Länder, 14 000 Filialen und 52 000 Mitarbeiter. Das war 2007 und es war Fassade. Unter dem Strich stand ein Verlust von 80 Millionen Euro.

Auch mir erschlossen sich diese Zahlen erst im Nachhinein. Inzwischen arbeitete ich beim "Handelsblatt" und hatte einen neuen Auftrag: den Absturz von Schlecker zu ergründen. Das Unglaubliche war passiert. Die Drogeriekette konnte kaum noch ihre Regale füllen, im Januar 2012 meldete Schlecker Insolvenz an. Es hatte schon viele Pleiten in Deutschland gegeben. Aber keine in Milliardengröße, bei der ein Inhaber als eingetragener Kaufmann mit seinem Privatvermögen haftete. Während der Insolvenzverwalter fieberhaft nach einem Investor suchte, suchte ich gemeinsam mit einem Kollegen nach einem Grund.

Die Recherche führte uns zurück bis in die Metzgerei seines Vaters in Ehingen, wo der kleine Anton schon von Kindesbeinen an aushalf. Er musste den Boden schrubben und hinten, zwischen Tierhälften und Wurstgirlanden, die Blutwurst einrühren.

Schleckers Vater war halb Unternehmergenie, halb Geizkragen. Mochten andere Metzger sich mit einer Metzgerei begnügen. Schlecker senior eröffnete außerdem eine Fleischfabrik, eine Brotfabrik und zwei Warenhäuser. Schlecker wurde wohlhabend. Und blieb doch so geizig, dass er zu Fußballspielen oft erst zur zweiten Halbzeit erschien, um den Eintritt zu sparen. Abgelaufene Süßigkeiten aus seinen Läden verteilte er an seine Kinder.

Anton Schlecker war der Sohn seines Vaters. Am Tag vor Heiligabend 1987 entführte ein Verbrecher-Trio seine beiden Kinder Meike, damals 14 Jahre alt, und Lars (16). Die Kidnapper forderten Lösegeld – und bekamen einen Verhandlungsmarathon. Schlecker zahlte schließlich 9,6 Millionen Mark – genau den Betrag, bis zu dem seine Kinder versichert waren.

Kein Telefon in den Filialen, kein Tarif für die Schlecker-Mitarbeiter

1993 schoss ein Räuber auf eine Schlecker-Frau in Köln. Sie hatte die Kasse nicht herausgegeben. Vielleicht hatte sie mehr Angst vor dem Schleckerzorn als vor der Waffe. Sicher ist: Einmal niedergeschossen, war sie ohne Chance. Schlecker duldete in seinen Filialen keine Telefone. Waren solche Geräte einmal griffbereit, würden die Leute den ganzen Tag schwatzen, so die Schleckerlogik. Die Frau verblutete.

1998 wurde Schlecker zu einer Millionenstrafe und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Nach Überzeugung des Gerichts täuschte der Chef seinen Mitarbeitern vor, er würde sie nach Tarif bezahlen. Wurden sie aber nicht. Mit einem weiteren Trick provozierte der Drogeriekönig später sogar eine Gesetzesänderung – Lex Schlecker genannt. Sie sollte unterbinden, Angestellte zu kündigen und anschließend zu geringeren Bezügen als Leiharbeiter wieder einzustellen. Als das Gesetz 2011 in Kraft trat, war Schlecker freilich längst am Boden.

Schleckers Prophezeiung bewahrheitete sich – 30 Jahre Erfolg machten ihn blind. Was in den 1970ern, 80ern und 90ern richtig gewesen war, konnte danach nicht plötzlich falsch sein, so seine fatale Gewissheit. Und doch war es so: falsch.

Schleckers Erfolg lag in Schleckers Wachstum. Er machte seine Lieferanten zu seiner Bank. Er handelte die längsten Zahlungsfristen der Branche aus – teilweise 90 Tage und mehr. Bevor Schlecker die Rechnung für die Seifen und Cremedosen zur Überweisung freigab, hatten die Kunden sie längst bezahlt. In der Zwischenzeit konnte Schlecker noch mehr neue Standorte eröffnen. Er expandierte mit Hunderten von Millionen Euro, die er eigentlich gar nicht hatte. Das System war brillant. Allerdings nur, solange die Kunden blieben. Und dann blieben sie fort.

Ende der 90er-Jahre begannen Aldi und Lidl, ein Auge auf die Umsätze von Schlecker zu werfen. Sie legten immer mehr Drogerieartikel in ihre Regale. Und sie verkauften sie billig. Gleichzeitig erfanden Konkurrenten wie dm ein Wort, das Schlecker bis zuletzt nicht verstand: Einkaufserlebnis. Sie verbreiterten die Gänge. Stellten Wasserspender auf. Wickeltische. Quatsch, meinte Schlecker. Warum sollte er Geld ausgeben für etwas, das er nicht verkaufen konnte?

Schlecker sparte sich direkt ins Verderben. Seit 2007 ging die Zahl seiner Kunden in Deutschland zurück. Um die Umsätze zu halten, musste er die Preise erhöhen. Ein Irrsinn in einem Markt, in dem der Preis regierte. Schleckers Unternehmen implodierte. Schon 2009 war es eigentlich zahlungsunfähig, monierte später die Staatsanwaltschaft. Dass Schlecker trotzdem weitermachte, führte zur Anklage.

Das Schlecker-Urteil spaltet

Der Fall warf große Fragen auf. Niemand in Deutschland dürfe dafür verurteilt werden, dass er scheitert, warnte Schleckers Anwalt in seinem Plädoyer. Das war unstrittig. Richtig war aber auch, dass Schlecker kurz vor dem Ende noch einmal Geld aus seinem Unternehmen an seine Kinder verschob. Das machte ihn vom Sturkopf zum Täter, tadelte die Staatsanwaltschaft. Und seine Kinder zu Mittätern.

Lars und Maike Schlecker waren Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren einziger Kunde Schlecker war. Wenige Tage vor der Insolvenz ließen sie sich noch Millionen überweisen und saugten das Geld sofort ab. "Eine Kurzschlussreaktion", nannte ihr Anwalt das. "Vorsatz", entgegnete die Staatsanwaltschaft.

So endet der Schlecker-Prozess in dieser Woche mit einem Urteil, das niemand kommen sah. Anton Schlecker erhält eine Bewährungsstrafe, seine Kinder sollen für fast drei Jahre ins Gefängnis. Es ist ein Urteil, das spaltet. Manche sind wütend, dass ein Schinder wie Schlecker auf freiem Fuß bleibt. Manche erschrocken, dass seine Kinder für ihn büßen sollen. Beide haben Unrecht.

Die Richter am Landgericht Stuttgart sollten Schleckers Handeln zwischen 2009 und 2012 bewerten, nicht sein Leben und nicht seinen Charakter. Anton Schlecker hat alles verloren, wofür er je gearbeitet hat. Und er hat sein Leben lang nur gearbeitet. In manchen Jahren machte er mehrere hundert Millionen Euro Gewinn. Jeden Cent davon steckte er zurück in die Firma. Dann ging sie unter. Ja, kurz vor dem Ende verschob Schlecker Gelder an seine Kinder. Dass er sich selbst bereicherte, war nicht zu erkennen. Unschuldig macht ihn dies nicht. Aber eine Verurteilung auf Bewährung ist auch kein Freispruch.

Und seine Kinder? Für sie sieht die Rechnung anders aus. Beide sind mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren. Sie besuchten Eliteschulen, haben auch heute noch Vermögen, das nicht auf ihrer Hände Arbeit beruht. Das macht auch sie nicht schuldig. Aber als die beiden sich noch kurz vor dem Ende des Unternehmens Gewinnausschüttungen genehmigten, waren sie keine Marionetten ihres Vaters. Beide waren studierte Wirtschaftswissenschaftler jenseits der 40. Und verantwortlich für ihr Handeln.

Hat das Urteil bestand, ist es für die Kinder dramatisch. Man mag knapp drei Jahre Gefängnis als läppisch abtun, wenn draußen Millionen schlummern. Aber der Richterspruch hat Signalwirkung. Auf Lars und Meike Schlecker warten noch andere Kläger. Nicht solche, die sie zurück ins Gefängnis bringen könnten. Aber solche, die an ihr Geld wollen. Einen Tag nach dem Urteil haben Lars und Meike Schlecker Revision gegen das Urteil  eingelegt. Damit geht der Prozess vor den Bundesgerichtshof, der das Urteil auf Verfahrensfehler prüft.

 

Sönke Iwersen beschäftigt sich seit 13 Jahren mit dem Thema Schlecker. Begonnen hat er als Redakteur der "Stuttgarter Zeitung", heute leitet er das Investigativ-Ressort beim "Handelsblatt". Zum Urteil von Anton Schlecker hat <link http: tool.handelsblatt.com specials schlecker external-link-new-window>seine Redaktion viele Fakten und Hintergründe zusammengetragen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Hannibal Corpse
    am 05.12.2017
    Antworten
    ''Anton Schlecker hatte sich damals ein riesiges Vermögen erarbeitet.''
    Niemand erabeitet sich mit seiner eigenen Arbeit ein Riesenvermögen.
    Selbst wenn Anton SChlecker 12 Stunden am Tag gearbeitet hat, ist das nicht mehr als anderthalb normal Beschäftigte auch leisten würden.
    Das Vermögen hatten…
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